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Oi ain't Red? Die Grauzone am Beispiel der Bootboys Hildesheim

Einleitung

Ein Beispiel wie aus dem Bilderbuch für die Auswüchse der sogenannten Grauzone liefern die Bootboys Hildesheim. Diese treten seit 2004 als Veranstalter von Oi!- und Punk-Konzerten auf. Während sie im Rahmen ihres Internetauftritts beim sozialen Netzwerk Myspace stets den »unpolitischen« Charakter ihrer Veranstaltungen betonen, führt die nähere Betrachtung der gebuchten Bands und deren Publikum zu ganz anderen Schlüssen.

Bild: Screenshot von "Ritas & Ottis Bilderbude/boobs-n-boots-firm.de

Neonazistische Symbolik auf einem Bootboys Hildesheim Event.

Seit 2004 führten die Bootboys Hildesheim ca. 30 Veranstaltungen durch, die öffentlich dokumentiert sind: Konzerte, Partys, Kegelabende etc. In ihrer Selbstdarstellung verweisen sie darauf, dass »sich die Hildesheimer Szene aus Punks und Skins verschiedener Hautfarben und ethnischer Zugehörigkeiten zusammensetzt« und dass es für sie »selbstredend [sei], dass wir keine Bands engagieren, die in irgendeinem Sinn faschistisches oder kommunistisches Gedankengut vertreten!«1 Doch bereits auf einer der ersten Shows am 4. Dezember 2004 boten die »Bootboys« den geladenen Gästen neben einem Auftritt der lokalen Grauzonen-Punker Riot Company und 50 Litern Freibier die beiden rechten Bands Brachial und Backstreet Firm aus Sachsen-Anhalt. Blicke auf Exponenten der Bootboys Hildesheim und auf BesucherInnen ihrer Events veranschaulichen insbesondere, wie sich Personen aus der extremen Rechten Räume und Erlebniswelten unter dem Label einer »unpolitischen« Spaßkultur erschließen.

Gegen Political Correctness

Zu den Bootboys Hildesheim zählt der frühere Backstreet Firm-Bassist und selbsternannte Neonazi-Aussteiger Jan Greve aus dem Harzvorland. Greve gehörte zu den Verantwortlichen des Westend Skinheadpubs in Grasleben2 , der 2004 schließen musste, weil er Konzerte mit extrem rechten Bands wie Kampfzone durchgeführt hatte. Im März 2006 hatte Greve mit seinem Versuch, ein »Fuck P.C.-Fest« in Hildesheim zu veranstalten, für Aufsehen gesorgt3 und nach dessen Absage im Internet von einer unheiligen Allianz aus Staatsmacht und Antifa fabuliert.

Über Jan Greve ist der Kreis der Bootboys Hildesheim mit dem Adler-Versand verbunden. Der Versand mit Sitz im nahen Diekholzen serviert seinen KundInnen überwiegend Musik des extrem rechten Rock Against Communism (RAC), die er auf seinem Label »Oi ain't red« auch selbst veröffentlicht. Mit Ausnahme des Versand-Inhabers Bertino Adler geben sich die Macher der »Adler-Crew« nur mit ihren Vornamen »Jan« und »Thomas« zu erkennen. Die brasilianische RechtsRock-Band Bandeira De Combate, die 2010 eine Split-CD mit der belgischen Blood & Honour-Band »Kill Baby, Kill« auf »Oi ain't red« veröffentlichte, gab sich Anfang 2009 in einem Interview auskunftsfreudiger: »We’re also re-releasing an Album by Oi! ain’t red Records with the friend Jan Greve.«4

Blood & Honour – Honour & Pride – Bootboys Hildesheim

Auch für »Bootboy« Jens W. aus der Nähe von Hildesheim ist der Skinheadkult alles andere als eine unpolitische Angelegenheit. Im Herbst 2009 trieb es ihn zum »ISD-Memorial«-Konzert nach Großbritannien, wo er gemeinsam mit etwa 800 anderen Neonazis aus ganz Europa dem Begründer von Blood & Honour, Ian Stuart Donaldson, gedachte. Ebenso ließ er sich, wie zuletzt beim »Live and Loud 2010« im November 2010 in Belgien, die Auftritte der Bremer Neonazi-Band Endstufe nicht entgehen. Seine Ian Stuart-Tätowierung auf der Brust und die tätowierte schwarze Sonne auf der Schulter trägt er nicht zufällig und den anderen »Stiefeljungs« dürfte dies keinesfalls entgangen sein.

Ein weiterer »Bootboy« ist der gelernte Erzieher Markus H., der zur »Honour & Pride – Sektion Nordharz« gehört. Das Musiknetzwerk Honour and Pride entstand nach dem Verbot der deutschen Division von Blood & Honour im September 2000 und führte in den vergangenen Jahren neonazistische Konzerte in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt durch. Gemeinsam mit dem Rollladenbauer Oliver Malina aus Salzgitter, der seit der Jahrtausendwende bereits mehrfach als Konzertveranstalter für die »Honour & Pride – Sektion Niedersachsen« in Erscheinung getreten war, nahm Markus H. am 5. April 2008 im dänischen Ammitsbölan an einem offiziellen Blood & Honour-Konzert teil.5

Nur eine Woche später, am 12. April 2008, beteiligte sich H. am von der »Bootboys-Crew« veranstalteten Konzert mit Indecent Exposure, das zwar nicht unter der Schirmherrschaft einer neonazistischen Organisation stand, dennoch zu einem überregionalen Neonazitreffen mit internationaler Beteiligung geriet. Es war das erste Konzert, das mangels einer geeigneten Hildesheimer Räumlichkeit im »Speicher« im benachbarten Barnten stattfand. Hier gaben sich in entspannter Atmosphäre Neonazi-Prominenz, wie etwa Teile der »Endstufe-Crew«, englische und belgische Blood & Honour-Neonazis und Mitglieder der RAC-Band »Kill Baby, Kill« die Klinke in die Hand6 und feierte gemeinsam mit Neonazi-Punks, aber auch namhaften Vertretern der deutschen Oi-Szene wie Bandmitgliedern von Stomper 98, den Auftritt der altgedienten, schon immer rechtsoffenen Oi-Band.

Waffen, Spaß und Reiselust...

Beim nächsten Konzert, das die Bootboys Hildesheim am 23. August 2008 mit der ebenso rechtsoffenen britischen Band Condemned 84 veranstalteten, befand sich unter den Feiernden auch Mario Messerschmidt aus Göttingen, ein bis dato eher regional bekannter Waffennarr mit neonazistischer Gesinnung. Drei Monate später, im November 2008, trat der ehemalige Bundeswehrausbilder gemeinsam mit anderen Neonazis in der Göttinger »Moonlight-Bar« in Erscheinung. Dort schoss er nach einer Auseinandersetzung mit einem anderen Neonazi mit einer Pumpgun um sich. Anschließend an den Rauswurf aus der Lokalität warf er Brandsätze gegen die Gebäudefassade7 ] (vgl. AIB 84). Die daraufhin alarmierte Polizei nahm fünf beteiligte Neonazis fest. Bei den folgenden Hausdurchsuchungen stieß die Polizei in Messerschmidts Wohnung auf ein regelrechtes Waffenarsenal. Seit Ende 2009 sitzt er eine fünfjährige Haftstrafe ab, u.a. wegen Verstößen gegen das Waffen- und das Kriegswaffenkontrollgesetz.8

Messerschmidts gute Bekannte Heidi S., die ihn in der Vergangenheit auch als ihren »Mitbewohner« benannte, hat wohl jedes der von den Bootboys durchgeführten Konzerte besucht. Mittlerweile ist S. von Göttingen nach Spanien ausgewandert, wo sie mit einem Bandmitglied der RAC-Band Glory Boys liiert ist. Heidi S. zählt zu den wenigen Frauen, die es geschafft haben, in der rechten Männerwelt eine gewisse Reputation zu erlangen. Nachdem sie noch vor zehn Jahren in Hessen und Berlin als Teilnehmerin von Neonaziaufmärschen auffiel, ist sie heute in rechten Skinhead-Kreisen in ganz Europa unterwegs und war bzw. ist ein gern gesehener und häufiger Gast im belgischen De Kastelein bzw. dessen Nachfolgepub Moloko-Bar. In diesem Brügger Etablissement wird das Motto »If the kids are united« großzügig gehandhabt, neben Blood & Honour-AktivistInnen tummeln sich dort Hooligans, Nazi-Punks und Oi-Skins vor allem aus Belgien und Deutschland. Sowohl De Kastelein als auch die Moloko-Bar boten in der Vergangenheit rechts angehauchten, aber auch offenen Neonazibands die Möglichkeit, live aufzutreten.

Eine weitere Band aus dem Umfeld der Bootboys Hildesheim sind Combat 77, die aus zwei Hildesheimern, zwei Hannoveranern und einer Hannoveranerin bestehen und sich nach außen strikt »unpolitisch« geben. Ihr Album »100 % Oi!« deckt – nomen est omen – erfolgreich alle gängigen Klischees ab und ist frei von offen politischen Aussagen. Ganz so »unpolitisch« waren jedoch weder alle Konzerte, die die Band gespielt hat, so zum Beispiel in der als Ersatzort für den Neonazitreffpunkt Skinhouse Menfis (vgl. AIB 73) genutzten Schwedenschanze im thüringischen Deesbach, noch die offensichtlich rechten Fanzines, die die Band interviewten, wie etwa das MeinungsFreiheit-Zine, Feindkontakt oder Stolz & Stil. So verwundert es nicht, dass die Band für das Indecent Exposure-Konzert in Barnten im April 2008 das Schlagzeug stellte. Personelle Überschneidungen existieren mit der Band Riot Company, mit der sich Combat 77 auch einen Proberaum teilen.

Spießbürgerliches Rebellentum

Obgleich sich die Bootboys Hildesheim zum Großteil aus »unpolitischen Gestalten« zusammensetzen und sie sich in ihrer Außendarstellung um die strikte Vermeidung von politischen Aussagen bemühen, so sind sie mit ihren Veranstaltungen zu einem festen Bestandteil einer Szene geworden, die sich am ehesten mit dem Begriff »Grauzone« beschreiben lässt. In einer Mischszene im Umfeld der »Bootboys« verwischen die Grenzen zwischen »unpolitischen« Skinheads und PunkerInnen, rechten Schlägern und aktiven und organisierten Neonazis. Als kleinster gemeinsamer Nenner genügt den AkteurInnen die Begeisterung für Oi-Musik und Spirituosen, sowie ein diffuser Begriff von Abgrenzung und Ablehnung nicht nur gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft, sondern auch einer antifaschistischen bzw. als »politisch korrekt« empfundenen Kultur und Politik.

Längst haben Neonazis die Grauzone für sich entdeckt. So antwortete die Neonaziband Revierkampf aus Schleswig-Holstein 2009 in einem Interview: »Zum Begriff ›Grauzone‹ nur so viel: Gerade in der heutigen Zeit begrüßen wir es sehr das so auch »unpolitische« Leute in Kontakt mit Nationalisten und Patrioten kommen. Vielleicht öffnen sich dem einen oder anderen so die Augen.«9

Unter dem Deckmantel des gemeinsamen Kultes, sprich: der Skinhead-Subkultur, gelingt es jungen und alten Neonazi-Skins, in eine sich selbst als »unpolitisch« definierende Szene einzusickern, dort Fürsprecher zu gewinnen und so zu einer Normalisierung in Bezug auf einen freundschaftlichen Umgang mit Neonazis beizutragen. Das Resultat dieser Verquickung verschiedener Subkulturen sind zahlreiche rechtsoffene Konzerte und Festivals der jüngeren Vergangenheit. Veranstaltungsorte wie das Skinhouse Menfis in Neustadt/Orla (Thüringen) und Veranstalter wie die Bootboys Hildesheim organisieren die Infrastruktur und Erlebniswelt der Grauzone. ProtagonistInnen dieses Milieus schrecken dabei auch nicht davor zurück, Veranstaltungen in Räumlichkeiten durchzuführen, die auf eine linksradikale Vergangenheit zurückblicken oder sogar momentan Teil der linksradikalen Szene sind. Die mit dieser Auseinandersetzung einhergehenden Diskussionen haben bewiesen, wie »unpolitisch« dieser Teil der Oi-Szene tatsächlich ist: Über rechte Tendenzen wird geflissentlich hinweg gesehen, bei berechtigter Kritik von antifaschistischer Seite läuten die Alarmglocken und das alte Hirngespinst vom »Linksfaschismus« wird bemüht, statt sich mit den Argumenten auseinanderzusetzen.