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»Waffenkammer der Bewegung« – Göttinger Neonazis vor Gericht

Einleitung

Haftstrafen in Höhe von fünf und zweieinhalb Jahren sowie eine Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren – diese Urteile standen am Ende eines Prozesses gegen drei Mitglieder der extremen Rechten aus Südniedersachsen vor dem Landgericht Göttingen. 

Bild: Dirk Schwartz

Mario Messerschmidt bei seiner Gerichtsverhandlung.

Zwei Neonazis wurden wegen Verstößen gegen das Waffengesetz verurteilt, bei dem 34-jährigen Hauptangeklagten Mario Messerschmidt kamen unter anderem Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz hinzu. Mit Gästen seiner Geburtstagsparty hatte der ehemalige Bundeswehrausbilder im November 2008 die Göttinger Table Dance Bar »Strip« besucht und dort mit einer Pumpgun geschossen. Nachdem er und vier weitere Neonazis aus dem Haus geworfen wurden, hatte er mit dem gleichaltrigen Dirk Niebur zwei Brandsätze gegen die mit Holz verkleidete Gebäudefassade geworfen.

Die daraufhin alarmierte Polizei nahm kurz danach fünf Neonazis fest und stieß bei den folgenden Hausdurchsuchungen auf  ein regelrechtes Waffenarsenal. Allein in Messerschmidts Wohnung beschlagnahmten sie neben der Pumpgun unter anderem eine kroatische Maschinenpistole, ein sogenanntes Snipergewehr mit Schalldämpfer und Zielfernrohr sowie zwei Pistolen und über 400 Schuss Munition. Auch bei Niebur, dem Kopf der etwa 30-köpfigen Neonazi-Szene in Einbeck, wurden die Ermittler fündig und beschlagnahmten eine doppelläufige Schrotflinte, Munition sowie Messer und Bajonette.

Die Zufallsfunde zogen im Januar eine groß angelegte Polizeiaktion in den Landkreisen Göttingen, Northeim, Osterode, Hildesheim und Braunschweig nach sich. Bei den Durchsuchungen in insgesamt 30 Wohnungen, einem Geschäft und einem Kleingarten förderte die eigens eingerichtete Sonderkommission bei fast jedem Zweiten erschreckende Funde zutage. Neben Gewehren, Pistolen und Revolvern inklusive Munition, beschlagnahmten die Beamten unter anderem eine Handgranate und eine Vielzahl von Baseballschlägern, Wurfsternen, Messern und Bajonetten. Die Funde zeigen die drastische Gewaltbereitschaft der extrem Rechten in der Region. Zudem belegen die Vorgänge rund um den Nachtclub eine jahrelange Verbundenheit und Kontinuität in der südniedersächsischen Szene, die auf feste Strukturen verzichtet und statt dessen auf persönliche Bekanntschaften setzt.

Bereits im Sommer 2008 war der bekennende Neonazi Messerschmidt in der Öffentlichkeit aufgefallen, als er in der Table Dance Bar ein Konzert mit vier Rechtsrock-Bands veranstalten wollte. Zwar wurde der Waffenfreak nicht müde zu betonen, es handele sich um vollkommen unpolitische Bands, gleichzeitig gab er Lesern seines Blogs Einblicke in seine neonazistische Gedankenwelt und offenbarte persönliche Kontakte in Neonazikreise sowie in eine überregionale Grauzone. Mit dem Konzert habe er dem damaligen Pächter des Clubs, Manfred Korbmacher,  helfen wollen, der ihn wegen seiner guten Kontakte angesprochen hatte, sagte Messerschmidt vor Gericht. Dabei konnte er offenbar auf seinen Bekannten und damaligen Geschäftsführer Antonino M. bauen. Der Kampfsportler war bereits Ende der 1980er Jahre im Umfeld von Thorsten Heise und dessen Kreisverband der später verbotenen FAP aktiv. Auch das damalige FAP-Mitglied Dirk Niebur aus Einbeck gehörte schon im Sommer zu Messerschmidts Freundeskreis. Der mehrfach vorbestrafte, gelernte Koch gilt als Kopf der etwa 30-köpfigen Neonaziszene in Einbeck und versucht sich als Veranstalter von Rechtsrock-Konzerten in seiner Scheune in Dassel-Portenhagen. Daneben war er an dem extrem rechten eok-Versand in Bockenem beteiligt, für den der dritte Angeklagte  Axel Buchheister verantwortlich zeichnet. Der 38-jährige hatte im November das Material für die Brandsätze an einer Tankstelle gekauft, mit einer Kreditkarte bezahlt und war dabei von einer Videokamera erfasst worden. 

Auch die Gästeliste von Messerschmidts Geburtstagsparty gibt einen tiefen Einblick in die aktuelle Zusammensetzung der regionalen Neonaziszene. Mit Björn W., Jens K. und Jens U. gratulierten drei Neonazis, die schon seit Ende der 1980er Jahre ihr Unwesen in Südniedersachsen treiben. Besonders Jens U. fiel Anfang der 1990er Jahre immer wieder durch Übergriffe auf politische Gegner auf. Das Banner der »FAP Niedersachsen-Göttingen«, dem er mit Niebur 1993 beim Rudolf-Heß-Aufmarsch der Neonazis in Fulda gefolgt war, hat Jens U. inzwischen bei bundesweiten Aufmärschen gegen das Transparent der »Kameradschaft Northeim« eingetauscht. Zu dieser losen Vereinigung um den einschlägig vorbestraften Neonazi und NPD-Bundespolitiker Thorsten Heise aus Fretterode gehört auch der Geburtstagsgast Marco Borrmann.

Der 30-jährige ehemalige Schulassistent an einem Göttinger Gymnasium war im Jahr 2005, nach dem NPD-Landesparteitag in Thüringen, an einer gewalttätigen Attacke beteiligt. Er gilt als NPD-Vorsitzender im Unterbezirk Göttingen, enger Vertrauter von Heise und ist Vorstandsmitglied der extrem rechten »Deutsch Russischen Friedensbewegung im europäischen Geiste« mit Sitz in Fretterode. Antifaschistische Recherchen führten im Januar diesen Jahres zu seiner Kündigung. Seitdem ist der ehemals öffentlichkeitsscheue Borrmann, mit guten Kontakten zu Neonazis in Celle und den »Snevern Jungs«, Stammgast bei bundesweiten Neonazi-Aufmärschen. Borrmann gehörte auch zu den Adressaten von Messerschmidts Briefen aus der Haft. Darin sprach der 34-jährige von Männern in Schwarz, die irgendwann wieder durch das Brandenburger Tor marschieren würden und »vorher in der Waffenkammer vorbei schauen«. Zu dem vom Richter als »literarische Entgleisungen« bezeichneten Schriftverkehr gehörte auch »Ein Hoch auf die nationalsozialistische Bewegung«.

Ein weiterer Gast in Messerschmidts Geburtstagsrunde war der Kraftfahrer Nils P. aus Hörden im Harz, der im April 2007 beim Hantieren mit einer Pumpgun in die Decke seines Zimmers geschossen hatte. Bei der anschließenden Durchsuchung seiner Wohnung beschlagnahmten die Ermittler unter anderem scharfe Gewehre und Handfeuerwaffen sowie Munition und Waffenteile. Diese Funde waren der Ausgangspunkt für die Einrichtung einer Sonderkommission der Polizeiinspektion Northeim/Osterode, die Ende Januar einen überregionalen Waffenhändlerring mit Sitz im Harz aushob. Polizeipräsident Hans Wargel wertete die Aktion als »bedeutsamen Schlag gegen den illegalen Waffenhandel«, betonte aber, »Erkenntnisse, dass die sicher gestellten Waffen für die ›Rechte Szene‹ bestimmt waren, liegen nicht vor«. Daher muss davon ausgegangen werden, dass die extreme Rechte in der Region ihre eigenen Netzwerke für den Waffenhandel hat. Ein Teil dessen dürfte eine Northeimer Bar sein, in der Messerschmidt nicht nur bereits 2006 eine Maschinenpistole gekauft, sondern nach der in Göttingen verbotenen Veranstaltung ein »Solidaritätskonzert« mit drei Bands veranstaltet hatte.

Entsprechend selbstbewusst hat die rechte Szene nach der Durchsuchungsaktion erklärt, sie werde sich »solche Repressalien nicht gefallen lassen und mit kreativen Aktionen darauf antworten«. Daran werden sich Messerschmidt und Niebur vorerst nicht beteiligen: Sie müssen erst einmal ihre Haftstrafen absitzen.