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Neue Methoden des Protestes

Interview: Christian Jakob
Einleitung

Interview mit einem Refugee-Aktivisten

Firoz Safi  ist 19 Jahre alt und stammt aus der ostafghanischen Stadt Dschalalabad, nahe der Grenze zu Pakistan. Seine Eltern wurden von den Taliban ermordet. Ob seine älteren Geschwister, ein Bruder und vier Schwestern, noch leben, weiß er nicht, er kann keinen Kontakt zu ihnen herstellen. Firoz ist seit 2010 auf der Flucht und kam über Pakistan, Iran,    Türkei, Griechenland, Italien und Frankreich nach Deutschland. Dort wurde er im Herbst 2011 in die Gemeinschafts­unterkunft im fränkischen Aub südlich von Würzburg gebracht. Aub war eine der Städte, in denen im Frühjahr die bis heute anhaltende Protestwelle von Flüchtlingen ihren Anfang nahm. 

C.J.: Der laufende, von Euch begonnene Zyklus von Flüchtlingsprotesten ist stärker, als alle vorherigen Protestwellen von Asylbewerber_innen in Deutschland. Wie kommt das?

Firoz Safi: Wir wissen, dass es vorher nichts Vergleichbares gegeben hat. Unse­re Methoden waren aber auch andere. Wir haben öffentlich die Residenzpflicht gebrochen und sind 600 Kilometer zu Fuß gelaufen. Wir haben mehrere Hungerstreiks gemacht und am Ende haben wir hier, direkt im Zentrum der Hauptstadt, unsere Zelte aufgebaut, ohne dafür eine Genehmigung zu haben. In der ganzen Welt haben Leute von uns gehört, wir haben viel Unterstützung bekommen.

Die früheren Proteste waren also nicht radikal genug?

Ja. Waren sie nicht.

Warum ist es nun anders?

Vielleicht sind die Lebensbedingungen schlechter geworden, es hat sich immer mehr aufgestaut. Es gab Suizide in den Heimen. Auch wir konnten die Lage dort nicht länger aushalten. Also haben wir angefangen uns zu wehren.

Wie war denn die Lage in deinem Heim?

Ich lebte mit vier Leuten in einem Zimmer. Wir bekamen abgepackte Essens­pakete, durften nicht arbeiten, den Landkreis nicht verlassen. Das fühlt sich an, als ob Deutschland uns als Kriminelle betrachtet, die kontrolliert werden müssen. Müssen wir aber nicht.

Das konntet Ihr der Regierung neulich selbst sagen: Nach sieben Monaten Protest hat die Staatsministerin für Integration ein Treffen zwischen euch und den führenden Innenpolitikern der CDU und anderer Parteien vermittelt.

Ja, das gab es auch noch nie. Wir haben die Politiker mit unseren Aktionen gezwungen mit uns zu reden.

Warum wolltet ihr das überhaupt?

Sie machen die Gesetze. Also müssen sie sie auch ändern.

Habt ihr vorher geglaubt, dass ihr Zugeständnisse bekommen werdet?

Ja. Die Residenzpflicht ist unmenschlich. Wir haben unseren Kampf angefangen mit der Überzeugung, dass wir ihn gewinnen können.

Was genau wollt ihr?

Wir wollen die gleichen Rechte, wie alle anderen auch.

Das kann viel heißen.

Schau’ auf die Straße: Alle, die da herumlaufen, sollen das Gleiche dürfen. Und wir auch. Das wollen wir.

Das Treffen ist allerdings nicht sonderlich gut gelaufen. Was haben euch die Abgeordneten genau gesagt?

Sie haben gesagt, dass es keinen Abschiebestopp geben wird. Wir sollen dankbar sein, dass wir Schutz und Essen bekommen. Sie haben gesagt, dass sie für Verbesserungen in den Lagern sorgen werden, aber dass wir auch in Zukunft kein Geld bekommen werden, weil wir das benutzen würden, um unsere Familien nachzuholen. Aber solange ich so lebe wie jetzt, werde ich meine Familie hier ganz bestimmt nicht hinholen. Wir sind hier keine Touristen.

Wart ihr enttäuscht?

Natürlich waren wir enttäuscht. Sie haben unsere Forderungen ignoriert.

Die Residenzpflicht existiert nur in Deutschland. Was glaubt ihr, warum es dieses Gesetz gibt?

Wir können uns das nur so erklären, dass wir nicht als Menschen betrachtet werden und man uns deswegen keine Bewegungsfreiheit geben muss.

Eure Proteste haben so viel Anziehungskraft entfaltet, dass Ihr nun viele Unterstützer_innen habt, die vorher nichts mit dem Thema zu tun hatten. Die antirassistische Bewegung hat einen enormen Schub bekommen. Hattet ihr mit so viel Unterstützung gerechnet?

Wir haben vor acht Monaten mit zwölf Flüchtlingen und drei Unterstützern angefangen. Heute sind wir viel mehr. Das haben wir erwartet von den Deutschen. Es gibt überall gute Leute. Sie verstehen, was wir tun und deswegen helfen sie uns.

An euren Protestformen gab es aber auch Kritik. Kirchen und Wohlfahrtsverbände, Grüne und auch Linksradikale fanden es nicht angemessen, dass ihr euch den Mund zugenäht habt. Solche Methoden seien das letzte Mittel des Protests in Diktaturen, war ihr Argument. In Deutschland sei die Lage nicht so, dass man sich selbst verletzen muss, um gehört zu werden.

Sich den Mund zunähen und in Hungerstreik zu treten sind auch hier angemessene Mittel.

Ihr seht also keine Unterschiede zum Leben in einer Diktatur?

Es hat Züge einer Diktatur, wenn andere für mich bestimmen was ich essen oder wohin ich gehen soll. Das ist Fremdbestimmung. Ich bin aus meiner Heimat geflohen, weil ich die Fremdbestimmung dort nicht aushalten wollte. Also werde ich es hier auch nicht hinnehmen.

Was hast du in Afghanistan getan?

Mein Vater war Bauer, ich habe ihm geholfen. Ich war nie in der Schule.  

Du warst nie politisch aktiv?

Nein. Ich habe auch nie irgendwelche Aktivitäten gesehen, an denen ich mich hätte beteiligen können.

Wenn du keine Erfahrung mit politischen Protestaktionen hast – hattest du am Anfang keine Angst, bestraft oder abgeschoben zu werden? 

Nein. Ich war mir sicher, dass es mein Recht ist zu protestieren.

Wie lange hast du gestreikt?

Ich bin in diesem Jahr dreimal im Hungerstreik gewesen. Zweimal in Aub, 15 und acht Tage, und dann in Berlin 15 Tage.

Was hast du in dieser Zeit zu dir genommen?

Wasser und Saft.

Einige Tage nachdem euer Marsch in Berlin angekommen ist, hat sich eine Gruppe vom Camp am Kreuzberger Oranienplatz abgespalten, zu der auch du gehörst. Warum?

Am Oranienplatz gibt es eine Küche und es gibt Familien mit Kindern. Das ist kein Ort an dem man einen Hungerstreik machen kann. Wir wollten aber auf diese Weise unseren Protest verstärken. Dazu wollten wir auch einen politisch bedeutsameren Ort – wie eben das Brandenburger Tor.

Ein Teil der Flüchtlinge hat gesagt, dass ihr diesen Hungerstreik ohne konkrete Forderungen und ohne Ausstiegsszenario begonnen habt und wollte deshalb nicht mitmachen. Darüber gab es heftigen Streit und aus der räumlichen Teilung wurde eine Spaltung.

Nein. Wir sind nur räumlich geteilt. Aber die Proteste am Brandenburger Tor und am Oranienplatz sind weiterhin eins.

Es gab also keine Konflikte?

Nein.

Das schildern andere Beteiligte aber anders.

Wir können nichts dagegen tun, dass solche Gerüchte gestreut werden. Wir können diesen Leuten nicht den Mund verbieten. Was sie sagen, ist trotzdem nicht wahr.

Während eures zweiten Hungerstreiks auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor hat die Polizei immer wieder Schlafsäcke und Isomatten weggenommen. Ihr habt aber trotz eisiger Kälte mit einer Unterbrechung weitergemacht. Nun habt ihr den Streik am 2. Dezember beendet. Warum?

Die Lage ist sehr schwierig geworden.

Zwei Tage davor hat die Polizei euren Wärmebus abgeschleppt und kaputt gemacht. War das ein Grund?

Wir haben uns entschieden, den Protest mit anderen Mitteln fortzuführen.

Seitdem Ihr die Proteste im Frühjahr begonnen habt, ist es euch gelungen, die Aktionen immer weiter zu intensivieren. Dadurch wuchs die Aufmerksamkeit und die Zahl der Unterstützer_innen. Nun ist der Winter da, die Bedingungen werden immer härter. Wie wollt ihr euch selbst, die Unterstützer_innen und die öffentliche Aufmerksamkeit halten?

Wir müssen uns neue Methoden des Protests ausdenken, zum Teil haben wir dies bereits getan. Auf jeden Fall ist aber eines klar: Wir werden unter keinen Umständen aufgeben.

Vielen Dank für das Gespräch.