Skip to main content

Mörder im Dienst des Staates

Florian Osuch
Einleitung

Ein spanischer Neonazi berät Sicherheits­behörden. Der verurteilte Mörder und Gefängnisausbrecher Emilio Hellín hält Vorträge vor Polizei und Militär und fertigt Gutachten unter anderem für die berüchtigte Sonderpolizei Guardia Civil an.

Der verurteilte neonazistische Mörder Emilio Hellin wurde Anfang 2003 als Sicherheitsberater spanischer Behörden enttarnt. (Screenshot: el pais)

Die spanische Tageszeitung El País, die größte Tageszeitung des Landes, enthüllte Anfang des Jahres, dass ein verurteilter Mörder im Dienst verschiedener Behörden des Landes steht. Emilio Hellín ist für den Mord an einer jungen linken Aktivistin im Jahr 1980 in Madrid verantwortlich und wurde dafür zu 43 Jahren Haft verurteilt. Die Enthüllungen zeigen, wie wenig Berührungsängste in Spa­nien Polizei, Militär, Ministerien, Universitäten und andere Einrichtungen mit der Vergangenheit des faschistischen Spaniens haben. In der Zeit der Transición, dem Übergang von der Franco-Diktatur zu einer parlamentarischen Monarchie, begingen Anhänger des alten Regimes zahlreiche Morde an linken Aktivisten (siehe Kasten).

Ein vierköpfiges Kommando entführte am 1. Februar 1980 die linke Aktivistin Yolanda González und ermordete sie mit mehreren Schüssen in den Kopf. Arbeiter fanden die Leiche der damals 19jährigen am Tag darauf an einer Verbindungsstraße nahe des Madrider Vorortes Alcorcón.
Die Mörder von Yolanda González hielten sie für ein Mitglied der bas­kischen Untergrundorganisation ETA. Anhaltspunkte für eine Verbindung zu der baskischen Linksguerilla gab es nicht. Für ihren Mordkomplott reichte es den Neonazis offenbar aus, dass Gonzáles eine gebürtige Baskin war. Sie wuchs in der Stadt Deusto auf, einem Vorort von Bilbao. Bereits mit 16 schloss sie sich der Jugendorganisation der sozialdemokratischen spa­nischen Arbeiterpartei an. Dort fand sie Kontakt zu einer trotzkistischen Strömung. Mit 18 Jahren zog sie nach Madrid und begann eine Ausbildung als Elektronikerin. Als sozialrevolutionäre Aktivistin wurde Yolanda González Sprecherin ihres Ausbildungszentrums in einer Koordination der Studierenden in Madrid. Sie war aktiv in der Sozialistischen Arbeiterpartei (PST, Partido Socialista de los Trabajadores).
Mit Genossen aus der PST lebte sie in einer Studenten-WG im Madrider Bezirk Aluche im Süden der Stadt. Die PST war eine kleine trotzkistische Partei, die in ihrer Hochphase Anfang der 1980er Jahre immerhin 103.000 Stimmen (0,5 Prozent) erhielt.

Die Polizei konnte das Mordko­m­mando ausfindig machen und stellte mehrere Personen vor Gericht. Als Anführer wurde Emilio Hellín zu insgesamt 43 Jahren Haft verurteilt. Er war damals Mitglied in der Neonazipartei »Fuerza Nueva« (Neue Kraft), einer kleinen Gruppierung um den Publizisten und Neonaziführer Blas Piñar. Vier Komplizen erhielten Strafen zwischen sechs und 24 Jahren Gefängnis.

Nach mehreren erfolglosen Flucht­versuchen nutzte Emilio Hellín Anfang des Jahres 1987 einen mehrtätigen Freigang, um sich mit seiner Familie nach Paraguay abzusetzen. Den Recherchen von El País zufolge lebte er dort unter dem Schutz des Diktators Stroessner. Seine Familie ließ sich bereits wenige Wochen nach ihrer Flucht in das südamerikanische Land in der Hauptstadt Asunción in der spanischen Botschaft registrieren. Hellín lebte einige Jahre in Paraguay, bis er dort aufgespürt, nach Spanien ausgeliefert und dort wieder inhaftiert wurde. Er erhielt umfang­reiche Erleichterungen, bis er Ende der 1990er Jahre endgültig freigelassen wurde. Im Jahr 1996 wechselte Emilio Hellín seinen Namen. Als Luis Enrique begann seine Karriere als Dienstleister und Berater, zunächst für die Polizei und auch für die Guardia Civil.

Die Enthüllungen von El País schockierten die spanische Öffent­lichkeit. Hellín sei »einer der Hauptberater der Abteilung Kriminali­s­tik der Guardia Civil, berät bei juristi­schen Untersuchungen zur Terrorismusbekämpfung und schult Angehö­rige der Spanischen Nationalpolizei, des Verteidigungsministeriums, der Ertza­intza [Polizei der autonomen Region Baskenland, Anm. F.O.] und der Mossos d’Esquadra [Polizei der autonomen Region Katalonien, Anm. F.O.]«.

Die in Deutschland lebende spa­nische Journalistin Carmela Negrete berichtete, Hellín sei außerdem über eine eigene Firma mit der Ausbildung von Polizisten und Soldaten in »digitaler Spionage« betraut und biete Lehrgänge am Institut für polizeiwissenschaftliche Studien der Universität Alcalá an, das eine Einrichtung der Sicherheitsabteilung des spanischen Innenministeriums ist. Als Computerfachmann habe Hellín zudem der Audiencia Nacional, dem spanischen Sondergerichtshof für schwerste Verbrechen, als Sachverständiger gedient.

Die Enthüllung von El País hat viele Menschen geschockt. Wie kann es sein, dass staatliche Stellen ausge­rechnet einen Neonazi und ver­ur­teil­ten Mörder als Berater verpflichten. Der Fall beschäftigt inzwischen auch das spanische Parlament. Die katalanische Linkspartei Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) und das spanische Linksbündnis Izquierda Unida (IU) haben einen Antrag eingebracht und fordern Aufklärung. Mitt­lerweile unterstützen alle Oppo­sit­ions­parteien, darunter auch die Sozialdemokraten, die Initiative.
 

»La Transición«

Als Transición [dt. Übergang] wird die Zeitepoche zwischen dem Ende der faschistischen Franco-Diktatur in Spanien und der Etablierung einer parlamentarischen Monarchie bezeichnet. Während dieser Phase gab es zahlreiche Mord­anschläge von Neonazigruppierungen, die eine Demokratisierung verhindern wollten. Opfer dieser Anschläge waren vor allem linke Aktivisten, Angehörige der baskischen Freiheitsbewegung und die Arbeiterbewegung. Die Folgen und Vereinbarungen der Transición wirken bis heute. Insbesondere der damalige »Konsens« – Freilassung aller politischen Gefangenen und Zulassung der kriminalisierten sozialdemokrati­schen und kommunistischen Parteien bei gleich­zeitiger Totalamnestie für Angehörige des Franco-Regimes – wird heute kritisiert. Es gibt keine exakte zeitliche Bestimmung der Transición. Als Überblick dienen folgende Angaben:

1975 stirbt der langjährige Diktator Francisco Franco, zwei Jahre später finden erste freie Wahlen statt. Als Präsident wird Adolfo Suárez gewählt, der bereits unter Franco zahlreiche Posten bekleidete. Rechte Kräfte aus Militär, Justiz, Kirche und der Polizeitruppe Guardia Civil stellen sich gegen eine Demokratisierung. Bei einem Massaker vor einer Kirche im baskischen Gasteiz, wo sich Arbeiter zu einer Streikversammlung getroffen hatten, erschießt die Polizei fünf Personen, rund 150 weitere werden durch Schüsse verletzt. Eine neue Verfassung tritt 1978 in Kraft, bei einem Referendum erhält diese 89 Prozent Zustimmung. 1981 führen rechte Kräfte um den Oberstleutnant der Guardia Civil, Antonio Tejero, einen Putschversuch durch, der jedoch scheitert. Im Jahr 1982 wird Spanien Mitglied der NATO. Im gleichen Jahr gewinnt der Sozialdemokrat Felipe Gonzáles die Parlamentswahlen. 1983 beginnt der »schmutzige Krieg« der »Grupos Antiterroristas de Libe­ra­ción« (GAL, Antiterroristische Befreiungsgruppe). In den folgenden vier Jahren werden 28 Personen getötet, die der baskischen Unabhängigkeitsbewegung zugerechnet werden. Finan­ziert und gedeckt werden die Todes­schwadrone von obersten staatlichen Stellen. Später werden ein Dutzend Politiker und Militärs wegen Entführung, Folter und Mord verurteilt, darunter der sozialdemokratische Innenminister José Barrionuevo, ein Staatssekretär, der General­sekretär der Sozialdemokraten in der Region Vizcaya, Angehörige der politischen Polizei aus dem Baskenland sowie ein General und ein Offizier der Guardia Civil. 1986 wird Spanien in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, dem Vorläufer der Europäischen Union, aufgenommen.