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„Alltags-Antifaschismus“ in den USA

Interview mit Spencer Sunshine und PobMob
Einleitung

Spencer Sunshine hat zusammen mit der Gruppe PopMob aus Portland die Broschüre „40 Ways to Fight Fascists“ veröffentlicht. Über die Beweggründe und ihre antifaschistische Arbeit vor Ort haben wir mit beiden gesprochen.

Foto: David Geitgey Sierralupe; CC BY 2.0, flickr.com

Antifaschist*innen stellen sich bewaffneten Nationalisten in den Weg.

AIB: Wofür steht PopMob?

PoMob: PopMob steht für Popular Mobilization. Unser Name unterstreicht den Bedarf nach einer breiten und umfassenden Bewegung, um der einzigartigen Bedrohung durch den Faschismus zu begegnen. Wir vertrauen dabei zutiefst auf den Ansatz eines „Alltags-Antifaschismus“ in unserer Organisierungsarbeit. Alle sollten stolz darauf sein, sich gegen den Faschismus zu erheben und eines unserer Ziele ist es diese Arbeit so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen.

AIB: Was hat euch dazu motiviert die Broschüre zu machen?

Spencer: Die Originalversion wurde von der antirassistischen NGO SURJ (Showing Up for Racial Justice) veröffentlicht. Sie erschien 2018 zum ersten Jahrestag der (neo)faschistischen „Unite the Right“ Demonstration, die damit endete, dass ein Neonazi mit dem Auto die Antifaschistin Heather Heyer tötete und über 30 weitere Menschen verletzte. Die erste Broschüre hieß „40 Ways to Fight Nazis: Forty Community-Based Actions You Can Take to Resist White Nationalist Organizing“. Sie wurde insgesamt gut aufgenommen, hatte aber eine begrenzte Reichweite.

2019 wollte ich eine überarbeitete Version machen und setzte mich mit PopMob in Verbindung, weil ich hörte, dass sie immer noch die Originalversion vertrieben. Da ich in Brooklyn lebe, wurde es ein überregionales Projekt. Wir überarbeiten den Text, ergänzten PopMobs Erfahrungen und bessere Witze, als die mit denen ich ankam. Es gab außerdem ein neues Design und einen neuen Titel.

AIB: Wie wird die Broschüre aufgenommen? Werden die Empfehlungen der Broschüre in der politischen Praxis umgesetzt?

Spencer: Die Resonanz war viel, viel größer als wir erwartet haben. Die Onlineversion wurde bereits zehntausende Male angesehen und wir sind schon fast 4000 gedruckte Broschüren losgeworden. Zusätzlich zur deutschen Ausgabe ist noch eine französische Übersetzung und eine eigene Version für Kanada geplant.

Viele Anfragen, die wir für die Druckversion bekommen, sind von Menschen aus Kleinstädten und eher rechts-geprägten Regionen. Einige wissen, dass sie nicht viel Erfahrung mit „Organizing“ haben, aber sie merken, dass jetzt die Zeit zum Handeln gekommen ist. Wir hoffen natürlich, dass Menschen die Aktionen umsetzen! Über dreiviertel der Taktiken habe ich das eine oder andere mal ausprobiert und der Rest sind Beispiele, die ich bei RASH-Gruppen (Red and Anarchist Skinheads) und den heutigen Antifa-Gruppen aus Deutschland beobachtet habe – und natürlich in verschiedenen Dekaden antifaschistischer Organisierung in den USA von verschiedensten Gruppen. PoMob hat auch Aktionen hinzugefügt, die sie umgesetzt haben.

Diese 40 Dinge sind also alle sehr konkrete Aktionen die durchgeführt und erprobt sind und wir hoffen, die Leute setzen sie um.

AIB: Warum ist Portland so ein politischer Hotspot geworden? Was hat euch zu der Broschüre motiviert?

PopMob: In Portland treffen ein paar krasse Widersprüche aufeinander. Während es als progressive und fortschrittliche Bastion angesehen wird, hat es eine zutiefst rassistische Geschichte. Walidah Imarisha hat das in einem kritischen Vortrag mit dem Titel „ Why Aren’t There More Black People in Oregon“ ("Warum es nicht mehr schwarze Menschen in Oregon gibt") dargestellt. Weiße Rassisten haben lange versucht ein „weißes Utopia“ im pazifischen Nordwesten aufzubauen. Portland ist aber auch bekannt für seinen engagierten Protest und „Community Organizing“. Diese überwältigend linke Organisierungsarbeit hat die Rechten, die diese Region kontrollieren wollen, vor eine klare Herausforderung gestellt. Wir werden White-Supremacists und Faschisten in unseren Communities nicht tolerieren und darum stehen wir im Fokus der rechten Wut.

Spencer: Nach Charlottesville war ich sehr frustriert über den Grad der Organisierung, um dem Aufkommen von rechten und faschistischen Gruppen in den USA etwas entgegenzusetzen. Die Antifa-Organisierung war zwar in vollem Gange, aber aus verschiedenen Gründen wollten viele Menschen außerhalb von anarchistischen und linksradikalen Zirkeln nicht mit Leuten zusammenarbeiten, die den Begriff verwendeten.

NGOs und ähnlich aktivistische Gruppen unternahmen aber auch keine Versuche, Mobilisierung und Organisierung gegen Neonazis und gewalttätige extrem rechte Gruppen wie die „Proud Boys“ voranzutreiben. Die Broschüre war ursprünglich ein Versuch genau so ein Engagement zu fördern.

AIB: Was versteht ihr konkret unter „Community Aktivist“ und „Community Organizing“ in den USA? Könnt ihr so eine organisierte Nachbarschaft beschreiben?

Spencer: Allgemein meint „Community Organizing“ eine offene und öffentliche Art der Organisierung, die über einzelne Events (wie eine Demonstration) hinausgeht und mehr Menschen einbezieht als nur die, die einem ideologisch nahestehen. Es bedeutet auch, Menschen zu Problemen und Angelegenheiten, die sie direkt betreffen, zu organisieren. Die „Community“ kann dabei ein bestimmter geographischer Raum sein (wie eine Nachbarschaft oder eine Stadt), aber es kann auch eine weiter gefasste Community sein, wie spezifische religiöse Gruppen und identitätsbasierte oder kulturelle Milieus.

Die grundlegende Idee der Broschüre war es, Menschen, die nicht unbedingt Erfahrungen mit der Gründung oder Teilnahme an aktivistischen Gruppen haben zu zeigen, wie sie eine eigene Gruppe mit Anderen in ihrer Community aufbauen können. Es ist aber auch ein Guide für Menschen, die schon Erfahrung mit anderen Themen haben, weil diese Arbeit sehr verschieden zu anderem radikalen „Organizing“ sein kann.

Zu guter Letzt erinnern sich auch erfahrene Antifa- und Antira-Aktivist_innen nicht immer an alle Taktiken und Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen – eine Auffrischung schadet nie.

AIB: Was sind die politschen Erfolge von dieser Praxis?

Spencer und PopMob: Die Taktiken wur-den jahrelang angewandt. Ein paar Beispiele, was mit ihnen erreicht wurde, sind: Neofaschisten wurden bekannt und verloren ihre Jobs, wurden aus ihren Wohnungen geworfen und in unseren Communities geouted und ausgeschlossen. Wir haben auch schon gesehen wie weiße Rassisten unehrenhaft aus dem Militär entlassen wurden oder wie zivilrechtliche Prozesse Einzelne und Gruppen ruiniert haben; und wie Institutionen öffentlich ihre hasserfüllten Ideologien verurteilten.

Ihren Hass, ihre Bigotterie und Gewalt öffentlich bloßzustellen – und der entschlossene Widerstand gegen ihre Organisierungsbemühungen – hat uns sicherer gemacht und gleichzeitig ihre Bewegung behindert.

AIB: Was sind die nächsten Ziele eurer Zusammenarbeit?

Spencer und PopMob: Wir werden die Broschüre weiter in den Vereinigten Staaten verbreiten und sind gespannt auf die neuen Übersetzungen. Wir arbeiten daran, Partnerschaften im ganzen Land und über den Globus aufzubauen. Die Darstellung dieser grundlegenden Taktiken hat sowohl bei den Menschen, die täglich kämpfen, als auch bei denen, die nach Wegen suchen sich zum ersten Mal zu engagieren, Anklang gefunden. Wir wollen, dass diese Art von Bildungsmaterial als nützliches Modell dient, sich auf verschiedenste Weisen und verbindlich für eine Welt ohne Faschismus einzusetzen.