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Antifaschistische Intervention in Bayern

Infogruppe Rosenheim
Einleitung

Die Kampagne zur Entmilitarisierung und Entnazifizierung Bad Reichenhalls.

Antifaschistischer Protest gegen das Gedenken an deutsche Fallschirmjäger auf dem „Deutschen Soldatenfriedhof“ in Malema (Kreta).

Siamo tutti antifascisti“ klingt aus den Kehlen dreier Generationen Antifa-Aktivist_innen im Kurgastzentrum Bad Reichenhall — wenige Stunden später stehen der heute 92-jährige ELAS-Kämpfer Nikolaos Marinakis und Aristomenis Syngelakis, Aktivist der zweiten Generation, mit dem Vorschlaghammer vor dem „Kreta-Gedenk­stein“, der den Reichenhaller Gebirgsjägern gewidmet ist, die die Insel vom 22. Mai 1941 an überfielen. Die Beiden zertrümmern das Schandmal nicht, wohl aber fordern sie Δικαιοσύνη — Gerechtigkeit: angesichts der vielen Angehörigen, die sie durch Massaker der Wehrmacht auf Kreta verloren haben. Vor ihnen etwa 150 überwiegend junge Antifaschist_innen, die meis­ten aus Bayern und Österreich. Hinter ihnen ziert ein Kranz mit einem mehrere Meter langen Gebinde den Findling, darauf aufge­zählt die Orte, an denen die Gebirgstruppe der Wehrmacht Kriegsverbrechen begangen hat.

Zwei Momente, die von einigen als Höhe­punkt der „Kampagne zur Entmilitarisierung und Entnazifizierung Bad Reichenhalls“ angesehen werden. Im Rahmen der Kampagne rief das Bündnis rabatz schon 2011 unter dem Motto „Von Mittenwald nach Bad Reichenhall“ zur Demonstration auf. Diesen Weg hatte auch der Kranz des AK „Angreifbare Traditionspflege“ genommen, wo es am Vortag das erste Mal gelungen war, direkt in die Brendtenfeier von Bundeswehr und Kameradenkreis der Gebirgstruppe zu intervenieren.

Wer am nördlichen Alpenrand Antifa-Arbeit machen möchte, muss nicht nur des Bayrischen mächtig sein, sondern braucht einen langen Atem und eine hohe Frustrationstoleranz. In Reichenhall treibt die Verherrlichung des Nationalsozialismus ganz besondere Blüten. Ausschlaggebend dafür,  in dem oberbayerischen Kurort eine Intervention vorzubereiten, war ursprünglich ein jährliches SS-Gedenken rund um den 8. Mai. Alt-FaschistInnen aus ganz Europa, beispielsweise eine „Ehrengarde Benito Mussolini“, versammelten sich über Jahre ungestört an einem Eisenkreuz, das die lokale "Soldaten Kameradschaft 1840 e.V." gestiftet hatte. Der Pachtvertrag für dieses Schandmal im Ortsteil Karlstein wurde zwar aufgehoben, das Kreuz allerdings auf den Friedhof St. Zeno nahe dem Gemeindezentrum gebracht. Dort hatte Karl Welser, Mitbegründer der Volkshochschule und Träger des Kulturpreises der Stadt Bad Reichenhall, eine weitere Gedenktafel installieren lassen, um, wie er sagt, herauszustellen, dass die SS-Leute „nicht für eine abzulehnende Ideologie gekämpft“ hätten.

Seitdem das Treffen unter polizeilicher Beobachtung steht und eine Versammlungsanzeige von den Behörden eingefordert wird, hat sich der Charakter in Richtung eines Neonazi-Gedenken gewandelt. Dennoch rührt sich in Bad Reichenhall keinerlei Widerstand dagegen, von den Aktivitäten des rabatz-Bündnisses einmal abgesehen.

Das zweite große Ärgernis stellt die Bundeswehrkaserne der Stadt dar: Den Eingangsbereich zieren ein Landsergemälde und ein Reichsadler, in dessen Klauen das Hakenkreuz lediglich durch ein Edelweiß ausgetauscht wurde. „Dokumente, die untrennbar mit der Geschichte der Bad Reichenhaller Kaserne verbunden sind. Sie erinnern an das Unrechtsregime der nationalsozialistischen Diktatur und an den Missbrauch des Militärs für Eroberungs- und Vernichtungsfeldzüge.“ Der Stadtheimatpfleger Johannes Lang macht aus den Tätern der Wehrmacht Missbrauchte des „Unrechtsregimes“. NS-Ästhetik an der Kaserne nicht trotz, sondern gerade wegen der Demokratie. Lang weiß in seinen Texten auf den Tafeln zu berichten, dass die Kaserne bis 2012 nach dem ehemaligen General der Wehrmacht, Rudolf Konrad, benannt war. Dass dieser ein glühender Antisemit, Hitler-Anhänger, Gründungsmitglied des "Kameradenkreis der Gebirgstruppe" und als „Schlächter von der Krim“ bekannt war, wird allerdings verschwiegen. Dass es des rabatz-Bündnisses und des Historikers Jakob Knab bedurfte, um das zu skandalisieren sowieso.

Im Mittelpunkt der Kampagne 2016 stand der regelrechte Kreta-Kult in Reichenhall: In den 1960er Jahren wird eine neue Verkehrsverbindung nahe der Kaserne „Kreta-Brücke“ benannt, daneben der oben bereits erwähnte Kreta-Gedenkstein, an dem der "Kameradenkreis der Gebirgstruppe e.V." jährlich eine Feier unter Beteiligung der Stadtverwaltung und mit Unterstützung der Bundeswehr abhält.

Auf Befehl von Julius Ringel begingen die Soldaten der 5. Gebirgsdivision seit dem 23. Mai 1941 zahlreiche Kriegsverbrechen auf der griechischen Mittelmeerinsel. Für jeden durch Partisan_innen getöteten Wehrmachtssoldaten sollten zehn Zivilpersonen ermordet und die Dörfer niedergebrannt werden. Das entspricht der erstmaligen systematischen Anwendung des „Axioms der Kollektivhaftung der Bevölkerung“. Das der 5. Division zugeordnete Gebirgsjäger-Regiment 100 aus Reichenhall hält in seinem Tätigkeitsbericht vom 1. August 1941 die Ermordung von 146 männlichen und zwei weiblichen Personen sowie das Niederbrennen der Ortschaft Skines fest.
Diese Verbrechen und die Frage von Entschädigungsforderungen gegen die Bundesrepublik sollten in einem Hearing im Kurgastzentrum Reichenhall behandelt werden. Mit Nikolaos Marinakis gelang es, einen Zeitzeugen aus Skines in die Stadt der Mörder zu holen. In der Wahrnehmung der Bevölkerung wurden die Dörfer bereits Tage vor dem Einmarsch der Wehrmacht bombardiert. Als diese nach Skines kam, wurden dutzende Menschen, darunter auch ein sechzehnjähriger Freund von Marinakis und dessen Vater, erschossen. Das Dorf wurde systematisch niedergebrannt, wobei drei weitere Personen starben, die ihre Häuser wegen körperlicher Gebrechen nicht verlassen konnten. In Gruppen zu je zehn Personen wurden die Menschen abgeführt, und, wie ein gleichaltriger Freund von Marinakis berichtete, der zum Ausheben von Gräbern gezwungen wurde, erschossen. Die Kinder des Dorfes wurden mit dem Tod bedroht, auf Intervention des Priesters aber „nur“ verschleppt. Als Partisan_innen in sein Dorf kamen und eine Kolonie errichteten, schloss sich Marinakis ihnen an, um Widerstand zu leisten „bis der letzte Deutsche die Insel verlassen hat“.

Angesichts der Schäden, der Plünderungen vor dem Hintergrund des Massenmordes und der Zwangsanleihe, die das Deutsche Reich dem Griechischen Staat abtrotzte, stellt Marinakis auf dem Hearing unter Beifall die Frage: „Wer schuldet hier wem?“ Die Frage nach Entschädigungen griffen auch RA Martin Klingner (AK Distomo) und Aristomenis Syngelakis (Nationalrat für die Entschädigungsforderungen gegen Deutschland) auf: Dabei betonte Syngelakis, dass diese schon seit Oktober 1944 erhoben werden und nicht erst im Zuge der Austeritätspolitik. Sein Verband setzte zunächst große Hoffnung in die Syriza-geführte Regierung. Leider sei der politische Druck von außen so groß, dass er aktuell wenig optimistisch sei. RA Klingner schilderte den Verlauf zweier Klagen. Dabei vertrat er als Anwalt die Familie Sfountouris gegen die BRD; dieser Klagestrang ist durch den Europäischen Menschengerichtshof endgültig nicht erfolgreich. Anders die Sammelklage weiterer Menschen aus Distomo, die vor griechischen Gerichten einen Titel über 28 Millionen Euro erwirken konnten. Allerdings vereitelte die griechische Regierung auf Wunsch Deutschlands die Vollstreckung im Inland.

In Italien allerdings tut sich aktuell eine Möglichkeit auf, Konten der Deutschen Bahn AG als Staatsunternehmen der BRD zu pfänden. Und das, obwohl der Internationale Gerichtshof die Forderungen mit Verweis auf die Staatenimmunität gegen Individualforderungen zurückgewiesen hatte; ein Umstand, den Klingner vor allem darauf zurückführt, dass die das Gericht stützenden Staaten überwiegend selbst Krieg führen und für ihre Verbrechen nicht belangt werden wollen. Der juristische Kampf sei dabei eben auch ein politischer zur Durchsetzung von Menschenrechten gegen die Staaten. Ob das Hearing und die anschließende Verteilung von mehreren hundert Flugblättern an die Bevölkerung in Bad Reichenhall einen Sinneswandel erzeugen konnten, muss bezweifelt werden. Ein Gespräch mit dem Oberbürgermeister brachen die Gäste aus Griechenland ergebnislos ab, weil in der Zwischenzeit Antifaschist_innen am Reichenhaller Bahnhof repressiven Kontrollen unterzogen wurden und der Bürgermeister signalisierte, dass er sich nicht dafür einsetzen werde, dass sie zum Hearing kommen können; das Kreta-Gedenken sei keine Veranstaltung der Stadt (und doch nahm er wie befürchtet wenige Tage danach wieder als Funktionsträger daran teil).

Antje Kosemund vom Vorstand der Stiftung Auschwitz Komitee, die dem Gespräch beiwohnte, zeigte sich empört und zornig: „Ich kann nicht begreifen, wie man so mit Gästen von Kreta umgehen kann […] Ich schäme mich zutiefst über ein solches Verhalten“.