Antiislamismus und Islamismus
Iman Attia (Gastbeitrag)Gemeinsamkeiten und Unterschiede eines rassistischen Diskurses
Das Bedürfnis, sich über »den Islam« zu informieren, ist in den letzten Jahren in Deutschland gestiegen. Politische, gesellschaftliche und soziale Phänomene werden zunehmend durch »die Kultur« und »die Religion« der anderen zu erklären versucht. Damit wird der eigene Anteil an diesen Phänomenen und am problematischen Verhältnis zu einander geleugnet. Die Situation der Anderen wird mit deren »Kultur« begründet, die auf Grund »des Islam« für desolate Zustände verantwortlich sei.
Erste These: Die Konstruktion des Islam als wesentliches Merkmal und Problem der MigrantInnen aus »islamischen« Ländern blendet die Bedeutung »westlicher Einflüsse« für die »islamische« Entwicklung und das Verhältnis der beiden zueinander aus. Dies führt zu einer TäterInnen-Entlastung auf Seiten von Mehrheitsangehörigen und zur Selbst-Ermächtigung von Minderheitenangehörigen.
Wenn – aus »westlicher« Sicht – erklärungsbedürftige Erscheinungen der anderen (Kopftuch, Geschlechterverhältnis, Politikverständnis, Terroranschläge usw.) auf dem Hintergrund ihrer kulturellen und religiösen Zugehörigkeit interpretiert werden und diese als in sich abgeschlossenes, statisches Gebilde verstanden werden, spielen »islamisch-westliche« Beziehungen keine Rolle. Indem Entwicklungen in »islamischen« Ländern oder Verhaltensweisen von MigrantInnen in westlichen Gesellschaften als »islamische« definiert werden, kann die »westliche Dominanz« diskursiv geleugnet werden und damit faktisch weiter bestehen.
Verstärkt wird diese Strategie durch eine weitere: Der »Islam« wird nicht nur als Erklärungsmuster für Entwicklungen in »islamischen« Ländern herangezogen, sondern auch für das Verhältnis zum »Westen«. Indem er nun auch als Bedrohung nach außen verstanden wird, kann die eigene Aggression als Abwehr umdefiniert werden: Krieg gegen Terror, Türken bedrohen deutsche Frauen, »Nicht ohne meine Tochter«. »Der Islam« dient so der Verleugnung der eigenen Anteile an der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung der anderen. Dann wird doch eine Beziehung zu sich selbst hergestellt, aber um sich als im Verhältnis zu den anderen unterlegen zu konstruieren. Mit der Einführung »des Islam« in den Diskurs ist es »dem Westen« gelungen, bestehende Machtverhältnisse zu seinen Gunsten zu festigen.
Zweite These: Die Konstruktion »des Islam« als Bedrohung versucht, die »westliche« Aggression als Abwehr umzudefinieren. Argumentativ werden Machtverhältnisse umgekehrt, Privilegien können also faktisch weiterhin ausgeschöpft werden. Der Versuch, gesellschaftliche Prozesse als »islamische« zu konstruieren, wird allerdings auch von der – je nach Sichtweise – unterentwickelten bzw. ausgebeuteten Seite aus praktiziert. Indem MigrantInnen oder »Moslems« eigene Verhaltensweisen und Einstellungen direkt aus dem Qur’an ableiten, versuchen sie, den eigenen Opferstatus zu überwinden, zumindest die Definitionsmacht über sich selbst wieder zu erlangen.
Eine Kopftuch tragende Frau tut dies dann nicht, weil Männer, das Patriarchat oder die Ausgrenzung durch Mehrheitsangehörige sie dazu zwingen, sondern mit Hinweis auf den Qur’an und ihre eigene Entscheidung für das Kopftuch. Indem für das eigene Verhalten selbstbewusst kulturelle Besonderheiten beansprucht werden, wird die Auseinandersetzung über sexistische, rassistische u.a. Dominanz gemieden. Zuschreibungen und Eingrenzungen werden vorweggenommen und als eigene Entscheidung deklariert, denen mit neuen Bedeutungen versehen ihre verletzende Wirkung genommen werden soll. In derartigen Diskursen wird der Wunsch sichtbar, sich selbst als Opfer zu rehabilitieren und in die Position der Macht zu erheben.
Dass gerade der Qur’an als Quelle der Selbstermächtigung gute Dienste leistet, hängt eng mit der »islamisch-westlichen« Geschichte zusammen. Für das mittelalterliche Abendland galt der Orient gerade in Bezug auf Sexualität, das Geschlechterverhältnis, Intellektualität und Wissenschaft als vorbildlich. Und auch heute bietet sich der Rückgriff auf »den Islam« als Gegenort zum Westen an, da nach der Beendigung des »Kalten Krieges« der Platz für Gegenkonzepte zur Weltmacht frei geworden ist.
Dritte These: Sowohl die rassistische als auch die islamistische Argumentation bedienen sich der gleichen Mechanismen und argumentieren auf der gleichen Basis. Ihre Konstruktion »des Islam« ist die gleiche und verhindert eine selbstbestimmte Entwicklung, gerade weil sie gegenwärtige Phänomene als unabhängige zu begründen versucht. Heißt das nun, dass »der Islam« für die Situation von »Moslems« keine Rolle spielt? Das sicherlich nicht, auch Konstruktionen haben reale Folgen. Hatte »der Islam« für viele MigrantInnen keine Bedeutung oder verstanden sie sich explizit als AtheistInnen, so sind diese Haltungen so nicht mehr aufrecht zu erhalten.
Auch AtheistInnen fangen wieder an, sich mit »dem Islam« zu beschäftigen, werden sie doch immer wieder mit diesbezüglichen Stereotypen konfrontiert oder als »ExpertInnen« gefragt. Sich in einem antiislamisch-rassistischen Kontext offen gegen »den Islam« zu äußern, kann missverstanden werden als Bestätigung rassistischer Konstruktionen. Werden diesen Konstruktionen allerdings differenziertere Überlegungen gegenüber gestellt, werden solche MigrantInnen dann schnell wieder zu Moslems stigmatisiert. Auch in »islamischen« Ländern selbst ist es kaum noch möglich, sich säkular zu verhalten. Der offensichtlichen Aggression von außen wird ein Bedeutungszusammenhang gegeben, der mit konkreten materiellen Hilfen verknüpft nur noch eine eigene Zuordnung zu der einen oder der anderen Seite zulässt.
Vierte These: Sowohl Kulturalisierung als auch Ausblendung von Kulturdifferenzen konstruieren den bzw. die Andere und damit auch das Selbst und reproduzieren rassistische Machtverhältnisse. Nun bemühen sich einige »Islam-KennerInnen« tatsächlich darum, möglichst viele und differenzierte Informationen über »die Anderen«, auch über »den Islam«, zu gewinnen, um nicht in platte Dualismen zu verfallen. Sie ziehen dann nicht das eine Qur’an-Zitat heran, um damit alles zu erklären, sondern versuchen dialektisch und historisch mit Quellen umzugehen.
Es bleibt aber die Frage, wozu das gut sein soll. Warum meinen aufgeklärte Mehrheitsangehörige, Andere immer wieder verstehen und einordnen zu müssen und ihnen nur dann eine Daseinsberechtigung einräumen zu können, wenn sie einverstanden sind mit deren Lebenskonzept? Auch in diesen Bemühungen kommt das Interesse nach Kontrolle der Situation zum Vorschein, die auf den Machtaspekt von Rassismus, auch antiislamischen, verweist. Jeder Rassismus beinhaltet nicht nur die Konstruktion des Anderen/des Selbst, sondern auch die Position, aus der heraus konstruiert wird.
Auch wenn »Moslems« versuchen, durch die Umkehrung der Bewertung des Islam sich selbst aus der Opferposition herauszudefinieren, bleiben sie dennoch in der unterlegenen Position. Ihre Aussichten auf dem Wohnungs-, Ausbildungs- und Arbeitsmarkt vergrößern sich nicht, wenn sie statt verschämt zu versuchen, ihre Differenz zu verleugnen, sie nun stolz betonen. Allerdings kann es hilfreich sein, sich nicht als wehrloses Opfer, sondern als handelndes Subjekt zu fühlen. Auch bietet die dann neu gewonnene Schicksalsgemeinschaft jenen Rückhalt, der in der Mainstream-Gesellschaft Minderheiten verwehrt wird. Die Frage nach Identität und Zugehörigkeit ist für Ausgegrenzte keine akademische, sondern bedeutet häufig erst die Basis dafür, aus einer marginalisierten Situation heraus handlungsfähig zu bleiben. Dennoch ist die Gefahr groß, durch die darin liegende Bestätigung von Konstruktionen langfristig bestehende Machtverhältnisse zu zementieren.
Während sich Minderheiten im Interesse ihres Überlebens und ihrer Rehabilitierung an der rassistischen Konstruktion beteiligen, geschieht dies bei Mehrheitsangehörigen im Interesse ihres Machterhalts. Das gilt es zu reflektieren und hieran muss antirassistische Arbeit ansetzen.
Iman Attia ist Erziehungswissenschaftlerin und arbeitet zur Zeit an der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin in der wissenschaftlichen Begleitung/Evaluation von EU-geförderten Maßnahmen zur Demokratieförderung in den Neuen Bundesländern.