Breiviks politischer Hintergrund
Interview mit Linnea Faksen – Aktivistin der norwegischen Antifa-Szene
Warum hat Anders B. Breivik eurer Meinung nach ein Camp der jungen Sozialdemokraten für seinen Angriff ausgewählt, anstatt radikalere Aktivist_innen, die gegen Islamophobie, Rassismus und Faschismus kämpfen?
Wahrscheinlich hat er festgestellt, dass die sozialdemokratische »Arbeiterpartei« zur Zeit die einflussreichste politische Kraft in Norwegen ist. Seiner Meinung nach tragen sie die Hauptverantwortung für die Migration von Muslimen nach Norwegen. Radikalere Aktivist_innen scheint er für weniger wichtig zu halten.
Breivik ist kein Neo-Nazi, sondern mehr ein fundamentaler Christ, der sich als Kämpfer gegen Islam, »Multikulturalismus« und »kulturellen Marxismus« begreift. Was macht die konservativen, eurozentristischen und christlich-fundamentalistischen Strukturen und Organisationen in Norwegen aus? Was sind ihre Aktionsformen, wie lässt sich ihre Ideologie umreißen?
Breiviks ideologischer Hintergrund speist sich aus diversen Internetforen. Eines davon ist das Portal »www.Document.no«, dass konservative, islamophobe und rassistische Positionen propagiert. Er war außerdem in diversen anderen Foren bekannter Websites aktiv. Eine der bekanntesten Gruppen ist die SIAN (»Stoppt die Islamifizierung Norwegens«), welche sich pro-israelisch und gleichzeitig tief anti-muslimisch positioniert. Die SIAN hat allerdings nur wenige aktive Mitglieder und konnte ein paar Demonstrationen unter massivem Polizeischutz durchführen, die jedes Mal von fünf bis zehnmal so vielen Gegendemonstrant_innen begleitet wurden. Von 2001 bis 2005 war er außerdem Mitglied der »Fortschritts-Partei« (FRP), zu deren prominentesten Mitgliedern Per Willy Amundsen und Christian Tybring-Gjedde zählen. Teile der FRP vertreten ähnliche Ideen wie Breivik bezüglich Islam und »Multikulturalismus«. Sie hat andererseits aber auch relativ liberale Mitglieder, die eher für einen »Laisser-faire«-Kapitalismus eintreten, als sich mit migrationsspezifischen Themen zu beschäftigen. Einige Mitglieder positionieren sich nun allerdings klar gegen die islamophoben Teile ihrer Partei, sodass es in naher Zukunft sicherlich zu internen Spannungen kommen wird. Breivik war nie Teil der eher armseligen und unbedeutenden »Norwegian Defense League« (einer Partnerorganisation der English Defense League (EDL)). Doch er lässt sich sicher als Fan der EDL bezeichnen, stand mit einigen ihrer Mitgliedern in Kontakt und nahm an Demonstrationen in England teil.
Stehen diese ultrakonservativen Gruppen mit außerparlamentarischen Gruppen in Kontakt oder sind mit diesen vernetzt?
Meiner Meinung nach vollzieht sich ein Bruch zwischen Neonazis (welche z.B. die rechtsradikale Szene in Schweden dominieren) und den islamophoben und christlich-fundamentalistischen Gruppen. Ich habe die Diskussionen im skandinavienweiten »nordisk.nu-Forum« verfolgt, in dem Neonazis Breivik einen »Freimaurer« und »Zionisten« nennen. Sie sprechen sogar von einer israelischen Verschwörung hinter den Anschlägen.
Die christlichen Fundamentalisten und islamophoben Gruppen titulieren Breivik wiederum als Neonazi. Es gibt also definitiv eine Teilung in der radikalen Rechten zwischen »klassischen« Neonazi-Gruppen wie der SMR (Schwedische Wiederstandsbewegung), Vigrim (norwegische Neonazigruppe) und den EDL-inspirierten Gruppen (Nordic Defence League, Swedish Defence League, Norwegian Defence League, SIAN usw.).
Welche Geschichte hat die »Fortschritts-Partei« und was ist ihre politische Agenda? Was verstehen sie unter Migration? Haben sie ein »ideales« Konzept für Migrationspolitik?
Die Gründungsthemen der FRP waren niedrigere Steuern und ein »Stopp der Zuwanderung« – eine klassische Protestpartei mit einer rechtspopulistischen Agenda. Nahezu jeder norwegische Neonazi war eine Zeit lang Mitglied der FRP, wurde aber entweder auf Grund seiner Ansichten aus der Partei geworfen oder verließ sie freiwillig, da sie als zu »moderat« galt. Das Ziel der FRP ist es, Norwegen in einen weniger sozialdemokratischen Staat nach Vorbild der USA in Kombination mit einer restriktiveren Migrationspolitik zu verwandeln. Diese bezieht sich vor allem auf die Migrant_innen muslimischen Glaubens. Des weiteren fordern sie eine klassische »Law-and-Order«-Politik: mehr Polizei, eine härtere Justiz und mehr Überwachung. Ich würde sie eher mit den Republikanern vergleichen als mit den »schwedischen Demokraten« oder der »Danish Peoples Party«, weil sich ihre Wirtschaftspolitik doch sehr an der Idee des freien Marktes orientiert.
Wieso war die FRP die zweitstärkste Partei bei den letzten Wahlen in Norwegen? Warum wurden sie eurer Meinung nach gewählt?
Xenophobie und Islamophobie in der norwegischen Gesellschaft sind sicherlich zwei Gründe für ihren Erfolg und auch ihre Forderungen nach härterer Justiz und geringeren Steuern haben Zustimmung gefunden. Ich glaube aber auch, dass sie so erfolgreich sein konnten, weil sich alle anderen Parteien so arrogant gegenüber der »Arbeiterklasse« verhalten. Sowohl die Sozialdemokraten, als auch die Sozialisten kämpfen nicht mehr gegen Armut und Neoliberalismus und haben in gewisser Weise auch aufgehört ihre Wirtschaftspolitik am »Kleinen Mann« auszurichten. Die FRP hingegen gibt zumindest vor, diesen zu unterstützen und haben dafür eine sehr gut funktionierende Propaganda-Maschine.
Mit welchen anderen europäischen Parteien steht die FRP in Kontakt oder kooperiert sogar?
Es gibt Verbindungen zur Regierungspartei »Venstre« in Dänemark (der Name bedeutet eigentlich »Links«, sie haben allerdings eine ähnliche Agenda wie die FRP). Sie beziehen sich außerdem auf die Tories in England, die Republikaner in den USA und andere konservative und neokonservative europäische Parteien. Vorgeblich lehnen sie offensichtlich rechtsradikale Parteien wie die »Front National« in Frankreich, die »schwedischen Demokraten« usw. ab. Aber natürlich haben sie auch mit diesen Parteien einige Gemeinsamkeiten.
Wie haben sich in Norwegen antimuslimische und gegen »Multikulturalismus« agierende Strömungen entwickelt?
Islamophobe Positionen begannen mit einer starken Unterstützung Israels und großen Antipathien gegenüber Palästinenser_innen in den christlichen Teilen Norwegens (hauptsächlich im Süden und Westen des Landes). Die FRP und, in gemäßigten Ausmaß, die NDL haben Unterstützer_innen in diesen Gruppen. Anti-»Multikulturalismus« wurde in den 1980ern, als die FRP und die wachsende Neonazi-Szene Demonstrationen gegen Migration organisierten, zu einem populären Thema.
Eine andere Bewegung, die »Bürgerbewegung gegen Immigration« (FMI) entwickelte sich in den 1980ern und wurde schließlich in den frühen 1990ern durch antifaschistischen Widerstand zerschlagen. Auch andere Neonazi-Gruppen schrumpften während der 90er erheblich und ihre Aktivitäten kamen fast gänzlich zum Erliegen, nachdem ein Neonazi 2001 einen Jungen of colour ermordete. Nur die religiöse Sekte »Vigrid«, mit einem extrem antisemitischen Nazi-Kult überlebte und existiert noch immer. »Vigrid« steht allerdings viel zu abseits, um neue Mitglieder zu rekrutieren oder tatsächlich politisch zu agieren. Heute sind islamophobe Kräfte in der FRP, NDL, bei SIAN und in diversen Webblogs organisiert.
Einige Medien stellen Breiviks Anschläge als das Werk eines Psychopathen dar, dessen politische und ideologische Motivation fast keine Rolle für Anschläge spielten. Wie wichtig war seine politische Überzeugung für diese Angriffe?
Seine politischen Ansichten waren natürlich wichtig für die Angriffe. Seit zehn Jahren (nach dem 11. September 2001) wird die politische Debatte in Norwegen von Angst und letztlich dem Schüren von Hass gegenüber Muslimen und der muslimischen Welt bestimmt. Die Debatten verlaufen dabei zunehmend eurozentristisch und selbst einige Linke argumentieren mit der Überlegenheit der westlich Zivilisation gegenüber der muslimischen »Barbarei«. Der Fokus liegt dabei vor allem auf Angst und Misstrauen und meiner Meinung nach ist es offensichtlich, dass Breivik von diesen Debatten beeinflusst wurde. Wenn Politiker, Journalisten und Kommentatoren aus dem gesamten politischen Spektrum geneigt sind, die Furcht vor einer muslimischen Bedrohung oder gar Invasion zu übernehmen, glaubt auch irgendwann jemand, dass wir uns wirklich in einem Kriegszustand befinden und bringt Waffen in die politische Auseinandersetzung.
Linnea Faksen ist Teil der antifaschistischen Szene Norwegens und im autonomen Blitzhuset in Oslo aktiv. Gemeinsam mit anderen beschäftigt sie sich seit einigen Jahren unter anderem mit neokonservativen Kräften in Norwegen.
Interview: antifa.cz und recherche-nord