Das NSU-UnterstützerInnenumfeld zwischen Chemnitz und Zwickau
Während wir im Antifaschistischen Infoblatt (AIB) Nr. 112 über die westsächsische Neonazi-Szene zwischen 1990 und 2002 berichteten, widmen wir uns nun der Zeit von 2002 bis zur Gegenwart. Wir erinnern uns: Anfang 2002 zog der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) aus Chemnitz in die Zwickauer Polenzstraße. Das brachte zwar Veränderung in ihren Alltag im Untergrund, das UnterstützerInnen-Netzwerk und dessen Umfeld blieb jedoch ein ähnliches.
Chemnitz strukturiert sich neu
Nach dem Verbot von „Blood & Honour Deutschland“ (B&H) und den internen Streitigkeiten innerhalb der B&H-nahen „Skinheads Chemnitz/88er“ mussten deren Protagonisten neue Wege finden, um Chemnitz auch weiterhin als bundesweit relevanten Dreh-und Angelpunkt der Szene halten zu können.
Einer der Leitfiguren der früheren B&H-Struktur und Bekannter des NSU-Trios, Hendrik Lasch, begann Anfang der 2000er Jahre den rechten Streetwear-Laden „Backstreetnoise“ (BSN) aufzubauen, dessen Räume damals das Bundesvermögensamt (!) vermietete. Aufgrund antifaschistischer Proteste musste das Geschäft 2004 umziehen, allerdings nur ein paar Straßen weiter innerhalb des Plattenbau-Gebiets, in dem auch der NSU vor 2002 zwei Wohnungen unterhielt. Lasch, der Uwe Mundlos in dessen Unterschlupf noch Ende der 1990er Jahre besuchte und dabei von Mundlos entworfene Zeichnungen auf T-Shirts druckte und verkaufte, ist bis heute in die Geschäftsleitung des BSN eingebunden.
Ein Blick in das Sortiment des Ladens lässt schlussfolgern, dass die Mischszene aus Neonazis, Hooligans und Rockern immer noch den Kundenstamm des Ladens ausmacht. CDs lokaler Neonazi-Bands wie „Might of Rage“ — die damals noch direkt über Laschs Laden vertrieben wurden — sind allerdings verschwunden. Vermutlich kein Verlust für das Geschäft, denn nebenan vermietet Lasch Räumlichkeiten an das Label und Ladengeschäft „PC Records“ — damals noch namentlich betrieben von Yves Rahmel. Im sogenannten „Würfel“, in dem sich bis 2004 „Backstreetnoise“ befand, hatte sich Rahmel ebenso ein Tonstudio eingerichtet.
Langjährige Kontakte und „kurze Dienstwege“ dürften den Erfolg von BSN/PC-Records bis heute ausmachen. Hinzu kommt, dass Rahmels Label genau zu einer Zeit auftauchte, in der das vormals wichtigste B&H-Label Sachsens, „Movement Records“, bereits auf dem absteigenden Ast war. Rahmel, der vor seiner Zeit in Chemnitz in der extrem rechten Skinhead-Szene im Umland unter anderem das Fanzine „Panzerbär“ herausgab, kam erst spät zu den „Skinheads Chemnitz“ und schien aus den internen Querelen von „B&H Sachsen“ gelernt zu haben. Innerhalb der Szene hält er bis heute seinen Ruf als „authentischer Verkäufer“, dem die „nationale Sache“ wichtiger sei als der Profit, den das Label reichlich abwerfen dürfte. Während er sich bundesweit von Neonazi-Aufmärschen eher fern hält, nahm er am 1. Mai 2014 im tschechischem Usti Nad Labem an einem Neonazi-Aufmarsch teil. Mit dabei Kathrin Köhler, Stadträtin der Chemnitzer NPD, die auf der Kundgebung als Rednerin auftrat. Eine Allianz, die schon 2010 zu Tage kam, als Rahmel eine ehemalige Gaststätte in Chemnitz-Markersdorf erwarb, die nun als NPD-Schulungszentrum fungiert.
Yves Rahmels Verbindungen zur (früheren) internationalen „B&H“-Riege fielen dabei scheinbar nicht hinten runter: Im März 2006 durchsuchten Polizeibeamte seine Räumlichkeiten in Bezug auf eine Wiederbetätigung der verbotenen „B&H-Sektion Deutschland“, die nach 2000 auch unter dem Namen „Division 28“ firmierte. Auch gegen die Mitglieder der Band „Blitzkrieg“ aus Chemnitz und Zwickau —Kay Richter und Jörg Richter sowie Paul Morgenstern — wurde im selben Verfahren ermittelt, bei gleichem Ausgang: Einstellung wegen Geringfügigkeit.
Anscheinend ein Grund mehr für Rahmel, diesen Weg fortzusetzen. Sei es durch Verkaufsstände auf vielen internationalen Events des B&H-Milieus oder durch konkretere Unterstützung wie beim „Ian Stuart Donaldson-Memorial“ 2015 in England. Hier war er allem Anschein nach für den Ausschank an der Bar zuständig.
Auch dass die Flagge der „Skinheads Chemnitz“ international immer wieder ihren Platz am Rande der Bühne von RechtsRock-Konzerten findet, darf durchaus als Machtdemonstration einer Struktur gewertet werden, die als solche eigentlich nicht mehr existiert.
Chemnitzer Melange
Neben dem "Imperium" der RechtsRock-Vertriebsszene entwickelte sich auch die extrem rechte Hooliganstruktur der „HooNaRa“1 stetig weiter. Prägend war vor allem Rico Malt, Schlüsselfigur zwischen Hooligan-, Freefight- und Neonazi-Szene. Kurz vor der Jahrtausendwende soll er bereits den damaligen Chef der Hooligan-Gruppe, Thomas Haller, abgelöst haben und spätestens ab Anfang der 2000er Jahre fiel er im explizit politischen Kontext auf. Der Gerüstbauer gehörte zu den jüngeren Neonazis um die Brüder Kay Richter und Jörg Richter, die noch an die alte B&H-Struktur angebunden waren und mehrfach Sicherheitsdienste auf Konzerten übernahmen. Auffällig ist dabei der Trend der Clique um Malt weg vom Skinhead-Kult, hin zum aufkommenden Hooligan/Türsteher-Chic.
Im öffentlichen Raum kam hinzu, dass sich viele Neonazis in Sachsen immer mehr im Freefight-Milieu breit machten und Events wie der „Fight Club Karl Marx Stadt“ zum Treffpunkt der Szene wurden (Vgl. AIB Nr. 68). Rico Malt machte hierbei aus seiner politischen Einstellung keinen Hehl. Seine Auftritte waren von „HooNaRa“-Rufen und RechtsRock begleitet. Wahlweise warb er für Ralf „Manole“ Marschners „Last Resort Shop“ oder Hendrik Laschs „Backstreetnoise“. Die Tickets konnten damals auch über die beiden Szene-Läden erworben werden.
Malts Rolle als Bindeglied zwischen den Szenen half vor allem bei der Organisation von RechtsRock-Konzerten. Besonders seine Kontakte als Türsteher dürften dabei hilfreich gewesen sein, wie etwa in 2004, als die Diskothek „8. Mai“ in Chemnitz angemietet werden konnte, um den rund 400 TeilnehmerInnen Bands wie „Blitzkrieg“ und „Radikahl“ zu bieten. Malt war damals im Auftrag der „Cobra“-Security in der Disko tätig.
Auch ein 2005 von knapp 500 Neonazis besuchtes und schließlich von der Polizei aufgelöstes Konzert mit den Bands „Blitzkrieg“ und „Final War“, wollte Rico Malt in der Diskothek „La Belle“ ausrichten. Er und sein damaliger Arbeitgeber „Haller-Security“ waren hier seit Ende der 1990er Jahre für die Tür zuständig. Das „La Belle“ in Hohenstein-Ernsthal war auch der Ort, aus dem Teile der rechten Türsteher-Szene 1999 erst ein Punk-Konzert angriffen und im Verlauf des Abends den 17-Jährigen Patrick Thürmer ermordeten.
Diese „Chemnitzer Melange“ konnte auch im September 2004, am Rande der Demonstration der Kampagne „Schöner Leben ohne Naziläden“ beobachtet werden. Während hunderte Antifaschist_innen unter anderen gegen den „Würfel“ — Hendrik Laschs Geschäftsräume — demonstrierten, sammelten sich knapp 150 Neonazis aus Chemnitz und anderen Teilen Sachsens im Bereich des Heckert-Gebiets. Unter ihnen waren Protagonisten der „HooNaRa“-/ Freefight- /Türsteher-Szene, wie Rico Malt und Thomas Haller, ehemalige B&H-Aktivisten wie die Richter Brüder und Michael Lorenz und ehemalige Mitglieder der verbotenen „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS), wie Thomas Sattelberg, Tino K. und Daniel B. Auch der spätere Anführer des „Strum 34“, Tom W., sowie der ehemalige Republikaner, Burschenschaftler und Anwalt Martin Kohlmann, der nun für „Pro Chemnitz“ im Chemnitzer Stadtrat sitzt, waren am Rande zugegen. Als die Kampagne 2008 erneut in Chemnitz demonstrierte, tauchten abermals organisierte Neonazi-Gruppen am Rand der Route auf.
Bis heute ist Chemnitz nicht nur ein Rückzugsort für Neonazis und rechte Hooligans. Es ist die drittgrößte Stadt Sachsens, deren Sammelsurium an rechter Infrastruktur bezeichnend ist. Udo Nagrotzkis rechter Streetwear-Laden „Rascal“ spielt dabei genauso eine Rolle, wie der rechts-offene Laden „Waffen Army Shoes“ und der „Thor Steinar“-Shop „Tønsberg“.
Dass die Dichte rechter Lifestyle-Händler in Chemnitz kein Grund für wirtschaftliche Konkurrenz zu sein scheint, führte die "Antifaschistische Aktion Karl-Marx-Stadt" in einem Flyer gegen Neonazi-Läden 2008 auf. Darin erwähnte man ein Interview der Lokalzeitung mit dem Sprecher des "Landesamt für Verfassungsschutz", in dem dieser feststellte: „Das umsatzstärkste rechtsradikale Geschäft Deutschlands befindet sich in Chemnitz“. Mit „Geschäft“ meinte er das „Rascal“ samt Online-Shop. Durch den jüngst ins Leben gerufenen „Ultra-Versand“ dürfte Nagrotzki auch heute noch einen beträchtlichen Umsatz verzeichnen.
Im Stadion wiederum wurde die „HooNaRa“ — die nach dem tödlichen Sturz Rico Malts vom Baugerüst 2007 nicht so recht einen neuen Anführer fand — durch die rechte, gewaltaffine Ultra-Gruppierung „New Society Chemnitz“ (auch „NS-Boys“) ersetzt. Mit Spruchbändern wie „Komme was da wolle, dich kriegen sie nicht klein“ bewies die Gruppe 2015, wessen Geistes Kind sie ist. Denn mit dem in Rot hervorgehobenen Wort „wolle“ meinte man Ralf „Wolle“ Wohlleben, den in München angeklagten mutmaßlichen NSU-Unterstützer.
Von einem einmaligen Ausrutscher kann dabei nicht die Rede sein, denn die 2004 gegründete „New Society Chemnitz“ (NSC) besteht hauptsächlich aus Aktivisten der „Freien Kräfte“, den „Nationalen Sozialisten Chemnitz“ (NSC). Die letzt genannte Gruppe gründete sich Anfang des Jahrtausends und gewann ab 2005 signifikant an AnhängerInnen, als sich der „Heimatschutz Chemnitz e.V.“ auflöste. Neben der Teilnahme an bundesweiten Aufmärschen waren die NSC in ihrer Heimatstadt für die Umsetzung des jährlichen „Trauermarsches“ verantwortlich, allerdings nicht unter dem Label NSC, sondern als „Interessen Gemeinschaft Stadtgeschichte“. Auch der „Volkstanzkreis Chemnitz“, die „Wandergruppe Heimatland“ sowie die Webpräsenz „Mauerblümchen“ entstammen aus den Kreisen der NSC. Auffällig ist bei der Struktur, dass sie sich nicht von der „alten Riege“ löste, sondern sich dieser zu bedienen wusste. So galt der von Yves Rahmel erworbene Gasthof als Treffpunkt der NSC. Auch ehemalige B&H-Aktivisten wie Jörg Richter sollen in die Aktivitäten der Gruppe bzw. der „IG Stadtgeschichte“ involviert gewesen sein.
Ein Blick in die Führungsriege der NSC verdeutlicht diese Konstante. Denn neben Sandra B. war dort Eric Fröhlich tonangebend. Dieser bewegte sich schon Ende der 1990er Jahre in dem B&H-Netzwerk um den NSU-Bekannten Thomas Starke und ab 2002 in der Clique um Maik Eminger und André Eminger, woraus 2006/2007 auch die Selbstdarstellung Maik Emingers als Anhänger der NSC resultieren sollte. Dass Patrick G., der ebenfalls den NSC zugerechnet wurde, im Jahr 2011 bei der Durchsuchung von André Emingers Wohnung in Zwickau angetroffen wurde, deutet abermals auch auf eine unmittelbare Nähe der Emingers zu der Chemnitzer Organisation. André Eminger war zum Zeitpunkt der Razzia bei seinem Bruder in Grabow.
Auch der langjährige Mitarbeiter von „PC-Records“ und damalige „Sprecher“ der NSC, Maik Arnold, unterhielt offenbar gewisse Verbindungen in den engeren NSU-UnterstützerInnenkreis: Mit Ralf Wohlleben pflegte er einen politischen Austausch und in André Emingers Telefonbuch war Arnolds Telefonnummer eingetragen. Der Fund einer sogenannten „NSU-CD“2 in Arnolds Wohnung während der Razzien im Rahmen des NSC-Verbotes lässt ebenso eine Anbindung Arnolds an Personen des engeren UnterstützerInnenkreises vermuten.
Dass 1999 der NSU-Unterschlupf in der Chemnitzer Cranachstraße auf Ralph H. angemietet wurde, ist in diesem Zusammenhang nur ein weiterer Hinweis auf die Involvierung der Gruppe in die Aktivitäten des NSU-Umfeldes, denn lokale Antifaschist_innen rechnen Ralph H. ebenfalls der NSC zu.
2014 wurden die NSC verboten, wobei die ProtagonistInnen teilweise in die NPD-Jugendorganisation gingen. Sowohl das Verbot als auch der Zerfall des überregionalen Zusammenschlusses „Freies Netz“ sind Gründe für die Umbrüche innerhalb der Chemnitzer Szene, aus der beispielsweise das „Rechte Plenum“ entstand. (Vgl. AIB Nr. 113)
In Zwickau nichts Neues
2002 wurde Ralf Marschner als V-Mann „Primus“ abgeschaltet, nachdem er zehn Jahre als die „einzige relevante Quelle“ im ostdeutschen RechtsRock-Bereich vom Verfassungsschutz geführt worden war. Im gleichen Jahr ging im März sein „Bauservice Marschner“ insolvent. Wenig später gab Marschner seinen Szene-Laden „The Last Resort Shop“ in Zwickau in neue Hände, nämlich in die von Marco Hampel, den Marschner bereits in seiner Baufirma arbeiten ließ. Das Geschäftsmodell des Ladens — der nun „Eastwear Department“ heißt — hat bis heute Bestand: Verkauf von Bekleidung, mit denen sich die extrem rechte Szene identifizieren kann, vermischt mit einem reichhaltigen Angebot neonazistischer Musik.
Neben Hampel war vor allem Michael Schöbel im „Eastwear Department“ anzutreffen, der schon im „Last Resort Shop“ angestellt war. Bereits Anfang der 2000er pflegte er Kontakte in die rechte Szene, z.B. zur Kameradschaft „Glauchauer Jungs“. Dass sein Arbeitsplatz für ihn mehr als nur Business bedeutet, stellte er 2010 unter Beweis, als er und Hampel Jugendliche angriffen, die vor dem Laden antifaschistische Flyer verteilten. Verständigte Polizist_innen erteilten den Angegriffenen Platzverweise für die Innenstadt und merkten laut Augenzeugenberichten an: „Das ist doch nur ein normales Geschäft.“
Marschner hingegen gründete 2005 zusammen mit Ralph M. das „Heaven & Hell“, wo er eher unverfängliche Streetwear-Bekleidung anbot. Auch im Restaurant „White Trash“ konnte er kurzzeitig Fuß fassen, bis er von dem Betreiber Hausverbot erhielt.
Flüchtige Bekanntschaften Marschners, die er in dieser Zeit vor allem auf kommerziellen Punk und Oi!-Konzerten fand, beschrieben ihn als „großkotzig“ und „wendehalsig“. War er zwar bekannt dafür, Konzerte mit RechtsRock-Größen wie „Blue Eyed Devils“ organisiert zu haben, prahlte er wiederum damit, dass er in England mit „schwarzen Skins zusammen gesoffen habe“ . Bis zu seinem Verschwinden 2007 bewegte er sich zudem im Rockermilieu Leipzigs, wo er versuchte seine 2005 registrierte Marke „Barstool Sports“ unter die Leute zu bringen. Ehemalige Geschäftspartner behaupteten, dass Marschner angeblich auch mit Drogen zu tun gehabt haben soll.
Marschners Umtriebe in Leipzig sollten Ralph M. die kommenden Jahre beschäftigen. Marschner hatte zwar in Sachsen nur verbrannte Erde hinterlassen, von einem gewissen Wert scheint allerdings sein Computer gewesen zu sein, zumindest für den Leipziger Oliver Riedel, der von Ralph M. mehrmals mit Nachdruck dessen Herausgabe gefordert habe. Riedel, der heute einer der Geschäftsführer der „Pro GSL“-Securityfirma ist, vertrieb sowohl „Barstool Sports“, „Brachial“ als auch „Eastfight“, eine Marke von Marco Hampel, in seinem Laden „Streetwear LE“ in Leipzig. Zwischenzeitlich war er sogar im Impressum des „Barstool Sports“-Onlineshop zu finden.
Auf dem umstrittenen Computer fanden die Ermittler später u.a. die Titelmelodie von „Paulchen Panther“, dem Trickfilm, den der NSU in seinem Bekennervideo verwendete.
Neuer Wind
Das Jahr 2007 kann für die Geschichte des NSU und dessen UnterstützerInnen-Kreis als einschneidend angesehen werden. Im April wird die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen, der letzte bekannte Mord bis zur Selbstenttarnung 2011, der dem NSU zugerechnet wird. Zwei Monate später verschwindet Marschner aus Deutschland, erst nach Irland, dann in die Schweiz, von wo aus er heute die „Antikscheune Vaduz“ im grenznahen Liechtenstein betreibt. 2007 änderte auch das NSU-Trio seine Infrastruktur und zog aus der Polenzstraße in die Frühlingstraße. André Emingers Mitstreiter Matthias Dienelt hatte die Räumlichkeiten für die drei NSU-TerroristInnen angemietet.
Im selben Jahr eröffneten auswärtige Neonazis in der Region einen Ableger der „Freien Netz“-Struktur. Dafür hatten die Neonazis und „Hammerskins“ Thomas Gerlach (Altenburg) und Maik Scheffler (Delitzsch) , Initiatoren dieses Netzwerkes, den 20jährigen Daniel Peschek aus dem Altenburger Land nach Zwickau geschickt. Gemeinsam mit den auswärtigen „Autonomen Nationalisten“ Gunnar F., Sören L., Benjamin K. und dem Zwickauer Alexander Sch. wird die Gruppe „Nationale Sozialisten Zwickau“ (NSZ) ins Leben gerufen. Nachdem im August 2007 ein „Rudolf Heß Gedenkmarsch“ in Zwickau scheiterte, sollte eine Demonstration im September desselben Jahres den Startschuss für die NSZ geben. Ursprünglich angemeldet von Thomas Gerlach und schlussendlich durchgeführt vom NPD-Vorsitzenden in Zwickau, Peter Klose, konnten 200 Neonazis mobilisiert werden. Auch Maik Eminger und andere Vertreter der „Nationalen Sozialisten Chemnitz“, Maik Arnold und Eric Fröhlich, nahmen an diesem Aufmarsch teil.
Die Zusammenarbeit zwischen den NSZ und der NPD verfestigte sich in den folgenden Monaten durch die konstante Teilnahme an den Montagsdemonstrationen gegen die Hartz IV-Agenda, bis die Anmelder der gewerkschaftlichen Demonstration die durchschnittlich 40 Neonazis im August 2008 ausschlossen. Für Peschek und seine zugezogenen Kameraden bot Zwickau eine funktionstüchtige Infrastruktur. Neben dem NPD-Bürgerbüro konnten die NSZ auf die Garten-Kneipe „Neuland“ in Zwickau-Schedewitz zurück greifen, wo, gemeinsam mit der NPD, Veranstaltungen durchgeführt werden konnten. 2008 sprach dort der Schweizer PNOS-Politiker und „Hammerskin“ Martin Friso, wenige Wochen später der frühere Rechtsterrorist Peter Naumann und 2009 der damalige NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt.
Dass sich Peschek 2008 für die NPD zur Kreistagswahl aufstellen ließ, kann als ein Versuch bewertet werden, die „Autonomen Nationalisten“ auch parlamentarisch aufzustellen. Den einzigen Sitz erlangte jedoch Peter Klose. Zwickau galt als klassiches Experimentier-Feld der „Autonomen Nationalisten“, wie man es vergleichbar in Chemnitz vorfand. Auch der FSV Zwickau sollte ähnlich wie der Chemnitzer FC, Schaubühne der Neonazis werden. Potential fanden Peschek und Co. in der ohnehin extrem rechten Fangruppierung „A-Block“ und „Combat Zwickau“. Deren Anhänger trafen sich auch in der Gartenkneipe „Neuland“. Als diese Gruppierungen gemeinsam mit den NSZ 2009 zum Derby gegen Aue mit den Worten „Alle in schwarz-Macht mobil“ aufriefen, kam es am Spieltag rund um das Stadion zu schweren Ausschreitungen. Peschek hatte schon Tage vor dem Spiel in einem Interview formuliert, es „im Stadion knallen zu lassen“.
Tatsächlich war dies, neben kleineren Kundgebungen und einer unscheinbaren Demonstration, der einzige öffentlichkeitswirksame Aktivismus, den die NSZ vorweisen konnten. Gewalttätige Übergriffe am Rande des Stadtfestes im August 2009 sorgten kurzzeitig für Öffentlichkeit. Etwa 50 Neonazis der NSZ und aus dem rechten Fußball-Spektrum lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei und zeigten hierbei Hitlergrüße. Peschek gab einige Tage danach ein Interview für „Spiegel TV“, in dem er versuchte klar zu stellen, dass „definitiv keine antisemitistischen (sic!) Parolen gerufen wurden“.
Ein paar Monate später erklärte Peschek Zwickau als Projekt gestorben und zog sich aus der Struktur der NSZ zurück. Seine Weggefährten zogen es vor, sich im florierenden NS-Hardcore einen Namen zu machen. Mit den Bands „Eternal Bleeding“, „Moshpit“ oder „Diary of a dying nation“ machen zumindest einige der Zwickauer bzw. Altenburger bis heute gute Geschäfte. Der Rückzug von Peschek aus den Strukturen und der Wechsel von Sören L., Gunnar F. und Michael F. in die Subkultur bedeutete allerdings nicht das Ende der Struktur des „Freien Netz“ in Zwickau. Dieses habe, laut lokalen Antifaschist_innen, sukzessiv ein Vertrauter Peter Kloses übernommen, das heutige Gesicht der „Identiären Bewegung Sachsen“, Tony Gerber. Ebenso muss davon ausgegangen werden, dass der mutmaßliche NSU-Unterstützer André Eminger — wenn auch nur im Hintergrund — Teil dieser verbliebenen Struktur gewesen ist. Eine Spendendose mit der Aufschrift „Nationale Sozialisten Zwickau“ und „spendet für: Propaganda und Schulung“, die in seiner Wohnung in Zwickau gefunden wurde, deutet darauf hin.
Das „Freie Netz“ und Verbände der NPD lebten noch einmal kurz auf, als rund 400 Neonazis am 1. Mai 2010 in Zwickau aufmarschierten. Die jahrelang forcierten Synergieeffekte dieser beiden Strukturen befanden sich zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits im Niedergang. Klose wurde längst von der NPD-Spitze um Holger Apfel abgesägt, was sein Parteiaustritt 2011 untermauerte. 2014 starb Klose zurückgezogen in der Peripherie Zwickaus.
Von nix kommt nix
Dass Neonazis in Westsachsen insbesondere in den größeren Städten dazu fähig waren, eine solche Infrastruktur aufzubauen, liegt auch am dicht besiedelten Umland samt seinen lokalen Neonazi-Kameradschaften. Nur wenige dieser Verbände spielten bisher eine Rolle in der Untersuchung des UnterstützerInnen-Netzwerkes des NSU, obwohl diese Gruppen die Basisarbeit vor allem bei der Identitätsprägung und Politisierung von Jugendlichen leisteten. In Zwickau selbst erfüllte die „Kameradschaft Sachsenwacht“ diese Aufgabe, nachdem sie 2004 mit der Lichtensteiner „Kameradschaft Schwarze Sonne Westsachsen“ fusioniert war. In Meerane existierte der „Jungsturm Meerane“, im Vogtland die „Braunen Teufel“ um den heutigen Greizer NPD-Politiker David Köckert. Besuche bundesweiter Demonstrationen, Wahlkampf-Unterstützung, die Organisierung vielzähliger Vertriebe und Konzerte sowie brutale Überfälle auf alternative Jugendliche einen all diese Zusammenhänge. Es mag banal klingen, doch durch die geografische Nähe dieser Kameradschaften konnten überregional Angsträume geschaffen werden, in denen drei untergetauchte thüringische Neonazis nicht einmal ansatzweise den Eindruck erwecken konnten, dass sie gesuchte Rechtsterroristen sind.
Und fängt Rechtsterrorismus überhaupt erst bei der Erschießung erklärter Feinde an? Würden wir den ehemaligen antifaschistischen Sprecher der PDS in Sachsen, Uwe Adamczyk fragen, würde er wahrscheinlich verneinen. Unweit von Zwickau hatte er Mitte der 2000er in Meerane versucht, durch den Aufbau von einem nicht-rechten Jugendclub den Ruf der Stadt als „No Go Area“ für Migrant_innen und linke Jugendliche zu durchbrechen. Was das in Meerane — wo 2003 das „Deutsche Stimme Pressefest“ der NPD knapp 2.000 Neonazis anlockte — zur Folge hat, erfuhr Adamczyk einige Jahre später. 2005 wurde in kurzen Abständen sein Wohnhaus mehrfach angegriffen und ein Jahr später die Garage seines Hauses aufgebrochen und ein Motorroller angezündet. Zwei Monate nach dem Brandanschlag wurden Jugendliche, die ihm beim Umzug geholfen hatten, von Neonazis attackiert. Dass 2016 in Meerane eine verfallende Villa, angemietet durch den Alt-Nazi und Multifunktionär Hans-Michael Fiedler, mit tausenden von Bänden neonazistischer Literatur geborgen wurde, passt ebenso in das Bild der Region, wie die Verlautbarungen, dass die Anwohner_innen dieses Treiben nur „argwöhnisch“ betrachtet hätten.
Die Region Westsachsen hat sich in den 1990er Jahren nicht aufgrund fehlender Jugendangebote zu einer Art „national befreiten Zone“ entwickelt, sondern wurde maßgeblich von Neonazis als Neonazi-Schwerpunktregion aufgebaut, während die Gesellschaft fleißig wegschaute. Wenn nun in den „...wehrt sich“-Initiativen, den PEGIDA-Ablegern und anderen rechten Zusammenhängen einige der Protagonisten der „alten Riege“ wieder auftauchen, zeugt das nicht gerade für eine Veränderung der Umstände.
Dass die Gesellschaft alles daran setzen würde, künftige rechtsterroristische Strukturen frühzeitig erkennen zu können, ist gerade nicht ersichtlich. Man tut nur so, als sei man „ohnmächtig“ (gewesen). Dabei ist vielmehr eine gewisse Art der Akzeptanz der rechten Hegemonie erkennbar: ein von der Mehrheitsgesellschaft viel zu früh vollzogener Kniefall vor diesen beklemmenden Verhältnissen. Bedingungen und ein Umfeld, das Rechtsterrorismus anlocken könnte, scheinen hier weiterhin existent. Oder wie es Ralf Marschner zehn Tage nach der Selbstenttarnung des NSU in einem sozialen Netzwerk kommentierte: „Trink ordentlich Heil NSU…..Hahaha“, worauf der Zwickauer Michael Sch. zurück schrieb „einmal döner mit viel nsu ihr fotzen“.
- 1Eine Abkürzung für "Hooligans Nazis Rassisten"
- 2Eine Bild-Daten-CD die v.a. NS-Propaganda enthält. In der Gebrauchsanweisung wird ein "Nationalsozialistischer Untergrund in der NSDAP (NSU)" als Ersteller benannt. Mindestens eine dieser CDs hatte der Neonazi und V-Mann Thomas Richter produziert und an einen Hamburger „Kameraden“ verschickt.