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Das Un-Wort

Einleitung

Warum »unpolitisch sein« meist viel mit Politik zu tun hat

Punks und Neonaziskinheads united: Konzert im "Skinhouse" in Menfis im Juli 2006.

Wie einen Schutzschild tragen Akteur_innen der »Grauzone« die Behauptung vor sich her, sie seien »unpolitisch«. Damit sollen Texte, Ästhetik und Kontakte gegen Kritik immunisiert werden. Häufig glauben Bands, Labels und Fans tatsächlich mit Politik nichts zu tun zu haben. »Unpolitisch sein« ist Synonym für ein einfaches, normales Leben. Darin offenbart sich oft ein reaktionäres Verständnis von Politik. Die Motivation, sich »unpolitisch« zu nennen, ist unterschiedlich. Für manche offensichtlich rechte Band ist es ein rhetorischer Kniff, um sich problemloser in den Subkulturen bewegen zu können. Für die breite Masse der Grauzone-Bands ist es Ausdruck von Selbstbestimmung – man möchte sich nicht diktieren lassen, was man zu singen, zu hören und zu tragen hat. Stereotyp verweisen sie darauf, unabhängig zu sein und eine »eigene Meinung« zu haben – was auch heißt, dass alle die, die politisch intervenieren, als fremdbestimmt und nicht authentisch disqualifiziert werden.

Die kleinen Leute und »die da oben«

Unter den Bands der Grauzone ist es verbreitet, sich selbst als Personifizierung der »kleinen Leute« darzustellen, die über das, was »die da oben« machen, nur den Kopf schütteln. So nachvollziehbar die Ohnmacht gegenüber »denen da oben« und die daraus resultierende »Politikverdrossenheit« auch sind, sie implizieren häufig ein konservatives bis reaktionäres Politikverständnis: Wir sind nur einfache und ehrliche Menschen, die nicht politisch handeln (können). Wir »fühlen«. Aus dem Bauch heraus weiß man ja, dass Schwule »abnormal« und »Emanzen« sexuell frustriert sein müssen. Selbst wenn in Songtexten der Ruf nach Todesstrafe erklingt1 , wird das als emotionaler Ausbruch legitimiert, und soll keine politische Meinung darstellen.

Gesellschaftliche Zustände werden als gegeben akzeptiert, man strebt nicht nach Veränderung. Nicht zufällig werden veränderbare Verhältnisse und Wertvorstellungen wie Familie, Vaterland, Nationalstolz von »unpolitischen« Grauzone-Bands als »ganz natürlich« empfunden und positiv besetzt.

Wenn man nicht einmal den Anspruch erhebt, es gar ablehnt, Politik »im Kleinen« und »von unten« zu gestalten, dann widerspricht man der gesellschaftlichen Beteiligung aller und affirmiert ganz beiläufig die bestehende Ordnung.

Was Politik (angeblich) ist

Unter Politik wird im Milieu der Grauzone fast ausschließlich die Ausübung von und der Kampf um Herrschaft verstanden. Tatsächlich politisch handeln also Kanzlerin und Innenminister, Bürgermeisterin und Landrat und allenfalls noch oppositionelle Gruppen – »Extremisten von rechts und links«. Dieses Verständnis von Politik entstammt einem mittelalterlichen, vordemokratischen Denken. Eine über Gott legitimierte Elite herrschte über die Bevölkerung, die selbst nur Abgaben zu leisten und gegebenenfalls in den Krieg zu ziehen hatte. Politik war Machtausübung und Machterhalt und kein Geschäft, in das sich das einfache Volk einmischen durfte. Das ist Untertanen-Geist.

Demgegenüber steht das Verständnis von Politik, welches sich seit Beginn der Moderne herausgebildet hat: Dass Politik viel mehr ist als die bloße Herrschaft der Mächtigen. Politisch ist jede Auseinandersetzung, jede Idee, jedes Denken, jedes Handeln darüber, wie Gesellschaft gestaltet werden soll; darüber ob Dinge beibehalten oder verändert werden; darüber welche Werte Geltung haben und welche nicht. Und vor allem die Erkenntnis: Jeder Mensch ist eine mündige, politisch handelnde Person. Allein dadurch, dass jede Person Meinungen und Wertvorstellungen transportiert, Ansprüche und Forderungen an die Gemeinschaft stellt, nimmt sie Einfluss auf das gesellschaftliche Leben.

Ob der Ruf nach Todesstrafe nun im Klassenzimmer, im Parlament oder am Stammtisch erhoben wird oder eben im Liedtext einer Oi-Band mit Gitarrenschrammeln im Hintergrund: Eine politische Forderung bleibt eine politische Forderung.

  • 1So die Band Stomper 98 in ihrem Lied »Päderast«, siehe auch vorausgegangen Artikel »Dem Skinhead-Kult treu«.