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Der ungleiche Kampf in Russland

Ulrich Heyden, Moskau
Einleitung

Von einer breiten Bewegung gegen Neonazis wagen russische Antifaschisten noch nicht mal zu träumen.

Foto: Ulrich Heyden

Neonazis beim »Russischen Marsch« in Moskau 2006

Wenn Hugo Chavez oder Evo Morales während ihrer Moskau-Besuche abends mit einer Pelzmütze auf dem Kopf in der Stadt spazieren gegangen wären, hätten sie einiges riskiert. Vielleicht einen Schlag von Hinten mit einem Knüppel oder ein Messer in der Kehle. Der Kreml umwirbt zur Zeit die Staatsführer aus Lateinamerika aber Studenten aus Lateinamerika, China oder Afrika, die an der Universität für Völkerfreundschaft studieren und Gastarbeiter aus Zentralasien oder Unternehmer aus Armenien und Aserbaidschan leben in Moskau gefährlich, kurz Alle, die ein nichtslawisches Äußeres haben.

Das Analyse-Zentrum »Sova«, eine NGO mit Sitz in Moskau, dokumentiert rassistische Gewalt-Taten. Die stellvertretende Leiterin des Zentrums, Galina Koschewnikowa, stellte Anfang Februar auf einer Pressekonferenz in Moskau den »Sova«-Bericht für 2008 vor. Danach ist die Zahl der rassistischen Überfälle in Russland von 2007 auf 2008 zwar von 605 auf 525 Fälle zurückgegangen. Gleichzeitig aber stieg die Schwere der Verbrechen. So erhöhte sich die Zahl rassistisch motivierter Morde von 85 auf 97 Fälle.

Die Expertin wies zudem darauf hin, dass ein großer Teil der Gewalt-Delikte weder von den Opfern noch von der Polizei gemeldet wird. Der Grund: Die Einen haben Angst, die anderen wollen ihre Statistik niedrig halten.

»Keine Angst« titelte die Nowaja Gaseta nach dem Doppelmord an dem linken Anwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasija Baburowa, der wahrscheinlich von Ultranationalisten oder Neonazis verübt wurde. Diese Kräfte fürchten sich nicht vor staatlicher Verfolgung. »Die Mörder haben keine Angst. Weil sie wissen, dass man sie nicht bestrafen wird. Aber auch die Opfer hatten keine Angst. Denn wenn du andere beschützt, hörst du auf, dich zu fürchten«, beschreibt die Kommentatorin der »Novaja Gaseta« die Situation in Russland. Aus den Zeilen spricht Verzweiflung.

Die linken und liberalen Journalisten, Menschenrechtler und Antifa-Aktivisten sind sehr aktiv. Sie veranstalten Pressekonferenzen, fordern auf Demonstrationen die Aufklärung des Moskauer Doppelmordes und schreiben Artikel. Doch die aktive Antifa-Arbeit beschränkt auf ein paar Hundert Menschen. Abseits stehen Russlands große linke Parteien, wie die KPRF und die Kreml-Partei »Gerechtes Russland« (GR), die auch in der Duma vertreten sind. Einzelne Abgeordnete, wie der stellvertretende GR-Vorsitzende Oleg Schein engagieren sich aktiv gegen Rechtsradikale, das war es dann aber auch schon. Schweigen auch unter Künstlern, Sportlern, Geistlichen und anderen Vertretern des öffentlichen Lebens.

Ein breites Bündnis gegen die Gewalt der Neonazis in Russland steht bei Menschenrechtlern, Liberalen und Linken bisher nicht wirklich zur Debatte, denn es fehlen die Zugpferde für solch ein Unternehmen. Wenn der Rock-Musiker Juri Schewtschuk (DDT) und der Film-Regisseur Aleksandr Sokurow – beide kommen aus St. Petersburg – die ausländerfeindliche Gewalt verurteilen, dann sind das Einzelstimmen die von den Medien übergangen werden. Die kleinen russischen Antifa-Gruppen sehen sich vor diesem Hintergrund als einzige Kraft die praktisch etwas gegen Skinheads unternimmt. Inzwischen bilden sich nach Sova-Angaben auch Gruppen junger Kaukasier, welche Neonazis überfallen. Dies könnte die Ausländerfeindlichkeit weiter anheizen, heißt es in dem Bericht warnend.

Die Situation der russischen Antifaschisten ist wesentlich schwieriger als in Europa. Die wichtigste Aufgabe wäre es, der staatlich geduldeten Ausländerfeindlichkeit etwas entgegenzusetzen. Doch die Journalisten in den vom Staat kontrollierten Medien wagen es nicht oder sehen nicht die Notwendigkeit für Toleranz gegenüber Arbeitern und Studenten aus Asien, Afrika und Lateinamerika zu werben. Erschwerend kommt hinzu, dass die Ausländer selbst politisch nicht organisiert sind und keine Sprecher haben, die in den staatlichen Medien wahrgenommen werden.

Die russische Intelligenz, die sich traditionell als Avantgarde der Gesellschaft sieht, vertritt entweder nationalistische Positionen oder hat nicht den Mut, sich mit der latenten Ausländerfeindlichkeit in der Bevölkerung auseinanderzusetzen. Dort wo sich die russische Intelligenz trifft, in Buchhandlungen, auf Kunst-Events und privaten Feiern sucht man vergeblich nach Usbeken, Aserbaidschanern und Moldawiern. Die findet man höchstens in der Küche von Restaurants oder Catering-Firmen. Es gibt also noch nicht einmal menschliche Berührungspunkte zwischen Russen und Menschen aus den armen Ländern am Rande Russlands. In Sowjetzeiten gab es noch viele gemischte Ehen zwischen Russen und Nicht-Russen. Doch heute sind solche Verbindungen nicht besonders gut angesehen.

Vom Schweigen der Intelligenz profitiert die eng verwobene Szene von Ultranationalisten, Neonaziskinheads und Neonazis. Heute gibt es in Russland zahlreiche neonazistische Websites, es gibt Trainingslager außerhalb der Städte und es gibt ein Unterstützer-Umfeld, welches in die Moskauer Mittelschicht hineinreicht. Außerdem gibt es nach »Sova«-Angaben Kontakte zwischen Skinheads und der Armee. Einige Einberufungs-Ämter arbeiten nach Angaben der NGO mit Wehrsportlagern zusammen, die von Rechtsradikalen geführt werden.

Mord-Drohungen gegen Anti-Faschisten und Menschenrechtler sind an der Tagesordnung. Die Drohungen reichen bis in die jüngste Zeit. Unmittelbar nachdem Galina Koschewnikowa auf einer Pressekonferenz in Moskau den Bericht über rechtsradikale Gewalttaten im Jahre 2008 vorgestellt hatte, erhielt sie über das Internet eine anonyme Mord-Drohung. Sie zeige »übermäßige Aktivität« hieß es in dem Droh-Brief. Während sich Liberale, Menschenrechtler, Linke und Anarchisten mühsam auf erste gemeinsame Demonstrationen verständigen – Anlass war der Moskauer Doppelmord – versuchen die russischen Neonazis die sozialen Folgen der Finanzkrise für Massen-Aktionen zu nutzen. Wie der »Sova«-Bericht feststellt, versuchen die Rechtsradikalen gezielt Konflikte zwischen Russen und Gastarbeitern zu schüren. Als Vorbild dient den Zündlern die karelische Stadt Kondopoga, wo es im August 2006 – nach einer von Russen provozierten Schlägerei in einer Bar – zu einer Massenschlägerei zwischen Russen und Kaukasiern kam, bei der zwei Russen getötet wurden. Auf einer Kundgebung an der sich über 2.000 Menschen beteiligten wurde die Ausweisung aller Kaukasier und die Bildung einer Bürgerwehr gefordert. Die Tschetschenen, welche in Kondopoga traditionell stark als Händler vertreten sind, mussten die Stadt verlassen.

In den letzten Monaten durften selbsternannte Experten in den staatlich kontrollierten Medien vor Massen-Unruhen warnen, die angeblich kurz bevorstehen, angezettelt von arbeitslosen Gastarbeitern. Es gibt zwar hier und da Schlägereien zwischen Russen und ausländischen Arbeitern aber die gab es auch schon vor der Finanzkrise. Von Massen-Unruhen ist weit und breit nichts zu sehen.

Die ausländerfeindliche Stimmung wird von Kreml-nahen Jugendorganisationen wie »Die Lokalen« oder »Junge Garde« verstärkt. Sie demonstrierten bereits mit Parolen wie »Koffer, Bahnhof, nach Hause«, eine Aufforderung an alle Gastarbeiter aus Zentralasien und dem Kaukasus, Moskau möglichst schnell zu verlassen und die Arbeitsplätze für Russen frei zu machen. Doch selbst eingefleischte Nationalisten wissen im Grunde, dass sich für die 400 Euro-Knochenjobs auf dem Bau und in der Reinigungsbranche gar keine Russe findet, die Asiaten also unabkömmlich sind. Zehn Millionen Gastarbeiter leben zur Zeit in Russland, nur zwei Millionen von ihnen sind offiziell registriert.

Immerhin: Die russische Justiz arbeitet seit etwas zwei Jahren wesentlich aktiver an der Verfolgung rechtsextremer Gewalttaten. Bis dahin wurden Überfälle von Neonazi- und Skinhead-Gruppen von der Polizei als »Rowdytum« heruntergespielt. Doch die Gewalttaten sind inzwischen so brutal, dass die Justizorgane sich offenbar zum Handeln gezwungen sehen. So gab es letztes Jahr gleich drei spektakuläre Mord-Prozesse gegen Skinhead-Banden, unter anderem gegen die »Ryno-Bande«, die bei ihren nächtlichen Streifzügen durch die Stadt 21 Ausländer umgebracht hatte.

Auf der Pressekonferenz in Moskau lobte Galina Koschewnikowa ausdrücklich das neue Verhalten der Justizorgane. Laut Sova-Bericht gab es im letzten Jahr wegen rassistischer Gewalt insgesamt 33 Urteile mit 114 Verurteilten. 33 Personen wurden zu Gefängnisstrafen von zehn Jahren verteilt, vier Personen bekamen lebenslange Haftstrafen. Außerdem gab es 49 Urteile wegen »ausländerfeindlicher Propaganda«, wobei 22 Gefängnis- und 25 Bewährungsstrafen verhängt wurden. Für Russland sind diese Zahlen ein Novum, denn bisher gab es kaum Urteile wegen rechtsradikaler Delikte.

Ulrich Heyden lebt und arbeitet seit 1992 als Korrespondent in Moskau. Er arbeitet für die Sächsische Zeitung, den Rheinischen Merkur, den Freitag und andere deutschsprachige Medien.