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Einzeltäter in nationalsozialistischem Geist vereint

Antifa Bonn/Rhein-Sieg (Gastbeitrag)
Einleitung

Der Attentäter Frank Steffen, der Henriette Reker am Samstag den 17. Oktober 2015 einen Tag vor ihrer Wahl zur Oberbürgermeisterin von Köln mit einem gezielten Stich zum Hals töten wollte und weitere vier Personen verletzt hatte, ist ein bekannter Neonazi. In den 1990er Jahren hatte der damals in Bonn-Beuel wohnende Steffen enge Verbindungen zur Neonazi-Organisation „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP), die 1995 verboten wurde. Frank Steffen fuhr mindestens zweimal zusammen mit den Neonazikadern Christian M. und Ralph Tegethoff zu den streng konspirativ organisierten „Rudolf-Heß-Märschen“ in Fulda (1993) und Luxemburg (1994).1 Wer hier mit marschierte, gehörte zum harten Kern der europäischen NS-Szene.

  • 1Antifa-Jugendinfo (Bonn) vom Oktober 1994

Frank Steffen (2.v.l. mit schwarzem Hemd) und Norbert Weidner (2.v.r.) beim Neonaziaufmarsch zum Gedenken an Rudolf Heß 1993 in Fulda.

Das militante FAP Umfeld

Die FAP hatte in Bonn eine starke Kameradschaft, die — nach eigenen Angaben — 200 Personen organisiert hatte. Viele gewalttätige Aktionen in den 1990ern sind ihr und ihrem militanten Umfeld zuzuschreiben.  Der damalige Neonazi-Kader Norbert Weidner war Vorsitzender des „Gau Rhein-Sieg“ bzw. des FAP-Landesverbandes NRW. Er wurde mehrfach wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, zuletzt zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Als stellvertretender Landesvorsitzender der FAP fungierte Ralph Tegethoff. Bereits im Jahr 1983 wurde er mit anderen Neonazis bei Sprengversuchen mit einer Rohrbombe festgenommen, in seiner Wohnung wurden Waffen gefunden. Bundesvorsitzender der FAP war Friedhelm Busse. Bei dem früheren SS-Mann fand die Polizei 1963 ein Kilogramm Dynamit; er wurde später zu drei Monaten auf Bewährung wegen Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz verurteilt. 1981 war er in einen gescheiterten Bankraub in München verwickelt. Seine Wohnung war Ausgangsort für einen versuchten Banküberfall von fünf schwer bewaffneten Neonazis. Zwei von ihnen wurden durch die Münchner Polizei erschossen, die anderen festgenommen. Busse wurde u.a. wegen Begünstigung von Bankräubern und Verstoßes gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.

Generation Terror

Viele neonazisistische Täter der 1990er Jahre wurden juristisch kaum verfolgt und ihre Taten wurden durch die Justiz oft als Taten von „verrückten Einzeltätern“ verklärt und entpolitisiert. Dass zahlreiche Neonazis der 1990er Jahre heute immer noch politisch aktiv sind, zeigt zum Beispiel der heutige (Deko-)Waffenhändler Ralph Tegethoff, der Mitorganisator des jährlich stattfindenden Neonaziaufmarsches in Remagen ist und Mitglieder der inzwischen verbotenen Kameradschaft „Aktionsbüro Mittelrhein“ auf seinem Privatgelände trainierte und ausbildete. Der ehemalige FAP-Aktivist Norbert Weidner ist heute in der extrem rechten „Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn“ organisiert.

Frank Steffen wurde durch diese „Generation Terror“ der 1990er Jahre geprägt und sein Anschlag in Köln zeigt auf gewalttätige Weise, dass sein rassistisches Weltbild über die Jahre gleich geblieben ist. Steffen, der direkt nach seiner Tat festgenommen wurde, gab selber an, dass er die Tat aus fremdenfeindlichen Motiven begangen hatte. Während noch darüber spekuliert wurde, welches Motiv hinter der Tat steckte, wussten AntifaschistInnen bereits, welchen Geistes Kind er ist: Steffen stammt aus der organisierten und militanten Neonazi-Szene der 1990er Jahre. Wie die antifaschistische Zeitschrift „Lotta“ berichtete, wählte er sein Opfer gezielt aus: Er griff Henriette Reker, die Sozialdezernentin der Stadt Köln, als Repräsentantin einer in seinen Augen verfehlten und schädlichen Asylpolitik an. Und er verübte seine Tat zu einem Zeitpunkt, als er mit der größtmöglichen Aufmerksamkeit rechnen konnte: am Tag vor der Kommunalwahl, bei der Henriette Reker als Oberbürgermeisterin kandidierte. Medienberichten zufolge vernichtete er zuvor sämtliche Dokumente in seiner Wohnung und entsorgte seine Computer-Festplatten.

Einer der Aktivisten

Dass Frank Steffen kein kleines Licht innerhalb der Neonaziszene der 1990er Jahre war, beweist seine Teilnahme an den konspirativ organisierten Fahrten zu den „Rudolf-Heß-Märschen“ in Fulda und Luxemburg. Er hatte gemeinsam mit circa 40 weiteren Neonazis tausende Kilometer zurückgelegt, um den NS-Funktionär Rudolf Heß zu ehren. Laut der „Lotta“ hatte Steffen Kontakt zur 1992 verbotenen „Nationalistischen Front“ (NF). Dies geht aus einer internen Liste der Neonazi-Gruppe hervor, der sogenannten „NF-Liste“, deren Echtheit von ExpertInnen bestätigt wurde. Steffen wurde auf dieser Liste genannt, woraus aber nicht unmittelbar zu folgern ist, dass er auch NF-Mitglied war. Auch in der Haft scheint er von seinen „Kameraden“ nicht vergessen worden zu sein. In dem Neonazi-Fanzine „Schwarze Fahne“ findet sich in der Nummer 3/1998 ein Interview mit der RechtsRock-Band „Stahlgewitter“, zu deren Gründungsmitgliedern Daniel „Gigi“ Giese gehört. Giese ist auch Teil der Band „Gigi & die Braunen Stadtmusikanten“. Diese brachten 2010 einen Song heraus, in dem auf die Taten des NSU Bezug genommen wird und die Morde gefeiert werden. Am Ende des Interviews werden mehrere „inhaftierte Kameraden“ gegrüßt. Unter ihnen auch Steffen, der mit vollem Namen genannt wird. Die „Schwarze Fahne“ wurde vom NPD-Jugendverband Junge Nationaldemokraten NRW herausgegeben. In der Ausgabe 3/1998 wurde auch Melanie Dittmer als Redaktionsmitglied geführt. Dittmer stellte vor einigen Monaten Videos ins Internet, in denen sie mit anderen Neonazis den Kampf mit Messern und Stöcken trainierte.

Die Verbindung zwischen Steffen und der Band „Stahlgewitter“ dürfte über den Neonazi Frank Krämer, 1998 Gründungsmitglied der Band und aktives FAP Mitglied1 , zu erklären sein. Dieser beschrieb in einer Stellungnahme auf dem Neonazi-Online-Forum Altermedia Deutschland, dass Steffen zum harten Kern der FAP Bonn gehört haben soll. So habe er als damaliger Anhänger der FAP in Rhein-Sieg den späteren Attentäter  Steffen auf „Kameradschaftsabenden“ der FAP-Bonn getroffen.

Auf allen Augen blind

Nach dem Attentat auf Henriette Reker in Köln zeigte sich, dass es kaum ernsthaftes Interesse von Verfassungsschutz (VS) oder Polizei gab, den politischen Hintergrund der Tat genauer zu beleuchten. Am Tag des Attentats erklärte die Polizei, dass sie in alle Richtungen ermittle. Chef-Ermittler Wagner wörtlich: „Der­zeit haben wir keine Erkenntnisse, ob er in einer Partei oder Organisation aktiv ist. Auch keine polizeilichen Erkenntnisse in diese Richtung.“2 Erst zwei Tage nach dem Mordanschlag und nach der Veröffentlichung des Neonazi-Hintergrunds von Frank Steffen durch die Antifa Bonn/ Rhein-Sieg bestätigte der VS lediglich die bis dahin bereits bekannten Informationen. Das Aufklärungsinteresse ist möglicherweise auch deswegen eher gering, da einige FAP Aktivisten aus Steffens Zeit als Informanten für deutsche Geheimdienste gearbeitet hatten. So zum Beispiel auch sein FAP-Führer Norbert Weidner.

Egal wo einige der aktiven und organisierten Neonazis der 1990er Jahre mittlerweile gelandet sind, es ist davon auszugehen, dass in vielen Fällen ihr Denken auch heute nationalsozialistisch geprägt ist und ihr Handeln weiter bestimmt.

  • 1Veröffentlichung vom 2. November 2015 auf altermedia-deutschland.info: „Lügenpresse in Aktion. Dieses Mal die RheinSieg-Rundschau“
  • 2BILD online vom 16. Oktober 2015