Berlin: Wirksamer Protest gegen Neonazi-Demonstrationen
Im Vorfeld der Berliner Wahlen zu den Bezirksverordneten-Versammlungen (BVV) versuchten neonazistische Parteien mit Kundgebungen und Demonstrationen auf sich aufmerksam zu machen. Am 1. und 8. Mai 1992 konnten AntifaschistInnen ihre Aufmärsche verhindern.
1. Mai „chaotenfrei“ ?
Unter dem Motto „1.Mai - Chaotenfrei“ hat die FAP in diesem Jahr zu einer Demonstration am „Tag der nationalen Arbeit“ aufgerufen. Der angemeldete Treffpunkt war 15.00 Uhr am S-Bahnhof Ernst-Thälmann- Park in Berlin-Prenzlauer Berg. Innerhalb eines Tages lief die Gegenmobilisierung und - um es vorweg zu nehmen - sie endete mit einem vollen Erfolg.
Ab 13.00 Uhr trafen die Neonazis vereinzelt am S-Bahnhof ein. Einer der ersten war der FAP-Vorsitzende Friedhelm Busse, der zusammen mit Mirko T., einem der eher unauffälligen Berliner Neonazi-Aktivisten, zum Treffpunkt gekommen war. Mirko T. verdiente sich seine ersten Sporen bei den Hooligans des Ost-Berliner Fußballklubs „1. FC Union“ und kam nach der Maueröffnung über die „Junge Union“ zu den „Jungen Nationaldemokraten“ (JN). Mittlerweile scheint er auch innerhalb der Berliner FAP aktiv zu werden.
Obwohl die FAP die Demo organisiert hatte, war das gesamte Spektrum der Neonaziszene vertreten. Auch die sich sonst so von den militanten Neonazis abgrenzenden „nationalen Kräfte“ waren mindestens durch Peter Boche (REPs, „Die Nationalen“) und Mirko T. (JN) vertreten. Ebenfalls angerückt waren die Lichtenberger Funktionäre der „Nationalen Alternative“ um Ingo Hasselbach, Andre Riechert, Frank Lutz und Heiko Baumert. Der Weddinger Arnulf Priem vom "Asgard Bund" wurde noch vor dem vermeintlichen Beginn der Kundgebung von der Polizei verhaftet, weil sich in seinem Auto eine Pistole befunden hatte. Auch der Berliner FAP-Chef Lars Burmeister soll auf dem Weg zu Demonstration bewaffnet gewesen sein. Die Berliner FAP war u.a. mit ihren Aktivisten Christian L. und Jens B. vertreten. Aus Bonn war der FAP-Funktionär Norbert Weidner angereist. Um 14.30 Uhr sah es am Treffpunkt der antifaschistischen Gegendemo, dem Ernst-Thälmann-Denkmal, eher erschreckend aus. Die Neonazis hatten sich massiv um das Denkmal herum verteilt, um so durch ihre Anwesenheit abzuschrecken. Das gelang ihnen zum Glück nicht und das Bild änderte sich innerhalb weniger Minuten. Die Neonazis mussten sich enger um das Denkmal zusammenziehen - sofort war zu erkennen, das sie nur etwa 100 Personen waren. Einige von ihnen verdrückten sich schleunigst. Polizeibeamte bildete einen Schutzring um die Verbliebenen, um den herum sich die inzwischen ca. 300 AntifaschistInnen verteilten.
Die Gegendemonstranten wurden immer zahlreicher, was u.a. auf eine große Unterstützung durch die AnwohnerInnen zurückzuführen war. Die Aktion blieb nicht eine reine Sache der organisierten AntifaschistInnen. Es nahmen auch zahlreiche Personen u.a. aus der PDS und den Gewerkschaften daran teil . Ca. eine Stunde blieb es bei dieser Situation. Das am Vorabend abgesprochene Konzept wurde nun in die Tat umgesetzt. Zum einem wurden die Neonazis massiv blockiert, so das es ihnen unmöglich war, ihre geplante Demonstration in die Tat umzusetzen. Gleichzeitig war es durch die guten örtlichen Gegebenheiten für kleinere Gruppen immer wieder möglich, dicht an die Neonazis heranzukommen und diese mit Wurfgeschossen und Pyrotechnik zu attackieren. Abgerundet wurde das Ganze durch ständige Ansagen über Megaphon, das kein Wert auf eine Konfrontation mit der Polizei gelegt wird. Die mehrheitliche Befolgung dieser Abmachung ist als ein Erfolg zu werten. So zogen es die Neonazis vor, mit den eingesetzten Beamten einen gemeinsamen Rückzug zu planen. Trotz des Einsatzes von drei Wasserwerfern war es nicht möglich, die immer wieder anrückenden AntifaschistInnen abzuhalten und so unverletzt zum Bahnhof zu gelangen. Deswegen hielt die eingenommene Marschordnung auch nur 50 Meter und zum Schluß zogen es die Neonazis vor, eine Flucht ohne Sieg und Heil anzutreten. Am S- Bahnhof angekommen, wollten sie in die S-Bahn einsteigen; die wurde aber über die Gleise hinweg mit Steinen beworfen, so das sie doch wieder in den Schutz der Polizei zurückkehren wollten. Die verfrachtete die Neonazis dennoch in die S-Bahn hinein, wo sie sich auf den Boden schmissen.
Die AnwohnerInnen und vorbeikommende PassantInnen, waren den GegendemonstrantInnen allgemeinen gut gesonnen und verstanden die Unterschiede bei der Wahl der Mittel. Insofern neonazistische Kundgebungen erlaubt werden, gilt es mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu versuchen diese zu verhindern. Bisher ist es Neonazis nicht möglich, in Berlin angekündigte, öffentliche Auftritte durchzuführen. Besonders in Vorbereitung auf die Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung werden sie das eventuell noch öfter probieren. In der Berichterstattung der Medien, schoß diesmal nicht die Springer-Presse den Vogel ab, sondern „die tageszeitung“ (taz). Während das Gros der Presse berichtete, das AntifaschistInnen einen Aufmarsch der neonazistischen FAP verhindert haben, bot sie - entgegen der Linie Neonazis zu ignorieren und sie somit nicht aufzuwerten - dem FAP-Vorsitzenden eine Möglichkeit, seinen Standpunkt an die Öffentlichkeit zu tragen. Dazu ein Foto aus den wenigen Minuten, in denen die Neonazipartei ungestört in Positur am Denkmal stehen konnten.
Kundgebung der »Die Nationalen« verhindert
Zehntausend hatten sich zur Demonstration am 9. Mai zu dem Kapitulationsmuseum in Berlin-Karlshorst eingefunden. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis Ost- und Westberliner Gruppen. Mit der erfolgreichen Mobilisierung konnte eine Kundgebung der Gruppe »Die Nationalen« verhindert werden. In der Villa in Karlshorst, in der die Rote Armee später das Kapitulationsmuseum einrichtete, wurde die Wehrmachtsführung am 8. Mai 1945 gezwungen, die Urkunde ihrer Niederlage zu unterschreiben. An dieser Stelle meldeten die »Die Nationalen« - hinter diesem Namen verbirgt sich im Wesentlichen die »Deutsche Liga für Volk und Heimat« - ihre Kundgebung an. Hauptredner sollte der Geschichtsrevisionist David Irving sein. Mit der Provokation an diesem geschichtsträchtigen Ort wollten sich die »Die Nationalen« zugleich einen Namen kurz vor den Bezirkswahlen machen. Erst drei Tage vor der geplanten Durchführung konnte sich der Innensenat aufgrund des massiven Drucks durch die Öffentlichkeit zu einem Verbot der »Die Nationalen«-Kundgebung durchringen. Das Gericht bestätigte dies und ließ zugleich die Gegendemonstration des antifaschistischen Bündnisses zu.
Noch bis zum Vorabend des 9. Mai war es unklar, ob die »Nationalen« nicht mit einer einstweiligen Anordnung vor Gericht erfolgreich sein würden (wie es in ähnlich gelagerten Fällen durchaus üblich ist). Doch die antifaschistische Mobilisierung war mittlerweile so in die Breite gegangen, das mit etlichen Tausend TeilnehmerInnen zu rechnen war. Zugleich war klar, das eine antifaschistische Demonstration auch trotz Verbot stattfinden sollte. In dem Bündnis hatte sich eine breite Palette von politischen Gruppen und Gewerkschaften zusammen gefunden, darunter unabhängigen Antifa-Gruppen, PDS, Jusos, GEW, HBV und der DGB-Landesbezirk Berlin-Brandenburg. Zahlenmäßig überwogen unter den KundgebungsteilnehmerInnen die junge (vor allem aus Westberlin) und die ganz alte Generation aus dem Osten Berlins; letztere fühlte sich, wahrscheinlich aufgrund ihrer persönlichen Erlebnisse in der Nazi-Zeit, nochmal besonders von den Neonazis provoziert und bedroht.
Bedauerlich ist, wie „Bündnis 90“ und „Neues Forum“ mit dem verstärktem Auftreten von Neonazis umgehen: Aus Angst vor Auseinandersetzungen lehnten sie eine Teilnahme ab. Das Hin und Her um das Verbot der beiden Kundgebungen hat den »Die Nationalen« sicherlich eine Menge Öffentlichkeit gebracht und ihren Namen in Berlin vor den Wahlen bekannt gemacht. Dennoch halten wir es für unumgänglich, auf solche Provokationen mit einer breiten Mobilisierung zu antworten. Eine vor dem Kapitulationsmuseum durchgeführte Neonazi-Kundgebung hätte Maßstäbe für folgende Veranstaltungen dieser Art gesetzt. Die organisierten Neonazis wissen, welchen Durchbruch es für sie bedeutet, wenn ihre Geschichtslügen öffentlich »diskutiert« werden. Dies ist für sie ein wichtiger Schritt zur Rehabilitierung der NS-Ideologie und letztendlich zur erträumten Wiederzulassung der NSDAP.
Leuten wie Irving, der sich als Geschichtswissenschaftler ausgibt, sollte die Maske heruntergerissen werden und sie als das behandelt werden, was sie sind: als Neonazis. Es muss Ende ein Ende haben, das er in allen möglichen Ländern große Verlagshäuser findet, die seine Bücher veröffentlichen. Damit hat er aufgrund der Arbeit von AntifaschistInnen im In- und Ausland zunehmend Schwierigkeiten. Die antifaschistische Mobilisierung zum 9. Mai war ein Erfolg. Seit längerer Zeit wieder beteiligte sich ein breites Spektrum auch traditioneller Organisationen, das dann auch noch ein Verbot der Neonazi-Veranstaltung durchsetzen konnte. Zu hoffen ist, das damit in Berlin auch wieder die Bereitschaft zu gemeinsamen antifaschistischen Aktivitäten gewachsen ist.