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Hannibal & Co: Mangelnder Aufklärungswillen?

Jan Jirát
Einleitung

Im November 2018 deckten die «taz» und der «Focus» praktisch zeitgleich ein Schattennetzwerk aus Bundeswehrsoldaten, Polizisten und Behördenmitarbeitern auf, das sich auf einen sogenannten Tag X vorbereitet. Einen Tag X, an dem die öffentliche Ordnung aufgrund einer extremen Krise zusammenbrechen würde. Die zentrale Figur innerhalb dieser Schattenarmee heisst André S.: ein ehemaliger Elitesoldat des KSK (Kommando Spezialkräfte) der Bundeswehr mit Decknamen Hannibal. André S. war der Administrator mehrerer (mittlerweile gelöschter) Chatgruppen, in denen sich das Netzwerk austauschte und organisierte. Auch Franco A. war in einem dieser Chats aktiv, der Bundeswehrsoldat, der als syrischer Flüchtling getarnt Attentate vorbereitet haben soll.

Bild: Screenshot YouTube/Uniter Network, 23.04.2019

Szene aus dem Online-Werbefilm "Mythos Wolf" von Uniter Network bei YouTube.

Aus dem Umfeld dieser Chats stammen auch zwei Männer aus Norddeutschland, denen die Generalbundesanwaltschaft vorwirft, sie hätten geplant, PolitikerInnen und AktivistInnen aus dem linken Spektrum zu töten. Hannibal war bis vor kurzem auch der Chef des Vereins Uniter. Dieser wurde einst gegründet, um Spezialkräfte nach deren Heimkehr aus geheimen Einsätzen zu unterstützen und zu vernetzen. Dabei hat sich Uniter in den letzten Jahren von einem Vernetzungsprojekt für ausgediente Elitesoldaten hin zu einem angeblich gemeinnützigen Verein, der allen offensteht, entwickelt. Entsprechend ist der Verein gewachsen.

Und wie die «taz» recherchierte, werde bei Uniter derzeit auch daran gearbeitet, Zivilisten kampftüchtig zu machen, ja, sogar eine eigene Kampfeinheit aufzubauen – Uniter nenne diese Einheit «Defense Corp». Es geht beim «Hannibal-Komplex» also sehr konkret um die Gefahr von rechtem Terror. Es geht um einen Verein, der eine Kampfeinheit aufbaut, um sich für einen herbeifantasierten Tag X zu wappnen. Und es geht um Männer, die auf Grund ihrer Erfahrungen beim Bund oder der Polizei genau wissen, was sie tun.

Eigentlich müssten nach den vielen Recherchen zum Komplex, auch in Österreich («Standard») sowie in der Schweiz (WOZ und NZZ), sämtliche Alarmglocken schrillen bei der Politik, der Justiz und bei den Sicherheitsbehörden. Während diverse PolitikerInnen immerhin Anfragen stellen und die Generalbundesanwaltschaft in den drei erwähnten Fällen von geplanten Attentaten ermittelt, scheint bei den Sicherheitsbehörden jeglicher Aufklärungswillen zu fehlen. Insbesondere das Bundesamt für Verfassungsschutz  hüllt sich in Schweigen, Uniter sei nun mal kein Beobachtungsstand, heißt es.

Es besteht Hoffnung, dass Bewegung in die Aufklärung kommt. Mitte März 2019 enthüllte die «taz», dass ein Mitarbeiter des Landesverfassungsschutzes Baden-Württemberg bis Anfang 2017 Vorstandsmitglied von Uniter war. Er hat den Verein sogar mitgegründet. Unmittelbar bevor Franco A. festgenommen wurde, stieg er wieder aus. Der Verfassungsschutzmitarbeiter war früher in derselben Bereitschaftspolizei tätig, wie Michèle Kiesewetter, das zehnte und einzige nicht-migrantische Todesopfer des NSU. Wie die «taz» festhält, besteht nach bisherigen Kenntnissen aber keine Verbindung zwischen Hannibals Schattennetzwerk und den NSU-Tätern.

Fakt ist jedenfalls: Der Landesverfassungsschutz aus Baden-Württemberg dürfte angesichts der neuesten Recherche zum «Hannibal-Komplex» sehr viel mehr wissen, als er bisher zugab.

Noch sind (zu) viele, relevante Fragen offen: Welche Rolle spielte Franco A. innerhalb des Schattennetzwerkes? Wie konkret waren die Planungen und ergriffenen Massnahmen bezüglich Tag X? In welchem Zusammenhang steht das große Wachstum des Vereins? Geht es darum, möglichst viel Geld zu machen? Oder um genug Masse für Tag X?