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Hitlergruß vor dem Kreml

Ulrich Heyden (Moskau)
Einleitung

Russische Neonazis zwischen Gewalt, Repression und Duma-Wahlen

Nach dem Tod eines russischen Fußball-Fans organisierte die rechtsradikale Szene in Moskau rassistische Krawalle und fordert nun einen legalen Status, um an den Duma-Wahlen teilnehmen zu können.

Foto: flickr.com; valya v; Valya Egorshin/CC BY-NC-SA 2.0

Russische Neonazis am 1. Mai 2000 in Moskau.

Nach dem Tod eines russischen Fußball-Fans gelang den russischen Rechtsradikalen mit rassistischen Massen-unruhen ein erstaunlicher Erfolg, der die liberale und linke Öffentlichkeit der Stadt über Wochen in eine Art Schockstarre versetzte.

Am 6. Dezember 2010 war der Spartak-Fan Jegor Swiridow bei einer Schlägerei mit einer Druckluftpistole von dem Kaukasier Aslan T. getötet worden. Swiridow soll dem rechten Fan-Club »Union« angehört haben. Nach dem Tod organisierten Fußball-Fans und Rechtsradikale zwei Wochen lang rassistische Unruhen auf zentralen Plätzen der Stadt. Ihre Forderung: Die Polizei müsse an der Schlägerei beteiligte Kaukasier, die von der Polizei freigelassen wurden, wieder einfangen. Der Schütze erklärte, er habe aus Notwehr gehandelt. Außerdem ist wichtig zu wissen, dass T. seit dem Tod von Swiridow ununterbrochen in Haft sitzt. Doch das ging in der von Fußball-Fans und Rechtsradikalen angezettelten Hysterie völlig unter. 

Am 8. Dezember besetzten 1.000 Fußball-Fans eine Hauptverkehrsstraße. Drei Tage später versammelten sich 7.000 Fußball-Fans und Rechtsradikale auf dem Manege-Platz, direkt vor dem Kreml. Sie brüllten »Russland den Russen«, »Moskau den Moskauern« und »Nieder mit der jüdischen Macht«. Hunderte reckten den Arm zum Hitler-Gruß. Als die Demonstranten dann Jagd auf kaukasische Jugendliche machten, die sich unter Autos flüchteten, begann die Polizei-Sondereinheit Omon den Platz zu räumen. Die Demonstranten bewarfen die Polizisten mit Absperrgittern und Flaschen. 65 Personen wurden festgenommen. Alle Festgenommenen wurden später ohne Androhung von weiteren Strafen freigelassen. 32 Menschen wurden bei den Auseinandersetzungen verletzt, darunter fünf Polizisten. Unter den Demonstranten auf dem Manege-Platz waren auch bekannte Rechtsradikale wie Dmitri Demuschkin, Führer der im April 2010 verbotenen »Slawischen Union« und  Wladimir Tor, Leiter der Organisation »Russische Ordnung« sowie führendes Mitglied der »Bewegung gegen illegale Immigration« (DPNI).

Die demokratische Öffentlichkeit brauchte zwei Wochen, um auf die Machtdemonstration der Rechtsradikalen direkt vor dem Kreml zu reagieren. Am 26. Dezember organisierte der Satiriker Viktor Schenderowitsch, der ein bekannter Vertreter der liberalen Szene Moskaus ist, eine Gegenkundgebung auf dem Puschkin-Platz mit 2.500 Teilnehmern. Das Motto der Kundgebung: »Moskau für alle«. Der jungen Moskauer Antifa-Szene war das zu wenig. Sie rief für den 19. Januar zu einer eigenen Aktion auf. 1.000 Personen beteiligten sich an einer Gedenkdemonstration zum Jahrestag des Doppelmordes an dem linken Rechtsanwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasija Baburowa.  Die Teilnehmer riefen »Faschisten morden, der Staat schweigt.«

Maskierte verhandeln mit der Polizei

Dass es den Fußball-Fans und Rechtsradikalen am 11. Dezember überhaupt gelungen war, sich auf dem Manege-Platz, direkt vor dem Kreml zu versammeln, ist höchst ungewöhnlich und wirft Fragen auf. Wollte da jemand im Kreml den russischen Präsidenten Dmitri Medwedew in Bedrängnis bringen? Denn Liberalen und Linken, die in den letzten Jahren in der Moskauer Innenstadt demonstrieren wollten, wurden ja fast alle Kundgebungen verweigert. Möglicherweise hatte die Stadtverwaltung auch beschlossen, den Fußball-Fans die Möglichkeit zu geben, im Stadtzentrum »Dampf abzulassen«, in der Hoffnung, dass danach Ruhe einkehrt. Doch falls es einen solchen Plan gab, ging er gründlich daneben. Unter laufenden Fernsehkameras verhandelte ein mit einer Ski-Maske vermummter Rechtsradikaler mitten auf dem Manege-Platz mit dem Leiter der Moskauer Innenbehörde, Wladimir Kolokolzew. In forderndem Ton erklärte der Vermummte: »Wer aus ihrer Führung ist verantwortlich für den Mord? (an dem Fußball-Fan Swiridow, Anm. d. Autors) Wir wollen, dass er hier erscheint.« Der Leiter der Innenbehörde beschwichtigte. Man tue alles, damit die »Teilnehmer dieser ungesetzlichen Handlung (Tod von Swiridow, Anm. d. Autors) zur Verantwortung gezogen werden.«

Medwedew ergreift das Wort

Der Erfolg der Rechtsradikalen auf dem Manege-Platz zwang den Kreml zu einer öffentlichen Reaktion. Am Tag nach der Randale erklärte Dmitri Medwedew, wer Ausländerfeindlichkeit und »religiösen Hass« schüre, bedrohe »die Stabilität des Staates«. Das Innenministerium und die Staatsanwaltschaft müssten die Ereignisse auf dem Manege-Platz als »Verbrechen« qualifizieren. Medwedew forderte die Justizorgane auf, alle gesetzlichen Mittel einzusetzen. »Unruhe auf den Straßen und öffentlichen Plätzen darf es nicht geben. Kümmern sie sich darum.« Auch Innenminister Nurgalijew meldete sich in einer Fernsehansprache zu Wort. Der Minister verlor kein Wort über Rechtsradikale, behauptete aber, »linksextreme Jugendliche« hätten sich auf dem Manege-Platz unter die Demonstranten gemischt. Beweise für diese Behauptung gab es natürlich nicht.

Am 15. Dezember 2010 wollten Rechtsradikale und Fußball-Fans ihren Erfolg vom Manege-Platz wiederholen. Sie hatten zu einer Protestkundgebung am Kiewer Bahnhof in Moskau aufgerufen. Doch die Polizei verhinderte den Aufmarsch. In ganz Moskau wurden an diesem Tag insgesamt 1.300 Personen festgenommen, darunter sehr viele 16jährige. Nach einer in ganz Russland durchgeführten Umfrage des Lewada-Meinungsforschungsinstituts waren die Sympathien für die rassistischen Krawalle unter Jugendlichen besonders hoch. Von den Personen unter 34 Jahren sympathisierten immerhin 24 Prozent der Befragten mit den Krawallen. Elf Prozent aller Befragten wollten nicht ausschließen, selbst an einer Aktion gegen Gastarbeiter teilzunehmen, aber immerhin 79 Prozent der Befragten schlossen das für sich kategorisch aus.

Nächstes Ziel: Duma-Wahlen

Die russischen Sicherheitsbehörden haben den Druck auf die rechtsradikale Szene in den letzten Jahren erheblich verstärkt. Zahlreiche Skinhead-Gruppen wurden wegen rassistischer Morde vor Gericht gestellt. Vor einem Moskauer Stadtgericht begann Anfang März ein Verbotsverfahren gegen die »Bewegung gegen illegale Migration« (DPNI). DPNI-Gründer Aleksandr Below vermutet, dass die Staatsanwaltschaft mit dem Verbotsverfahren die Gründung einer rechten Partei verhindern will, die zu den Duma-Wahlen im Dezember 2011 kandidieren könnte.  Schon während der Unruhen im Dezember 2010 forderten mehrere rechtsradikale Organisationen, wie die DPNI, »Russische Art«, »Russische Gesamtnationale Union«, »Russische imperiale Bewegung« und »Nationalsozialistische Initiative« in einer gemeinsamen Erklärung die »Repression« gegen russische Nationalisten zu beenden. Wenn die russischen Nationalisten nicht in das politische Leben miteinbezogen würden, könne es zu einem »Partisanenkrieg« kommen, drohten die Unterzeichner.

Völlig an den Haaren herbeigezogen ist diese Drohung nicht. In den letzten Jahren hat die Zahl rechtsradikaler Terroranschläge auf Polizei-Stationen, Märkte und Eisenbahn-Linien zugenommen. Und im Juni 2010 wurde in den Wäldern um den Fernost-Bezirk Primorje mit Polizeieinheiten und Hubschraubern eine Gruppe von Jugendlichen gejagt, die bei Überfällen einen Polizisten getötet und drei weitere verletzt haben sollen. Zwei der Jugendlichen sollen außerdem rassistische Gewalttaten verübt haben. Obwohl es dafür bisher keine stichhaltigen Beweise gibt, wurden die »Partisanen von Primorje«, wie sie in der Öffentlichkeit – zum Teil mit heimlicher Anerkennung – genannt werden, von den Rechtsradikalen bereits in den Helden-Pantheon aufgenommen.