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Islam + Faschismus. Die Orientierungslosigkeit der unabhängigen Linken

Abu Uli, Kairo
Foto: SOZIAL [►] FOTOGRAFIE/CC BY-NC-ND 2.0

Selten ist die unabhängige Linke so lange orientierungslos gewesen wie seit dem Auftreten radikalislamischer politischer Gruppen. In verschiedenen Regionen des Nahen und Mittleren Ostens seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts radikalisiert und internationalisiert, mit ihren Vorläufern in Algerien, Tunesien, Ägypten und dem fruchtbaren Halbmond schon bedeutend länger aktiv, begann sich die Linke in Deutschland erst nach den Anschlägen des 11. September über den politischen Islam ernsthaft Gedanken zu machen. Es wurden sich Fragen nach Herkunft und Ziel der Akteure unter dem zentralen Aspekt der Sicherheit Israels gestellt. Insbesondere in Deutschland wurde das bis dahin vernachlässigte Feld aus der Perspektive der nationalsozialistischen Vergangenheit, dem Ende der Sowjetunion und dem Erstarken rassistischer und neofaschistischer Bewegungen erschlossen.

Zunächst wurde beispielsweise von Matthias Küntzel die Idee des radikalen Islams als eine Art Wiedergänger des Nationalsozialismus nahegelegt.1 Es wurde eine Diskussion vorangetrieben, die die ideologische Nähe des politischen Islam zum Nationalsozialismus über „suggestive Analogieschlüsse“2 behauptete. Dazu wurde der Untersuchungsgegenstand aus der Peripherie ins Zentrum gerückt, aus seinem geschichtlichen Zusammenhang gelöst und zum Zweck der Untersuchung an europäische Theorien und ihre Debatten angekettet. Allerdings wurde darauf verzichtet, Zusammenhänge zu untersuchen. Vorgegangen wurde weitgehend ohne kulturelle und sprachliche Kenntnisse, ohne die Reflexion innerarabischer politischer Debatten — sowohl historischer als auch aktueller. Dieses Verfahren ist so effizient wie simpel. Es galt Beweise zu finden, dass der politische Islam und seine politischen Organisationen seit ihrer Entstehung eine im Kern antisemitische Agenda verfolgen. Der Entstehung der ägyptischen Muslimbrüder und dem Antisemitismus des Mufti von Jerusalem wurden rückwirkend zentrale Prominenz zugesprochen, während der koloniale Befreiungskampf und die Bedingungen der neuen Staaten in einer von der Systemauseinandersetzung dominierten Realität keine Rolle mehr spielten.

Die Wiederauferstehungsthese des Nationalsozialismus erwies sich als leicht einzureißen. Zu groß war die Diskrepanz zur Realität — sind die Entstehung und Genese des politischen Islams, also auch der Muslimbruderschaft, doch im Antikolonialismus verankert. Außerdem ließ sich dieser These nur allzu leicht eine Verharmlosung des Nationalsozialismus attestieren. „Führerkult“, „Märtyrerideologie“, und „antisemitische Massenbewegung“ sind zuallererst Kennzeichen des deutschen Nationalsozialismus. Es sind die Deutschen, die für die Shoa verantwortlich sind und nicht Ägypter, Syrer oder Iraker. Weder der Mufti von Jerusalem noch die Muslimbrüder konnten mit antisemitischer Propaganda eine Massenbasis gewinnen. Dennoch wird unbeirrt an der Vorstellung eines politisch organisierten islamischen Antisemitismus festgehalten.

Dass der politische Islam als eine Spielart des Faschismus identifiziert wird, der insbesondere in den durch den Kapitalismus erodierenden Gesellschaften des Nahen und Mittleren Osten in Erscheinung tritt, ist relativ neu. Das Ziel des politischen Islams sei jetzt nicht mehr nur die Islamisierung der Gesellschaften, sondern auch die islamfaschistische Organisation der Gesellschaft in Volk und (religiöse) Führer. Das einzige Land, dem dieses Projekt zumindest ideologisch halbwegs erfolgreich bescheinigt werden kann, ist der Iran — ohne hier auf die besonderen Bedingungen des schiitischen Islams einzugehen. Alle sunnitischen Projekte dagegen sind bisher am Widerstand der Bevölkerung gescheitert. Trotzdem wird zusammengesucht, was als Ideologie den politischen Islam zwischen Marokko und den Philippinen zum Faschismus macht.

Warum diese Ideologiedebatte? Es geht um eine populistische Orientierung. Die kapitalistischen Verwerfungen der Gesellschaften im Nahen und Mittleren Osten sollen verständlich werden, ohne die nach den jüngsten Revolutionen noch einmal sich verschärfenden realpolitischen Bedingungen erklären zu müssen. Begriffe wie Islam-Faschismus sind Kampfbegriffe für komplexe politische Auseinandersetzungen in der Peripherie des Kapitalismus, auch wenn sie sinnentleert sind. Sie verschaffen der Angst und dem Schrecken des staunenden Publikums scheinbar moralische Integrität, bieten scheinbare Orientierung in dem neuen globalisierten Blickfeld. Überall, auch im Westen, finden sich islamische politische Organisationen, denn die Grenzen zwischen Kolonisator_innen und Kolonisierten sind vom Kapitalismus selbst eingerissen.

Mit der Angst arbeiten auch radikale islamische Gruppen propagandistisch im Internet. Sind diese deshalb islam-faschistisch? Wohl kaum — auch wenn es gerne so gesehen würde. Religionen sind ideologische Steinbrüche, aus denen sich jede politische Ideologie zurechtzimmern lässt — auch und jederzeit einen Islam-Faschismus. Ein dezidierter Islam-Faschismus ist jedoch weder historisch noch aktuell in Staaten wirksam geworden und wird es vermutlich niemals sein können. Dabei dürfte völlig klar sein, dass der politische Islam kein emanzipatorisches Projekt ist. Im Gegenteil. Aber es werden Diskussionen fernab politischer Realitäten geführt. Selbstverständlich lässt sich aus dem Katalog faschistischer und faschistoider Charakteristika das erwünschte Ergebnis auch nachweisen oder um Moshe Zuckermann zu zitieren: „Der islamistische Fundamentalismus hat mit Faschismus, betrachtet man die Analysen des Faschismus, die in den 60er Jahren geleistet wurden, gar nichts zu tun. Wenn wir unter Faschismus verstehen, was sich in einer bestimmten Epoche in Italien, Ungarn, Spanien, später dann als Nationalsozialismus in Deutschland in einer radikalisierten Sonderform formierte, so stellt dies etwas ganz anderes als die Bewegungen des radikalisierten Islam dar. (...) Man muss schon den Begriff des Faschismus inhaltlich entleeren, um oberflächliche Ähnlichkeiten ausmachen zu können.“3 Dieses Plädoyer für einen engen Faschismusbegriff, der sich nicht so einfach polemisch verwenden lässt, ist sinnvoll und Zuckermanns Hinweis: „Natürlich greifen auch einige europäische Linke das gerne auf, denn was wäre gerade für Linke attraktiver, (als) einen Kampf gegen den ,Faschis­mus‘ führen zu können“4 , beschreibt den Charakter der Begriffsverwendung treffend. Seine Bemerkung: „Die Tatsache, dass ihn Bush verwendet, ist im übrigen Grund genug, ihn nicht zu verwenden.“4 legt klar, auf welchem Territorium diese Diskussion stattfindet. Dass sich die unabhängige Linke daran beteiligt, ist erstaunlich. Der Artikel ‚Islamischer Faschismus?‘ von Volker Weiß ist sich dieses problematischen Begriffs zwar bewusst, verwendet ihn aber dennoch.

Doch es entstehen Nebeneffekte. Es werden, gewollt oder ungewollt, militärische Interventionen des Westens gerechtfertigt. Denn wenn die aufgeklärte westliche Zivilisation zwar durch religiös begründete —aber faschistische Organisationen bedroht ist, ist Handeln die Maxime der Stunde. Dabei ist es offensichtlich, dass solche Handlungen erzwingende Diskussionen weit zurück in die Bilderwelt der ersten Kolonisator_innen führen, die sogenannte „Wilde“ entdeckten und deren Christianisierung als moralische Rechtfertigung zur totalen Unterwerfung, Vernichtung und Ausplünderung vorsahen. Muslime und Islam galten spätestens seit Errichtung britischer und französischer Kolonialreiche als eine minderwertige Zivilisation, die es im besten Fall zu erziehen, im schlechtesten zu beseitigen galt. Dies ist die ideologische Begleitmusik militärischer Unterwerfung. Verbunden ist sie in Deutschland mit dem Traum seiner politischen und ökonomischen Elite, von einer europäischen zu einer globalen militärischen Großmacht aufzusteigen.

Dass der kurdische Widerstand in Kobanê auf Vergleiche mit dem Spanischen Bürgerkrieg und dem Kampf gegen den Faschismus zurückgreift, hat viel mit politischer Mobilisierung und wenig mit Analyse zu tun. Kämpft der kurdische Widerstand doch sehr allein gelassen schlicht ums Überleben. Stichworte, die ein bisschen Vertrautes den irritierten Westlern in die Hand geben, sind dabei sehr notwendig, um Unterstützung zu bekommen. Dass sie damit zu Debatten beitragen, die in Form und Inhalt an die Kolonialdebatten des 19. Jahrhunderts erinnern, ist mit Sicherheit ungewollt. In diesen äußerst populären Debatten erschließen sich linke Intellektuelle eine Zuhörerschaft, die bis weit ins bürgerliche Spektrum hineinreicht.

Aber eigentlich sollte vor einer Diskussion eines wie auch immer erdachten Islam-Faschismus die Auseinandersetzung mit den realen politischen Bedingungen und Abhängigkeiten in den Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens geführt werden. Eine Vernetzung mit linken politischen Gruppen vor Ort wäre dazu eine Notwendigkeit. Das jedoch scheint zu mühsam zu sein.