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Kampfsport & Solidarität

„Thirtysix Fights“ (Gastbeitrag)
Einleitung

Neonazistische Kampfsport-Events entwickeln sich stetig zu einem wirtschaftlich ertragreichen und hoch-ideologisierten Werkzeug der Szene. Dass Kampfsport aber auch genutzt werden kann, um diskriminierungsfreie Räume zu schaffen, beweisen die unzähligen Turniere und Sparringstreffen die seit einigen Jahren zum festen Bestandteil linker Kultur geworden sind.

Wie hier im Bild 2019, wird auch die Gala am 11. April 2020 im Berliner Club SO36 stattfinden.

Es ist nichts Neues, dass das Interesse an den verschiedenen Kampfarten innerhalb der Linken steigt. Nahmen noch vor rund fünfzehn Jahren nur vereinzelt linke Sportler_innen an unpolitischen Turnieren teil, kann heute auf ein breites Angebot eigener Veranstaltungen geblickt werden. Bekannt sind Turniere in Spanien und Griechenland, die Events der „Freedom Fighters“ in Polen oder das „Upright Tournament“ in Tschechien. Workshop-Wochenenden, Sparringstreffen und Galas finden letztlich auch regelmäßig in Deutschland mit bis zu 30 Kämpfen und mehreren hundert Zuschauer_innen statt. Eine dieser Veranstaltungen fand Anfang des Jahres 2019 erstmalig unter dem Motto „Thirtysix Fights – United for Rojava“ in Berlin Kreuzberg statt.

Das Interesse nutzen

Das Ziel der im Februar stattfindenden Ver­anstaltung sollte es sein, dass stetig wachsende Interesse an Kampfsport mit der Vermittlung von politischen Themen zu verbinden, so verschiedenste Menschen anzusprechen und einen Austausch zu fördern. Konkret sollte mit den Einnahmen der Gala die einzige Prothesenwerkstatt in Rojava und dem Norden Syrien unterstützt werden, wo die Prothesen für die Zivilbevölkerung und die Kämpfer_innen von YPG/YPJ sowie der anderen demokratischen Kräfte, die im Bürgerkrieg schwer verletzt worden sind, hergestellt werden. Dank regen Interesses von Seiten der Vereine, Gruppen und Zuschauer_innen aus ganz Europa, konnten wir Kampfsport und Solidarität an diesem Tag erfolgreich vereinen und schließlich der Prothesen-Werkstatt in Nordsyrien eine Spende von fast 9.000 Euro überreichen.

Auch 2020 werden wir mit „Thirtysix Fights“ wieder eine Kampf­sport-Gala in Berlin-Kreuzberg organisieren. Vor allem jetzt, wo das türkische Militär unter dem Zuschauen der westlichen Regierungen abermals kurdische Gebiete in Nordsyrien angreift und dabei einen emanzipatorischen Gesellschaftsentwurf zu zerstören versucht, ist es uns wichtig, uns solidarisch zu zeigen. Da Krieg in der Konsequenz Flucht und Vertreibung heißt und Tausende in Notlagen bringt, wird unsere Gala am 11. April im Club SO36 in Solidarität mit den Menschen im Camp Mexmûr stehen.

Der Zufluchtsort im Norden Iraks besteht seit 1998 und wird von über 12.000 Menschen, hauptsächlich Kurd_innen, bewohnt, wobei Selbstorganisierung eines der zentralen Elemente des Lebens ist. Wo am Anfang Wüste war, entstanden über die Jahre Krankenhäuser, Schulen, Frauenakademien und Jugendhäuser. Militärische Angriffe der türkischen Armee, deren Verbündeter und des IS prägten die Lebenssituation im Camp in den letzten Jahren. Nur die Guerilla in den nahen Bergen erwies sich als verlässliche Unterstützung, um etwa den IS aus Camp Mexmûr zu vertreiben. Im Moment ist das Camp zudem von einem Embargo betroffen, durchgesetzt von den Kräften der „Kurdischen Demokratischen Partei“ (KDP) und dem türkischen Geheimdienst MIT.

In der Annahme, dass dieses Embargo auch die medizinische Grundversorgung im Camp beeinträchtigt, werden wir die Einnahmen aus unserer Gala im April 2020 für die Unterstützung dieser im Camp Mexmûr spenden. Dazu werden wir, wie bei der Veranstaltung 2019, den Tag gemeinsam mit Vertreter_innen aus kurdischen Solidaritätsprojekten und Organisationen mit Inhalt füllen, damit sich alle Teilnehmenden ein Bild vom Camp im Norden des Iraks machen können.

Es kann sich in den Disziplinen Muay Thai, K1 und klassisches Boxen angemeldet werden. Vom Leistungsniveau sind alle Klassen willkommen. Es soll sowohl Raum für erfahrene Kämpfer_innen als auch für Leute, die zum ersten Mal im Ring stehen, geben. Vereinendes Element ist der gegenseitige Respekt. Es steht nicht im Vordergrund, wie schwer ein Kämpfer oder eine Kämpferin sein_ihr Gegenüber verletzen kann. In Erinnerung bleiben eher die Kämpfer_innen, die durch Technik überzeugen können. „Fighting the good fight“ im direkten und übertragbaren Sinne - diskriminierungsfrei, solidarisch, fair und respektvoll.

Der Unterschied zwischen Sport und Gewalt

Wenn du in den Ring gehst, um dich mit deinem Gegenüber zu messen, dann machst du das aus freien Stücken. Du machst das, weil du Spaß an den unterschiedlichen Techniken hast, die dir nützen, um nach entsprechendem Regelwerk am Ende eventuell als Sieger oder Siegerin hervor zu gehen. Dabei entscheidest du, wie weit du gehen willst und vor allem entscheidest allein du, wann du genug hast. Du kannst jederzeit das Handtuch werfen und den Kampf abbrechen. Im Gegensatz zur Gewalt auf der Straße. Gewalt suchst du dir im Normalfall nicht aus, ihr kannst du dich oftmals nicht entziehen und sie macht auch keinen Spaß. Das ist der Unterschied zwischen Sport und Gewalt, der oft ausgeblendet wird, wenn wir über Kampfsport sprechen. So in etwa formulierte es ein aktiver linker Kampfsportler jüngst auf einer Veranstaltung zum Thema Neonazis im Kampf­sport.

Genau das unterscheidet eine linke Kampfsportkultur vom Wesen neonazistischer Events und Gyms. Die Kampagne „Runter von der Matte – Kein Handshake mit Nazis“, die Informationen zur rechten Kampfsport-Szene bereit stellt, beschrieb die Bedeutung von Kampfsport in der Neonazi-Szene wie folgt:

Neonazis bereiten sich u.a. durch das Training im Kampfsport für den ‚Tag X‘ vor. Man müsse sich ‚wehrhaft‘ machen (…) Damit meint die Szene jedoch nicht den Akt der Verteidigung, sondern den des Angriffs. Es geht darum, den selbstkonstruierten Gegner physisch unterdrücken und gegebenenfalls auch ohne Waffen Gewalt ausüben zu können (…).“ Sport und Gewalt sollen hier vereint werden, während die neonazistischen Events zur Finan­zierung der Szene und als Rekrutierungsfeld dienen.

Verbote

Diese Analyse, die schon vor Jahren von Beobachter_innen der Neonazi-Szene erstellt wurde, wurde den rechten Kampf­sportstrukturen vor kurzem erstmals zum Verhängnis. Seit 2013 richtet diese unter stetiger Professionalisierung u.a. den „Kampf der Nibelungen“ (KdN) aus. Das Hauptevent, welches im Oktober 2019 in Ostsachsen ausgetragen werden sollte, wurde kurzfristig von der Stadt verboten. Begründet wurde das Verbot damit, es sei davon auszugehen, dass „Kampftechniken gezeigt werden, die auch gegen Polizeikräfte zum Einsatz kommen sollen (…).“ Dass der KdN aber vor allem Vernetzungsort rechter Hooligans und Neonazis aus militanten Strukturen ist, schien nicht vordergründig ins Gewicht zu fallen.

Eine Verbotsbegründung wie diese könnte auch die linke Kampfsportlandschaft treffen. Erst im Frühjahr 2019 echauffierte sich das AfD-nahe Portal „Blick nach Links“ über eine Kampfsportveranstaltung im Potsdamer Jugendkulturzentrum „Freiland“, in deren Workshops es u.a. um „den aktiven Kampf gegen die Exekutive“ gehen würde. Ein Bericht des Landesamts für Verfassungsschutz über die Veranstaltung aus dem Jahr 2018 schien die rechten Autor_innen dabei bekräftigt zu haben. Dort hieß es: „Solche Veranstaltungen verdeutlichen die Gefahr, dass (…) Aktionen gegen den politischen Gegner und die Polizei geübt und geplant werden. Somit sinkt Stück für Stück die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung (…).

Kontextualisiert tritt diese Analyse in die Fußstapfen der sogenannten „Hufeisen-­Theorie“, also das Gleichsetzen linker und rechter Ideologie. Schaut man in die Beschreibungen der Workshops, die 2019 in Potsdam angeboten wurden, kann diese jedoch schnell entzaubert werden. Dort ist die Rede von Selbstverteidigungstechniken, vom Erlernen von Regelwerken und von Minimierungen von Verletzungen durch Know-How – von „skill not force“, d.h. „Technik statt Gewalt“.

Dem gegenüber steht eine Struktur wie die des „Kampf der Nibelungen“, die Seminare im „Straßenkampf“ anbietet, die sog. „Teamfights“, die mit Hooligan-Kämpfen vergleichbar sind, austragen will und deren Organisator_innen und KämpferInnen aus teils verbotenen, gewalttätigen Strukturen stammen. Eine Gleichsetzung linker, emanzipatorischer Veranstaltungen mit rechten, gewaltfördernden Events funktioniert daher nicht.

Wichtig ist uns zu betonen, dass wir in keiner Weise den Kampf im Ring mit dem Kampf in Kurdistan vergleichen möchten. Stattdessen wollen wir das rege Interesse an einer solchen Gala nutzen, um Aufmerksamkeit für die Situation in der Region zu schaffen und die revolutionären Projekte in Rojava und im Camp Mexmûr praktisch zu unterstützen.

Mehr dazu unter: thirtysixfights.noblogs.org