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Macbeth in Magdeburg ?

Einleitung

Seit einem knappen Jahr sitzt die Alternative für Deutschland (AfD) im Magdeburger Landtag. Dort ist sie vor allem mit völkischer Propaganda und sich selbst beschäftigt.

Foto: Christian Ditsch

Andre Poggenburg bei der Beobachtung einer antirassistischen Demonstration in Dessau.

Mit 24,3 Prozent der Stimmen und 25 Mandaten war die AfD im März 2016 in den Magdeburger Landtag eingezogen. Ein solches Ergebnis hatte zuvor noch kein Landesverband erreicht. Andre Poggenburg, Landesvorsitzender und frühzeitig auf Seiten des völkischen Flügels der Partei positioniert, wurde Fraktionschef im Magdeburger Landtag. Das ist ein Jahr her. Seitdem vergeht kaum ein Quartal, in dem die AfD Fraktion nicht für Schlagzeilen sorgt. Für jeden Geschmack ist etwas dabei: rassistische Propaganda, Kontakte ins Umfeld der Neonazi-Szene, Intrigen und angebliche Sexskandale.

Anfang Februar hatte die AfD eine aktuelle Debatte zum Thema „Linksextremismus“ angesetzt, in deren Verlauf Fraktionschef Andre Poggenburg zur Hochform politischer Aggressivität auflief. Am Schluss seiner Rede bezeichnete er den Linksextremismus als „Wucherung am Volkskörper“ nachdem er zuvor linke Studenten als „Lumpen“ bezeichnet hatte, die statt zu studieren „einer Arbeit zugeführt werden sollten“. Die Empörung in Politik und Medien für die wiederholte Verwendung von Begriffen des Nationalsozialismus war ihm sicher. Die Strategie des kalkulierten Tabubruchs ist fester Bestandteil der parlamentarischen Arbeit der AfD. Zum Arsenal gehören sprachliche Entgleisungen ebenso wie symbolpolitische Angebote an den rechten Flügel der CDU, die gemeinsam mit SPD und Grünen die Regierung stellt.

Es war die politische Gruppendynamik in der Fraktion, die dafür sorgte, dass dem Partyrausch vom März 2016 bald der Kater folgte. Scheinbar ging es dabei immer wieder um die Frage, ob und wie sich die Partei nach rechts, insbesondere gegenüber den „Identitären“ abgrenzen sollte. So meldeten sich Vertreter der Kreisverbände Mitte letzten Jahren mit einem „Ruf der Vernunft“ zu Wort, in dem sie eine Abgrenzung nach Rechtsaußen, vor allem zu ehemaligen Aktivisten der NPD forderten. Doch der „Ruf der Vernunft“ geriet zur Farce, denn die Fraktion hatte zuvor schon einen ehemaligen NPD Kader als Mitarbeiter angestellt und der Abgeordnete Hans Thomas Tillschneider hielt einen Vortrag bei den „Identitären“ der „kontra-Kultur“ in Halle. Am Ende hatten fast alle Abgeordneten den Brief unterschrieben. Somit wurde klar, dass es in dem Offenen Brief nicht um eine inhaltliche Abgrenzung nach rechts ging, sondern um einen Machtkampf, in dem sich ein Teil der AfD-Kreisverbandschefs gegen Andre Poggenburg und seinen autoritären Führungsstil zu positionieren suchten. Seit Monaten kommt die Fraktion nicht zur Ruhe. Erst verschliss die Partei binnen kurzen einen Landtagsvizepräsidenten, dann den Fraktionsgeschäftsführer Daniel Roi, der als Organisator des erfolgreichen Wahlkampfes in der Fraktion eigentlich als gesetzt galt. Doch die Weitergabe fraktionsinterner Dokumente führte im Februar fast zum Ausschluss Rois aus der Fraktion. Da es durch einen Ausschluss jedoch zu einer Spaltung der Fraktion gekommen wäre, schlossen Poggenburg und Roi zumindest für die Zeit bis zur Bundestagswahl einen Burgfrieden. In der Öffentlichkeit, so die Erklärung der Fraktionäre, will man nun nicht mehr mit Streit hervortreten.

Innerhalb der Fraktion geht es bei den Auseinandersetzungen oftmals nicht nur um den öffentlich nach vorn gestellten Konflikt um die politische Richtung der Partei, sondern auch um Stil und die Dominanzkämpfe von Männern. Hier prallen Lebenswelten und Sozialisationen aufeinander. Von dorther ist etwa die Auseinandersetzung zwischen dem rechtsintellektuellen Vordenker Hans-Thomas Tillschneider und dem eher "kleinbürgerlich" sozialisierten Gottfried Backhaus zu verstehen. Tillschneider leitet anscheinend aus seiner akademischen Sozialisation eine Art Überlegenheit gegenüber Menschen ohne akademischen Abschluss ab. Backhaus wiederum bedient antiintellektuelle Affekte, wenn er Tillschneider kritisiert. In ihrer rechten Sicht von Politik und Gesellschaft unterscheiden sich beide jedoch nur graduell. So lesen sich alle Distanzierungen des Poggenburg Widersachers Daniel Roi von den Äußerungen seines Chefs schlicht als taktische Positionierungen in einem Machtkampf.

„Genderwahn“ und Sexismus frei Haus

Der rabiat antifeministische Feldzug gegen den „Genderwahn“ den die AfD führt, geht einher mit Nachrichten aus dem offenbar sexistischen Alltag in der Fraktion. In den Medien Sachsen-Anhalts wurde auf Boulevardniveau die Frage verhandelt, ob das AfD Mitglied des Landtages (MdL) Matthias Büttner sich einer Referentin der Fraktion gegen deren Willen sexuell genähert hatte, als er für ein Treffen der wirtschaftspolitischen Sprecher der AfD-Landtagsfraktionen in Erfurt ein Doppelzimmer buchte. Dass es einen Zusammenhang mit einer Kündigung der betreffenden Fraktionsreferentin gibt, wird von der AfD bestritten, liegt nach Ansicht von Beobachtern der Landespolitik jedoch nahe.

Provokation als Politikinszenierung

Dass sich die AfD in der politischen Kommunikation zu förderst der Provokation bedient, zeigte eine Veranstaltung der „Campus Alternative“ die zum Thema Gender den Magdeburger Biologieprofessor Gerald Wolf und Andre Poggenburg zu einem Vortrag an der Magdeburger Universität geladen hatte.  Wolf wollte seine These vortragen, wonach die Gehirne von Frauen und Männern biologisch so unterschiedlich verfasst sind, dass bei Frauen bestimmte Fähigkeiten biologisch bedingt unterentwickelt seien. Dies rief den Protest von Studierenden auf den Plan. Die Veranstaltung versank im Tumult, und wurde durch Poggenburgs Rückzug beendet, der sich durch einen Böllerwurf und lautstarke Proteste eingeschüchtert sah.

Das Kalkül der Provokation ging auf. Denn im Anschluss tat die AfD, was sie in der politischen Debatte am besten kann: sich als Opfer der angeblichen politischen Korrektheit inszenieren. In der anschließenden von der AfD beantragten aktuellen Debatte zum Thema „Linksextremismus“ fielen dann im Landtag jene Worte Andre Poggenburgs, die für einen Sturm im Wasserglas der Regionalpresse sorgten.

Was Teil der Strategie politischer Kommunikation der Bundes-AfD ist, wirkt auch in Sachsen-Anhalt. Mit jeder noch so absurden Banalität schafft es die AfD derzeit in die Medien, bestimmt den Takt der Berichterstattung über sie und sorgt dafür, dass sie permanent im Gespräch bleibt. Dabei zeigt sich, dass die von den Gegnern der AfD zunächst favorisierte Skandalisierung ihrer Provokationen in einem Umfeld ins Leere läuft, in dem politische Tabubrüche nach rechts nur noch dann wahrgenommen werden, wenn sie wie bei Björn Höcke die Grenze zur Relativierung der Verbrechen der Nazis überschreitet. Alle Versuche die Reichweite der diskursiven Provokationen der AfD mit moralischen Grenzziehungen beizukommen, können als gescheitert betrachtet werden. Andererseits gelingt es der AfD bislang der vielbeschworenen inhaltlichen Auseinandersetzung durch andere Parteien mit ihren Positionen geschickt auszuweichen. Dabei hat sich die AfD-Fraktion im Magdeburger Landtag thematisch klar positioniert. In den Ausschüssen nimmt sie regelmässig die Förderung etwa von Trägern unter Beschuss, die sich für sexuelle Vielfalt einsetzen.

Ganz rechts außen

Dafür das die Abgrenzung nach noch weiter rechts außen eher taktischer Natur ist spricht z.B., dass Andre Poggenburg zwar gegenüber Neonazis und den „Identitären“ Worte der Distanzierung findet, im Detail es damit jedoch nicht so genau nimmt. So trat er bei einer Kundgebung in Raguhn gemeinsam mit der THÜGIDA-Aktivistin, dem selbsternannten „Sachsenmädel“, Julia Schwarze aus Meerane auf. Schwarze, die ihre überregionale Bekanntheit einer Rede verdankt, die sich im Sommer 2016 auf einer der Berliner „Merkel muss weg“ Demonstrationen gehalten halt, gilt in der sächsischen Neonazi Szene als gut vernetzt. Auf Nachfrage des MDR, weshalb er mit Schwarze auf einer Veranstaltung auftrete, wich Poggenburg aus.

Dass sich Poggenburg und die AfD-Fraktion in Sachsen-Anhalt gegen einen Ausschluss Björn Höckes aus der Partei aussprechen passt in das Bild einer Landespartei, die von Beginn ein fest in das neurechte Netzwerk zwischen „Institut für Staatspolitik“ (IfS), dem rechten Propagandaorgan „Compact“ und „Ein Prozent“ eingebunden war, und dem von Höcke entworfenen Leitbild einer rechten „Bewegungspartei“ folgen will.

Wie eng das Verhältnis zum in Sachsen-Anhalt ansässigen neurechten „Institut für Staatspolitik“ um den rechten Publizisten Götz Kubitschek ist, zeigt ein Presse-Bericht über die Gründung des Kreisverband Saalekreis der AfD 2016 in Schnellroda: "Die Gründungsveranstaltung fand übrigens im Gasthaus „Zum Schäfchen“ in Schnellroda statt. In dem Lokal finden regelmäßig Seminare des Instituts für Staatspolitik statt, jener Denkfabrik der Neuen Rechten. Dessen Gründer, Götz Kubitschek, hielt bei der Gründungsveranstaltung ein Grußwort."1 . Hans-Thomas Tillschneider deckte sich für sein Wahlkreisbüro mit Literatur aus dem IfS-Hausverlag "Verlag Antaios" ein und ist regelmäßiger Gast der in Schnellroda stattfindenden „Akademien“ des IfS. Dort ist auch der AfD MdL Jan W. Schmidt anzutreffen, der keine Berührungstabus zur "Identitären Bewegung" (IB) sieht.
Das Verhältnis zwischen dem nach eigener Auskunft „metapolitisch“ arbeitenden IfS und der AfD ist dennoch nicht ohne Ambivalenz. Wie Björn Höcke warnt auch Götz Kubitschek vor einem Kurs der Anpassung der AfD an die Mechanismen des politischen Systems. Diese müsse so lange als möglich hinausgezögert werden. Bislang jedoch ist die AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt ein dankbarer Abnehmer neurechter Ideologieproduktion.

Diskursverschiebung der politischen Kultur nach rechts

Wie wirkmächtig die Rechtsverschiebung im politischen Diskurs zwischen Naumburg und Arendsee ist, illustriert die Debatte über den öffentlichen Umgang mit dem neurechten Verleger Götz Kubitschek. Nur ein Machtwort des Ministerpräsidenten Rainer Haseloff (CDU) konnte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) daran hindern, sich mit Götz Kubitschek auf ein vom Magdeburger Theater gebotenes Podium zu setzen. Über diese politische Absage an einen Dialog mit der "Neuen Rechten" waren Teile der CDU Basis empört, sie befürworteten offen einen Dialog mit Götz Kubitschek. Am Ende der Debatte stand ein Beschluss der CDU-Fraktion, wonach man „radikale Positionen“ nicht ausgrenzen, sich aber sehr wohl abgrenzen werde. Teile der CDU Basis fürchten die Konkurrenz der AfD von rechts, und wünschen sich deutlichere inhaltliche Angebote an eine rechte Wählerklientel. Den Phantomschmerz, zahlreiche Wahlkreise im Süden und Osten Sachsen-Anhalts an die AfD verloren zu haben, hat die CDU offenbar noch nicht verwunden.

Die Enttabuisierung rechter Politikangebote durch Teile der CDU kommt im Gewand der Meinungsfreiheit daher. Die konservative Floskel, sich weder von der AfD noch von links/liberalen Kritikern Denkverbote diktieren zu lassen, öffnet die Türen für die Debatte rechter Inhalte. In diesem Kontext sind jene Schlüsselbegriffe zu verstehen, die die CDU vorbringt, wenn es um Themen wie Abschiebung abgelehnter Asylbewerber oder die Notwendigkeit einer kulturalistischen Debatte über den Wertekanon des Landes zu reden. Manche CDU Fraktionäre äußern öffentlich inhaltliche Übereinstimmung mit der AfD, um dann unter Verweis auf die Koalitionsdisziplin den von der AfD angebotenen Schulterschluss zu verweigern.

AfD und Medien: Ein ganz normaler Akteur des Landespolitik?

Nach dem Wahlerfolg der AfD war zu beobachten, wie die regionale Medien aus Angst als „Lügenpresse“ denunziert zu werden, den Positionen der Partei breiten Raum gaben und so ungewollt aufwerteten. Die AfD, so war unmittelbar nach der Landtagswahl im März 2016 aus den Medien zu hören, sei ein ganz normaler Akteur der Landespolitik. Der um Objektivität bemühte MDR wurde von Poggenburg mehrfach für seine offen rechtsradikalen Statements in Dienst genommen. Doch inzwischen haben im Land erscheinenden Regionalzeitungen mit investigativen Recherchen begonnen hinter die spießbürgerliche Fassade der AfD zu blicken, und der AfD jeden ihrer Fehler vorzurechnen. Dass MDR und Regionalzeitungen zur AfD nicht grundsätzlich auf Konfrontationskurs gehen dürfte auch daran liegen, dass sie unter den 24 Prozent AfD Wähler_innen nicht wenige ihrer Leser_innen und Zuschauer_innen wähnen.

Fazit

Dass die skizzierten Konflikte analog des parlamentarischen Scheiterns der Fraktion der extrem rechten Deutsche Volksunion (DVU) in den Jahren nach 1998 dazu führt, dass sich die Wähler_innen von der AfD abwenden, ist nicht zu erwarten. Anders als die DVU arbeitet die AfD Fraktion strukturiert ihre rechten Identitätsthemen im Parlament ab, und hat eine Spaltung (siehe oben) bislang vermieden.

Alle inneren Widersprüche und Querelen haben der AfD in Sachsen-Anhalt bislang nicht nachhaltig geschadet. So kann die Partei und ihr umtriebiger Fraktionschef Andre Poggenburg derzeit nur am eigenen Größenwahn scheitern. Wenn der fraktionsinterne Burgfrieden zwischen Daniel Roi und Andre Poggenburg vor der Bundestagswahl zerbrechen sollte, oder der Konflikt zwischen der von Andre Poggenburg unterstützen „Höcke-Connection“ (IfS, Compact, IB, AfD) und Frauke Petry eskalieren würde - nur dann dürfte die Rolle des intriganten, machtgierigen Macbeth2 in Magdeburg neu zu besetzen sein.

  • 1Mitteldeutsche Zeitung vom 15.06.2016: "Gründung AfD jetzt mit eigenem Kreisverband im Saalekreis" von Michael Bertram, eingesehen am 17.02.2016.
  • 2Macbeth ("The Tragedy of Macbeth") ist eine von William Shakespeare verfasste Tragödie. Sie beschreibt den Aufstieg des königlichen Heerführers Macbeth zum König von Schottland, seinen Wandel zum Tyrannen und seinen Fall.