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Neonazis & Polizei: Immer wieder Berlin-Neukölln

Einleitung

Verhindern Kontakte von Neonazis zur Polizei die Aufklärung der Anschlagsserie?

Der Berliner AfD-Politiker Christian Blank (vorne links).
Foto: Recherche 030

Der Berliner AfD-Politiker Christian Blank (vorne links). Foto: Recherche 030

Die Anschlagsserie Berliner Neonazis, bei denen es seit 2016 zu Brandstiftungen und Attacken auf Autos und Wohnhäusern von politischen Gegnern vor allem im Bezirk Neukölln kam, gilt bis heute bei den Behörden als unaufgeklärt. Möglicherweise liegt das auch an Verbindungen zur Polizei: Bereits im April 2019 wurde bekannt, dass bei Observationen des Verfassungsschutzes im März 2018 ein Treffen zwischen dem Hauptverdächtigen der Neuköllner Anschlagsserie Sebastian Thom und dem Polizisten Pit W. vom LKA 6 beobachtet wurde, beide sogar zusammen mit dem PKW des Beamten wegfuhren.1

Was die beiden besprachen, blieb bis heute ungeklärt. Der Beamte ist weiter im Dienst. Nun kam heraus, dass Thoms mutmaßlicher Komplize Thilo Paulenz über seinen damaligen Neuköllner AfD-Kollegen, den Polizeihauptkommissar Detlef Moritz Polizeiinterna weitergeleitet bekam.1 Beide gehörten zur Neuköllner AfD, Paulenz als Beisitzer im Bezirksvorstand und Moritz als „Sicherheitsbeauftragter“. Der Polizist hatte 90 Minuten nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz 2016 erste Polizei-Erkenntnisse über den Messanger Dienst "Telegram" an sein AfD-Umfeld weitergeleitet, darunter auch an Paulenz. Ob noch anderen Informationen an den Tatverdächtigen flossen, ist nicht bekannt. Der Chatverlauf wurde auf einem beschlagnahmten Smartphone von Paulenz entdeckt. Moritz war auch im Herbst 2016 an einer parteiinternen E-Mail-Diskussion beteiligt, bei der Paulenz vorschlug, als AfD-Gruppe eine Veranstaltung zu „Rechtspopulismus“ in der Neuköllner Buchhandlung „Leporello“ aufzusuchen. Die Idee wurde zwar verworfen, jedoch zehn Tage nach der Veranstaltung die Scheiben des Ladens eingeworfen.

Dem Besitzer des „Leporello“ wurden in Folge dessen zweimal der PKW in Brand gesteckt, zuletzt im Februar 2018. In der selben Nacht brannte auch das Auto eines Neuköllner Linken-Politikers. Wie das AIB in der Nr. 121 zuerst berichtete, hätte dieser Anschlag verhindert werden können, weil der Verfassungsschutz bereits die Ausspähung des PKW des Politikers über Abhörmaßnahmen mitbekommen hatte. Diese Informationen gab er aber nur mit einem Sperrvermerk, der konkrete Handlungen wegen des Quellenschutz untersagten, an das LKA weiter. Kurz darauf brannten die Autos des Linken-Politikers und des Buchhändlers.

Obwohl Antifaschist_innen schon zu Beginn der Anschlagsserie konkrete Verdächtige aus der lokalen Neonazi­szene öffentlich thematisierten, konnten diese lange Zeit unbehelligt agieren. Erst öffentlicher Druck sorgte dafür, dass Berlins Innensenator Geisel eine Sonderkommission des LKA einrichten ließ, die „EG RESIN“. Deren Erfolglosigkeit führte dazu, dass sie in „BAO Fokus“ umgewandelt wurde, in der alle Fälle nochmal neu untersucht werden sollen.

Mittlerweile gelten zwar die Neonazis Sebastian Thom (ehem. NPD), Julian Beyer (ehem. NPD) und das damalige Neuköllner AfD-Mitglied Thilo Paulenz als Hauptverdächtige, konkrete Ergebnisse blieben jedoch aus. Lediglich ein Zufallsfund aus den Observationen wurde jetzt zur Anklage gebracht: Thom und Paulenz waren beobachtet worden, wie sie im August 2019  Parolen für Rudolf Hess gesprüht hatten und dabei NPD- und AfD-Sticker verklebten.

Die Neuköllner AfD fiel immer wieder mit einer Nähe zu Neonazis auf. Zuletzt deckten Antifaschist_innen Anfang des Jahres Verbindungen des Neuköllner AfD-­Bezirksverordneten Christian Blank mit dem militanten Neonazinetzwerk „NW-Berlin“ auf.2 Auf einem Foto aus dem Sommer 2013 posiert Blank zusammen mit bekannten Neuköllner Neonazis, die dem Netzwerk und der NPD zuzurechnen waren.

Die Neuköllner NPD und der „Nationale Widerstand Berlin“ zeigten seit jeher enge personelle Überschneidungen auf, Thom war Kreisvorsitzender der Partei. Thom war mehrfach bei Veranstaltungen der Neuköllner AfD. Die taz berichtet davon, dass sich deswegen ein Bezirksverordneter beim damaligen Berliner AfD-Vorsitzenden Pazderski beschwerte, weil allen der Hintergrund Thoms bekannt sei: „Die Vorstände des Bezirksverbands sind offenbar wie die dortige Mitgliedschaft nach wie vor eng mit diesen Kreisen verbandelt“, zitiert die taz aus dem Schreiben. Er fand es „kaum glaubhaft zu vermitteln, dass es sich hier um bedeutungslose Einzelfälle in diesem Bezirk handelt“.3

Paulenz soll mittlerweile nach AfD-Angaben kein Parteimitglied mehr sein, gegen Detlef Moritz wird wegen „Verrat von Dienstgeheimnissen“ ermittelt. Zudem wurde er von seinem Posten im Abschnitt 65 versetzt, musste seine Dienstwaffe abgeben und sein Zugang zur Polizeidatenbank „POLIKS“ entzogen.

In Neukölln hat sich derweil eine neue Anschlagsserie entwickelt. Statt politischer Gegner richtet sie sich nun vor allem gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Läden werden mit Nazisymbolen besprüht und Autos in Brand gesteckt. Zuletzt in der Nacht zum 19. Juni 2020.

Nachtrag

Möglicherweise war der Polizist Detlef Moritz sogar an der Ausforschung der Anschlagsopfer beteiligt. Die "Welt" berichtete: "[W]ährend die BVV Neukölln tagt, fragt Tilo P. via Whatsapp, ob Kocak dort sei. Weil der Gefragte Kocak nicht sehen kann, schlägt er P. vor, 'Detlef' zu fragen."4 Hiermit könnte sein zeitweiliger AfD-Parteikollege Detlef Moritz gemeint gewesen sein.

Mittlerweile wurde auch bekannt, dass von Berliner Polizeicomputern unberechtigt persönliche Daten von Antifaschist_innen abgerufen wurden. Ausgangspunkt für die Nachforschungen der Berliner Datenschutzbeauftragten war eine Morddrohung von Neonazis. Dieser zufolge bestätigte die Polizei mehrere Zugriffe auf die Daten zweier Betroffener, konnte jedoch nur in einem der Fälle einen dienstlichen Grund nachvollziehbar machen.5

Der Blog "recherche030.info" berichtete über den Berliner Polizisten Stefan K., der nach ihren Informationen "aktuell wegen eines brutalen rassistischen Übergriffs vor Gericht steht". Stefan K. gehörte demnach "mindestens ab 2008 und bis zu ihrer Auflösung zu eben jener EG Rex (...), die am Abschnitt 56 (jetzt 48) in Rudow angesiedelt war und 2016 aufgelöst wurde (...)" Eine Schwerpunkt-Aufgabe der "EG Rex" waren u.a. Ermittlungen zu der Berlin Neuköllner Neonazi-Szene. "Brisant ist außerdem, dass zu den Aufgaben der EG Rex auch die Netzwerkarbeit mit zivilgesellschaftlichen Initiativen im Bezirk gehörte. K[...] und seine Kolleg*innen dürften mit unzähligen engagierten Gruppen und Personen im Süden Neuköllns bekannt gewesen sein, unter ihnen viele Betroffene von schwerer Nazigewalt. Zwischenzeitlich bestand die EG Rex aus nur drei Beamt*innen - K[...] gehörte offenbar zu diesem Kern der Einheit."6

Laut der "Legale Tribune Online" (LTO) stieß die Anwältin des Linken-Politikers Ferat Kocak zusätzlich in Akten auf eine brisante Aussage. Bei der Durchsicht eines Protokolls aus einer Telekommunikationsüberwachung aus dem März 2017 ist ein heikler Chatverlauf entdeckt worden. Dieser soll nahe legen, dass der Leiter der Berliner Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft einem Beschuldigten in dem Neukölln-Verfahren signalisierte, er habe nichts zu befürchten, der Staatsanwalt stehe auf seiner Seite.

Die Anwältin erklärte der LTO dazu: "Es ist skandalös und gefährdet den Rechtsstaat erheblich, dass niemand bei der Staatsanwaltschaft den Verdacht weiter nach oben gegeben hat, dass ein Vorgesetzter möglicherweise in das Ermittlungsverfahren verwickelt war (...) Und auch bei der Polizei wurde dieser Verdacht nicht weiter thematisiert, geschweige denn an übergeordnete Stellen weitergegeben."