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Neonaziterror im Jahr 1980: Frank Schubert und die „Gruppe Koch“

Andreas Förster
Einleitung

1980 ist als das „braunes Terrorjahr“ in die Geschichte der Bundesrepublik eingegangen: Von Januar bis Mitte Dezember waren bei rechtsterroristischen Anschlägen - darunter dem Oktoberfestattentat von München - 18 Menschen ums Leben gekommen, Hunderte wurden zum Teil schwer verletzt. Für die Todesopfer 19 und 20 sorgte am 24. Dezember 1980 der deutsche Neonazi Frank Schubert. Bei einem missglückten Waffenschmuggel erschoss er an der Grenze zu Deutschland die Schweizer Polizeibeamten Josef Arnold und Walter Wehrli, bevor er sich nach einem Feuergefecht mit der Polizei selbst richtete.

Faksimile aus Badener Tagblatt

Ausschnitt aus dem Titelblatt des "Badener Tagblatts" vom 27. Dezember 1980 mit einem Bericht über die Morde und die Selbsttötung des deutschen Neonazis Frank Schubert.

Der Fall Schubert ist bis heute eines der rätselhaftesten Verbrechen deutscher Neonazis. Da der Täter sich erschossen hatte, legten die Strafverfolgungsbehörden der Bundesrepublik damals keinen großen Elan in die Aufklärung der Tathintergründe. Schubert, der Monate zuvor abgetaucht war und bei den Ermittlern als eine Art „einsamer Wolf“ galt, wurde als fanatischer Einzeltäter abgetan, die Akte schon bald geschlossen.

Doch er war kein isolierter Einzeltäter. Schubert gehörte im Jahre 1980 einer rechten Terrorzelle in der Bundesrepublik an, die Attentate auf hochrangige Politiker und Strafverfolger plante. Auf seiner Reise in die Schweiz kurz vor dem Weihnachtsfest wollte er Waffen nach Deutschland holen, mit denen ein Anschlag auf einen hessischen Spitzenpolitiker durchgeführt werden sollte. Auffällig ist im Rückblick, dass die Mitglieder der terroristischen Vereinigung der Schubert angehörte, wegen ihrer Anschlagsplanungen nie zur Verantwortung gezogen wurden. Möglicherweise könnte dies daran gelegen haben, dass der Verfassungsschutz einen Informanten eingeschleust hatte – wären dessen Informationen in Polizei- und Gerichtsakten aufgetaucht, hätte man ein Aufliegen der hochrangigen Quelle riskiert.

Flüchtling aus der DDR

Nach einer Flucht aus der DDR kam der 20-jährige Schubert als erstes bei Verwandten in Berlin-Spandau unter. Seine Lehre als Koch setzte er zunächst fort, aber dann schmiss er hin.
Der Karatekämpfer mit Schnauzbart und streng gescheiteltem Haar, schloss sich in Frankfurt am Main der militanten Jugendgruppe „Junge Front“ (JF) an, die zur von Friedhelm Busse gegründeten „Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands – Partei der Arbeit“ (VSBD/PdA) gehörte. Bei der VSBD handelte es sich um eine unter dem Deckmantel einer Partei agierende terroristische Organisation, in der sich vor allem versprengte Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann und Aktivisten der zu diesem Zeitpunkt bereits verbotenen „Nationalsozialistischen Kampfgruppe Großdeutschland“ gesammelt hatten.

Schubert prügelte mit rechten Kameraden in der Frankfurter Innenstadt auf Passanten ein und lief mit Totenkopf und Hakenkreuz auf Helm und Kampfjacke durch Paris. Allein im Jahr 1980 nahm ihn die Polizei fünfmal fest. In einem polizeiinternen Bericht vom September 1980 heißt es, dass Schubert „im Streitfall seine Körperkraft und auch Waffen brutal und rücksichtslos einsetzt“.

Während sich die VSBD nach außen als gewaltfreie Organisation gab, die sich auf die Verteilung von NS-Propagandamaterialien konzentrierte, fanden sich einige ihrer Mitglieder mit Duldung von Parteichef Busse zu kleinen Terrorzellen zusammen, die den bewaffneten Kampf gegen den Staat forcieren wollten.

Eine dieser Zellen wurde angeleitet von dem 1931 geborenen Wolfgang Koch. Die „Gruppe Koch“ verstand sich als Teil eines militanten Netzwerks, das ab Ende der 1970er Jahre von der „Nationalsozialistischen Partei Deutschlands/Aufbau- und Auslandsorganisation“ (NSDAP/AO) aufgebaut wurde. Die vom amerikanischen Neonazi und Holocaustleugner Gerhard Rex „Gary“ Lauck geführte Organisation mit ihrem Parteibüro in Lincoln (US-Bundesstaat Nebraska) bekannte sich zum Nationalsozialismus, zu Adolf Hitler und einem „Freiheitskampf für Deutschland“. Ziel war die Wiederzulassung der NSDAP in Deutschland. Dazu unterstützte man extrem rechte Gruppen in der Bundesrepublik wie die VSBD mit Geld und Propagandamaterialien. Neben den Untergrundzeitungen „NS- Kampfruf“ und „Völkischer Beobachter“, zählten dazu auch Hakenkreuzaufkleber, Armbinden und andere NS-Devotionalien.

Politiker als Anschlagsziele

Von der Terrorzelle war spätestens 1979 eine sogenannte Todesliste mit potenziellen Attentatszielen erarbeitet worden. Darauf standen etwa der damalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) sowie seine Länderkollegen aus Hessen und Bayern - Ekkehard Gries (FDP) und Gerold Tandler (CSU) - Heinz Galinski, damals Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Berlin sowie mehrere Staatsanwälte und Richter aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Die Gruppe hatte bereits die Lebensumstände der potenziellen Opfer penibel ausgekundschaftet. Gefunden wurden Angaben über Wohnorte, Fahrzeuge und Gewohnheiten, aber auch Grundrissskizzen von Wohnungen und Büros sowie Karten mit Arbeitswegen der Zielpersonen und Schulwegen ihrer Kinder.

Um die Waffen für die geplanten Mordaktionen zu bezahlen, sollte zunächst eine Bank überfallen werden. Diesen Job übernahm der neue Mann in der Gruppe Koch: Frank Schubert. Am 15. Oktober 1980 raubte er eine Sparkasse im hessischen Zwingenberg bei Bensheim an der Bergstraße aus. Dabei feuerte er mit einer Maschinenpistole in die Luft, wobei ein Querschläger ihn leicht am Bein verletzte. Einen Teil der Beute, 3.000 D-Mark, übergab Schubert dem VSBD. Danach ging er nicht mehr in seine Wohnung sondern kampierte in einem Zelt im Odenwald und im Taunus.

Waffen aus der Schweiz

An Weihnachten 1980, gegen 14.30 Uhr, war Schubert offenbar dabei, die in der Schweiz in einem See versteckten Waffen in ein Schlauchboot zu verstauen, um sie über den Rhein nach Deutschland zu schaffen. Der 38-jährige Schweizer Grenzwachtgefreite Josef Arnold entdeckte Schubert mit Schlauchboot und Taucheranzug und wollte ihn zur Rede stellen. Der Deutsche streckte ihn mit zwei Schüssen in Kopf und Oberkörper nieder, zerrte die Leiche in ein Gebüsch und deckte sie mit Tannenzweigen zu.

Arnold hatte vor der Kontrolle über Funk seinem Grenzposten die verdächtige Beobachtung gemeldet. Als er dann nicht mehr erreichbar war, fuhren zwei weitere Grenzposten mit dem Auto zum Rheinuferweg. Ihnen fiel am Dorfrand von Koblenz ein Fußgänger auf. Als der Polizeiwagen anhielt, eröffnete der Rechtsterrorist sofort das Feuer. Der Fahrer wurde tödlich getroffen; sein Begleiter konnte aus dem Auto springen und - von drei Schüssen in die Beine getroffen - einen Abhang hinunterrollen. Schubert zerrte den tödlich getroffenen Beamten aus dem Auto und raste mit dem Fahrzeug davon.

Selbstmord im Gebüsch

Die Polizei löste eine kantonweite Fahndung aus und es gelang ihnen Schubert einzukreisen. Nach einem weiteren Feuergefecht, bei dem Schubert in die Schulter getroffen wurde, tötete er sich selbst. Der Neonazi trug eine Pistole mit mehr als 500 Schuss Munition bei sich sowie zwei Ausweise, von denen einer gefälscht war.

Bemerkenswert ist, dass einige Mitglieder der „Gruppe Koch“ gleich am 1. Weihnachtsfeiertag versuchten den Neonazi-Führer Karl-Heinz Hoffmann ("Wehrsportgruppe Hoffmann") zu treffen, um von diesem Rat zu erhalten, wie man weiter vorgehen solle. Bemerkenswert ist dieser Vorgang deshalb, weil er einmal mehr die führende Rolle Hoffmanns im Netzwerk der deutschen Terrorzellen in jener Zeit unterstreicht und seine Verbindung zu den Attentaten des Jahres 1980 in einem neuen Licht erscheinen lässt.

Die Mitglieder der „Gruppe Koch“, die sich teilweise in anderen Splittergruppen organisierten, machten weiter, u.a. mit Anschlägen auf die in Deutschland stationierten US-Streitkräfte. Erst im Februar 1983 wurde die Gruppe zerschlagen, fünf Mitglieder mussten sich wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung, Banküberfällen und versuchtem Mord vor Gericht verantworten.

Bis zum Schluss wusste der Verfassungsschutz über die Aktivitäten dieser Gruppe Bescheid. Am Ende eines Vermerks vom 16. August 1983, dass durch das Kommissariat IV der Schweizer Bundespolizei erhalten ist, wird das Bundesamt für Verfassungsschutz mit der Bitte zitiert, „diese zum großen Teil schutzbedürftigen Informationen nicht an dritte Stellen weiterzugeben und nicht zum Vorhalt zu nutzen“.

(Die ungekürzte Fassung des Artikels ist nachzulesen unter: www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschland- archiv/337884/ein-neonazi-aus-der-ddr)