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nw-berlin: Keine Anklage ohne Admin?

Einleitung

Im Juli 2018 hat das Berliner Amtsgericht etlichen Personen, die über Jahre einer Bedrohung und Diffamierung durch die Berliner Neonazi-Homepage „NW-Berlin“ ausgesetzt waren mitgeteilt, dass deswegen die Anklage gegen den NPD-Funktionär Sebastian Schmidtke nicht zugelassen werden soll. Wie bereits die Indizierung der hierfür genutzten Webseite, war auch die Anklage gegen den mutmaßlich beteiligten Schmidtke1 auf den beharrlichen Druck von antifaschistischen Initiativen zurückzuführen.

  • 1Kleine Anfrage vom 14. November 2013, „Straftaten mit Bezug zu NW Berlin“, Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 17/12795

Sebastian Schmidtke vor und hinter Bannern des "nw-berlin".

Zuletzt hatten wir im AIB Nr. 111 berichtet1 , dass es zu einer Übermittlung von Daten des Hostbetreibers Dennis Giemsch („Die Rechte“) von Seiten des Webhosters (USA) an die Ermittlungsbehörden gekommen war und Szeneaussteiger sich als Zeugen äußerten.

Anfang des Jahres 2015 war schließlich Anklage erhoben worden, dann passierte über drei Jahre nichts und wesentliche Delikte waren bereits verjährt. Dass nicht alle Delikte bis zur Verjährung verschleppt wurden, war das Ergebnis beharrlicher Nachfragen. Mehrere mutmaßlich an dem Internetprojekt „NW-Berlin“ (sowie der später hinzugekommenen Ausweichdomain „chronik-berlin“) beteiligte Personen standen im Fokus der Ermittler, neben Berliner Neonazis auch ein in Dänemark wohnender Schwede: Als die Inhalte umgelagert werden mussten, hatte Christian Kjellsson die Anmeldung übernommen. Dennoch kamen Jürgen R., Thomas M., Andreas T. (als Postfachinhaber), Corinna H. (die das Webhosting bezahlt haben soll) und der ehemalige Berliner NPD-Kandidat Marcel Rockel (der die Zahlungen veranlasst haben soll) ohne ein Gerichtsverfahren davon. Dabei wurde Rockel von Corinna H. belastet. Was antifaschistische Medien und Anwält_innen gebetsmühlenartig wiederholten war kein Geheimwissen: Das Label „NW-Berlin“ kann einem klar umgrenzten Kreis von Neo­nazis zugeordnet werden. Im Ausschuss für Verfassungsschutz war recht konkret von „ein bis vier Personen“ die Rede2 .

Im Jahr 2010 war „szenekundigen“ Poli­zeibeamten aufgefallen, dass die Berliner Neonazis Björn Wild (JN-Berlin), Christian B. und Thomas M. auf einem Trauermarsch Fotos für die Internetpräsenz anfertigten. Christian B. filmte sich gar selbst beim Anbringen von NW-Berlin-Propaganda. Im April 2011 hatten Berliner Neonazis noch zusammen mit den später von den Ermittlungen Betroffenen Sebastian Thom (NPD-Berlin) und Christian B. öffentlich "NW-Berlin"-Flugblätter verteilt. Später wurde ein „Verräter“ aus der Szene selbst auf der Webseite bedroht und nannte der Polizei den Kreis der Beteiligten.

Den Ermittlern wurde es hier also nicht unbedingt schwer gemacht. Von 2009 bis 2013 lief eine zentrale telefonische Kontaktnummer des „NW-Berlin“ auf Schmidtke, dessen Neonazi-Demonstrationen wurden über die E-Mail-Adresse „demoleitung [at] nw-berlin.net“ organisiert. Auf seinem ungenügend verschlüsselten Datenträger fand sich Material, das wohlmöglich der Webseite hätte zugeordnet werden können. Der für die Propaganda-Erstellung genutzte Farblaserdrucker konnte einer Druckerei zugeordnet werden. Viele Indizien also.

Deutlich wird zudem, dass der Angeklagte Schmidtke zwar eine Art Aushängeschild von „NW-Berlin“ war, aber keineswegs die alleinige treibende Kraft des Netzwerkes um "NW Berlin". Exemplarisch lässt sich dies am Beispiel des zu diesem Zeitpunkt von einigen Neonazis aus den Kreisen des „NW-Berlin“-Netzwerkes angemieteten Ladenlokals in der Lichtenberger Lückstraße illustrieren. Am 26. November 2012 fürchtete das Aktionsnetzwerk „NW-Berlin“ wegen einer linken Demonstration um das neonazistische „Jugendzentrum“. Schmidtke musste daher auch eine Versammlung anmelden und dies mit Björn Wild besprechen. Die Ermittler fassten zusammen: Wild meint, dass es mit der Lückstrasse alles bei dem Abgesprochenen bleibt. Schmidtke soll eine kleine Laut­sprecheranlage rumbringen. Schmidtke will außerdem ein Transparent („vom natio­nalen Widerstand zum nationalen Angriff“) mitbringen. Selbst die NPD-Pressemeldung kam offenbar nicht ohne Björn Wild aus. Am gleichen Abend schrieb er den Neuköllner Neonazis Julian B. und Sebastian Thom, sie müssten bei einem Artikel dazu noch etwas ändern.

In seiner ablehnenden Haltung bezüglich einer Anklage hat sich das Gericht auf die Frage fokussiert, ob Schmidtke „persönlich und eigenhändig“ die strafbaren Artikel und Fotos hochgeladen habe (ob er alleine die Entertaste drückte).

Die neonazistischen Strukturen, die das Label "NW Berlin" für Bedrohungen und etliche gewalttätige Angriffe nutzte, wurde hingegen nicht konsequent in den Blick genommen. Für die Betroffenen rechter Gewalt sind die Administratorenrechte wohl zweitrangig, solange die Zuarbeiter und Ausführer frei agieren können.