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Polizeigewalt bei Protesten gegen den AfD Bundesparteitag

Einleitung

Über die übermäßige Präsenz der Polizei und den Einsatz von Wasserwerfern bei Minusgraden wurde in der Presse schon berichtet. Der wohl massivste Übergriff  am 2. Dezember 2017 auf Demonstranten hat bisher wenig Aufmerksamkeit erhalten.

Aktivisten der Pyramide am 2. Dezember 2017 in Hannover.

Im Rahmen der antifaschistischen Protestaktionen gegen den Bundesparteitag der "Alternative für Deutschland" (AfD) am 02. Dezember 2017 in Hannover entschieden sich drei mit Protestformen des zivilen Ungehorsam erfahrene Aktivisten zur einer bewährten und kreativen Aktion. Mittels einer Metallpyramide wollten sie, auf der Hauptzufahrtsstraße für die AfD-Delegierten zum Congress Center in Hannover, ihren Protest gegen rassistische Politik Ausdruck verleihen.

Der Einsatz von Pyramiden hat sich bei vielen Protesten gegen Atommüll aber auch bei Neonaziaufmärschen bewährt. Laut einem Urteil von 2011 wurde diese Protestform als Versammlung eingestuft und unterliegt somit dem rechtlichen Rahmen. Um die Aktivisten nicht zu verletzen wurden bisher technische Einheiten der Polizei hinzugerufen die für die weiteren Maßnahmen die Verantwortung übernahmen.

Unverhältnismäßige Polizeigewalt und schwere Verletzungen

Am 02. Dezember 2017 war für Deeskalation und Versammlungsfreiheit scheinbar kein Platz im Polizeikonzept. Die drei Antifaschisten hatten die Pyramide gerade strategisch positioniert und ihre Finger in ihr verankert als sie von Polizeibeamten aus Hamburg massiv angegangen wurden. "Die Polizei hat uns massiv zusammengeschlagen, die haben wie die Irren drauflos geprügelt", sagte einer der drei Männer kurz nach der Aktion.1

Laut Berichten der Betroffenen gingen die in der Kleefelder Straße eingesetzten Polizisten sofort auf die Aktivisten los und schlugen mit Fäusten auf sie ein. Auch verdrehten sie die Finger und Arme der fixierten Aktivisten. Sie ließen nicht von ihren Versuchen abbringen, die angeschlossenen Antifaschisten mit Gewalt von der Pyramide loszureißen. In einem Interview berichtete einer der Betroffenen: "Die haben sich ohne Vorwarnung auf uns draufgeschmissen, haben wie die Irren auf uns eingeschlagen und sind auf uns draufgesprungen. Das war völlig verrückt. Es war ja klar, dass wir uns überhaupt nicht wehren können. Was soll man machen mit eingeklemmten Fingern?"2 Dabei wurde einem der drei sich nach wie vor am Boden befindlichen Demonstranten der Unterschenkel gebrochen. Trotz der schweren Verletzung wurde er von der Straße gezerrt und sollte festgenommen werden. Die Polizei versäumte es anscheinend zunächst einen Krankenwagen zu verständigen. Dieser wurde demnach erst auf Betreiben einer der Beteiligten gerufen, der wiederum einen Notarzt  verständigte. Der Aktivist berichtete: "Man konnte sehen, dass der Winkel zwischen Knie und Unterschenkel überhaupt nicht stimmt. Als sie mich irgendwann zum Bürgersteig gebracht haben, habe ich gerufen, dass wir einen Krankenwagen brauchen. Als der eine Viertelstunden später noch nicht da war, habe ich meinen Anwalt angerufen, der dann selbst einen gerufen hat" 3 Erst mit Eintreffen des Notarztes beruhigte sich die Lage und der Schwerverletzte wurde nach fast einer Stunde Wartezeit ins Krankenhaus gebracht. Dort befindet er sich nach einer mehrstündigen Operation des offenen Bruchs beider Unterschenkelknochen nach wie vor.

Die anderen Aktivisten wurden in Gewahrsam genommen und nach Vorführung beim Haftrichter noch am selben Nachmittag entlassen.

2017: Prügel statt "Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung" ?

Bereits im Antifaschistischen Infoblatt Nr. 934 berichteten wir unter der Überschrift "Bad Nenndorf: Blockadeversuch einer Neonazidemonstration grundgesetzlich geschützt" über die Pyramiden-Aktionsform und deren juristische Folgen. In einer Entscheidung beschreibt das OLG Celle das Aufstellen der Pyramide und die Sitzblockade als »Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung«. Diese falle unter den grundgesetzlichen Schutz der Meinungsfreiheit. Das OLG wertete die Pyramidenaktion als eine friedliche und kreative Aktionsform, bei der zum Zeitpunkt der Anordnung der Ingewahrsamnahme eben keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit zu erwarten war.

Auch den von Gerichten bislang bei aktiven Blockaden verbreitet angenommenen Straftatbestand der Nötigung sah das OLG Celle als nicht erfüllt an. Zwar sei das Merkmal der »Gewalt« (§240 Abs. 1 StGB) schon dadurch gegeben, dass das Aufstellen der Betonpyramide eine physische Krafteinwirkung erforderte und die Aktion über die bloße körperliche Anwesenheit der Aktivist_innen hinausging, es sei jedoch zweifelhaft, ob die Handlung der Aktivist_innen auch als »verwerflich« (§240 Abs. 2 StGB) anzusehen ist. Es sei nämlich zu berücksichtigen, so das OLG weiter, dass die Aktivist_innen sich ihrerseits auf den Schutz des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit berufen könnten.

Für die Aktivist_innen entfalle der Schutz des Grundgesetz Art. 8 GG auch nicht etwa wegen Unfriedlichkeit der Versammlung, denn unfriedlich sei eine Versammlung erst dann, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen stattfänden, nicht aber schon dann, wenn es, wie vorliegend, zu bloßen Behinderungen Dritter kommt – selbst wenn diese gewollt seien.

Kollidiert die Versammlungsfreiheit – wie hier – mit Grundrechten Dritter, so das OLG weiter,  müsse letztlich ein Kompromiss gefunden werden. Das OLG schlussfolgert: »Vor diesem Hintergrund stellt sich die Pyramidenaktion nicht als verwerflich dar. Denn sie stand in unmittelbarem Zusammenhang mit dem rechtsextremistischen Aufzug, gegen den sie sich richtete, und beeinträchtigte dessen Teilnehmer nur geringfügig und für kurze Zeit.« Daneben sei der Polizeidirektion Göttingen darin Recht zu geben, dass die hier zu beurteilende Aktion einen »kreativen Weg« des Protestes darstelle. Allerdings sprächen die »Kreativität« dieses Protestes und seine akribische Vorbereitung gerade nicht dafür, dass von den Aktivist_innen unmittelbar im Anschluss daran ein gewalttätiges Verhalten zu erwarten gewesen wäre. Dies hatte die Polizei kurzerhand behauptet, um den Versuch zu unternehmen, ihr Vorgehen rechtlich abzusichern.

  • 1taz.de: "Aktionen in Hannover. Blockaden verzögern AfD-Parteitag" von Patricia Hecht, 2. Dezember 2017.
  • 2taz.de: "Anti-AfD-Demonstrant über Polizeieinsatz - 'Wie die Irren auf uns eingeschlagen'“, Interview von Patricia Hecht 4. Dezember 2017.
  • 3taz.de: "Anti-AfD-Demonstrant über Polizeieinsatz - 'Wie die Irren auf uns eingeschlagen'“, Interview von Patricia Hecht 4. Dezember 2017.
  • 4AIB Nr. 93 (4.2011): "Bad Nenndorf: Blockadeversuch einer Neonazidemonstration grundgesetzlich geschützt"