Prozesserklärung im Antifa Ost-Verfahren
Nachdruck von www.soli-antifa-ost.org (Gastbeitrag)Am 78. Verhandlungstag im Antifa Ost-Verfahren fand die Vernehmung des (Kron)Zeugen1 Johannes D. endlich ein Ende. Über zwölf Verhandlungstermine mussten sich die Angeklagten, deren Verteidiger_innen und die solidarische Begleitung im Gericht seine Darstellungen anhören. Mit seinen Aussagen zur Motivation für antifaschistische Arbeit entstand für die Angeklagten die Notwendigkeit, seine zweifelhafte Auffassung zu korrigieren – entsprechend ihrer eigenen Haltung. Dies sollte in Form einer gemeinsam formulierten Erklärung nach Paragraf 257 StPO2 passieren. Der Vorsitzende Richter unterbrach den Vortragenden dabei mehrfach und entzog ihm schließlich das Wort.
- 1Ein Kronzeuge ist eine prozessbeteiligte Person, die gegen Zusage von Strafmilderung oder Straffreiheit für den eigenen Tatbeitrag gegen andere Beschuldigte aussagt. Der Begriff leitet sich aus dem englischen „für die Krone aussagen“ ab. Die Bezeichnung ist irreführend, da der Betreffende kein „Zeuge“ ist, sondern ein Beschuldigter der Informationen gegen Strafnachlass preisgibt.
- 2Befragung des Angeklagten und Erklärungsrechte nach einer Beweiserhebung
Nach zwei Absätzen zu rechter Hegemonie und Gewalt in Ostdeutschland war er der Auffassung, dass sich die Erklärung nicht auf die Aussagen von D. beziehe und daher unzulässig sei. Sein zynisches Angebot, er selbst könne einen Blick über den Text werfen, um danach zu entscheiden, ob der Text ein „politisches Statement“ und damit unzulässig sei, schlugen alle Angeklagten selbstredend aus. Stattdessen insistierte die Verteidigung darauf, dass die bisherigen Ausführungen durchaus von Paragraf 257 umfasst seien. Insbesondere, da die Besprechung von antifaschistischer Politik zentraler Gegenstand in D.‘s Rolle als Zeuge war und ihm damit gewissermaßen ein Expertenstatus zugesprochen wurde – was mit dem Voranschreiten seiner Aussagen mehr und mehr zu einer Farce verkam.
Erklärung zum Zeugen
Es gibt viele Dinge zum Zeugen Johannes D. zu sagen. Über seine sexualisierte und psychische Gewalt muss geredet werden, und es muss über die Frage geredet werden, wie es sein kann, dass sich jemand wie er so lange unwidersprochen in linken Kreisen bewegen kann und was das über sein persönliches Umfeld aussagt. Für diese Auseinandersetzung ist der hiesige Gerichtssaal allerdings nicht der richtige Ort.
Hier ist uns wichtig, nicht unwidersprochen zu lassen, was D. zur politischen Motivation für antifaschistische Arbeit gesagt hat, beziehungsweise was er eben nicht gesagt hat. Dabei wollen wir uns nicht an seinen Aussagen abarbeiten und auch keine Gesellschaftsanalyse in Gänze vornehmen. Wir wollen über die gesellschaftliche Realität rechter Gewalt sprechen, die antifaschistisches Engagement notwendig macht. Leider ist rechtsradikales Gedankengut in der deutschen, aber auch in der weltweiten Bevölkerung, weit verbreitet. Man sieht es an demokratisch gewählten faschistoiden Regierungen wie in Brasilien, Ungarn oder jüngst Italien. Hier sieht man es an den Wahlerfolgen der AfD vor allem in Ostdeutschland, oder an der geflüchteten- und fremdenfeindlichen PEGIDA-Bewegung und ihren lokalen Ablegern. Dort tummelten sich bekennende und aktive Nationalsozialisten zwischen sogenannten besorgten Bürger_innen und trugen ihre menschenfeindlichen Ideen von einer deutschnationalen Vorherrschaft auf die Straße. Ihren Fortgang und ihr nächstes großes Thema fand diese Bewegung in den Corona-Maßnahmen. Auch hier liefen die besorgten Bürger_innen wieder Seite an Seite mit Neonazis und verließen sich bei Gemengelagen mit der Polizei auf deren Schlagkraft. Ein Ergebnis hiervon ist die zunehmende Vermengung neonazistischer Ideologie mit den Gedankenwelten von Teilen der oft bemühten sogenannten Mitte. Diese lässt sich hierzulande allzu leicht von rechter Propaganda aktivieren und mobilisieren – was derzeit in den montäglichen Demonstrationen in Leipzig und anderen Städten Ausdruck findet.
Ebenso distanzlos, wie das Verhältnis zu den Neonazis, ist auch das Verhältnis dieser Bewegung zu Gewalttaten, wie man zum Beispiel an rechten Ausschreitungen wie 2015 in Heidenau oder 2018 in Chemnitz beobachten musste. Aber auch abseits von marodierenden Nazimobs und dazu applaudierenden Bürger_innen ist rechte Gewalt, insbesondere in Ostdeutschland, vielerorts Alltag. Als Teil der unbetroffenen Mehrheitsgesellschaft ist es oft leicht, davor die Augen zu verschließen. Jüd_innen, Linke, Migrant_innen, queere Menschen oder Obdachlose jedoch sind in der nationalsozialistischen Weltanschauung Feindbilder und bekommen das auch regelmäßig zu spüren. Wie das aussieht, sieht man an den Taten des NSU, der in den Nullerjahren zehn Menschen aus u.a. rassistischen Motiven ermordete, an den Morden in Hanau und Halle oder dem Mord an Walter Lübcke. An dem Brandanschlag auf das jüdische Restaurant „Shalom“ in Chemnitz oder an Brandanschlägen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen auf Geflüchtetenunterkünfte, letztens auch wieder in Leipzig-Grünau, 30 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen. Oder nicht zuletzt in Eisenach, wo es die letzten Jahre zahlreiche Übergriffe auf Linke und Menschen mit Migrationshintergrund gab.
Die Liste rechter Gewalttaten ist lang und diese Aufzählung natürlich unvollständig. Weniger sichtbar, aber für viele Menschen alltägliche Realität, sind verbale und körperliche Übergriffe, Ausgrenzung, Unsichtbarmachung oder Gängelung durch Behörden. Rechte Gewalt in Form von Brand- oder Mordanschlägen ist nur die Spitze des Eisbergs. All diese Taten sind keine Einzeltaten und sie passieren nicht losgelöst von den gesellschaftlichen Verhältnissen. Die Ideen, die hinter diesen Taten stehen, haben eine breite Basis. So hat die Rückendeckung, die z.B. die „Gruppe Freital“ im selbigen Ort hatte, oder vielleicht auch immer noch hat, ihren Teil zu den verübten Anschlägen beigetragen. Und auch die von der AfD und Teilen der CDU betriebene Diskursverschiebung bereitet rechter Gewalt einen guten Nährboden. Gewalttätige Neonazis sehen sich in ihrem Gefühl bestärkt, avantgardistische Vorkämpfer für einen Volkswillen zu sein.
Diese Realität setzt sich auch in den deutschen Sicherheitsbehörden fort. Rechte und Neonazis können sich bei der sächsischen Polizei wohlfühlen, sofern sie ihre Gesinnung nicht allzu offen vor sich hertragen. Seien es SEK-Beamte, die den Namen „Uwe Böhnhardt“1 für eine angebrachte dienstliche Tarnidentität halten, oder ein Zwickauer Beamter, der seinen Freunden dabei zusieht, wie sie einen jungen Somalier wegen seiner Hautfarbe verprügeln. Seien es Leipziger Bereitschaftspolizisten, die mit den bekannten Neonazis Brian E.(...) und Alexander Kurth rumkumpeln. Letztere Fälle waren übrigens kein Anlass für Disziplinarverfahren wegen sogenanntem Rechtsextremismus, von denen derzeit 56 Stück bei der sächsischen Polizei laufen. Auch das MEK Dresden, das uns observiert hat, hatte nachgewiesenermaßen Verbindungen zur rechten Terrorgruppe Nordkreuz.
Ganz eklatant verdeutlicht der NSU-Komplex, wie wenig sich Betroffene rechter Gewalt auf die Sicherheitsbehörden verlassen können. Jahrelang fiel es den ermittelnden Behörden nicht ein, dass ihre sogenannten „Dönermorde“ vielleicht doch nicht von kriminellen Migrant_innengruppen, sondern von hausgemachten Neonazis verübt worden sein könnten. Die Familien der Opfer mussten Verhöre und Nachforschungen über sich ergehen lassen, während die Bezahlung der V-Männer ungeprüft zu „Blood&Honour“ und Co floss. Enttarnen musste sich der NSU letztendlich selbst, woraufhin die erste Reaktion der Schlapphüte hastiges Aktenschreddern war.
Notwendige und vielfältige Formen
Klar ist, dass eine nachhaltige Arbeit gegen gesellschaftliche Ungleichheit, gegen rechte Hegemonie und die Träume von einer weißen Volksgemeinschaft in der Verantwortung aller liegt. Es ist nicht hinnehmbar aus Mangel an eigener Betroffenheit wegzuschauen. Dabei ist uns wichtig zu betonen, dass wir hier nicht stellvertretend für alle Antifaschist_innen oder so etwas wie „die Antifa“ sprechen. Genauso wenig, wie es eine zentrale Organisation gibt, gibt es eine einheitliche Antwort auf das Erstarken neonazistischer und anderer regressiver gesellschaftlicher Kräfte.
Recherche, Aufklärung durch Vorträge, Veröffentlichungen und mobile Bildungsangebote, das Schaffen von Freiräumen und Veranstalten von Demonstrationen, die Unterstützung von Betroffenen rechter Gewalt, von verschärften Asylgesetzen oder von Repression – die Formen antifaschistischer Arbeit sind schon seit vielen Jahren vielfältig und haben, anders als von D. geschildert, alle ihre Berechtigung. Die Berechtigung liegt, wie wir hier dargelegt haben, in ihrer offenkundigen Notwendigkeit und darüber hinaus in der historischen Verantwortung, die Idee der Freiheit und Gleichheit aller Menschen gegen ihre Feinde zu verteidigen.
- 1Der rassistische Serienmörder Uwe Böhnhardt war Kernmitglied der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU).