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Rockte Rechts 2010?

Einleitung

Über Jahre war der jugendkulturell orientierte Teil der extremen Rechten im Anwachsen begriffen und ein wichtiger Faktor der »Modernisierung« der extremen Rechten. Ein Rückblick auf das Jahr 2010 zeigt die Dimension dieses Bereiches und die neuen Tendenzen und Entwicklungen.

Bild: attenzione-photo.com

RechtsRock Konzert der NPD in Gera im Juni 2003.

Der Kern – der neonazistische Bereich der RechtsRock-Szene1

Die jugendkulturelle neonazistisch orientierte Szene in Deutschland hat sich auf hohem Niveau stabilisiert. Sie besteht vor allem aus einem Bereich, der zwar optisch der Neonazi-Skinheadszene entwachsen ist, in dieser jedoch seinen Ausgangspunkt hat. Ca. 250 deutsche RechtsRock-Bands und Liedermacher veröffentlichten 2010 knapp über 100 professionell produzierte CDs. Musikalisch handelt es sich um Variationen von Punk und Rock, gelegentlich mit Metal-Einflüssen, 70 Prozent der CDs sind diesem Bereich zuzuordnen.

Der seit einigen Jahren feststellbare Trend in der Szene zum Hardcore hält an, 2010 waren 10 Prozent dem sogenannten National-Socialist-Hardcore (NSHC) zuzuordnen (Vgl. AIB 86). Die NSHC-Szene, welche optisch und thematisch eine hohe Schnittmenge mit den »Autonomen-Nationalisten« aufweist, ist integraler Bestandteil der selbsternannten White-Power-Musikszene. Ca. 20 Prozent der CDs sind Balladen, was deren Beliebtheit und Bedeutung unterstreicht. Die Musik von drei CDs orientierte sich am Rap, aber noch immer wird diese Musik vom größten Teil der Szene als »Neger«-Musik abgelehnt. Eine dieser CDs sollte kostenlos an Jugendliche verteilt werden und war ein strategisch geplanter Unterwanderungsversuch. Nicht in den Zahlen enthalten sind die Bereiche des sogenannten NS-Black-Metal und des extrem rechten Dark-Wave. Obgleich einzelne Bands dieser Genres immer wieder auf Konzerten auftreten und an Produktionen beteiligt sind, die beispielsweise aus Kreisen der NPD organisiert werden, stellen diese doch weitgehend eigenständige Jugend- und Musikkulturen dar.

NPD setzt weiterhin auf Jugendkultur

2010 fanden nach Angaben der Bundesregierung 35 Liederabende und 125 Konzerte statt. Eigene Zählungen ergeben mindestens 200 Veranstaltungen, bei denen Musik einen wesentlichen Anteil gehabt hat. Bei diesen traten ca. 150 verschiedene deutsche Bands auf. Weiter zu nahm die Zahl der NPD-Veranstaltungen, Liederabende, Festivals oder Sommerfeste bei denen sowohl Redner als auch Bands auftraten und die von den Behörden zumeist nicht als Konzerte gezählt werden. Mindestens 31 Veranstaltungen der NPD haben Parteipolitik mit Musik gekoppelt, zumeist durch den Auftritt von LiedermacherInnen. Auf NPD-Open-Air-Festivals wie dem Preußentag, dem Frankentag, dem Sachsentag oder dem Bayerntag traten vornehmlich Rockbands auf.

Die größten Musikveranstaltungen im Jahr 2010 waren das »Pressefest« der NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme mit ca. 1500 Teilnehmenden im sächsischen Waldhufen, 1200 kamen zum NPD-Fest »Rock für Deutschland« in Gera. Diese  im Vergleich zu 2009 (5000 BesucherInnen) geringere Anzahl ist dem als unattraktiv empfundenen Veranstaltungsort und den auftretenden Bands geschuldet, die nicht die Zugkraft der Bands des vergangenen Jahres hatten.

Nicht einsetzen konnte die NPD ihre für den Landtagswahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern neu erstellte Schulhof-CD. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hatte diese im beschleunigten Verfahren indiziert, der Beschluss wurde bestätigt.

Wachablösung im harten Kern?

Neben der NPD ist die Organisierung der RechtsRock-Erlebniswelt und der RechtsRock-Produktionen weitgehend in der Hand von Netzwerken, die auf regionaler wie auch überregionaler Ebene bestehen. Diese verfügen über das notwendige Knowhow, Mobilisierungssysteme, Kontakte und Infrastruktur. Gruppen, die sich am 2000 verbotenen Netzwerk Blood & Honour (B&H) orientierten und teilweise die verbotene Weiterführung von B&H betrieben, haben ihre dominierende Rolle in einigen Regionen eingebüßt. Insbesondere im südwestdeutschen Raum und in Mecklenburg-Vorpommern  etablierten sich verstärkt Hammerskin-Labels und -Strukturen. Auch in Bayern und im gesamten norddeutschen Raum sind die Hammerskins auf dem Vormarsch und bieten dem harten Kern der Szene die Möglichkeit elitärer Selbstverortung.

Strategischer Zugriff auf Rap?

2010 machten mehrere Rap-Projekte im Bereich des RechtsRock von sich reden. Beim Label Gjallarhorn Klangschmiede erschien die CD der Gruppe »Sprachgesang zum Untergang« (SZU), die als Gratis-CD zu Werbezwecken verteilt werden sollte. Hinter dem Projekt stehen Musiker der NSHC-Band Eternal Bleeding. 2 Der Macher der Gjallarhorn Klangschmiede, Malte Redeker, führender Kopf der deutschen Hammerskins, benennt offen seine Strategie, die Hip-Hop-Szene ansprechen zu wollen.

In einer internen Mail äußerte er: »Man mag vom Phänomen ›Sprechgesang‹ halten was man möchte – ich persönlich kann damit eigentlich gar nichts anfangen, allerdings darf die Propagandawirkung nicht unterschätzt werden.« Weder in der RechtsRock-Szene noch darüber hinaus fand die CD besondere Anerkennung, unter anderem, da sich die fehlende Authentizität der Musiker in monotoner Spielweise und allzu hölzernen Reimen niederschlägt. Die Musiker des Rap-Projektes n'Socialist Soundssystem, das auch unter dem Namen Enesess (=NSS) agiert und aus der rheinland-pfälzischen RechtsRock-Band Häretiker hervorging, propagieren unterdessen den Kulturkampf mit und gegen Hip-Hop. Ihre Stücke wurden unter anderem als mp3, auf der Video-Plattform Youtube und auf der »Schüler-CD des Nationalen Widerstand« veröffentlicht. Tatsächlich ist dieses Projekt, was Habitus, Sound und Reime betrifft, näher am Rap als SZU. Zwar wird es in der Neonazi-Szene kritisch begutachtet, aber zumindest der Sound wird als ansprechend wahrgenommen.

Die Hemmschwelle dieser Musik gegenüber sinkt, Lieder mit Versatzstücken aus dem Rap finden sich bei einzelnen RechtsRock-Bands, so z.B. bei der Brandenburger Band Hassgesang. Eine Prognose, ob Hip-Hop in der Zukunft – ebenso wie Black Metal oder Hardcore – zum »festen« Bestandteil von RechtsRock-Milieus werden wird, die integrationsfähiger werden und immer weiter streuen, kann zur Zeit nicht getroffen werden.

Fließende Grenzen

Die jugendkulturellen Ausformungen des Neonazismus und deren Sprache, der RechtsRock, agieren weiterhin dynamisch und integrativ. Die Grenzen zwischen erklärten RechtsRock-Bands und »unpolitisch« auftretenden Bands verfließen sowohl auf inhaltlichen wie auch auf milieuhaften Ebenen. Ein Beispiel ist die Südtiroler Rockband Frei.Wild, die sich in Texten völkisch und nationalistisch äußert, sich selbst jedoch nicht im RechtsRock verortet (vgl. AIB 89).

In der Gesamtanalyse des RechtsRock 2010 ist auffallend, dass sich die Liedtexte und Cover selbst im harten Kern der Szene nicht mehr so offen wie in der Vergangenheit auf den Nationalsozialismus beziehen. An die Stelle der plakativen politischen Propaganda tritt immer häufiger die Beschreibung einer ideologisierten und idealisierten Lebenswelt, in der Nationalismus gepredigt wird, die geprägt ist von einem vermeintlichen (Über-) Lebenskampf und in der demokratischen Werten klare Absagen erteilt werden. Die häufig getroffene Analyse, wonach im RechtsRock die radikalisierte Spiegelung bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse stattfindet, erhält im Rückblick auf das Jahr 2010 nachdrückliche Bestätigung.
 

  • 1Wir verwenden das als feststehenden Begriff etablierte Wort »RechtsRock«, um das gesamte Spektrum neonazistischer Musik zu bezeichnen. Unabhängig vom tatsächlichen Genre.
  • 2Anmerkung der Redaktion: Sicherheitsbehörden rechneten der RechtsRock-Band Eternal Bleeding aus Altenburg die Musiker Oliver Geidel ("Geidi"), Andre Steiniger ("Steini") und Daniel Leimer ("Laumi") zu.