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Sind die „Identitären“ eine Bewegung?

Einleitung

Einen Tag, nachdem die „Identitären“ am 28. August 2016 das Brandenburger Tor erklommen und dort Transparente entrollt hatten, fand sich die Aktion auf den Titelseiten der Berliner Sonntagszeitungen wieder. Die ikonographische Inszenierung der „Identitären“ als „patriotische Jugendbewegung“ hatte ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht, die „Identitäre Bewegung“ (IB) war für den Augenblick medial omnipräsent.

Dem Aufruf der selbsternannten „Bewegung“ zu einer bundesweiten Demonstration am 17. Juni 2016 in Berlin folgten nur knapp 150 Personen.

 Performance, Ikonographie und Popkultur

Bereits 2013 hatte es aus dem Umfeld des neurechten „Institut für Staatspolitik“ (IfS) den Versuch gegeben, Idee und Konzept der „Génération Identitaire“ aus Frankreich in den deutschsprachigen Raum zu importieren. Damals nahmen mit Götz Kubitschek und Martin Schelmesch zwei Protagonisten der deutschen bzw. österreichi­schen „Neuen Rechten“ an einem Kongress der französischen „Identitären“ teil und warben im Anschluss im burschenschaftlichen Milieu dafür, die „Identitären“ als politische Praxis der sonst nur akademisch agierenden „Neuen Rechten“ in Deutschland zu etablieren.

Doch das Echo blieb zunächst verhalten. Formen rechter, jugendkultureller Vergemeinschaftung waren durch eine eindeutig neonazistische Jugendkultur besetzt, die für andere rechte Sozialisationsangebote kaum Raum ließ. So waren die „Identitären“ in Deutschland zunächst vor allem ein virtuelles Facebook- und YouTube-Phänomen, dessen AktivistInnen mit exemplarischen Aktionen und deren videographischer Wiedergabe im Internet auf sich aufmerksam zu machen suchten. Doch regional ansprechbare Ortsgruppen gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Vorläufer

Die Gruppe um Götz Kubitschek war seit langem auf der Suche nach politischen Inszenierungsformen, die sich eignen sollten, nicht-nazistischen, gleichwohl extrem rechten Inhalten Publizität und Reichweite zu verschaffen. Hierzu rezipierten Götz Kubitschek und Felix Menzel intensiv die Theorie und Praxis strategischer politischer Kommunikation der 1968er Jahre, die wesentlich von Hans Jürgen Krahl und Rudi Dutschke entwickelt worden war. Deren Konzept der „Subversiven Aktion“ zielte darauf, den Konsens und die politischen Rituale des postnazistischen Adenauer Staates zu stören, indem dieser gezielt symbolisch provoziert, vorgeführt und lächerlich gemacht werden sollte. Zudem beschäftigte sich Felix Menzel intensiv mit der politischen Ikonographie der Linken und den Gründen für ihre starke Reichweite. Aus dieser Rezeption entwickelten Kubitschek et al. das Konzept der „Konservativ-Subversiven Aktion“ (KSA), mittels derer das bei den neurechten Akteuren so verhasste linksliberale Establishment in seiner Wohlfühlzone gestört werden sollte. In diesem Sinne war die Störung einer Lesung von Günther Grass im Hamburger Thalia Theater ebenso zu verstehen, wie eine Flugblattaktion an der Humboldt Universität in Berlin aus Anlass eines Kongresses linker Hochschulgruppen. Von daher gesehen muss die KSA als Testlauf für viele Aktionsformen der „Identitären“ gelten.

Zielgruppen der „Identitären“

Anders als im Falle neonazistischer Kameradschaften und der mit ihr assoziierten Jugendkultur des RechtsRocks sind Aktionsformen und Habitus der „Identitären“ vornehmlich an eine akademisch-burschenschaftlich sozialisierte Klientel adressiert. Die Praxis der „Identitären“ ruht offenbar auf mehreren Säulen. Eine ist die der Vergemeinschaftung. Mit ihren Wanderungen, Fahrten und Lagerfeuern adaptiert sie die bündische Tradition der extremen Rechten.  Ihr expressiv die Aufmerksamkeitsökonomie der Medien bespielender Aktivismus sucht die popkulturelle Repräsentation ihrer rechten Inhalte zu popularisieren. Eine weitere Säule soll die theoretische Schulung der AktivistInnen bilden, die in Lektürekursen zu Schlüsseltexten der Neuen Rechten erworben werden soll.

Neben den Manifesten der „Identitären“ werden auch Texte der Linken zur Lektüre empfohlen. So fand sich etwa auf einer Lektüreliste der  „Identitären“-Gruppe „Kontra Kultur“ Halle (Saale) auch ein Hinweis auf die „Dialektik der Aufklärung“. Von rechts gelesen dürfte hier wohl der hintergründige Kulturpessimismus des berühmten „Kulturindustrie“-Kapitels im Mittelpunkt des Interesses stehen. Dieser trifft in der Lesart der intellektuellen Rechten den Ton der Rhetorik vom nahe bevorstehenden Untergang des Abendlandes, wie er der konservativen Revolution eingeschrieben war, und wovon das rechts­intellektuelle Milieu bis heute zehrt.

Der elitäre Gestus und die vornehmlich auf ein akademisch-burschenschaftliches Umfeld zielende Ansprache zur Rekrutierung der „Identitären“ kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die IB an ihrer Basis auch vormaliger Neonazikader bedienen. Diese werden rekrutiert, da sie über eine extrem rechte Sozialisation und Politisierung verfügen und oftmals bereits einschlägige Erfahrungen als Aktivisten mitbringen. So lassen sich durchaus Beispiele einer personellen Kontinuität zwischen der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) und der „Identitären Bewegung“ (IB) finden.

Programmatik

Verfügen die „Identitären“ über eine geschlossene Programmatik? Nein. Die wenigen programmatischen Aussagen zu Themen wie Kultur, Einwanderung, dem Begriff von „Volk und Nation“ lesen sich wie ideologische Versatzstücke, die nach dem Baukastenprinzip zusammengesetzt sind. Dabei bedient sich die IB breit aus der Ideengeschichte der extremen Rechten, der politischen Romantik des 19. Jahrhunderts und rechter ästhetischer Codes anderer Länder und Bewegungen. Der Ideologiemix mutet mitunter abenteuerlich an, wenn Friedrich Nietzsche und Ernst Jünger mit Elementen der dem Fußball entstammenden Ultra-Fankultur vermengt werden.

Die sehr weitgehende Elementarisierung ideologischer Schlüsselbegriffe der Neuen Rechten durch die „Identitären“ mag sich im Moment propagandistischer Medienoffensiven als Stärke ausspielen lassen. Doch ob die rechte Fastfood-Ideologie der „Identitären“ eine bewegungstragende Wirkung entfalten kann, muss sich erst noch zeigen.

Prägend für die „Identitären“ ist gewiss ihr offensiv vorgetragener Ethnopluralismus, den sie in so griffige Formeln wie „100 Prozent Identität. Null Prozent Rassismus“ zu fassen suchen. In Videos und Statements wird die These, es dürfe keine Vermischung der Kulturen geben bzw. diese seien in ihrer Eigenart, sprich Identität bedroht, zur wiederholten Phrase, die als Feinderklärung den „Multikultis“ gegenübergestellt wird. Wer die Aussagen der IB zum Thema Kultur liest, sieht sich unversehens ins wilhelminische Kaiserreich zurück versetzt: nationaler Pathos, Mythen und ein diffuser Bezug auf das Erbe Euro­pas bestimmen das Bild. Sieht man genauer hin, entfaltet sich das Panorama eines reaktionären, monoethnischen und autoritären Europas, in dem das Christentum nur eine gebrauchte Chiffre für die Vorherrschaft des weißen Mannes darstellt.

Bewegung oder propagandistisches Perpetuum Mobile?

Martin Sellner, der egozentrische „Co-Sprecher“ der „Identitären“ aus Österreich, wird nicht müde, in seinen Videoblogs vom Aufbau einer europaweiten, patriotischen Bewegung zu fabulieren, die täglich neue AnhängerInnen rekrutiere. Angesichts des Niedergangs neonazistischer jugendkultureller Milieus steht die Frage, ob die völkische Popkultur der IB diese beerbt hat oder deren kulturelle Transformation darstellt. Dies kann im Moment des scheinbaren Aufstiegs der IB nicht sinnvoll beurteilt werden. Nur eines ist klar: Eine Bewegung im Sinne der Indikatoren der Bewegungsforschung sind die Identitären nicht. Anders als die vielfältigen Formate rassistischer Mobilisierungen im Schnittpunkt zwischen Neonazis, rechten Wutbürgern und parteipolitischem Rechtspopulismus ist die IB keine sich formierende Bewegung, sondern ein von wenigen neurechten Akteuren betriebenes Perpetuum Mobile, welches seine Energie aus der Effizienz medialer Selbstinszenierung bezieht.

Die „Identitären“ leben von ihren bildhaften und symbolischen Selbstinszenierungen von Heros und Mythos. Wer die Reichweite jener Bildsprache, welche die "Identitären" von sich selbst entwerfen, begrenzen will, muss ihre Ikonographie dekonstruieren. Das hätte im Falle der Aktion am Brandenburger Tor bedeutet, eben nicht die Bilder der Aktion als angeblichen Skandal oder unerträgliche Provokation einfach nur auf der Titelseite einer Zeitung abzubilden, und damit im Sinne ihrer Produzenten zu verfahren, sondern konsequent an den ideologischen Kontexten und Inhalten der Gruppe zu argumentieren und diese zu dechiffrieren.

Im Falle der Veranstaltung im Berliner Maxim-Gorki-Theater, wo die „Identitären“ eine Diskussion zwischen dem Verleger Jakob Augstein und der Theologin Margot Käsmann störten, hätte dies bedeutet, auf diese Aktion mit dem Ort — einem Theater — angemessenen, theatralischen Mitteln zu antworten, statt nur ein Hausverbot zu erteilen. Die „Identitären“ führen einen Kulturkampf von rechts um Begriffe, Symbole und Bilder. Dies zu verstehen, ist der erste Schritt einer politischen Auseinandersetzung mit dieser gar nicht mehr so neuen Spielart der extremen Rechten.