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Verfolgungseifer und V-Mann-Phantasien in Hamburg

Einleitung

Zu einer Justizposse kam es im Herbst 2021 in Hamburg. Ein Antifaschist war vor dem Amtsgericht wegen eines Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz angeklagt worden.1

Ihm wurde vorgeworfen, im Juni 2020 bei einer „Outingaktion“ vor der Wohnung des Hamburger Neonazis Karel Haunschild ein Flugblatt verteilt zu haben, auf dem ein Foto von diesem zu sehen war. Haunschild ist stellvertretender Kreisvorsitzender der NPD Hamburg und seit Jahren aktiv in der örtlichen Neonaziszene. Dieser hatte nach der Aktion auf Anraten der Polizei hin Anzeige gegen unbekannt erstattet. Nachdem er Staatsschutz auf einem unscharfen Foto, das ein Anwohner von einigen vor Ort anwesenden Personen gemacht hatte, niemanden identifizieren konnte, flatterte dem Antifaschisten im Frühjahr 2021 dennoch ein Strafbefehl ins Haus. Diesen akzeptierte er nicht und so kam es zum Prozess vor dem Amtsgericht Hamburg.

Bei der Akteneinsicht stellte sich heraus, dass das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz der Staatsanwaltschaft einen Hinweis auf den Antifaschisten gegeben hatte, was eindeutig gegen das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdienst verstößt. Dieser Verfassungsgrundsatz darf nur verletzt werden, wenn beispielsweise die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder ein Menschenleben in Gefahr ist, was bei einem Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz wohl kaum der Fall ist.

Karel Haunschild legte vor Gericht einen beeindruckenden Auftritt hin. Er verstrickte sich schon in seinen ersten Sätzen in Widersprüche und sorgte innerhalb weniger Minuten dafür, dass das Konstrukt der Anklage in sich zusammenfiel. Haunschild blieb dem Prozess teilweise fern oder weigerte sich, im Gerichtsgebäude eine Maske zu tragen, was er mit einem gefälschten Attest rechtfertigen wollte. Weiter erklärte er, dass die Bilder, um die es ging und durch deren Veröffentlichung er sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt sah, sich selbstverständlich frei im Internet finden ließen. Man müsse dazu nur seinen Namen googeln, außerdem sei er ja 2019 offizieller NPD-Kandidat für das EU-Parlament gewesen.

Haunschild zeigte sich als durchaus kontaktfreudig gegenüber den Ermittlungsbehörden und suchte offenbar  häufiger Kontakt zu Gericht und Polizei. Dabei ging es mal darum Personenschutz zu erfragen, mal um seine Probleme, Depressionen und Panikattacken. Er gab an, in den letzten Monaten häufiger Gast im Hamburger Polizeipräsidium gewesen zu sein und meinte, er sei dorthin stets freundlich eingeladen worden.

Im Verlauf des Prozesses wurde klar, dass Haunschild den Ermittlern angeboten hatte, sie über die Hamburger rechte Szene zu informieren und sich davon im Gegenzug einen Waffenschein versprach. Während der Verhandlung gab es mehrere Hinweise auf eine Zusammenarbeit zwischen Polizei und VS und auf mehrere Treffen Haunschilds mit dem LKA mit unklarem Hintergrund. Leider blieben aber dabei die konkrete Rolle des LfV, des Staatsschutzes und der Staatsanwaltschaft in diesem Fall im Dunkeln.

Haunschilds Auftreten jedenfalls ließ vermuten, dass er selbst nicht die treibende Kraft hinter der Strafanzeige gewesen war. Er schien nicht wirklich zu wissen, worum es eigentlich genau in der Anzeige ging, außerdem zeigte er durch sein Fernbleiben deutlich sein Desinteresse am Ausgang des Prozesses. Viel eindeutiger schien hier das Verfolgungsinteresse der Behörden gegen einen aktiven Antifaschisten zu sein. Beobachter_innen berichten von einem übertriebenen Ermittlungseifer gegen Links, da wegen eines Bagatelldelikts wie einem Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz drei Verhandlungstage vor Gericht angesetzt wurden. Das Verfahren wurde schließlich gegen eine Zahlung von 300 Euro an die Hamburger Stiftung Gedenkstätten und Lernorte eingestellt.

Für Haunschild hat sein Verhalten in dem Verfahren nun unangenehme Folgen. Nicht nur, dass er sich wegen des Nichttragens der Maske und der gefälschten Maskenbefreiung wohl empfindliche Geldstrafen eingehandelt hat - vor allem wurde so öffentlich, dass er keine Skrupel hat, mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren und diesen sein Insiderwissen aus der Neonaziszene anzubieten. Dies dürfte bei seinen Kameraden voraussichtlich zu einigem Unmut führen.