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Von antimuslimischem Rassismus und der Rolle der radikalen Linken

Antifaschistische Linke International (A.L.I.) (Gastbeitrag)
Einleitung

Antimuslimischer Rassismus ist allgegenwärtig: Der neuen Rechten dient er als Anschlusspunkt bis weit in die bürgerliche Gesellschaft, die Bundesregierung hetzt mit Sicherheitsdebatten gegen Muslime, Muslima sowie MigrantInnen aus muslimischen Kontexten, SPD und Grüne fallen mit ein, die Zivilgesellschaft schweigt oder wird ignoriert und auch die radikale Linke tut sich schwer, ernsthafte Antworten zu formulieren.

Antifa raus aus der Handlungsunfähigkeit

Antimuslimischer Rassismus ist allgegenwärtig: Der neuen Rechten dient er als Anschlusspunkt bis weit in die bürgerliche Gesellschaft, die Bundesregierung hetzt mit Sicherheitsdebatten gegen Muslime, Muslima sowie MigrantInnen aus muslimischen Kontexten, SPD und Grüne fallen mit ein, die Zivilgesellschaft schweigt oder wird ignoriert und auch die radikale Linke tut sich schwer, ernsthafte Antworten zu formulieren.

Stattdessen reihen sich Antideutsche in den rechten Tenor gegen „den Islam“ ein und auch so manchem alternativen Kulturzentrum fällt nichts anderes ein, als migran­tische Männer zur Ursache von Sexismus zu erklären. Vor allem fällt aber auf, dass ein Großteil der (radikalen) Linken zum Thema schweigt. So gibt es kaum öffentlich wahrnehmbare und verhandelbare linke Analysen, Erklärungen und damit verbundene Antworten sowohl auf IS-Ausreiser, als auch auf Terroranschläge als auch auf antimuslimischen Rassismus. Die Debatte wird dominiert von Rechts, was zu mehr brennenden Wohnheimen, weiteren Asylrechtsaushöhlungen, sowie Stigmatisierung und Ausgrenzung von Menschen führt, denen Muslimisch-Sein zugeschrieben wird. Letzteres ist bis in die radikale Linke hinein spürbar. Anstatt Deutungen der Herrschenden unkritisch zu übernehmen, müssen wir vor dem Hintergrund der post- oder neokolonialen, imperialien Gesellschaft linke Analysen entwickeln. Notwendig ist, dass wir uns mehr Wissen aneignen: Über koloniale und imperiale Kontinuitäten, über wechselseitig sich beeinflussende gesellschaftliche Entwicklungen, vor allem über deren herrschaftsstabilisierende Funktion.

Beispielsweise dient die Abgrenzungen von „dem Islam“ der Rechtfertigung imperialer Kriege, der Verunmöglichung von Sexismus-Debatten innerhalb Deutschlands und der Bereitstellung billiger, ausbeutbarer Arbeitskraft. Zu einer besseren Orientierung in den derzeitigen Geschehnissen gehört auch die verschiedenen Strömungen des Islams und seine Auslegungen zu verstehen und einordnen zu können. Mit diesem Wissen können die rassistischen Zuschreibungen sichtbar werden und wie mit diesen zum Teil gleichbleibenden, zum Teil sich wandelnden Zuschreibungen seit Jahrhunderten brutale Unterdrückung gerechtfertigt wird. Etwa die öffentlich auf einer Bühne erzwungene Entschleierung von verschleppten Frauen in Algerien 1958 durch die französische Kolonialmacht oder der Krieg vermeintlich für Frauenrechte in Afghanistan. Dies zeigt exemplarisch die seit Jahrhunderten andauernden brutalen Verhandlungen von Identität und vermeintlicher Fortschrittlichkeit am Frauenkörper und der damit verbundenen Machtdemonstrationen und -legitimationen. Vor diesem Hintergrund können wir die Niederträchtigkeit der aktuellen Politik nach der Silvesternacht in Köln '15/'16 und nach dem Attentat auf dem Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember '16 begreifen und linke Antworten formulieren.

Um das Ausmaß dieses alltäglichen Rassismus zu begreifen und ernsthafte solidarische Antworten zu finden, ist es unabdingbar, dass wir uns auf jene zubewegen, die von diesem Rassismus betroffen sind, von ihnen zu lernen, dabei auch uns selber hinterfragen zu lassen und die eigene Position und Strukturen nutzbar zu machen für eine Intervention in den allgegenwärtigen antimuslimischen Rassismus — eine der relevanten Grundlagen für die derzeitige Verschiebung nach rechts. Solidarität können wir aber nur im Austausch mit denen entwickeln, mit denen wir solidarisch sein wollen. Immer wieder werden wir gefragt, was wir als radikale Linke mit Religion zu tun hätten und dass wir uns doch nicht ernsthaft auf Muslime und Muslima und damit auf religiöse Kräfte beziehen könnten.

Erstens geht es bei unserem Bezug auf beispielsweise muslimische Feministinnen weniger um Religion. Es geht um Rassismus und wie damit Politik gemacht wird, wenn beispielsweise über „den Islam“ anstatt über Sexismus diskutiert wird und sich dabei in kolonialer Tradition der eigenen Fortschrittlichkeit rückversichert wird. Zweitens erscheint es absurd, wie stark die eigene marxistisch begründete Anti-Religiösität vor sich hergetragen wird, sobald das Stichwort Islam fällt. Auch bei Relektüre von Marx, Lenin und Engels fällt auf, dass hier ein Missverständnis vorliegt. Sie fordern lediglich dazu auf, die herrschaftsstabilisierende Funktion von Religion zu verstehen und diese ideologisch vermittelnde Rolle selber mit linken Inhalte zu füllen. Antimuslimischer Rassismus zielt nicht nur auf Muslime und Muslima, sondern erklärt gerade auch Menschen zu etwas, was sie gar nicht sind. Dennoch halten wir es für falsch, uns nur auf die nicht religiösen Menschen zu beziehen, mit der Begründung, diese seien ja gar nicht muslimisch. Auch ein Großteil der Gläubigen ist nicht so, wie es uns der antimuslimische Rassismus weismachen will. Wenn religiöse Zuschreibungen der rassistischen Unterdrückung dienen, müssen wir auf der Basis der Kenntnis der verschiedenen, teils auch innermuslimischen Aushandlungen, positive Bezugspunkte aufeinander finden, um dem gegenwärtigen Rassismus auch in seiner herrschaftststabilisierenden Funktion eine breite Solidarität und linke Bündnisse entgegenzusetzen.

Feminismus und Antirassismus werden gegeneinander ausgespielt, z.B. mit der „Kopftuch-Debatte“ oder den rassistischen Auslagerungen von Sexismus auf muslimische Männer. Schon lange wird Kritik seitens Women of Color und Schwarzen Frauen an westlichen feministischen Bewegungen laut. Die mehrheitlich weiße Bewegung verunsichtbare unterschiedliche Diskriminierungen, Positionierungen und Erfahrungen, sei eurozentristisch und urteile dabei gerne paternalistisch über andere Bewegungen oder lasse sich durch Eingliederung ins hierarchische System befrieden. So waren weiße Frauen von Beginn an in Kolonialgesellschaften beteiligt. Aktuell haben sie auf dem Rücken des Antirassismus einen Teilerfolg mit dem im Zuge von Köln erneuerten Sexualstrafrecht errungen. Dieses Gesetz weist jedoch weiterhin Lücken auf und trägt weiterhin nicht dem Umstand  Rechnung, dass gesellschaftliche Abhängigkeitsverhältnisse, sowohl ökonomisch als auch asylrechtlich bedingt, Teil des Problems sind. Wir müssen Kritiken von Women of Color und Schwarzen Frauen hören, das regierungstechnische Ausspielen verstehen und uns nicht mit einem Stück vom Kuchen befrieden lassen.

Anstatt in die alltäglich propagierte Gleichsetzung von Islam und Terror einzustimmen, versuchen wir Bezugspunkte zu finden, die diesen Zuschreibungen widersprechen. Damit wollen wir sowohl aus den rassistischen Diskussionen ausbrechen, indem wir sowohl dem propagierten „Kampf der Kulturen“ widersprechen, als auch Antworten aus muslimischer Perspektive auf Patriarchat oder unterdrückerische religiöse Strömungen dadurch anerkennen und stärken, dass konservativen Islamverbänden oder Auslegungen die alleinige Deutungshoheit entzogen wird. Diese sind auch deshalb so stark, da nur sie in den rassistisch-antimuslimischen Debatten präsent sind. Muslimischer Feminismus ist dabei eine Strömung akademischer Muslime und Muslima, die mit der Neuauslegung der Quellen des Qur'an, der Neuschreibung der Geschichte aus Frauenperspektive, der Revision der islamischen Rechtsschulen und/oder internationalem Aktivismus gegen religiös begründete patriarchale Unterdrückung vorgeht. Es gibt viele national und international agierende Netzwerke, die sich gegenseitig empowern, Öffentlichkeitsarbeit machen und feministische Ziele oft auch mit antiimperialen Kämpfen verbinden. Einige davon sind: Musawah — For Equality in the Muslim Family, Women living under Muslim Law, Rahima (Indonesien), Sisters in Islam (Malaysia) oder das Zentrum für islamische Frauenforschung und Frauenförderung (Deutschland). Im arabischen Frühling sind viele Frauen aufgestanden und haben im Zuge der Absetzung der alten Regime für ihre Rechte gekämpft. Dies sind nur einige Beispiele für feministische Kämpfe aus und in muslimischen Communities. Es lassen sich Bezugspunkte finden - auch in unseren Städten, wenn wir die Augen aufmachen und bereit sind, uns solidarisch an die Seite derjenigen zu stellen, die von der rechten Hetze von AfD und Neonazis bis hin in die bürgerliche Gesellschaft tagtäglich betroffen sind — nicht erst wenn Wohnungen brennen oder Menschen sterben.

Mehr zum Thema? Die beiden Broschüren „A Women's Voice is a Revolution — Zu antimuslimischem Rassismus und muslimischen Feminismus“ und „nachgelegt: A Women's Voice is not an old Man's Revolution — Zu Antimuslimischen Rassismus und Religionskritik“ könnt ihr bei inventati.org/ali bestellen oder die Antifaschistische Linke International A.L.I. zu einer Veranstaltung auch in eure Stadt einladen.