Skip to main content

Von Sachleistungen und Abschiebung

Einleitung

In letzten Monaten haben Bundestag und Bundesrat fast unbemerkt von jeglicher Öffentlichkeit zwei Gesetzespakete verabschiedet, die die Lebensbedingungen von Flüchtlingen und MigrantInnen in Deutschland noch einmal drastisch verschlechtern.

Zum einen gilt seit dem 1. Juli 1997 das sog. »novellierte« Asylbewerberleistungsgesetz; zum anderen sind im Ausländergesetz neue Abschiebekriterien für MigrantInnen geschaffen worden, um noch mehr Menschen noch schneller abschieben zu können.

Bild: flickr.com/agfreiburg/CC BY-NC-SA 2.0 DE

Das »neue« Asylbewerberleistungsgesetz

Schon seit 1993 erhalten AsylbewerberInnen im ersten Jahr des Asylverfahrens die Sozialhilfe nicht mehr in Form von Bargeld, sondern als »Sachleistungen«. Was »Sachleistungen« bedeutet, wird von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich interpretiert.

Einige Bundesländer, wie Berlin, verteilen Gutscheine, die die AsylbewerberInnen beispielsweise in Berlin nur in bestimmten Läden einlösen können. In Brandenburg dagegen werden die Gutscheine von mehreren Firmenketten akzeptiert. In anderen Bundesländern, so in Sachsen, erhalten AsylbewerberInnen im ersten Jahr nur Lebensmittelpakete. Widerstand und Protestaktionen von Flüchtlingen und Unterstützerinnen, wie z.B. der Tausch von Gutscheinen oder Waren gegen Bargeld, Kundgebungen, Hungerstreiks etc., haben immer wieder dazu geführt, daß die Behörden - zum Beispiel in Nordrheinwestfalen – die härtesten Bestimmungen ändern mußten.

Am 1. Juli diesen Jahres ist ein neues Asylbewerberleistungsgesetz in Kraft getreten. Gegenüber Sozialhilfeempfängerinnen mit deutscher Staatsangehörigkeit erhalten AsylbewerberInnen jetzt 20% weniger Sozialhilfe. Erwachsene erhalten seitdem 360 Mark, Kinder von sieben bis 18 Jahren gar nur 220 monatliche Sozialhilfe.

Einerseits gibt der Gesetzestext den Behörden vor Ort mehr Spielraum, ob sie »unter Berücksichtigung der Umstände« den Flüchtlingen die Sozialhilfe als Bargeld, Sachleistungen in Form von Gutscheinen oder »anderen unbaren Leistungen«, etwa die erwähnten Pakete, auszahlen.

Andererseits wurde der Kreis der Betroffenen auf rund 500.000 Menschen bundesweit drastisch ausgeweitet. Angewendet wird es so für Kriegsflüchtlinge aus Bosnien und anderen ex-jugoslawischen Staaten - Flüchtlinge, die keine Anerkennung als Asylberechtigte erhalten, aber aufgrund der Situation in ihren Heimatländern zeitweiligen Abschiebeschutz erhalten haben (z.B. Palästinenser aus dem Libanon) und zum Teil schon seit mehreren Jahren in Deutschland leben sowie alle AsylbewerberInnen in laufenden Asylverfahren.

Das Asylbewerberleistungsgesetz gilt für alle Betroffenen seit dem 1. Juli 1997 für drei Jahre - unabhängig davon, wie lange diese Menschen schon in der BRD leben. Eine Reihe von Bundesländern hat den »Spielraum«, den das neue Asylbewerberleistungsgesetz den Behörden vor Ort bietet, genutzt, um die Bargeldzahlung von Sozialhilfe endgültig für alle Flüchtlinge zu streichen und Gutscheine auszugeben. Die Flüchtlinge erhalten dann nur noch ein monatliches Taschengeld von 80 Mark in bar.

Vorreiter ist einmal mehr Berlin: Hier müssen momentan 2.500 Flüchtlinge mit Gutscheinen in zwei Sammelmagazinen der Hotel- und Heimbetreiberfirma SORAT einkaufen. Die Läden, beliefert von der SPAR GmbH, haben keine regulären Öffnungszeiten, sondern sind am Wochenende geschlossen. Frische Waren gibt es kaum. Fast alle Nahrungsmittel sind 20% teurer als in normalen Supermärkten; die Flüchtlinge müssen quer durch die ganze Stadt fahren, um zu den Läden zu kommen. Der Senat will, daß nach der Sommerpause auch die rund 30.000 Flüchtlinge, die bisher noch von den Bezirken ihre Sozialhilfe in Bargeld bekommen, unter die Gutschein-Regelung fallen sollen und so in den Sammelmagazinen einkaufen müssen.

Die SORAT GmbH, an ihre Spitze Wilhelm Pleß (Geschäftsführer), Helmuth Penz (u.a. ELTEC GmbH, SORAT Art Hotels, PeWoBe) und Dietrich Garski, rechnet bereits damit, dann weitere Sammelmagazine zu eröffnen...

Inzwischen haben allerdings Flüchtlinge vor dem Berliner Verwaltungsgericht gegen diese »Geschäfte« geklagt und Recht bekommen. Der Senat ist gegen das Urteil beim Oberverwaltungsgericht in Berufung gegangen; mit einer Entscheidung ist ab Ende August zu rechnen.

Auch anderswo wehren sich Flüchtlinge gegen das neue Asylbewerberleistungsgesetz: In Brandenburg, wo bisher Flüchtlinge, die nicht in Sammellagern, sondern in eigenen Wohnungen leben, die Sozialhilfe noch in Bargeld erhielten, haben Betroffene aus Fürstenwalde zwei Wochen lang die Annahme der Gutscheine verweigert. Das Landratsamt Oder-Spree sagte ihnen daraufhin wenigstens eine Einzelfallprüfung zu. Auch in Brandenburg-Stadt und in Teltow gab es Proteste von Flüchtlingen. Klar ist: Ohne die Unterstützung von antirassistischer und antifaschistischer Gruppen haben die Flüchtlinge noch geringere Chancen, sich  gegen die neue Abschreckungspolitik zu wehren. Der Aufkauf von Lebensmitteln und Gutscheinen, der Tausch Ware gegen Bargeld ist eine wichtige Form der Solidarität.

Verstärkte Abschiebungspolitik

Die Änderung des Ausländergesetzes bedeute für die davon Betroffenen eine erhebliche Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit. Schon die Teilnahme an einer verbotenen Kundgebung kann zur Abschiebung führen.

So sollen Menschen ohne deutschen Paß künftig zwingend ausgewiesen werden, wenn sie zu einer Freiheits- bzw. Jugendstrafe von mindestens drei Jahren (zuvor fünf Jahre) oder in den letzten fünf Jahren zu mehreren Strafen von insgesamt drei Jahren (zuvor acht Jahre) verurteilt werden. Bei Freiheitsstrafen von mindestens zwei Jahren ist eine Abschiebung möglich, aber nicht zwingend. Wer wegen schweren Landfriedensbruches oder wegen einfachen Landfriedensbruches im Rahmen einer verbotenen bzw. aufgelösten Demonstration/Kundgebung zu zwei Jahren ohne Bewährung verurteilt wird, wird ebenso ausgewiesen.

Auch bei Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz ziehen Verurteilungen zu mindestens zwei Jahren ohne Bewährung zwingend  eine Ausweisung nach sich. Menschen ohne deutschen Paß werden »in der Regel« ausgewiesen, wenn sie an einer verbotenen oder aufgelösten öffentlichen Versammlung teilnehmen, aus der heraus Landfriedensbruch begangen wird. Dazu ist nicht einmal mehr eine rechtskräftige Verurteilung notwendig. Die bloße Behauptung irgendeines Polizeibeamten reicht aus, um Menschen auszuweisen. Das kommt einem Demonstrationsverbot für Ausländerinnen gleich. Sie werden polizeilicher Willkür ausgesetzt und haben nicht einmal mehr das Recht auf ein Gerichtsverfahren.

Immerhin ist bekannt, wie schnell die Polizei eine Demonstration auflösen kann und wie schnell der Vorwurf des Landfriedensbruches erhoben wird. Es kann also durchaus sinnvoll sein, sich auf Demonstrationen oder Kundgebungen intensiv einzumischen, wenn Polizisten versuchen, ausländische Leute festzunehmen.

Weiterhin sieht das geänderte Ausländergesetz vor, daß grundsätzlich alle Flüchtlinge aus Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten ab dem vollendeten 14. Lebensjahr erkennungsdienstlich behandelt werden. Besondere Erwähnung sollte hier noch die Änderung des Art. 19 AusIG, »Eigenständiges Aufenthaltsrecht des Ehegatten«, finden. Mußte eine Frau früher mindestens drei Jahre mit ihrem (evtl. gewalttätigen) Ehemann verheiratet bleiben, um nach der Scheidung ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu bekommen, wäre das heute auch ohne Frist möglich.

Dafür muß nun eine besondere Härte im Falle einer Rückkehr (Repressionsandrohung im Herkunftsland der Frau) nachgewiesen werden, damit ein eigenständiger Aufenthalt zugestanden wird. Sollte die Frau nach einer Scheidung allerdings von Sozialhilfe abhängig sein, kann ihr trotz besonderer Härte die Aufenthaltserlaubnis verweigert werden. Da dies wohl auf die meisten betroffenen Frauen zutreffen dürfte, wird das Gesetz zur zynischen Farce. Diese Verschärfungen der ohnehin schon rassistischen Ausländergesetze sind fast ausnahmslos von allen Parteien begrüßt und befürwortet worden.

Auch wenn es schon fast zu spät scheint: Solidarität mit den Betroffenen beginnt da, wo gemeinsam Sand ins Getriebe der Abschiebemaschinerie gestreut wird...

Dank an die Antirassistische Initiative Berlin, den Berliner Ermittlungsausschuß und den Flüchtlingsrat Berlin.