Fortsetzung einer sehr alten repressiven Politik
Interview mit Sigrid TöpferSeit dem 1. Januar 2005 ist das neue Zuwanderungsgesetz in Kraft getreten. Dieses neue Gesetz ist nach jahrelangen Diskussionen in den Parteien zustande gekommen und beinhaltet umfangreiche Veränderungen bereits bestehender Gesetze. Die wesentlichsten Neuerungen und die Konsequenzen für die Betroffenen sollen hier kurz dargestellt werden.
Die Intention des neuen Gesetzes war, die Einwanderung zu ermöglichen, Integration zu fördern und Flüchtlinge besser zuschützen. Sind diese formulierten Ziele erreicht worden?
Nein, keines dieser Ziele, ist erreicht worden, wobei man auch ernsthaft bezweifeln darf, dass es so wie es formuliert war auch politisch gewollt ist. Eine Einwanderung im eigentlichen Sinne wird nur noch hochqualifizierten Personen ermöglicht. Im Bereich der Flüchtlingsmigration, die aber auch erheblich eingeschränkt ist, bzw. auch für anerkannte Flüchtlinge, ist das neue Gesetz mit wesentlichen Verschlechterungen verbunden. Ansonsten ist Einwanderung ausgeschlossen, weil Sie nur im Rahmen von Familienzusammenführung stattfindet. »Integration fördern« ist erstmals im Gesetz aufgenommen worden, wenn man das hört denkt man das ist etwas positives und freiwilliges. Natürlich ist es gut Sprachkurse, politischen Unterricht und ähnliches anzubieten. Aber erstens ist die Qualität dieser Kurse ungeklärt und zweitens ist Tatsache das dies verlangt wird, um daran Sanktionen knüpfen, z.B. bestimmte Erlaubnisse nicht erteilen zu können. Das ist ein zweischneidiges Schwert. Was gesellschaftlich dabei rauskommt wird man erst im Nachhinein beurteilen können.
Wie sehen die Kernpunkte des Zuwanderungsgesetzes aus?
Das Zuwanderungsgesetz ist ein Oberbegriff, es enthält mehrere Artikel und jeder Artikel entspricht wieder einem neuen Gesetz. Am grundsätzlichsten wurde das Ausländergesetz geändert, welches jetzt Aufenthaltsgesetz heißt. Und innerhalb des Aufenthaltsgesetz wird politisch etwas fortgesetzt was im Jahre 1990 im alten Ausländergesetz schon begonnen wurde. Es ist die Fortsetzung einer sehr alten repressiven Politik, welche im Kern zwei Prinzipien hat: Zum einen, neue Einwanderung so gut wie zu verhindern und zum anderen, diejenigen die keinen gesicherten Aufenthalt haben los zu werden. Das bedeutet massive Abschiebungen und gleichzeitig eine Abschottung nach Europa und Deutschland hinein.
Es wurden die Nachfluchtgründe abgeschafft. Was waren die Nachfluchtgründe und was bedeutet diese Änderung für die Betroffenen?
Politische Nachfluchtgründe sind, das Entfalten von Exilaktivitäten von Flüchtlingen, die erfolgreich das Heimatland verlassen haben. Diese Aktivitäten wurden und werden in aller Regel schon während des Asylverfahrens betrieben und werden nun nicht mehr einen Asylanspruch begründen können. Das ist ein Prinzip womit, wenn man sich Ausweisungs- und Abschiebegründe anguckt, politische Aktivität im Exil unterbunden werden soll. Wenn Menschen fundamental das Heimatland kritisieren oder auch bestimmte politische Prinzipien, die hier geübt werden, können diese dann kriminalisiert werden. Das ist eine erheblich Veränderung und macht klar, dass nur das was in der Heimat zur Verfolgung geführt hat, (worüber man oft sehr schlecht Beweis führen kann) zu einer Asylanerkennung führen kann. Ein Teil der Anerkennungen, nämlich nur aufgrund von politischen Nachfluchtaktivitäten, wird es in Zukunft nicht mehr geben können.
Im neuen Gesetz wurde die Regelprüfung eingeführt und in letzter Zeit werden verstärkt Widerrufsverfahren eingeleitet. Was bedeutet das für die Betroffenen?
Regelprüfungen bedeutet, das eine Asylanerkennung alle drei Jahre automatisch überprüft und entschieden wird, ob Sie widerrufen werden muss. Ein Widerruf wird meist dann eingeleitet, wenn sich die politischen Vorraussetzungen im Heimatland geändert haben. Diese Widerrufe sind eine unfassliche Erschwernis. Die Menschen werden ja sowieso nur zu einem geringen Prozentsatz anerkannt und einige sind verfolgt oder gefoltert worden. Sie werden nie wieder eine Lebensruhe bekommen. Nach dieser Regelung müssen sie alle drei Jahre damit rechnen abgeschoben zuwerden, dass ist aus der Sicht der Betroffenen der helle Wahnsinn. Diese Regelung gilt dann für die neuen Asylfälle ab Januar 2005. Aus politischen Gründen gibt es schon jetzt eine große Anzahl von Wiederrufsverfahren. Diese Verfahren sind unabhängig von der drei Jahresfrist. Sie sind das Ergebnis von politischer Diskussion und insbesondere das Ergebnis von Diskussionen innerhalb der Innenministerkonferenz (IMK), die sich zusammen setzt aus sämtlichen Länderinnenministern und des Bundesinnenministeriums. Die letzte IMK war im November in Lübeck und dort wurde vereinbart, bei der nächsten Konferenz im Juni eine massenhafte Abschiebung von Irakern und Afghanen zu beschließen. Es wurde eine letzte 6 Monatsfrist ins Auge gefasst, um dort die politischen Verhältnisse zu kontrollieren.
In diesem Zusammenhang ist das Bundesland Hamburg interessant. Hamburg hat ein starkes politisches Interesse die Afghanen loszuwerden. Es gab eine Beschlusslage bei der IMK, im Moment Afghanistanrückführungen noch nicht konkret anzutasten. Man weiß durch Anwaltsdelegationen, dass die afghanische Regierung mitnichten daran interessiert ist Tausende Afghanen zu empfangen. Der andere Punkt ist logistisch eine Abschiebung von mehreren tausend Menschen möglich zu machen. Faktisch ist bereits geklärt, dass Hamburg aus diesem integrierten Zusammenhang ausscheren will. Das Bundesamt hat bereits begonnen die Asylverfahren von männlichen Afghanen, die nicht in Familienzusammenhängen leben und »kriminell« geworden sind zu widerrufen. »Kriminell« bedeutet, das diese Personen, den im Strafrecht absolut geringen Geldstrafensatz von 50 Tagessätzen erfüllt haben. Das liegt deutlich unter der Vorstrafengrenze und hier lässt sich deutlich sehen, was der politische Wille ist. Der Druck, der nach Auffassung des Senats, auf Hamburg lastet, ist die Tatsache, dass etwa 10 000 Afghanen, von insgesamt nur 20 – 25 000 bundesweit, in Hamburg wohnen. Daher haben andere Bundesländer auch gar nicht den Druck Afghanen früh loszuwerden und wären bereit, sich an einer Dauerbleiberechtsregelung für Afghanen zu beteiligen. Hamburg möchte dies nicht und viele oder fast alle von diesen 10 000 abschieben.
Welche Bedeutung, welche Auswirkungen wird das neue Gesetz haben?
Das jetzige Zuwanderungsgesetz ist eh ein Stückwerk. Es ist von der Regierung nach seinen ersten Entwürfen schon mal zurück genommen worden. Dann ist es auf Druck der CDU im Bundesrat soviel verbogen und verändert worden, dass es kaum noch erkenntlich ist und man es wirklich als eine Reformruine bezeichnen kann. Interessant ist, dass es in dieser Form nicht lange Bestand haben wird. Es gibt verschiedene EU- Richtlinien, die Gesetzes oder Verordnungscharakter haben, die durch die EU Kommission vorgeschrieben werden, gegen die das Zuwanderungsgesetz verstößt. Eine davon ist die Freizügigkeitsrichtlinie. Die Nationalstaaten haben bis zum 30. April 2006 diese Richtlinie in ein innerstaatliches Gesetz umzuwandeln. Das betrifft Aufenthaltsrechte, Familienzusammenführung, Abschiebeschutz von Drittstaatsangehörigen. Da verhält sich das deutsche Recht absolut EU Vertragswidrig. Insbesondere Abschiebe- und Ausweisungsregeln des deutschen Gesetzes sind bereits heute EU Rechtswidrig und werden deshalb vom europäischen Gerichtshof aufgehoben. Das bedeutet, das dieses Gesetz in ganz entscheidenden Bestimmungen 2006 bereits wieder geändert werden muss.
Vielen Dank für das Gespräch.
Sigrid Töpfer ist seit 23 Jahren Rechtsanwältin und Mitglied im Hamburger Flüchtlingsrat und im Republikanischen Anwaltsverein.