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Werwolf, Waffen, Werthebach: Wer ist die Anti-Antifa?

Einleitung

Anfang November vergangenen Jahres trafen sich deutsche, schwedische, englische und norwegische Neonazis aus dem internationalen Netzwerk von Combat 18 (C18) und Blood & Honour (B&H) in einer Kleinstadt bei Oslo in Norwegen. Wesentlicher Programmpunkt des Treffens, an dem zwei deutsche Neonazis aus dem Umfeld von Thorsten H. teilnahmen: Die Koordinierung internationaler Anti-Antifa- Aktivitäten und damit verbundener klandestiner Terror gegen Antifaschistinnen, Journalistinnen und Vertreter staatlicher Behörden.

Bild: attenzione-photo.com

Die deutschen Neonazis sind unter Zugzwang: Nach mehreren Morden, die von ihren schwedischen Kameraden im vergangenen Jahr verübt wurden, und nach der spektakulären rassistischen Bombenanschlagsserie in London, wollen sie ihren internationalen Vorbildern nacheifern. Noch hapert es bei der Umsetzung, doch Anti-Antifa-Listen wie der »Wehrwolf« sind nur die Spitze des Eisbergs; und an vermeintlichen »Einzeltätern« wie Kay Diesner, der bis zu seiner Inhaftierung Teil einer funktionierenden neonazistischen Struktur war und heute in den meisten Neonazipublikationen als »Märtyrer« gefeiert wird, mangelt es in deutschen Neonazikreisen keineswegs. Ein Teil dieser Szene ist den staatlichen Sicherheitsbehörden – die ansonsten immer ihre Finger im Spiel hatten, wenn Neonazis zu organisiertem Terror ansetzen – offenbar aus dem Ruder gelaufen. Wenn sich Polizeibeamte genötigt sehen, Antifaschistinnen – wie im Dezember in Göttingen – vor Briefbomben zu warnen, sollte das niemanden beruhigen, sondern zu erhöhter Wachsamkeit mahnen.

Das Ausspähen von politischen Gegnerinnen ist ein verbindendes Element der verschiedenen Spektren und Fraktionen der rechten und rechtsextremen Szene. Die sogenannte Anti-Antifa-Arbeit, z.B. das Veröffentlichen von Namen, Adressen und Fotos von alten und jungen Antifaschistinnen, JournalistInnen oder GewerkscharterInnen, gehört mal mehr, mal weniger offen zum guten Ton in den meisten rechten Publikationen. Das reicht von schlecht kopierten Neonazi-Fanzines über die NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme (DS) bis hin zur Jungen Freiheit (JF), den Internet-Seiten diverser Neonazigruppierungen und Videos der Blood & Honour Strukturen.

Auch wenn die öffentlich verbreiteten »Ermittlungsergebnisse« der Anti-Antifa-Gruppen in der Regel schlecht recherchiert und bisweilen lächerlich anmuten, werden sie doch in einem immer größeren Spektrum der militanten Neonazis als Handlungsvorgabe und richtungsweisend begriffen. Ein nicht-rechter oder alternativer Jugendtreff, der beispielsweise von Anti-Antifa-Publikationen zu einer »Antifazentrale« deklariert wird, kann dies zwar lächerlich finden: Aber die Betroffenen sind vor allem in kleinen Städten oft mit weitreichenden Folgen der rechten Propaganda konfrontiert. Neben Angriffen aus der neonazistischen Szene kommt es beispielsweise zu Mittelkürzungen durch Stadtverwaltungen und Medienhetze. Im folgenden Artikel wollen wir einen Überblick über einen Teil der aktuellen Anti-Antifa-Netzwerke, ihre Verbindungen ins Ausland und ihre Hauptdrahtzieher der letzten zehn Jahre geben.

Über dieses Thema ist im AIB schon viel gesagt und geschrieben worden. Wir denken aber, dass angesichts der insbesondere in den CDU-(mit)regierten Bundesländern von Seiten der Innenpolitiker betriebenen staatlichen Anti-Antifa-Hetze momentan dem neonazistischen Terror von den politisch Verantwortlichen eine Legitimitation verschafft wird, die engagierte Antifaschistinnen zunehmend isolieren soll. Eine genaue Auseinandersetzung sowohl mit staatlichen Anti-Antifa-Kampagnen als auch mit den Drahtziehern rechten Terrors ist notwendig, da es bei diesem Thema zu gefährlichen Interessensüberschneidungen zwischen Neonazis und rechtskonservativen Kräften kommt.

Die jüngsten Anti-Antifa Bestrebungen

Zwei Seiten mit rund 40 Namen aus Berlin umfasste eine Liste, die die Anti-Antifa Kurpfalz mit Postfach in Ludwigshafen im September 1999 an »Kameraden« in Berlin verschickte. Alphabetisch sortiert fanden sich hier Menschen aus unterschiedlichsten politischen Spektren - SPD- und PDS-Mitglieder, engagierte Rentnerinnen und Jugendliche - aus dem Ostberliner Bezirk Treptow wieder, die die Neonazis zu politischen Gegnern erklären.1 Im Dezember '99 tauchte dann – wiederum in Berlin – das 20seitige im Skinzinestil aufgemachte Heft Wehrwolf auf. Nach Rubriken wie »Parlamentarier«, »Hebräer« und »Democratische Propagandasender« sortiert, finden sich hier rund 150 Namen und Adressen von sogenannten »Volksfeinden«. Neben vierzig Bundestagsabgeordneten aller Parteien – deren Adressen und Telefonnummern offenbar dem Parlamentarischen Handbuch der vorigen Legislaturperiode entnommen wurden – konzentrieren sich die Wehrwolf-Macher auf jüdische Gemeinden und Institutionen sowie veröffentlichte Kontaktadressen der Roten Hilfe und der MLPD. Erschreckend an dieser – wie so oft schlecht recherchierten Anti-Antifa-Liste – ist vor allem ihre offen antisemitische Ausrichtung.

Als Absender tauchte dieses Mal eine Anti-Antifa Saarpfalz mit dem selben Postfach auf, das auch schon im September der Anti-Antifa Kurpfalz diente. Die Bestelladresse für den Wehrwolf ist ein Postfach im niederländischen Deifzill, das von dem niederländischen früheren GdNF-Kader und langjährigen NS-Aktivisten Eite Homann betreut wird. Als presserechtlich Verantwortlicher wird der frühere FAP-Kader Frank Scholz aus Altena genannt. Wer verbirgt sich hinter der Anti-Antifa Kurpfalz, die ihre Umbenennung in Anti-Antifa Saar-Pfalz öffentlich im August 1999 bekannt gab? In ihrem engen Umfeld bewegt sich der (AlB-LeserInnen aus den AlB-Ausgaben Nr. 48 und Nr. 49 schon bekannte) 16jährige Ronnie R. aus Schifferstadt. Schon in der ersten Ausgabe des von Ronnie R. herausgegebenen Skinzines Pfalzfront erschien Anfang Januar 1999 eine Anzeige mit dem Angebot, Adressen von AntifaschistInnen gegen Rückporto an interessierte Kameraden zu verschicken.

Im August 1999 kündigte Ronnie R.  dann in einem Brief an ein linkes Jugendzentrum die Veröffentlichung des Wehrwolfs an und drohte: »Wir werden euch und eure Genossinnen demnächst mal besuchen kommen (...).« Doch Ronnie R. , der sich selbst als »Nationaler Sozialist« bezeichnet und schon als 13jähriger zu den Kunden des NS88-Versandes gehörte, agiert allenfalls als übereifriger und selbstdarstellerischer Helfershelfer für langjährige Neonaziaktivisten. Einer von ihnen ist der 24jährige Stefan Michael B.. Er war nach eigenen Angaben u.a. Mitglied der FAP und der HNG. Im Januar 1999 wurde Stefan Michael B., der schon 1998 wegen Volksverhetzung und Landfriedensbruchs zu einer Jugendstrafe von 27 Monaten verurteilt worden war, von der Jugendkammer des Landgerichts Frankenthai wegen Herausgabe des Reichsrufs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Nach der Verbüßung von 2/3 der Strafe ist Stefan Michael B. inzwischen wieder aus dem Knast entlassen und macht nahtlos da weiter, wo er aufgehört hat.

Kurz nach seiner Entlassung erschien der Reichsruf Nr. 6, der ebenfalls über Eite Homanns Postfach in den Niederlanden vertrieben wird. Zu seinen Vorbildern zählt Stefan Michael B.  u.a. den wegen Mordes verurteilten Berliner Neonazi Kay Diesner. Stefan Michael B. gehört zum Umfeld der Nationalen Volksfront (NVF), die seit rund vier Jahren im Raum Schifferstadt/Neustadt aktiv ist. Bei vierzehn Hausdurchsuchungen im März 1998 in Süddeutschland – Anlaß war die Schändung eines jüdischen Friedhofes in Neustadt – fand die Polizei ein umfangreiches Waffenarsenal, darunter auch eine Maschinenpistole, mit der 1996 ein Anschlag auf einen Döner-Imbiss in Neustadt verübt worden war. Ausserdem wurden sieben Maschinenpistolen, elf Gewehre, sechs Pistolen, 8.000 Schuß Munition, mehrere Kilo Pulver und Zünder, Nachtsichtgeräte sowie drei Minen gefunden, (vgl. AIB Nr. 49, S. 34). Zwei der für den Anschlag auf den Dönerimbiss Verdächtigen gehörten der Nationalen Volksfront  – Kameradschaft Neustadt/Weinstraße an, unter deren Briefkopf Ronnie R. seinen Drohbrief verschickt hatte.

Die Folgeermittlungen gegen die Nationale Volksfront rührten im übrigen u.a. ins bayerische Sinning. Dort hatte die NPD-Zeitung Deutsche Stimme (DS) auf dem Gelände des bekannten Neonazis Anton Pfahler ihre Redaktions- und Verlagsräume, und auch einer der Macher der 1993 erschienen bundesweiten Anti-Antifa-Liste Einblick, Norman Kempken, fand hier Unterschlupf. Bei der Durchsuchung von Pfahlers Gelände im Juni 1998 wurden u.a. Handgranaten und mehrere Maschinenpistolen unterschiedlicher Modelle gefunden. Pfahler – und ab 1997 auch sein heute 23jähriger Laufbursche Alexander Larras – betrieb über mehrere Jahre hinweg einen schwunghaften Waffenhandel. Zumeist war es Larras, der beispielsweise im tschechischen Eger mehrfach Uzi- und Kalaschnikow-Maschinenpistolen kaufte, um sie dann in Deutschland an Pfahlers Kunden weiterzuverkaufen. Pech für Larras und Pfahler, dass einer ihrer besten Kunden sich als verdeckter Ermittler des LKA-Bayern entpuppte, dem sie mehrfach Maschinenpistolen und Handgranaten verkauft hatten. In dem nachfolgenden Verfahren, u.a. wegen illegalen Waffenbesitzes, Waffenhandel und Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz vor dem Landgericht München, versuchte der 53jährige Pfahler sich als unpolitischer Militaria-Sammler darzustellen.

Diese Strategie funktionierte jedoch nicht ganz. Immerhin kam auch das Gericht nicht umhin, festzustellen, dass die Waffen zur Verteilung an Rechtsextremisten dienten. Im Herbst 1999 wurde Pfahler zu einer Haftstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt, Larras erhielt vier Jahre und acht Monate Haft. Anton Pfahler, der z.Zt. in der JVA Landsberg einsitzt, wird von der Hilfsorganisation für nationale Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) betreut.

Die Sicherheitsbehörden und der Wehrwolf

Die bundesdeutschen Sicherheitsbehörden, die sich gegenüber den Medien ahnungslos gaben, wussten im übrigen schon im November von der Existenz des Wehrwolfs. Am 21. November 1999 wurde am deutsch-niederländischen Grenzübergang Elten ein Auto kontrolliert. Bei den Insassen - dem 22jährigen Sven Oliver Sch. aus Schwabach, dem 17jährigen Moritz S. aus Schwabach und der 18jährigen Barbara Sch. aus Furth – fanden deutsche Polizeibeamte rechtsextremes Propagandamaterial, darunter auch ein Exemplar des Wehrwolfs. Sven Oliver Sch. Ist  kein unbeschriebenes Blatt in der rechtsextremen Szene. Er fiel beispielsweise schon 1996 als Teilnehmer der Jahreshauptversammlung der HNG in Hessen auf. Trotz des Wehrwolf-Fundes wurden die potentiellen Opfer von den Sicherheitsbehörden nicht gewarnt.

Das wundert wenig, wenn man eine – quer durch die Republik verbreitete – Bewertung des BKA über den Wehrwolf liest, in der u.a. behauptet wird, eine Anti-Antifa Saarpfalz sei dem Amt unbekannt - obwohl der rheinland-pfälzische »Verfassungsschutz die Anti-Antifa Kurpfalz schon 1998 erwähnt. Im übrigen lägen der Abteilung »keine Erkenntnise vor, dass es im Zusammenhang mit derartigen Schriften bzw. Sammlungen von Daten 'potentieller Gegner' der rechtsextremistischen Szene zur Verübung von schweren Straftaten gekommen ist.« Lediglich »die seit einigen fahren immer wieder erschienen Sammlungen von Namen, Adressen und Lichtbildern von politischen und sog. 'verbeamteten' Gegnern« hätten »zu Straftaten auf lokaler Ebene zum Nachteil von Personen des linken Spektrums geführt, die wiederum im Zusammenhang mit entsprechenden linksextremistischen Aktionen (siehe Namensgebung 'Anti-Antifa') stehen.« Außerdem weise die Liste »allenfalls vage Bezüge zu den klassischen Feindbildern der rechtsextremen Szene« auf, die von einer »unstrukturierten, vagen Zielvorstellung« zeugten. Daher sei nicht von einer »konkreten Angriffsabsicht« auszugehen.2 Angesichts derartig unsinniger und realitätsfremder »Analysen« stellt sich nur noch die Frage, ob das BKA tatsächlich glaubt, was es da schreibt. Oder ob es ganz einfach darum geht, Rechtsextremismus um jeden Preis zu verharmlosen.

Die Berlin-Connection der Anti-Antifa-Kurpfalz

Der Schwerpunkt der Anti-Antifa-Liste vom September 1999 lag im Ostberliner Bezirk Treptow. Dies wundert kaum. Schließlich hat die »Feindaufklärung« bei den hier aktiven Neonazis eine lange Tradition. Die in das Netz der sogenannten Freien Kameradschaften eingebundene Kameradschaft Treptow hatte sich von Anfang an die Anti-Antifa-Arbeit auf ihre Fahnen geschrieben. Einer ihrer Führungskader, der wegen Beihilfe zum Totschlag verurteilte Detlef Nolde (ehemals Cholewa), war Anfang der 90er Jahre zeitweilig für die Anti-Antifa Berlin (AAB) verantwortlich. In Treptow folgten der Datensammelei schnell Taten. So legten beispielsweise am 17. April 1995 der zeitweilig Kameradschaft Treptow-Chef Henryk Wurzel und sein Zögling Mirco R. im nicht-rechten Treptower Jugendclub »Gerard Philippe« Feuer. Der Club brannte komplett ab.3 Als sich in Treptow dann ein »Bündnis gegen Rechts« gründete, versuchten die Neonazis das Bündnis zu bespitzeln.

Das ehemalige NF-Mitglied Carsten St. nahm an einem ersten Treffen des Bündnisses teil – wenig später erhielten andere Teilnehmerinnen rechtsextreme Drohungen. Ein PDS-Mitglied, dessen Name sich auch auf der Liste der Anti-Antifa-Kurpfalz wiederfand, entging Ende 1997 nur knapp einem Rohrbombenanschlag der beiden Treptower Neonazis Carsten Müller und Patrick Demmig. Auch beim Wehrwolf ergibt sich ein direkter Bezug in die Berliner Neonaziszene: Im Vorwort des Wehrwolfs heißt es u.a.: »Was wir wollen ist nichts weiter als Hakenkreuzfahnen zu schwingen, in SA-Uniformen zu marschieren, den Arm zum deutschen Gruß zu erheben und unsere Meinung über Juden zu äussern.« Derselbe Wortlaut fand sich schon Monate zuvor in einem Leserbrief des inhaftierten Berliner Neonazikaders Marcus Bischoff  an den Berliner Tagesspiegel, in dem Bischoff sich über die polizeiliche Auflösung einer Hochzeitsfeier aus dem Umfeld der Berliner Nazigang Vandalen – Ariogermanische Kampfgemeinschaft beschwert und droht, »der nächste tote Polizist« sei »nur noch eine Frage der Zeit«.4 Bischoff gehörte vor seiner Inhaftierung zum Kreis der Berliner Anti-Antifa-Aktivisten wie Kay Diesner und Oliver Werner. Er galt als ein  Mitherausgeber des NS-Denkzettel, der in der Neonaziszene als Sprachrohr des Weißen Arischen Widerstandes (WAW) galt. Inzwischen hat sich das Spektrum der Berliner Naziszene, das in Anti-Antifa-Zusammenhängen agiert, erheblich verbreitert und pflegt gute Kontakte quer durchs Land und ins Ausland.

Eine, die nicht nur den Berliner KameradInnen immer mal wieder »hilfreich« mit Fotos zur Seite steht, ist die bundesweit agierende Anti-Antifa-Aktivistin Thekla Kosche aus Lübeck, die u.a. am 9. November 1997 zusammen mit den Berliner Anti-Antifa-Aktivisten Daniela F. und Edward Armin R. versuchte, TeilnehmerInnen einer antifaschistischen Demonstration zu fotografieren. Deutlich wird die Mischung von Organisationen und Gruppierungen aus Berlin und Umgebung, die hier mitmischen, wenn man sich die Liste der deutschen Nazis anschaut, die am 3. Januar 1998 bei einem Skinkonzert mit der us-amerikanischen Naziband Max Resist in Brottby in der Nähe von Stockholm festgenommen wurden: Dazu gehörten u.a. Alexander P. aus Berlin-Treptow, Dirk H. (Blood&Honour) aus Lehnin, Michael S. aus Einbeck, Thorsten G. aus Sarstedt, Karsten Volker W. aus Michendorf, Heiko Lappat (NPD) aus Berlin-Lichtenberg, Hartmut S. (B&H) aus Berlin-Marzahn und Katja P. aus Fürstenwalde. Die schwedische Antifa-Zeitung »Expo« geht davon aus, dass die deutschen Neonazis sich keineswegs auf einer Urlaubsreise in Schweden befanden, sondern das Konzert genutzt haben, um konkrete Absprachen mit schwedischen Neonazis zu treffen.5

Das bundesweite Netz der Anti-Antifa

Veröffentlichungen wie der Wehrwolf sind nur die Spitze des Eisberges an Material, das Neonazis bundesweit über politische Gegnerinnen gesammelt haben. Ein Teil davon dürfte sich inzwischen in den Händen der Sicherheitsbehörden befinden. Nach der Veröffentlichung der Anti-Antifa-Liste im September 1999 leitete die Berliner Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen Unbekannt ein, nachdem einige potentielle Opfer Strafanzeige stellten und die Sicherheitsbehörden aufgrund von Presseveröffentlichungen zum Handeln gezwungen waren. Ende Oktober 1999 fanden dann Razzien wegen »des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung« bei einem Dutzend bekannter Neonazikader in Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen statt.

Unter den Beschuldigten findet sich eine Reihe von langjährig in heute verbotenen Parteien und der früheren Gesinnungsgemeinschaft der neuen Front (GdnF) aktiven Neonazis wieder, die mittlerweile u.a. in den sogenannten Freien Kameradschaften und den Strukturen von Blood & Honour agieren. Aber auch bei mindestens zwei NPD-Funktionären fanden Hausdurchsuchungen statt.6

Laut der britischen Tageszeitung Guardian wurden bei den Durchsuchung sogenannte »Feindlisten« mit sechzig Namen, u.a. von Staatsanwälten, Richtern und Journalisten, gefunden, die ins Internet gestellt werden sollten.7 Bisher dringt das Ausmaß der in Berlin gefundenen Daten nur bruckstückhaft an die Öffentlichkeit: So berichtete beispielsweise die Magdeburger Volksstimme Ende März 2000, dass u.a. »hunderte von digitalen Fotos« gefunden worden seien. Die Magdeburger Kripo, die im Auftrag der Berliner Staatsanwaltschaft und des BKA ermittele, ginge »von einer realen Gefährdung für die fotografierten Personen aus.«8

Die teilweise mit Namen gekennzeichneten 600 Fotos von AntifaschistInnen, Journalisten, Abgeordnetten, Staatsanwälten und Richtern wurden von Anti-Antifa-FotografInnen aus dem Umfeld des Hamburger Sturms und der Berliner Anti-Antifa u.a. bei den bei den NPD-Aufmärschen in Magdeburg im vergangenen Jahr gemacht.

Die Durchsuchungen im Oktober 1999, u.a. bei Oliver Schweigert, Lutz Giesen, Heiko Lappat, Andreas T. und Hartmut S. aus Berlin, waren für AntifaschistInnen keine wirkliche Überraschung. Schweigert präsentierte sich bereits Anfang der 90er als Ansprechpartner der Anti-Antifa Berlin (AAB). Die Berliner Neonazis Oliver Werner und Kay Diesner, die in den 90ern Anti-Antifa Recherchen durchführten, übergaben ihr Material dem damals als Chef der Nationalen Alternative (NA) auftretenden Schweigert. Er arbeitete eng mit dem Hamburger Anti-Antifa-Initiator Christian Worch zusammen, der 1992 mit der Anti-Antifa- Liste Index den Startschuss für weitere Veröffentlichungen gab. Drei der jetzt Verdächtigen wurden u.a. zusammen mit Kay Diesner, Marcus Bischoff, Oliver Werner und Detlef Nolde am 13. August 1994 in der Wohnung des damaligen Neonazikaders Arnulf Priem verhaftet, als sie dessen Haus gegen eine antifaschistische Demonstration »verteidigen« wollten. Fast alle der damals in Priems Wohnung Verhafteten sorgten in den folgenden Jahren wegen Besitzes von Waffen, Anleitungen zum Bombenbau und schwerer Gewaltdelikte - bis hin zu Mord im Fall von Kay Diesner – für Schlagzeilen.9 Oliver Schweigert gehört neben einer Handvoll weiterer GdNF-Kader wie Christian Worch und Thomas Wulff aus Hamburg sowie Thorsten Heise aus Northeim auch zu denjenigen Neonazis, die bundesweit Anti-Antifa-Aktivitäten koordinieren (s.u.).

Die Göttingen-Connection

Ende November 1999, kurz nach dem internationalen Anti-Antifa-Treffen in Norwegen, schlugen die Sicherheitsbehörden dann auch in Göttingen zu. Bei mindestens vier Göttinger Neonazis wurden wegen des Verdachts auf »Bildung einer terroristischen Vereinigung« nach §129a Hausdurchsuchungen durchgeführt. Nach Angaben des Nationalen Infotelefons traf die Durchsuchung Aktivisten, die maßgeblich an der Organisation eines später verbotenen NPD- Aufmarsches am 29. Januar 2000 beteiligt waren. Laut Informationen aus Szene-Kreisen, die dem AIB zugespielt wurden, richteten sich die Ermittlungen gegen Uwe B. (FAP), Martin Gotthardt (NPD), Stephan Pfingsten (NPD) und Stephan Sch. Die Bundesanwaltschaft, die die Ermittlungen leitete, verhängte erstmal eine Nachrichtensperre und beeilte sich dann zu erklären, dass ja eigentlich gar nichts gefunden worden sei, was den Verdacht »erhärtet« hätte. Einige Wochen später sah man das zumindestens beim niedersächsischen LKA etwas anders. Kurz vor Weihnachten wurden der DGB-Kreisvorsitzende, eine PDS-Bundestagsabgeordnete und drei Wohngemeinschaften von LKA-Beamten besucht, die davor warnten, Weihnachtspäckchen in der Größe einer Video-Kassette zu öffnen.10 Begründet wurde dieses Vorgehen damit, dass bei den Hausdurchsuchungen Unterlagen über Sprengstoff und Zünder gefunden worden seien. Nach Informationen des AIBs waren bei den Durchsuchungen u.a. Chemikalien gefunden worden, die zur Herstellung von Sprengmitteln geeignet waren. Bei Stephan Sch. wurden Schwarzpulver und 90 Schuss scharfe Munition sichergestellt. Bei Uwe B.  stießen die Ermittler auf Anleitungen zur Herstellung von Brand- und Sprengmitteln. Schnell wurde dann noch nachgeschoben, dass die rechtsextreme Szene in Südniedersachsen aber eigentlich bedeutungslos sei. Thorsten Heise, der von Antifaschistinnen als eigentlicher Drahtzieher hinter den Anti-Antifa-Aktivitäten nicht nur in Südniedersachsen vermutet wird, beeilte sich, nach den Durchsuchungen jeglichen Kontakt zu den Beschuldigten zu verleugnen: »Die Kameradschaft Northeim brach deshalb schon vor Wochen den Kontakt zu dem Mann ab,« so Heise übers NIT.

...eine kurze Geschichtsstunde

Schon einmal, im November 1993, sorgte eine Anti-Antifa Veröffentlichung für bundesweite Schlagzeilen: Der Einblick. Er enthielt hunderte von Namen und Adressen bekannter AntifaschistInnen, GewerkschafterInnen, JournalistInnen und SozialdemokratInnen – einige von ihnen finden sich im übrigen jetzt auch im Wehrwolf wieder. Im Visier der Neonazis standen aber auch »die Literaten, Richter, Anwälte, die letzten Überbleibsel (...) anno 1968.«11

Ein Rückblick lohnt sich, finden sich doch unter den Einblick-Machern und Drahtziehern alte Bekannte. Derartige Listen aus Neonazikreisen waren im übrigen schon damals nichts Neues. 1950 beispielsweise erstellte der Bund Deutscher Jugend eine Todesliste von über einhundert Menschen, die aus einem ähnlichen Spektrum stammten wie die potentiellen Opfer der Einblick-Macher. Und bei den ersten Neugründungsversuchen der NSDAP in den 70er Jahren berichteten die Sicherheitsbehörden bereits von umfangreichen Dateien.

Der Terror gegen die – zumeist linken – politischen Gegner der Neonazis war bis Anfang der 80er Jahre ein Hauptbetätigungsfeld neonazistischer Gruppen. V-Männer des Verfassungsschutzes waren maßgeblich am Aufbau dieser Netzwerke beteiligt: So tippte 1979 ein VS-Mann eine NSDAP/AO-Todesliste gegen Linke in Westberlin, die bundesweit in Umlauf gebracht wurde.12 Zu denjenigen, die die personelle Kontinuität in der Anti-Antifa gewährleisten, gehören eine Reihe von GdNF-Kadern und enge Vertraute des verstorbenen Neonazis Michael Kühnen: Sie stellten Anfang der 90er Jahre die Struktur für die Veröffentlichung des Einblicks, und sie stellen heute die Struktur, auf die sowohl die Wehrwolf- Macher als auch diejenigen Anti-Antifa-Netzwerke, die nicht mit schlecht recherchierten Listen an die Öffentlichkeit treten, zurückgreifen können. Bevor der Einblick Ende 1993 veröffentlicht wurde, fanden in Hessen zwei Treffen statt, an denen die Drahtzieher der Anti-Antifa aus dem In- und Ausland beteiligt waren: Am 4. April 1993 trafen sich in der Gärtnerei des Ehepaars Kurt und Ursel Müller, die bis heute für die HNG leiten, u.a. Thorsten Heise, Christian Worch, Oliver Schweigert sowie eine Delegation der Dänischen Nationalsozialistischen Bewegung (DNSB), darunter Espen Rohde Kristensen und Thomas Derry Nakaba. AntifaschistInnen gingen davon aus, dass hier die letzten Formalitäten zur Einrichtung des Einblick-Postfachs im dänischen Randers entschieden wurden.

Nakaba wurde einige Jahre später dafür verurteilt, dass er im Auftrag der englischen Naziterrortruppe Combat 18 Briefbomben verschickte.13 Im September 1993 fand ein Nachfolgetreffen statt, an dem u.a. auch Eite Homann, Thomas Wulff und Oliver Schweigert teilnahmen.14 Auch Norman Kempken, Ziehkind der HNG-Vorsitzenden Ursel Müller und einer der wenigen verurteilten Einblick-Macher, kann die Finger von Anti-Antifa-Aktivitäten nicht lassen. Ein Postfach im hessischen Rüsselsheim, über das Kempken schon 1993 seine Kommunikation in Bezug auf »Feindrecherchen« abwickelte, sollte später noch als inoffizielles Postfach für Anti-Antifa-Aktivisten im Rhein-Main-Gebiet dienen.

Die aktuellen internationalen Kontakte

Während Mitte und Ende der 90er Jahre die Anti-Antifa-Kampagnen beispielsweise am Rande von Rudolf-Hess-Märschen abgesprochen wurden, läuft die Koordinierung heute oft auch am Rande von Konzerten, die von Blood & Honour-Strukturen überall in Europa organisiert werden. Sowohl Thorsten Heise als auch Christian Worch, Oliver Schweigert und Hartmut S. verfügen über intensive Kontakte im internationalen Blood & Honour-Netzwerk (s. o.). Der deutsch-dänische Neonazikader Marcel Schilf und sein schwedischer Partner Eric Blücher nutzen das Blood & Honour- Netzwerk schon seit längerem für Anti-Antifa-Propaganda, beispielsweise mit den Kriegsberichter-Videos, in denen offen der Mord von »Roten« propagiert und Fotos von Antifaschistinnen gleich mitgeliefert werden. Eine wichtige Rolle spielt dabei nach wie vor auch die britische Terrortruppe Combat 18. So soll Thorsten Heise als Weggefährte des Combat 18-Anführers Will Browning gelten. Und für einen wachsenden Teil der deutschen Neonazis sind die Anti-Antifa-Attentatsserien in Schweden ein Vorbild, dem sie gerne nacheifern würden.15

Das gilt durchaus strömungs- und flügelübergreifend. So verschickte die vor allem in der rechtsextremen Hochburg Königs Wusterhausen aktive Nazigruppierung United Skins um den inzwischen nach mehrjähriger Haft wieder entlassenen Nazikader Carsten Szczepanski16 Anfang Januar 2000 eine Drohpostkarte an den Vizevorsitzenden der brandenburgischen PDS, mit der ein »neues Kampfjahr« angekündigt wurde. Verziert war die Postkarte mit einem Aufkleber der militanten schwedischen Neonazigruppierung Nationalsozialistische Front (NSF), Stützpunkt Örebro, deren Mitglieder u.a. für die Morde an zwei schwedischen Polizeibeamten nach einem Banküberfall im Mai vergangenen Jahres verantwortlich sind. Abgeschickt wurde die Karte in Schweden. Nach Informationen des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) hielten sich Angehörige der United Skins über Silvester bei Mitgliedern des NSF auf.17 Offensichtlich erteilten die schwedischen Neonazis den Kameraden aus Brandenburg Nachhilfe in Sachen »Anti-Antifa«.

Weisser Arischer Widerstand – Mythos und bewaffneter Arm

Spätestens seit sich Kay Diesner nach seinen Schüssen auf den PDS-Buchhändler Baltruschat und dem Mord an einem Polizeibeamten als »Kriegsgefangener des Weissen Arischen Widerstandes« (WAW) bezeichnete, geistert der Begriff durch Medien und Antifapublikationen. Sicher ist, dass Diesner für weite Teile der militanten Freien Kameradschaften und auch für die Wehrwolf-Macher ein Idol ist, dem sie Solidarität bekunden und gerne nacheifern würden. So zeichnet beispielsweise die Anti-Antifa Saar-Pfalz mit dem Zusatz »im WAW«, und Stefan Michael B. bezeichnet den WAW als »Autonome Vereinigung, die noch für viel Aufsehen sorgen wird«18 . Unserer Meinung nach handelt es sich beim WAW um einen Kampfbegriff, unter dem sich der Individual- und Kleingruppenterror – meist getragen von Personen aus dem harten Kern von Blood & Honour, Hammerskins und Freien Nationalisten – ein gemeinsames identitätsstiftendes Label zimmert. Faktisch ist der WAW nichts anderes als der bewaffnete Arm der Anti-Antifa, der die von der Anti- Antifa propagierten Ziele in die Tat umsetzt. Die treibenden Kräfte hierbei kommen – wie schon so oft – u.a. aus Hamburgs Neonazi-Szene rings um Christian Worch, Thomas Wulff, Torben Klebe, und den Neonazi-Zeitschriften  Hamburger Sturm und Zentralorgan.

Schwedische Verhältnisse auch in Deutschland?

Immer dann, wenn Neonaziparteien wie die NPD über legale und parlamentarische Initiativen nicht mehr weiterkommen, haben sich Teile des militanten Neonazispektrums radikalisiert und dabei die jugendlichen Anhänger der NPD mitgezogen. Das zeigt sich momentan u.a. in den Bereichen Anti-Antifa und Antisemitismus, der auch bei den Aktivitäten der NPD mehr und mehr in den Vordergrund rückt. Deutsche Neonazis verfügen seit Beginn der 90er Jahre über wachsende Waffen-und Sprengstoffvorräte. Bisher wurden diese u.a. bei den unaufgeklärten Anschlägen gegen die Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht« in Saarbrücken und den Anschlägen gegen das Grab von Heinz Galinski in Berlin eingesetzt.

Und die Zeichen stehen auf Sturm. Die Träume vom »braunen Untergrund«, die das Neonaziorgan Hamburger Sturm in seinem (Selbst)-Interview mit einer »braunen Zelle« im Herbst vergangenen Jahres propagiert, gehen einher mit einer immerausgeprägteren Gewaltbereitschaft der gesamten Neonaziszene.19 Das Vorgehen der Sicherheitsbehörden dagegen dürfte vor allem von gesamtgesellschaftlichen und politischen Überlegungen geprägt werden. Rechtsextremer Terror diente schon einmal Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre dazu, die Rufe nach einem »starken Staat« zu legitimieren. Dabei ist die Parole von »Nazis und Staat - Hand in Hand« heute viel zu vereinfachend. Zwar ist davon auszugehen, dass Teile der militanten Neonaziszene nach wie vor von V-Männern der Sicherheitsbehörden unterwandert sind. Doch es gibt inzwischen einen Bereich der Szene, der sich entweder mit Deckung der Sicherheitsbehörden oder außerhalb ihrer Zugriffsmöglichkeiten soweit organisiert hat, dass Sprengstoffanschläge á la Saarbrücken und Berlin möglich sind.

Was tun?

Der wirksamste Schutz ist das Herstellen von Öffentlichkeit, indem durch unsere eigenen Medien und vertrauenswürdige Journalistinnen über Drohungen und Übergriffe berichtet wird. Auch wenn wir alle wissen, dass man sich auf staatliche Behörden nicht verlassen sollte: Eine der Hauptforderungen von AntifaschistInnen und anderen potentiellen Opfern sollte es trotzdem sein, von den Sicherheitsbehörden gewarnt zu werden – und nicht erst dann, wenn es zu spät ist. Hilfreich ist möglicherweise auch, Strafanzeige zu stellen. Das kann allerdings eine Vorladung zur Polizei nach sich ziehen, bei der Betroffene regelmäßig auch zu linken Zusammenhängen befragt werden. Daher sollte bereits das Stellen einer Anzeige mit FreundInnen besprochen werden. Bisher wurden Anti-Antifa-Aktivisten ohnehin von der Justiz mit Samthandschuhen angefasst. Die Einblick-Macher beispielsweise kamen mit Bewährungsstrafen davon. Trotz aller medienwirksamen Distanzierungen: Die Versuche von Neonazis, einen terroristischen Arm weiter auszubauen, wurden nie aufgegeben.

Heute gibt es deshalb aktionsfähige Strukturen, die nur auf den passenden Anlass zum Zuschlagen warten. Es ist natürlich eine Frechheit, wenn das BKA behauptet, Gewalttaten seien nicht bekannt. Viele Opfer rechtsextremer Angriffe – vor allem in Kleinstädten und ländlichen Gegenden - werden anhand des Anti-Antifa-Prinzips ausgesucht: Weil sie Linke sind, wie Linke aussehen oder einfach nicht rechts sind und deswegen zu »politischen Gegnern« erklärt werden. In kleineren Städten brauchen die Nazis keine expliziten Anti-Antifa-Listen, um zu wissen, wo sie zuschlagen können. Doch selbst hier stellen Neonazis die Adressen ihnen unliebsamer Menschen inzwischen auf bundesweit zugängliche Webseiten, wie beispielsweise die verbotene Kameradschaft Oberhavel, die auf der Nationalen Seite Oberhavel eine »Schwarze Liste« im Internet veröffentlicht. Nicht vergessen werden sollte auch, dass die Opfer rechter und rassistischer Gewalt genau deshalb ausgesucht wurden und werden, weil sie eben nicht ins rechte Weltbild passen. Und für Angriffe auf Flüchtlinge, MigrantInnen, Obdachlose und Behinderte brauchen rechte Jugendcliquen und organisierte Nazi-Schläger schon lange keine Handlungsanleitung mehr. Denn das ist längst Normalität.

Die ideologischen Wegbereiter der Anti-Antifa – Werthebach und Schönbohm knüttern...

Ohne politische Hilfe von Konservativen und führenden Politikern wäre die militante Anti-Antifa nur eine – wenn auch bedrohliche – Randerscheinung. Momentan rührend in der Hitliste der politischen Wegbereiter eines vermeintlich bürgerlichen Anti-Antifaschismus ist die CDU-Hardliner-Connection zwischen Berlin, Brandenburg und Thüringen. Während Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm gemeinsam mit der DVU Jagd auf »Linksextreme« in den wenigen alternativen Jugendzentren Brandenburgs macht und kurzerhand einen »Präventionsrat« gegen »Linksextremismus« eingerichtet hat, ist ihm ckart Wethebach, Innensenator in Berlin schon einen Schritt voraus.

Mit dem vom Berliner Landesamt für Verfassungsschutz herausgegebenen Heft Durchblicke mit dem vielsagenden Titel »Antifa heißt Angriff - Antifaschismus als Deckmantel für Gewalt« hat sich Werthebach an die Spitze der politischen Legitimatoren für rechte Gewalt gesetzt. Hauptghostwriter der abenteuerlichen Totalitarismustheorien, die hier verbreitet werden, sind im übrigen der Bonner Politikprofessor Hans-Helmut Knütter20 und Helmut Roewer, jener Chef des Thüringischen Verfassungsschutzes, der öffentlich forderte, man solle auch die »guten Seiten des Nationalsozialismus« benennen. Da verwundert es kaum, dass in den Durchblicken die Täter zu Opfern gemacht werden. So heißt es dort etwa zur Entstehungsgeschichte der Anti-Antifa: »Die zunehmende Zahl von Angriffen auf Angehörige und Einrichtungen des rechtsextremistischen Spektrums führte dort zu Überlegungen, wie man diesen begegnen und die eigenen Strukturen wirkungsvoll schützen könne.«21 Geradezu abenteuerlich wird es, wenn die Durchblicke dieEinschätzung verbreiten, »(...) aktuelle Planungen hinsichtlich beabsichtigter Gewaltaktionen der Neonaziszene.« seien »nicht erkennbar«.

Es bleibt das Geheimnis von Werthebach & Co., ob das geplante Rohrbombenattentat in Berlin-Treptow oder die Schüsse von Kay Diesner auf einen PDS-Buchhändler auch unter die Rubrik des »wirkungsvollen Schutzes« Rechtsextremer vor politischen Gegnern zu rechnen sind. Werthebachs Motivation ist – neben der Verharmlosung und Legitimation von Rechtsextremismus – klar, heißt es doch auf der letzten Seite der »Durchblicke« ganz offen: »Die eigentliche Gefahr im Vorgehen der autonomen 'Antifa' besteht darin, dass die demokratiefeindliche Zielsetzung nicht erkannt wird und ihre kriminelle Handlungsweise von ihrem – vorgeschobenen – 'Kampf gegen Rechts' überdeckt wird. Fatal wäre es, wenn die Begehung schwerster Straftaten, weil sie sich gegen 'Rechts' richten, auf Sympathie stoßen und militante 'Antifas' als legitime Bündnispartner im Kampf gegen den Rechtsextremismus anerkannt würden.«22 Ein Szenarion, das an der Realität vorbeigeht. Denn die vermeintlich irregeleiteten bürgerlichen Bündnispartnerinnen aus den Überresten einer ohnehin mageren Zivilgesellschaft wissen zumeist sehr wohl, mit wem sie Bündnisse schliessen. Und sie wissen, dass die eigentliche Gefahr darin besteht, dass die demokratiefeindliche Zielsetzung der Herren Werthebach, Schönbohm und Roewer weiterin den gesellschaftlichen Boden für schwerste Straftaten – rassistische Morde, antisemitische Sprengstoffanschläge und Hetzjagden auf Flüchtlinge und MigrantInnen – bereitet. Oder dass die Gefahr darin besteht, dass militant auf Antifaschistinnen einprügelnde Polizeibeamte und andere staatliche Repressionsorgane gar als »legitime Bündnispartner« im »Kampf gegen Rechts« anerkannt würden.

  • 1vgl. AIB Nr. 49, S.34f., »Volksfeinde im Visier«
  • 2aus einem BKA-Dossier vom 22.12.1999 zum Wehrwolf an die Landeskriminalämter
  • 3AIB Nr. 39, Juli/August '97, S. 27 ff.
  • 4Der Tagesspiegel, 2. September '99
  • 5Searchlight Nr. 272, Februar '98
  • 6Durchsuchungen im Oktober 1999 bei:

    Casjen B. (Oldenburg)
    Ehemaliger FAP-Aktivist, Anti-Antifa-Fotograph.

    Lutz Giesen (Berlin)
    Aktivist der Nationalen e.V., Mitarbeit im Radio Germania, Kontakt zur Kameradschaft Treptow und zur FAP.  Wurde im September 1997 wegen Volksverhetzung zu 14 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt und inzwischen wieder entlassen.

    Heiko Lappat (Berlin)
    Kontakte zur NF, gute Kontakte zu Blood & Honour, Kameradschaft Treptow und zur FAP.  NPD-Kandidat bei den Berliner Abgeordnetenhauswahlen 1998. Am 3. Januar 1998 in Brottby (Schweden) festgenommen.

    Gordon Reinholz (Eberswalde)
    Kameradschaftsbund Barnim, im Januar 2000 als JN-Bundesvorstandsbeisitzer vorgeschlagen. (vgl. »Hinter den Kulissen - Faschistische Aktivitäten in Brandenburg – '99«)

    Matthias Obst (Strausberg)
    NPD, Listenplatz 5 der NPD-Landesliste bei den Landtagswahlen '99 in Brandenburg. (vgl. »Hinter den Kulissen - Faschistische Aktivitäten in Brandenburg – '99«)

    Oliver Schweigert (Berlin)
    Bereichsleiter Ost der GdNF, Mitglied der Nationalen Alternative und der FAP, Anti-Antifa Berlin, Freie Kameradschaften, am 13. August 1994 bei Priem verhaftet.

    Hartmut S. (Berlin)
    Anti-Antifa und Blood & Honour Aktivist mit Kontakten zur Kameradschaft Treptow und zur FAP. Er wurde am 13. August 1994 bei einem "Bewaffneten Haufen" des Berliner Neonazis Arnulf Priem verhaftet. Gute Kontakte soll er zu schwedischen Neonazis unterhalten haben. 1995 und 1996 nahm er an Rudolf-Heß-Gedenkmärschen in Roskilde und Trollhättan (Schweden) teil. Am 3. Januar 1998 wurde er in Brottby (Schweden) im Zuge eines RechtsRock-Konzertes vorläufig festgenommen. Rund 314 Neonazis, darunter Amerikaner, Deutsche und Norweger wurden hier von der Polizei kontrolliert. Innerhalb der Berliner Neonazi-Szene gilt er als ein Herausgeber des Berliner Hammerskin Fanzines "Wehrt Euch!".

    Andreas T. (Berlin)
    Anti-Antifa und HNG, wurde am 13. August 1994 bei Priem verhaftet. Enger Freund von Diesner, den er im Knast besucht. Laut eigener Aussage im Prozess gegen Diesner übergab er Diesners Mutter dessen Abschiedsbrief. 1994 soll er Oliver Werner Materialien zum Bombenbau überlassen haben.

    Mark B. (Ronnenberg)

    Matthias K. (Sangerhausen)

    Stella P. (Berlin)

    Nicole R. (Uelzen)

  • 7The Guardian, 3.11.1999
  • 8Magdeburger Volksstimme, 25.3.2000
  • 9s. AIB Nr.40, September/Oktober 1997, S. 17f.
  • 10Jungle World, Nr. 02/2000, »Tod per Internet«
  • 11Der Einblick, November 1993
  • 12Aussagen im Prozeß gegen die Berliner NSDAP 1979, vgl. AIB Nr. 26/ März/April 1994, S. 16ff.
  • 13für Details über Nakabas Aktivitäten s. auch »White Noise – Rechts-Rock, Skinhead-Musik, Blood&Honour – Einblicke in die internationale Neonazi-Musik-Szene«, erschienen bei rat/Unrast Verlag, Hamburg/Münster, Januar 2000
  • 14vgl. AIB Nr. 26, März/April '94, S. 16ff.
  • 15vgl. AIB Nr. 48, 49
  • 16für Details zu Carsten Szczepanski s. »Hinter den Kulissen – Faschistische Aktivitäten in Brandenburg - Update '99«, S. 22, S. 52
  • 17DISS-Archiv Notizen, Februar '00, S.4
  • 18Pfalzfront, Nr. 1,2/99
  • 19Vermutlich wurde das Interview mit Berliner Neonazis, die eng mit dem Hamburger Sturm zusammenarbeiten und in die Erstellung des Zentralorgans eingebunden sind, geführt.
  • 20zur Rolle von Knütter siehe »Drahtzieher im Braunen Netz«, S.71f., 1996, Konkret Verlag, Hamburg
  • 21Durchblicke, 6. Jg. (1999) lfd. Nr. 10, »Antifa heißt Angriff«, S. 53ff
  • 22a.a.O., S.58