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Westberliner Parteitag der „Republikaner“ Teil 2

Einige AntifaschistInnen aus der "Antifa Westberlin"
Einleitung

Wir beziehen uns in diesem Artikel auf einige wesentliche Aussagen von den Genossinnen aus der ANTIFA-Hamburg in ihrem Beitrag "Arbeiterinnenklasse und Rechtsextremismus" (AIB Nr.9, Seite 22). Das Erstarken der "Republikaner" (...) ist unter anderem Folge fehlender Alternativen der Linken: "Dann, wenn kollektives
und solidarisches Handeln unmöglich erscheint, tritt das Gegenteil im Denken und Handeln der Menschen in den Vordergrund.... Dort wo keine Auseinandersetzung stattfindet, wo jede/r für sich ist, nur dort kann Rassismus, Sexismus und Entpolitisierung umsichgreifen. Das ist der Boden für Faschismus".

8. Juli 1989: KundgebungsteilnehmerInnen vor dem Schultheiss-Gebäude in West-Berlin.

Antifaschistische Bündnisse

In weiten Teilen der ArbeiterInnenklasse haben Linke oder auch fortschrittliche Menschen wenig bis gar keinen Einfluß. Wenn das so bleibt, bedeutet es, daß hier einer Rechtsentwicklung auch kein Widerstand entgegengesetzt werden kann. Als antifaschistische Bewegung ist es unsere Aufgabe, erstmal mit allen von den Wenigen, die bereit sind sich zu wehren, Kontakt aufzunehmen. Wir sind darauf angewiesen, trotz aller sonstigen Unterschiede, uns in diesem einen Punkt (gegen die Nazis), gegenseitig zu unterstützen, damit unser Kampf Erfolge zeigt: Denn nur durch Erfolge können wir andere Menschen für uns gewinnen. Da wo gemeinsam Kämpfe und Erfahrungen stattfinden, entsteht Solidarität und kollektives Handeln. Für uns als Teil der revolutionären Linken ist es klar, daß wir mit unseren Aktionsformen und Inhalten nur die Menschen ansprechen können, die bereit sind sich radikal zu wehren. Also Leute, die mit dem herrschenden System so schlechte Erfahrungen gemacht haben, dass sie bereit sind im Kampf ihre Gesundheit, ihre Freiheit und ihre soziale Stellung zu riskieren. Mal abgesehen davon, dass das heute erst ein kleiner Teil der Menschen in diesem Land sind, fehlen uns auch die Organisationsstrukturen und Lebenszusammenhäng, die Solidarität gewährleisten, die neue Leute mit einbeziehen können. Das heißt, wir können heute zwar einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Rechtsentwicklung leisten, wir sind jedoch nicht in der Lage aus alleiniger Kraft den Einfluß der Rechtsextremisten zurückzudrängen.

Die Notwendigkeit von Bündnissen

Es ist also für unser Ziel von Antifa-Gruppen notwendig und begrüßenswert, wenn sich möglichst viele unterschiedliche Menschen aktiv gegen Neonazis verhalten. Dass viele dieser Menschen aufgrund der vielen unterschiedlichen Realitäten, in denen sie leben, andere Meinungen vertreten und ein anderes Bewußtsein haben, liegt auf der Hand. Sie können aber dadurch auch Leute ansprechen und überzeugen, die wir von alleine nicht erreichen würden. Uns war es immer wichtig diese Unterschiedlichkeiten gegenseitig zu akzeptieren und eine offene Auseinandersetzung über Wege und Ziele des Kampfes zu führen. Voraussetzung dafür ist natürlich zu wissen, was wir selber wollen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu kennen, also an den Punkten etwas zusammen zu machen wo es möglich ist und ansonsten auf die eigene Kraft und Mobilisierung zu setzen. (...) Anhand der Praxis, ob sie weitreichend genug, der Realität angemessen ist oder nicht, lohnt sich die Diskussion. Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß im Augenblick keine Gruppierung der Linken in der Lage ist alleine wirksam gegen die neonazistische Entwicklung zu kämpfen. Unterschiedliche Lebensumstände und Erfahrungshintergründe verlangen eine vielfältige Praxis, um möglichst viele Menschen gegen die neuen Rechten zu überzeugen. So sind wir als Teil der Autonomen in der Lage hauptsächlich Jugendliche, die vom Bestehenden die Schnauze voll haben, für den antifaschistischen und gesellschaftsverändernden Kampf zu gewinnen, an die die Reformisten nie rankommen würden, wie sie etabliert sind. Wir jedoch werden nicht die Leute ansprechen und gewinnen, die im Großen und Ganzen mit den bestehenden Verhältnissen zufrieden sind, aber denen die Neonazis trotzdem stinken. Unsere Aufgabe ist immer wieder durch die eigene Praxis und Diskussion aufzuzeigen, dass es nicht ausreichend ist die Nazis moralisch zu verurteilen ohne an die Wurzeln der Rechtsentwicklung zu gehen. Und die liegen immer noch im herrschenden kapitalistischen System. (...)

Die Entwicklung antifaschistischer Bündnisse in Westberlin

Beschrieben wird hier die Entwicklung des Bündnisses gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus, das wir zum großen Teil mit aufgebaut haben. Zum Abschluß werden wir auf die veränderte politische Situation eingehen, die durch den sogenannten Rot-Grünen Senat entstanden ist. Vor der Bündnis-Gründung hatten wir eine eigene Praxis in der Antifa-Arbeit. Durch Nachforschungsarbeit hatten wir die Zusammenhänge von FAP, NF und heutigen Republikanern innerhalb der Bürgerinitiative für Demokratie und Identität (BDI) aufgedeckt und veröffentlicht. Daraufhin organisierten wir eine Blockade gegen ihren Treffpunkt und verhinderten so ihr monatliches Treffen. Das führte zu einer Spaltung dieser Gruppierung und einer längeren Aktionsunfähigkeit. Aus der Praxis von selbsständig arbeitenden Gruppen, die in Stadtteilen und an Schulen gebildet worden sind, gingen und gehen wir immer wieder gegen Neonazi-Gewalt vor, ohne Vertrauen in die Polizei – notwendigerweise auch oftmals gegen ihren Schutz für die Neonazis. Als im Januar und Februar 1988 viele SchülerInnen gegen Neonaziterror und REPs auf die Strasse gegangen sind, wollten wir einen Rahmen schaffen, um zusammen zu arbeiten. Dazu beriefen wir, zusammen mit Linken aus der AL, das erste Bündnistreffen ein. Mitmachen sollten alle, die sich gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus wenden und aktiv werden wollten. Diese Begriffe waren und sind bis heute im Bündniss zum Teil nicht einheitlich definiert. Die Praxis des Bündnisses wird höchstens den ersten beiden Begriffen gerecht – der Kampf gegen Sexismus ist bisher nur Anspruch geblieben.

Unsere Rangehensweise an das Bündnis

Wir einigten uns auf ein Aktionsbündnis, in dem wir die Sachen gemeinsam machen, die möglich sind – im Gegensatz zu einem Plattform-Bündniss, in dem eine inhaltliche Vereinheitlichung angestrebt wird. Im Zusammenhang der Antifa-Westberlin, als Zusammenschluss der der radikalen antikapitalistischen Gruppen, arbeiten wir auf eine Vereinheitlichung von Theorie und Praxis hin. Im Bündnis vermeiden wir Hick-Hack-Diskussionen um Plattformen, wie sie ja hinreichend aus der Friedensbewegung bekannt ist und nur dazu führt, dass sich Funktionäre mit dem besten Sitzfleisch durchsetzen. Das Bündniss sollte immer eine Vielfalt von Protest- und Widerstandsformen akzeptieren und als Bereicherung angesehen werden, da keine Gruppe für sich das Patentrezept  beanspruchen kann. Die Auseinandersetzung sollte Anhand der Praxis geführt werden, damit sich die vielen unerfahrenen Leute ein eigenes Bild machen können, ob die Vorstellungen der traditionellen Organisationen wie VVN/Vda, Jusos und humanistische Gruppen ausreichend sind. Also es ging und geht uns um eine nachvollziehbare Auseinandersetzung in der wir die anderen, die wir aus eigener Kraft nicht erreichen würden, mit unseren eigenständigen Aktionsformen und Inhalten konfrontieren. Uns geht es darum gleichberechtigt miteinander zu arbeiten und die Selbstorganisation von Unten zu fördern, anstatt die Leute vollzuquatschen. Als Bündnis einigten wir uns auf die Forderung nach Auflösung und Zerschlagung aller faschistischen Parteien und Organisationen, anstatt auf die – zum Appell an den Staat verkommenen – Verbotsforderung der traditionellen Gruppen. Die Bündnisforderung benennt das Ziel, lässt aber den Weg wie dies zu erreichen ist offen. Wir machten unsere eigene Handlungsfähigkeit nicht von den im Bündnis arbeitenden Gruppen abhängig. Die eigene Praxis und Mobilisierungskraft entscheidet über den Einfluß der Antifa-Bewegung. Im Bündnis zu arbeiten unterstützt unsere Praxis und macht sie anderen Leuten zugänglich. So konnten wir mehr Leute von unseren Vorstellungen überzeugen. Ein Bündnis ohne eigene Praxis anzugehen, beinhaltet die Gefahr über den Tisch gezogen zu werden und unterzugehen. Die ersten gemeinsamen Aktivitäten bestanden in einer Demonstration anläßlich des europaweiten Aktionswochenendes gegen Faschismus und Rassismus und zwei Aktionswochen im April / Mai 1988. An der 3000 Menschen zählenden Demonstration beteiligten sich hauptsächlich die schon zu der Zeit stark im Bündnis vertretenen SchülerInnen. Mit diesen Aktionen und Veranstaltungen haben wir uns bekannt gtemacht, nach außen hin sichtbare und nachvollziehbare Positionen vertreten und mehr Menschen erreicht als zuvor. Eine Veranstaltung zur NF im Berliner Bezirk Wedding führte dort zur Gründung einer Antifa-Gruppe. Der Jugendkongreß der Antifa-Jugendfront hatte seinen Erfolg im Zusammenschluß der parteiunabhängigen SchülerInnen-Antifa-Gruppen zur „JAKOB“ (Jugend Antifa Koordination Berlin). Zusammen den SchülerInnen tragen wir den Großteil der Basis-Antifa Arbeit. Das ist nach wie vor unsere Stärke gegenüber den reformistischen Organisationen, auch wenn sie teilweise professioneller arbeiten. Als sich im November 1988 der 50. Jahrestag der Reichspogromnacht jährte, beschlossen wir als Antifa-Westberlin den Zusammenhang von Faschismus und Kapital an der Kontinuität der Konzerne, die an der Vernichtung in den Konzentrationslagern verdient haben, zu thematisieren (siehe Antifaschistisches Infoblatt Nr. 5). Während die bürgerlichen in der „altbewährten“ Solidarität der Demokraten einen Schweigemarsch veranstalteten, demonstrierten wir lautstark gegen die Zyklon-B Hersteller DeGeSch und Degussa. Die Parole „Kein Vergeben, Kein Vergessen – Keine Amnestie für das Kapital!“ drückte aus, dass unser Kampf gegen die Verantwortlichen weitergeht – die Bürgerlichen, von CDU/CSU bis SPD, haben allen Grund zu schweigen. Einige der im Bündnis arbeitenden Gruppen wie VVN oder Aktion Sühnezeichen, waren per Vorstandsbeschluss an den Schweigemarsch gebunden. Es war uns klar, dass wir damit den bisherigen Konsens durchbrechen würden. Doch nachdem wir das Bündnis mit unseren Vorhaben, das wir so oder so durchgezogen hätten, konfrontierten, stellte sich das Bündnis – einschließlich der einzelnen VertreterInnen der oben genmannten Gruppen – hinter die Mobilisierung. Die Kampagne ist von uns, den unabhängigen Jugendgruppen und anderen radikalen Antifa-Gruppen im Bündnis getragen worden – ohne eigenständige Praxis – keinen Fortschritt. Zum Zeitpunkt des Vorwahlkampfes begannen wir mit der Anti-REP-Kampagne. Viele der reformistischen Gruppen wollten die heranwachsende Gefahr nicht wahrhaben. Sie ließen ihre VertreterInnen im Bündniss allein. So wurde auch diese Auseinandersetzung hauptsächlich von den gleichen Gruppen getragen wie die Novemberkampagne. Die Antifa-Frühstücke, um REP-Wahlkampfstände zu verhindern, liefen dezentral und waren die Basis für die, sich nach den Wahlen verstärkt entwickelnde, Stadtteilarbeit. Wir haben in dieser Zeit die Erfahrung gemacht, dass es in fast allen Gruppen des Bündnisses einzelne Menschen gibt, mit denen wir offen und ehrlich zusammenarbeiten können, auch wenn wir die Politik ihrer Organisation nicht teilen.

Die ICC-Demo – die Antifa-Bewegung wächst

Kurz vor den westberliner Abgeordnetenhauswahlen demonstrierten mehr Menschen als zuvor gegen die REPs, die im ICC1 ihre größte Wahlkampofveranstaltung abhielten. Auch die Gewerkschaften, die Sozialdemokraten – die ja die Kandidatur der REPs in den Wahlausschüssen mit abgesegnet hatte – merkten, dass sie sich zeigen müssen. Es begann ein neuer Abschnitt in der antifaschistischen Bewegung. War das Bild auf den vorherigen Demonstrationen noch von den von uns mobilisierten Menschen geprägt, machten diese nur noch einen, wenn auch einen großen, Teil, der Mobilisierung aus. Nach einer von uns versuchten Blockade des ICCs entwickelte sich eine mehrstündige Straßenschlacht, als die damals noch unter dem CDU-Senat prügelnde Polizisten die ganze Kundgebung angriffen. Wider Erwarten distanzierte sich keine der an der Demonstration beteiligten Gruppen von der militanten Gegenwehr gegen die zum Schutz der REPs aufgestellten Polizei. Nach dem Schock über die Höhe des Wahlergebnisses für die REPs gingen – von uns und dem Bündnis mobilisiert – zehntausende von Menschen auf die Strasse. Wir machten davon wiederum nur ein Teil aus. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, daß ein großer Teil der Menschen dies als ein „Apell an den Parlamtarismus und die Demokratie“ verstanden. Das drückte sich dann in den Demonstrationen für „Rot-Grün“, die von interessierter Parteiseite veranstaltet wurden und in Angriffe auf Militante (...) aus. Das erste Mal war auf der Strasse die vorherrschende bürgerliche Auffassung zu verspüren, dass Gewalt von Links und Rechts sich gegenseitig hochschaukele, die Angst vor sich eskalierenden Verhältnissen. Mit diesem Phänomen sind wir seitdem auf allen grossen Demonstrationen konfrontiert. Das letzte mal am 8. Juli1989 vor dem REP-Parteitag. Die letzte Demonstration in der Phase vor der neuen Senatsbildung fand am 1. März 1989, einen Tag vor Zusammentritt des neuen Abgeordnetenhaus, statt. Uns war es nicht möglich wirksame Blockadeaktionen zu starten, die die REPs garnicht erst ins Parlament gelangen ließen. (...) Auf den Demonstrationen und Kundgebungen diser Zeit warnten wir die Leute davor, zuviel Vertrauen in den neuen Senat zu setzen und sich in den Sessel zurückzulehnen.

Aufbau dezentraler Strukturen

Wir sahen es als unsere Hauptaufgabe an, nicht zu Großaktionen zu mobilisieren, sondern Stadtteilantifa-Zusammenhänge und Basisgruppen aufzubauen. Ziel war die Leute zu erreichen, die dem Einfluß der REPs  vgerfallen waren und an die wir im Anti-Wahlkampf nicht rangekommen sind. Also antirassistische Argumentationen in der ArbeiterInnenklasse zu führen und weiterhin den Selbstschutz gegen rassistische und neonazistische Angriffe zu organisieren. Zu Beginn dieser Aufbauarbeit organisierten wir in mehreren Stadtteilen "Kiezpalaver", zu denen alle Menschen, die sich ausquatschen und was machen wollten, eingeladen waren. Neben der Arbeit in den dezentralen Gruppen folgte die Kampagne "Den antifaschistischen Selbstschutz organisieren!" in den Tagen um den 20.April 1989 (dem 100. Geburtstag Hitlers). In fast allen Westberliner Stadtteilen wurden dazu Info-Stellen eingerichtet und Fahrwachen organisiert (siehe AIB # 8). Diese Aktivitäten sind, wie schon die November-Aktionen, von uns entwickelt und in ihrer Vorbereitung von uns getragen worden. Die regierungstreuen AL-erInnen, Jusos und DGB-Funktionäre hatten sich in der antifaschistischen Bewegung noch nicht formiert. Das Bündnis und anderer politische Strömungen hatten unserem Vorhaben nichts entgegenzusetzen. So unterstützten sie den Selbstschutz. Die offene Aufforderung zur Selbstverteidigung ist ein Angriff auf das staatliche Gewaltmonopol  und beinhaltet, dass auf die Polizei des rot-grünen Senats nicht vertraut werden kann. Die ging dann auch gleich gegen die selbstorganisierten AntifaschistInnen vor und nahm 80 Menschen wegen "Bildung bewaffneter Haufen" und ähnlichem fest.

Veränderte politische Situation

An dieser Stelle ist es Zeit zur Selbstkritik. Auch wir waren von der Masse der Leute überrascht, die die REPs gewählt hatten. Im Gegensatz zu den Analysen der VVN, AL und Sozialdemokraten gehen wir davon aus, dass es sich um eine allgemeine Rechtsentwicklung handelt und nicht um eine einfache Polarisierung von Links und Rechts. So wird der Senat zwar von SPD/AL, statt von CDU/FDP gestellt, doch um welche AL handelt es sich hierbei? (...) Die ehemaligen Oppositionellen springen ins Bett der Macht, jagen nach Posten und identifizieren sich mit ihrer Gesellschaft. Ein großer Teil des früheren Protestpotentials ist beziehungsweise wird integriert - ähnlich wie 1968er. Die angebliche Stärke der Friedensbewegung, die in den Analysen der oben genannten Gruppen Abrüstungsfortschritte erreicht haben soll oder die "Erfolge beim Kampf um die 35-Stunden-Woche" die gerne als Polarisierung auf der linken demokratischen Aufgeführt werden, entpuppen sich bei näherer Betrachtung als bloßer Schein. (...) Waren Anfang der1980er Jahre noch linke und fortschrittliche Bewegungen Anziehungspunkt für viele Menschen, hauptsächlich Jugendliche, entwickelt sich die Rechte immer mehr dazu. Die Frage, ob es wieder möglich oder wahrscheinlich ist, daß Faschisten die Macht ergreifen, hat sich seit den Wahlen aufgedränkt. (...) Gefühlsmäßig sind wir nach den Januarwahlen erstmal so rangegangen: Alle gegen  diese Entwicklung zusammenstehen und politische Unterschiede hintenanzustellen. Heute müssen wir beginnen diese Frage nüchterner zu stellen. Die Existenz von starken rechtsextremistischen und neonazistischen Organisationen wird für die nächsten Jahre auf jedenfall ein politisch einflußreicher Faktor in der Gesellschaft bleiben. Eine Machtübernahme ist zwar bei sich verschärfenden sozialen Widersprüchen für die Zukunft und bei fehlender Alternative von Links nicht auszuschließen, doch sie steht für die nächsten Jahre nicht vor der Tür.

"Rot-Grün"

Mit dem SPD/AL-Senat ist ein Teil der Opposition gegen den CDU-Senat in die Regierung gegangen. Gab es noch bei der ICC-Demonstration keine Distanzierung von Militanten, sind Sozialdemokraten und viele AL-erInnen jetzt zur Bewahrung des staatlichen Gewaltmonopols angetreten. (...) Das schlägt sich auch in der Antifa-Bewegung nieder. So waren es für die ReformerInnen nicht die 1.500, zum Schutz des REP-Parteitages abgestellten Polizisten, die die eigentliche Provokation bedeuteten, sondern die Menschen die angreifen wollen. Jusos und DGB treten im Bündnis mit der Forderung nach Gewaltverzicht und Ausgrenzung der "Randalierer" auf und distanzieren sich öffentlich. In der AL-Zeitung "Stachel" wurde ein Artikel zum 20. April abgedruckt, der von "Antifa-Schutzstaffeln" (sprich SS) sprach. Nach altem Muster soll die antifaschistische Bewegung gespalten werden: Gewalt von Links = Gewalt von Rechts und in der Mitte steht der demokratische Staat. Selbstorganisierung von Unten und Selbstschutz gegen neonazistische Gruppen sollen ausgegrenzt werden. Die Verschärfung dieser Widersprüche haben wir nicht rechtzeitig in ihrem Ausmaß erkannt. Ging unser Konzept zum 20. April noch auf, beginnen sich die Senatsschergen spätestens nach dem 1. Mai auch in der Antifa-Bewegung politisch zu formieren.

Neue Anforderungen an eine Bündnispolitik

Nach den REP-Parteitag waren in den Auseinandersetzungen auf den Bündnistreffen die Distanzierer, sprich Jusos und DGB-Jugendfunktionäre, aufgrund ihrer Spaltungsversuche politisch isoliert. Doch die Auseinandersetzung mit diesen zwei bis drei Vertretern – die die Politik vertreten, die von ihrer Organisation beschlossen wird – war in dieser Hinsicht fruchtlos, weil sie sich durch ein noch so breites Bündnis sowieso nicht überzeugen lassen. So wird auch in Zukunft die eine Gemeinsamkeit – gegen Nazis zu sein – oft nicht ausreichen gemeinsame Aktionen oder Kampagnen durchzuführen. Darüber kann auch die förmliche Entschuldigung für die Distanzierungserklärung, die die Jusos im nachhinein abgegeben haben, nicht hinwegtäuschen. Die eine Alternative, die Spaltung des Bündnisses um als Bündnis aktionsfähig zu bleiben, finden wir jedoch falsch. Die Politik von Jusos, DGB-Spitze und Regierungs-AL, so beschissen diese Poltik auch ist, ist Ausdruck des Bewußtseins eines Teils der antifaschistischen Bewegung und mit dem wollen wir weiterhin, da wo es möglich ist, zusammenkommen. Das kann jedoch nicht antifaschistischen Einheitsbrei bedeuten, sondern heißt für uns die Entwicklung einer verstärkten Öffentlichkeitsarbeit um ihren politischen Einfluss innerhalb der Antifa-Bewegung zurückzudrängen. (...) Überzeugen können wir nur, wenn die Leute sehen, dass es auch anders geht. Statt Konkurrenz – Solidarität. Statt Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen, eine Gruppenstruktur von Gleichen unter Gleichen. Auch in der Antifa-Bewegung ist das noch lange nicht erreicht. Weitere Schwerpunkte liegen im Ausbau unserer Strukturen in den Stadtteilen und in der Entfaltung einer anziehenden radikalen Politik und Kultur, wie zum Beispiel das antifaschistische Rockfestival vom September 1989. Diese Auseinandersetzungen müssen wir zuerst unter uns führen. Das heisst als erstes mit den befreundeten Antifa-Basis-Gruppen, dann mit anderen radikalen Linken (...) und zuletzt auch mit den bürgerlichen beziehungsweise reformistischen Kräften. Wir wollen, dass die Diskussion, die sich nach dem REP-Parteitag entwickelt hat, weitergeführt wird. Dazu werden wir uns als Antifa melden, sobald wir zu greifbaren Diskussionsergebnissen gekommen sind.

  • 1Abkürzung für das Internationale Kongresszentrum am Messegelände in West-Berlin