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Zum Prozess gegen die Mörder von Silvio Meier

Einleitung

Fast ein Jahr ist es jetzt her, daß rechte Jugendliche am 21. November 1992 unseren Freund Silvio Meier ermordeten. Ein nationalistischer Aufnäher führte damals zu einer kurzen Auseinandersetzung zwischen sieben rechten Jugendlichen und vier FreundInnen von uns. Kurze Zeit später wurden sie völlig unerwartet mit Messern angegriffen, Silvio durch zwei gezielte Messerstiche getötet, zwei weitere Freunde lebensgefährlich bzw. schwer verletzt und eine Freundin mit dem Messer bedroht.

Bild: Dokumentationsbroschüre zu Silvio Meier von A2B Berlin, CC BY-NC-SA 3.0 DE

Der Berliner Antifaschist Silvio Meier mit seinem Sohn.

In der folgenden Zeit war viel Arbeit nötig, um wenigstens einen Teil der in der Öffentlichkeit verbreiteten Verleumdungen und Lügen zu entkräften. Die Ermittlungsbehörden setzten alles daran, die Tat als »normales Tötungsdelikt« darzustellen. Auf der anderen Seite ermittelten sie gegen unsere FreundInnen wegen „gemeinschaftlicher Körperverletzung“. Sie wurden u.a. mit der Androhung von Beugehaft stark unter Druck gesetzt. Die »Opfer« wurden ein weiteres Mal zu Tätern gemacht.

Am 13. September 1993 wurde vor der Jugendkammer des Landgerichts Berlin der Prozess gegen drei der Beteiligten wegen Totschlags und Körperverletzung eröffnet. Die anderen aus der rechten Gruppe wurden lediglich als Zeugen vernommen. Der Prozeß fand auf Grund des Alters der Täter unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dadurch war es nicht möglich, im Rahmen einer Nebenklage auf das Prozessgeschehen Einfluss zu nehmen. Lediglich die beiden ebenfalls fast erstochenen Freunde durften den Prozess beobachten, allerdings ohne Anwälte. Der beteiligten Freundin wurde der Geschädigten-Status aberkannt, da sie ja nicht verletzt worden sei. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft war sie von dem Überfall demnach nicht wirklich betroffen, da sie ja kein Messer zwischen die Rippen bekommen hätte.

Auch während Zeugenaussage der »Geschädigten« durfte kein Anwalt dabei sein. Weder Silvios Eltern noch seine Freundin hatten irgendeine Möglichkeit, den Mördern ihres Sohnes bzw. Verlobten in die Augen zu schauen. Aus einem Flugblatt der FreundInnen und KollegInnen von Silvio zitieren wir:

Es geht uns... nicht um die Forderung nach höheren Haftstrafen für die Täter. Von einer Justiz, die eine scheinbare Unabhängigkeit vorgibt, in Wirklichkeit aber die politischen Absichten des Staates in Gerichtsurteile umsetzt, können wir keine Genugtuung erwarten. Gerechte Strafe zu fordern, wäre absurd. Wie auch immer das Urteil ausfällt, es wird uns Silvio nicht zurückbringen.

Zum Prozessauftakt fand vor dem Gerichtsgebäude eine Kundgebung statt. Gekommen waren ca. 200 Leute. Das Verhalten der Polizei war ein weiteres Mal bezeichnend für die Situation, in der wir in Berlin gerade leben. Da sie einfach keinen Anhaltspunkt hatten, um die Kundgebung anzugreifen, wollten sie an deren Ende wahllos einen Menschen verhaften. Als dies verhindert wurde, war das der Anlass, um fast die gesamten TeilnehmerInnen einzukesseln, Antifas und FreundInnen von Silvio zu treten und mit Knüppeln zu schlagen. Das ging dann auf dem gesamten Rückweg bis zur U-Bahn, insbesondere auf der U-Bahntreppe und auch noch in der U-Bahn weiter.

Vor dem Prozess machten die Rechtsanwälte der Angeklagten gleich die gewollte Richtung klar: Es gehe hier um ein ganz normales Strafdelikt, politische Hintergründe seien nicht vorhanden und dürften somit keine Rolle spielen. Die offen eingestandene nationalistische Gesinnung der Täter war dann auch kein Thema für das Gericht. Auch der nationalistische Aufnäher („Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“) eines der Täter und die Beschimpfungen bei der Tat wie „Ihr linken Säue“ brachte das Gericht nicht von seiner Auffassung ab, unpolitische Jugendliche vor sich sitzen zu haben.

Angeklagt waren Sven M., Sandro Sch. und Alexander B. Die ersten beiden waren seit ihrer Verhaftung (vier bzw. fünf Tage nach der Tat) in Untersuchungshaft. Sie waren auch diejenigen, die mit ihren Messern auf die „Geschädigten“ eingestochen hatten. Sven M. prahlte nach der Tat, die tödlichen Stiche ausgeführt zu haben, und er hat dies später auch der Polizei gestanden. Der Prozess ergab jedoch, daß Sandro Sch. Den Tod von Silvio Meier zu verantworten hat. Die anderen an der Tat beteiligten „Zeugen“ berufen sich auf ihre Trunkenheit zum Tatzeitpunkt und auf den dadurch eingetreten Gedächtnisschwund. Außerdem sei die Tat nun wirklich zu lange her, als das man sich noch an Einzelheiten erinnern könne.

Der Prozess dauerte sieben Verhandlungstage. Sven M. und Sandro Sch. wurden zu Jugendstrafen (Drei Jahre und sechs Monate bzw. vier Jahre und sechs Monate) verurteilt. Alexander B. kam mit Bewährung davon. In der Urteilsbegründung hieß es, die Angeklagten hätten nicht mit Tötungsabsicht gehandelt und die Geschädigten seien praktisch selber schuld, weil sie den Zusammenstoß angeblich provoziert hätten und es unterlassen hätten, die Flucht zu ergreifen. Für den Richter war die Tat eine logische Folge der ersten Auseinandersetzung um den rechten Aufnäher und dadurch in gewisser Weise verständlich. In der Urteilsbegründung verkündete er: „Wenn Intoleranz und latente Gewalttätigkeit aufeinandertreffen, kann das immer passieren.“