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Zur drohenden Ausweisung von Ralf Reinders

Einleitung

Die deutsche Frage spukt momentan in vielen Köpfen, auch in vielen „linken“ Köpfen, Deutschtümmelei und nationale Besoffenheit beherrschen die »öffentliche Meinung«. Umso mehr wird gegen jene vorgegangen, die sich mit Vergangenheit und Kontinuität dieser deutschen Geschichte nicht abfinden wollen. Es gab und gibt immer noch Menschen, für die gerade die bruchlosen Traditionen in diesem Land - wie auch dessen Zusammenarbeit mit anderen Regimen - Grund genug war und ist, für eine Änderung dieser Zustände zu kämpfen.

Ralf Reinders ist einer von ihnen. Seine Geschichte ist auch eine deutsche Geschichte. Sie ist kompliziert und muß deshalb näher erklärt werden. Ralf Reinders Vater ist Holländer, er wurde nach der Besetzung der Niederlande durch die Wehrmacht nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt. Die Arbeitskräfte für die deutsche Wirtschaft wurden aus allen besetzten Gebieten zwangsdeportiert, um die Kriegsproduktion für den Sieg des »Großdeutschen Reiches« laufen zu lassen. Für die holländischen Männer gab es entweder die Möglichkeit zur Zwangsarbeit oder den Beitritt zur SS. Diese setzte sich z.T. aus Männern sogenannter »germanischer Völker« zusammen. Sie war eine Art Hilfstruppe der SS- Mannschaften. Da eine Totalverweigerung des Vaters KZ bedeutet hätte, er aber nicht bereit war, mit den Nationalsozialisten zu kollaborieren, entschied er sich für die Zwangsarbeit.

In Berlin lernte er am Arbeitsplatz Ralf Reinders Mutter kennen, die Deutsche war. Als „Arier“ erhielten sie die Sondererlaubnis zu heiraten, durch diese Eheschließung verlor die Mutter nach dem Krieg die deutsche Staatsangehörigkeit. Als Ralf Reinders 1948 in Berlin geboren wurde, war er automatisch holländischer Staatsbürger. Die Zufälligkeit dieser Staatsbürgerschaft hatte zunächst keine besondere Bedeutung für sein Leben. Er wuchs in Berlin auf und ging hier zur Schule. Mitte der sechziger Jahre begann sich nach zwölf Jahren nationasozialistischen Terror und 20 Jahren Antikommunismus im „kalten Krieg“, erstmals wieder eine Jugendbewegung auf fortschrittliche und sozialistische Ideen zu besinnen. Diese und vor allem aber die bestehenden Verhältnisse in der BRD brachten Ralf Reinders, wie viele andere auch, auf den Weg zum politischen Widerstand.

Die Wut über den Krieg der USA gegen Vietnam, die autoritäre Bevormundung in der Schule, die Unterdrückung und Ausbeutung der ArbeiterInnen, die Hetze der Medien und die Gewalt des Staates gegen Andersdenkende - dies alles und noch mehr bestimmten die ersten Ziele. Dabei entwickelten sich unterschiedliche Ansätze des Kampfes. Ralf Reinders entschied sich für eine Politik, die auch die Entwicklung anderer Widerstandsformen einschloß – über „Haschrebellen“ und „Tupamaros“ zur „Bewegung 2. Juni“. Von 1970 bis zu seiner Verhaftung 1975, lebte und kämpfte Ralf Reinders in der Illegalität. Wegen verschiedener Stadtguerilla-Aktionen, wurde Reinders zu 15 Jahren Haft verurteilt. Diese 15 Jahre Gefängnis, unter verschärften Bedingungen, sind im September 1990 abgesessen.

Doch Ralf Reinders, der die niederländische Staatsangehörigkeit verlor, weil er eine bürokratische Bestimmung nicht beachtete, soll nun nach dem Willen der Berliner Ausländerbehörde nach Beendigung der Haftzeit in die Niederlande abgeschoben werden. Er soll ausgewiesen werden aus der Stadt, in der er aufgewachsen ist. Weg von den Menschen, mit denen er gelebt und gekämpft hat. Ralf Reinders ist kein Einzelfall, auch vielen anderen politischen Gefangenen wurden nach der Entlassung die Möglichkeiten sich frei zu bewegen, eingeschränkt.