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Exodus

DJ Stalingrad

Piotr Silaev, der seine bruchstückhaft aneinandergereihten Erzählungen aus seinem Leben in der Moskauer Antifa-Szene der 2000er Jahre bereits 2010 unter dem Pseudonym »DJ Stalingrad« in der russischen Monatszeitschrift »Snamja« veröffentlichte, lebt zur Zeit in Spanien. Die drohende Repression veranlasste ihn bereits 2008 zur kurzzeitigen Flucht nach Griechenland. 2010 verließ er Russland endgültig und erhielt im April 2012 in Finnland Asyl.

»Gefickt« ist das wohl am häufigsten vorkommende Wort dieses Buches. Mit »Verdreschen« wäre wohl eine bessere Übersetzung des russischen отпиздить gefunden und gleichzeitig wäre das Buch zumindest ein bisschen um seine ordinäre, hin und wieder auch sehr unreflektierte Sprache erleichtert worden. Ansonsten gewöhnt man sich erstaunlich schnell an die Schreibe des Autors, die hervorragend zur Beschreibung der Brutalität russischer Realitäten taugt. Das Buch ist in doppelter Hinsicht aufschlussreich: Es bietet Einblick in eine Subkulturszene, über die realistische Informationen und Innenansichten sonst beinahe nicht zugänglich sind. Und es ermöglicht eine Annäherung an die Funktionsweise der russischen Gesellschaft in den Metropolen, die selbst die besten Dokumentationen nicht leisten. Es ist kein Buch über Gewalt oder Exzesse wie oft geurteilt wurde, sondern eher ein Dokument über die Auswirkungen der postsowjetischen Transformation auf die Gesellschaft. In keinem anderen Staat lassen sich die Auswirkungen des Übergangs und die Spaltung der Bevölkerung in Gewinner und Verlierer so deutlich ausmachen, wie in Russland. Silaevs Erzählungen sind unvollständige Einblicke in bestimmte Aspekte des Lebens eines russischen Antifaschisten. Über die russische Antifaszene erfährt man zwar nichts wirklich Faktisches, bekommt aber eine vage Vorstellung davon, warum nicht alle Antifa­schis­t_innen wegrennen bei der Menge und Qualität der Neonazis in Moskau und St. Petersburg. 

DJ Stalingrad: Exodus
MSB Matthes & Seitz Berlin Verlagsgesellschaft mbH,
Berlin 2013, 136 Seiten