Thüringen – Viel Potential, kaum Ergebnisse
Juri - Linke GruppeDuisburg, Berlin-Hellersdorf, Schneeberg und Greiz, die Aufmerksamkeit antifaschistischer Kreise konzentrierte sich in den letzten Monaten auf einige wenige Orte, an denen sich Initiativen gegen neue Flüchtlingsheime oder andere zentrale Unterbringungen von Migrant_innen bildeten. Der verengte Blick auf diese vier Beispiele ließ kaum Aufmerksamkeit für weitere Brennpunkte übrig. Dabei gibt es zumindest in Thüringen bereits viele weitere Versuche rassistischer Mobilisierungen.
Greiz: Erster Versuch der Neonazis
Die „Greizer Bürgerinitiative gegen ein Asylbewerberheim ,Am Zaschberg‘“ basiert auf einer Initiative lokal bekannter Neo-Nazis, gut angebunden an NPD und „Autonome Nationalisten“. Nachdem von der lokalen Verwaltung ohne Informationen und Kommunikation mit den Anwohner_innen der Großwohnsiedlung eine Erstaufnahmeunterkunft für Asylsuchende in einem verlassenen Schulinternat eingerichtet worden war, bemühten sich Neonazis mit Anwohner_innen und Bürger_innen ins Gespräch zu kommen. Mit der Bedienung rassistischer und sozialdarwinistischer Ressentiments jeglicher Couleur schaffte es die Initiative auf Facebook schnell über 1.500 ,likes‘ zu sammeln und vernetzte sich mit anderen rassistischen Initiativen, z.B. in Schneeberg. Von Anfang an trat die Bürgerinitiative in Greiz offen verbalradikal und aggressiv auf, schnell fingen die anfänglich zustimmenden Greizer_innen an, die allfreitäglichen Demonstration, bei denen der bekannte Kameradschaftsaktivist aus Ostthüringen David Köckert („Revolutionäre Nationale Jugend Vogtland“) als Anmelder in Goebbels ähnlicher Manier über die Lautsprecher-Anlage hetzte, zu meiden. Nachdem sich im Oktober und November 2013 immer mehr Antifaschist_innen und Antirassist_innen an den freitäglichen Mahnwachen für die Flüchtlinge beteiligten und am 9. November 2013 mehrere antifaschistische Gruppen, Gewerkschaften und Flüchtlingsorganisationen zu einer antirassistischen Demonstration mobilisierten, an der ca. 500 Leute teilnahmen, reduzierten sich nach einem weiteren Neonazi-Aufmarsch zwei Wochen später mit ca. halb so vielen Teilnehmenden die Straßen-Aktivitäten der Initiative. Übrig blieb vor allem die rigide Flüchtlingspolitik des Landkreises Greiz und dessen Landrätin, die ihre schöne Stadt in der Auseinandersetzung gegen die Heimsuchung durch „Linksextremisten von außerhalb“ und den Flüchtlingsrat verteidigte. Einer der Höhepunkte war auch ein Zutrittsverbot zur Unterkunft im November 2013 an Menschen die gespendete Kleidung und Spielzeug in der Unterkunft vorbeibringen wollten.
Rassistische Mobilisierungen sind kein Privileg der Thüringer Provinz
Jenseits von Greiz sollen in Thüringen neue zentrale Unterbringungen entstehen oder, wie im Fall des Flüchtlingsheims in der Gemeinde Katzhütte bei Saalfeld, wiederbelebt werden. Neben Saalfeld sind Heiligenstadt, Erfurt und Jena-Lobeda mit Eröffnungsterminen von Frühjahr bis Mitte 2014 in der Diskussion. Begründet wird dies staatlicherseits mit dem Kontingent von Kriegsflüchtlingen aus Syrien, zu deren Aufnahme sich die Bundesrepublik durchringen konnte. Eine politische Finte: Einige Familien und Einzelpersonen aus diesem Kontingent sind bereits in Jena und Erfurt angekommen. Vermutlich soll der Verweis auf die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge die Akzeptanz für die zentrale Unterbringungen bei antirassistischen Initiativen wie dem Thüringer Flüchtlingsrat erhöhen. Letztere fordern immer wieder nachdrücklich die freie und dezentrale Wohnungswahl für Geflüchtete.
Erfurt: Rassistischer Nährboden ist da
In Erfurt ist ebenfalls eine ,zentrale Lösung‘ geplant ist. Die Flüchtlinge sollen gemeinsam mit Obdachlosen in zwei leer stehende Neubau-Blöcke in einer Großwohnsiedlung im Erfurter Norden untergebracht werden. Als am 12. November 2013 diese Tatsache - nach einem Leak aus Stadtratsgremien - durch einen Artikel in der Thüringer Allgemeinen (TA) bekannt wurde, fanden sich unter der Online-Ausgabe und auf dem Facebook-Profil sofort zahlreiche Kommentare, die das vorhandene rassistische Potential in Erfurt offenbarten. Forciert wurde diese Stimmung, da die TA falsche Hausnummern von noch bewohnten Blöcken veröffentlichte. Insgesamt zeigte sich hier noch lange vor Beginn der Unterbringung ressentimentgeladene Ablehnung gegenüber Geflüchteten in der Stadt. Das Potential hatte die NPD bereits Mitte 2013 erkannt. So fragte Frank Schwerdt - als einziger Stadtrat der NPD - am 28. August 2013 in einer Kleinen Anfrage bereits nach einer Unterbringung syrischer Flüchtlinge in der Stadt. Die NPD sondierte in Vorbereitung des Kommunalwahlkampfes Themen. Seitdem ist mit dem Zerfall des Neonazi-Vereins PRO Erfurt um den ehemaligen Erfurter NPD-Vorsitzenden und VS-Spitzel Kai-Uwe Trinkaus eine ganze Reihe von Aktivist_innen zur NPD zurückgekehrt, die sich bereits im August aktiv am Bundestagswahlkampf der NPD beteiligten. Ihre neue Handlungsfähigkeit stellte die Erfurter NPD dann im Dezember 2013 mit einer Flugblatt Verteilungsaktion in der Nähe der Wohnblöcke der zukünftigen Flüchtlingsunterkunft unter Beweis, was sie mit einem zentralen Flugblatt der NPD Thüringen Anfang Februar wiederholte. Zudem zeigt der selbsternannte regionale „Autonome Nationalisten“-Kader und Demonstrations-Anmelder, Michel Fischer aus Tannroda bei Weimar, der weiterhin gute Kontakte zu dem jetzt bei der Erfurter NPD angekommenen Neonazi-Aktivisten und frisch gekürten NPD-Stadtratskandidaten Enrico Biczysko hat, Interesse an dem Thema. So war er u.a. in Schneeberg am Fronttransparent der Neonazidemonstration zu finden. Im Oktober 2013 wurden auch in Beichlingen innerhalb weniger Wochen mehrmals rassistische Plakate geklebt, als bekannt wurde, dass dort ein neues Erstaufnahmelager entstehen soll. Im ganzen Ort fanden sich Plakate wie „Zu wenig für zu viele Asylanten“, „Fremd im eignen Dorf“, „Demokratie – nein Danke“ oder „Jugenddorf statt Asylheim“. Die NPD befeuerte die Stimmung mit eigenen Flugblattaktionen. Im Juli 2013 attackierten zwei Bundeswehrsoldaten eine Gemeinschaftsunterkunft in Arnstadt mit Feuerwerkskörpern und beschimpften die Bewohner_innen rassistisch. Ab Herbst 2013 kam es in einem Dutzend anderer Thüringer Orten zu Protestaktionen gegen Geflüchtete bzw. ihre Unterkünfte.
Jena-Lobeda: Erste Bürgerversammlung
Auch in der Großwohnsiedlung Jena-Lobeda soll – am Rande der Stadt - eine Flüchtlingsunterbringung bis Ende 2014 entstehen. In dieser sollen bis zu 80 Personen eine Unterkunft finden. Der Einladung zu einer Bürger_innen-Sprechstunde des Ortsteilrat in Lobeda-Ost im Januar folgten ca. 70 Personen - unter Ihnen auch vereinzelt Neonazis, die sich jedoch nicht zu Wort meldeten. Darunter Nico Metze vom „Freien Netz“ (FN) Jena, der bei Neonazi-Veranstaltungen in der Vergangenheit als Redner auftrat. Anders Dr. Heinz Schneider (REP, Kreisverband Jena, vormals Landesparteichef), ein Mitglied des Ortsteilrats, hielt mit seinem Weltbild nicht hinterm Berg: „Die, die hierher kommen, wissen doch gar nicht, was Not ist.“ Die Stadtoffiziellen wie Oberbürgermeister Schröter (SPD) begründeten die Wahl des Standorts mit Sachargumenten, reagierten konsequent auf menschenfeindliche Vorurteile und vermeintliche „Sicherheitsbedenken“. Die Stimmung der anwesenden Bürger_innen eskalierte zwar nicht in fanatische Pöbelkonzerte, trotzdem war eine mehrheitliche Ablehnung der Unterbringung zu verzeichnen. Im Ergebnis verklebten Neonazis rechte Propaganda im Ortsteil, griffen die Situation in eigenen Veröffentlichungen auf und starteten eine virtuelle Initiative unter dem Namen „Nein zum Heim in Lobeda“. Zudem verteilte hier - wie in Erfurt - Anfang Februar die NPD Material ihres Landesverbandes. Derzeit bleibt die Mobilisierungs- und Anschlussfähigkeit im Ortsteil allerdings gering.
Ausblick
Entscheidend für den Erfolg vor Ort und besonders in den Großwohnsiedlungen im Erfurter Norden und Jena-Lobeda dürfte sein, ob es der NPD und anderen Neonazis gelingt, sich in den örtlichen Milieus zu etablieren. Neonaziagitation hat Erfolgschancen, wenn sie es schafft, an das diffuse Gefühl der sozialen Benachteiligung und des Ausschlusses anzuknüpfen und dies völkisch-rassistisch aufzuladen. Die zahlreichen Facebook-Kommentare und Äußerungen auf öffentlichen Versammlungen nach dem Motto „Warum hier und nicht in der Innenstadt?“ zeigen, dass gerade im Anschluss daran eine Hegemoniefähigkeit völkischer Positionen droht. Ein Hindernis für die Neonazis ist derzeit noch ihre geringe Verankerung in den örtlichen Milieus der betroffenen Stadtteile. Eine Tatsache, die bei einem anderen Standort oder einer veränderten Situation ganz schnell obsolet werden kann und ein Kippen in offene rassistische Organisierung ermöglicht. Dass Neonazis in Thüringen zum entscheidenden lokalen Faktor werden können, zeigt etwa der Herrenberg im Erfurter Südosten (siehe Antifaschistische Koordination Erfurt auf http://erfurtnazifrei.wordpress.com). Die Lage bleibt also angespannt und braucht weiterhin Aufmerksamkeit von Antifaschist_innen.