Antifa under my umbrella
kritik & praxis — radikale linke [f]rankfurtImmerwährende Krise
Die Krise der Antifa ist nichts Neues. Seit den 90ern war immer wieder von ihr die Rede — nicht zuletzt, weil die Antifa als Reaktion auf eine Krise entstand: Die jähe Zunahme rassistischer Gewalt ab 1990. Mit den damaligen Umwälzungen ging ein enormer gesellschaftlicher Bedeutungsverlust der Linken einher.
Seitdem ist das fortbestehende Krisenzeichen der Antifa, dass sie bei gesellschaftlichen Veränderungen als emanzipatorische Kraft kaum eine Rolle spielte, sondern von den Entwicklungen getrieben, wenn nicht gar überrollt wurde. Heute besteht eine sozioökonomische Krise in Europa und der Welt, die verschiedene reaktionäre Bewegungen hervorgebracht und verstärkt hat. Die gesellschaftliche Debatte ist von einem Spannungsverhältnis zwischen islamischem Fundamentalismus und Rassismus geprägt, dem wir wenig entgegenzusetzen haben. Während Anschläge auf jüdische Einrichtungen zunehmen, bekommen nationalistische Bewegungen nicht nur in der Ukraine Oberwasser. Der NSU-Skandal gibt auch der Antifa Anlass zur Selbstkritik. Die klassischen Mittel ihrer Politik (Neonazis Räume und Handlungsfreiheit nehmen; ihnen die Straße als Aktionsfeld streitig machen) reichen offenbar nicht aus, um reaktionäre Bewegungen zurückzudrängen.1
NSU und Antifa
Seit Beginn des Prozesses erklärt die Bundesanwaltschaft, dass der NSU eine isolierte Zelle von EinzeltäterInnen war. Dagegen wird von Nebenklage und Antifas darauf beharrt, dass es ein UnterstützerInnennetzwerk gibt, das wesentlich auf Blood & Honour-Strukturen basiert. Die Einzeltäterthese ist bei rechten Morden in der BRD das Mittel der Wahl um aus den Ereignissen nichts folgen lassen zu müssen.
Die Kritik an Vertuschung und Förderung der Neonazis durch staatliche Behörden darf jedoch nicht verdecken, dass der NSU-Skandal eine dritte Ebene hat: Medien und Behörden betrieben über Jahre eine rassistische Informationspolitik, ohne dass eine Stimme aus der „bio-deutschen“ Mehrheitsgesellschaft daran Anstoß nahm. Die Ansicht, die Antifa müsse sich durch den NSU-Skandal bestätigt fühlen, wie Wolf Wetzel im „Lower Class magazine“ andeutet, ist ein Fehlschluss. Verschwörungstheorien von Uwe Böhnhardt bis Gerhard Schröder können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Antifa sich im Angesicht rassistischer Morde von der gesellschaftlichen Stimmung dumm machen ließ. Die Morde wurden auch von uns nicht als das erkannt, was sie waren und niemand tat vor November 2011 etwas gegen die Berichterstattung über „Dönermorde“ oder zur Unterstützung der Opfer. Die Konstruktion türkischstämmiger Migrant*innen als Outgroup der Gesellschaft hat auch bei uns gegriffen, die Antifa war auf dem antirassistischen Auge blind. Wir — vorwiegend weiße, deutsche Mittelstandskinder — haben in den linken Teilbereichskämpfen seit der 90er Jahren den Blick über den Tellerrand verloren.
Geschichte und Antifa
Die ALI hat in dem Papier „Antifa heißt weitermachen“ eins gezeigt: Dass mensch auf viele aktuelle Phänomene eingehen und trotzdem in den alten Analysen stecken bleiben kann — die übrigens auch vor 20 Jahren schon falsch waren. Wir wollen hier nicht (schon wieder) darauf eingehen, welche analytischen Leerstellen das Konzept des revolutionären Antifaschismus hatte. Angesichts der Ignoranz der Antifa im Kontext des NSU-Skandals ist uns jedoch eines wichtig: Die Unterstützung von Widerstandskämpfer*innen der Arbeiterbewegung und das Hochhalten antifaschistischer Erinnerung ist eine feine Sache, sie wird aber zur Farce, wenn sie mit einer voraussetzungslosen Identifikation einhergeht. Eine kritische Geschichtspolitik müsste danach fragen, warum die meisten der Millionen organisierten ArbeiterInnen mit wehenden Fahnen zur NSDAP übergelaufen sind.
Historische und eigene Fehler nicht zu erkennen und uns immer auf die Seite zu stellen, die im Nachhinein Recht behalten hat, bringt uns nicht weiter. Eine antifaschistische Kritik die behauptet immer alles richtig gemacht zu haben, ist vor allem eins: keine Kritik.
Rassismus und Gesellschaft
Die Formel vom Rassismus, der aus der Mitte der Gesellschaft kommt, ist schon seit dem „Antifa-Revival“ der späten 80er eine richtige Akzentsetzung. Es reicht aber nicht staatliche Strukturen als rassistisch zu entlarven. Der Zusammenhang von Marktwirtschaft, Antisemitismus und Sexismus in den Gesellschaften des „Abend-“ wie des „Morgenlands“ sowie des Rassismus gegen alle Nicht-“Bio-Deutschen“ muss verstanden werden. Immer mehr Menschen werden als überflüssig aussortiert und bilden gemeinsam mit Teilen der Mittelschicht, die den sozialen Abstieg fürchtet, eine wachsende Basis für reaktionäre Bewegungen. Kapitalverwertung und Konkurrenz sind Quellen rassistischer und antifeministischer Angriffe auf „das Andere“, dem weniger Berechtigung auf ein Stück vom Kuchen zugemessen wird, als der Ingroup. Die negativen Ordnungsideale von Neonazis, RechtspopulistInnen und FundamentalistInnen sind als Versuche zu verstehen eine aus den Fugen geratende Gesellschaft repressiv wieder einzuhegen. Doch auch der Normalzustand des bürgerlich-demokratischen Kapitalismus produziert am laufenden Band rassistische und andere Ausschlüsse.2
Neonazis, RechtspopulistInnen und islamische FundamentalistInnen müssen analytisch auseinandergehalten werden, sonst geht die Kritik am Gegenstand vorbei. Sie sind aber als ähnliche Ausdrücke des gleichen gesellschaftlich produzierten, reaktionären Krisenbewusstseins anzugreifen und müssten also in das Metier der Antifa fallen.
Von der Kölner Anti-Islam-Konferenz zu Antifa Blockupy...
Als wir 2008 zur Anti-Islam-Konferenz von Pro Köln erstmalig mit unseren Genoss*innen von „Ums Ganze“ einen Rundumschlag gegen kulturrassistische RechstpopulistInnen, völkisch-rassistische Neonazis und aufklärungsfeindliche islamische FundamentalistInnen versuchten, waren zwei Dinge nur schwer abzusehen: 1. Eine fundamentalistische Armee — darunter viele BürgerInnen westlicher Staaten und KonvertitInnen — die ihre Ungleichheitsansichten mit Massakern unter Schiit*innen, Jesid*innen und Anderen unter Beweis stellen würde. 2. Eine erfolgreiche deutsche rechtspopulistische Partei wie die AfD samt einer aktivierbaren Massenbasis mit dem lächerlichen Namen „PEGIDA“, die sich — sogar gegen eine mediale Stimmung — gegen „den Islam“ und Migrant*innen im weitesten Sinne richtet.
Die Antifa ist dennoch am wenigsten überrascht von einem Rassismus der von Anhänger*innen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FdGO) ausgeht. So lange nicht verstanden wird, dass Ungleichheitsideologien mit gesellschaftlichen Konkurrenzverhältnissen, diskursiver und materieller Ausgrenzungspraxis zusammenhängen, wird sich an ihrer Verbreitung und fortwährenden Legitimation wenig ändern.
...gegen Rassismus, Nationalismus und Fundamentalismus
Die Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative“ vor der Europawahl 2014 verband Proteste gegen die Krise und reaktionäre Krisenlösungsangebote. Ursache und Wirkung müssen zusammen analysiert und kritisiert werden. Rassismus und Ungleichheitsideologien sind nicht für AfD, FundamentalistInnen und andere vermeintliche „Randerscheinungen“ reserviert, sie werden von etablierten Parteien und aus der Mitte der Gesellschaft verblüffend ähnlich geäußert. Der Anbruch einer neuen „Zeit der Monster“ (Gramsci) zeigt sich als Verstärkung kapitalistischer Verteilungskämpfe, Brutalisierung kulturalistischer Hassdynamiken und Verschärfung von gender role-Ideologien. Das führt zu massiven Angriffen auf das Wenige, was das Leben vielerorts noch halbwegs aushaltbar machte. Die gemeinsame Kritik an „Troika“ und reaktionären Bewegungen vom Salafismus bis PEGIDA erlaubt aber auch eine Erklärung linker Gegenentwürfe, in deren Zentrum Solidarität, Selbstorganisation und materialistische Staats- und Ideologiekritik stehen müssen. Das ist das antifaschistische Präventionsprogramm, das es weiterzuentwickeln gilt.
Ob unsereins sich nun Antifa nennt und Gesellschaftskritik übt oder andersherum, ist weniger von Belang als die Schaffung schlagkräftiger Kollektive, die den Kampf zur Verbesserung des Lebens aufnehmen. Dabei gilt es auch folkloristische Traditionspflege der eigenen Szene hinter sich zu lassen und mit den Betroffenen von gesellschaftlicher Ausgrenzung in engen Austausch zu treten.
- 1Das gilt hauptsächlich in den Metropolen. In Dörfern Mecklenburg-Vorpommerns und anderswo stellen sich diese Fragen aufgrund akuter Bedrohung durch klassische Neonazis ganz anders.
- 2siehe autonome Antifa [f], Extremismus der Vernunft, in: AIB Nr. 83