Interview mit Antifas aus Ostberlin und Potsdam
Schon seit längerer Zeit arbeiten autonome und unabhängige antifaschistische Gruppen in der DDR. Sie haben schon zu der Zeit als das Ministerium für Staatssicherheit der DDR noch jeden verfolgte, der/die behauptete es gäbe Neonazis im Land, Öffentlichkeit hergestellt und Gegenwehr organisiert. In der letzten Zeit gründen sich überall in DDR neue Antifagruppen und fangen an sich gegen AusländerInnenfeindlichkeit, gegen Neonazis und gegen einen Ausverkauf der DDR (mit allen positiven Seiten) an den Westen zu organisieren. Über die gegenwärtige Situation haben wir mit zwei Leuten aus der Potsdamer (Jens) und der Ostberliner (Stefan) Antifa geredet.
AIB: Seht ihr im Augenblick eine Gefahr, die von den Neonazis in DDR ausgeht oder ist es ein Hirngespinst der SED?
Stefan: Als erstes ist es wichtig festzustellen, was jetzt immer untergeht, das diese Tendenz schon viel länger besteht als die "Wende".
Jens: Es ist falsch, wenn jetzt der Eindruck entsteht, das Neonazis was ganz neues in der DDR sind. Organisierte Rechtsextreme gibt es seit fünf Jahren, würde ich sagen.
Stefan: Unterschwellig gabs das schon immer, aber extrem kam das hoch als die Skinheadbewegung neonazistisch unterwandert wurde, 1982 bzw. 1983 ungefähr. Da begann das auch mit den Angriffen und Schlägereien und so.
AIB: Gibt es eine wirkliche Gefahr oder sind das "verirrte" Jugendliche?
Jens: Die Gefahr ist real. Die Gefahr geht allerdings nicht nur von den Skinheads aus, zum geringsten Teil würde ich sagen. Die Skinheads sind die, die hauptsächlich die Gewalt auf die Straße tragen, aber es sind nicht nur sie. Also die neonazistischen Skinheads, da muß mensch immer noch unterscheiden, nicht alle Skinheads sind Neonazis. Die wirkliche Gefahr geht davon aus, das neonazistische Parolen in die Öffentlichkeit getragen werden, das man daran gewöhnt wird, das so was überhaupt existiert. Dadurch wird es für andere rechte Parteien möglich „weiter“ nach rechts zu rutschen. So' ne rechten Parolen werden dadurch salonfähig gemacht.
Stefan: Den typischen Skinhead gibt es in Berlin kaum noch. Der hat seine Klamotten ausgezogen, weil er sonst Gaststättenverbot kriegen würde. Von den Leute, die jetzt auf der Straße aktiv werden, also die "Faschos" oder neonazistische Skinheads unter ihnen, geht die Gefahr aus, das man was aufs Maul kriegt. Die ideologische Gefahr geht glaub ich nicht von den Leuten aus, sondern von denen, die man auf der Straße überhaupt nicht erkennt. Die jetzt ihre „Republikaner“ (REPs) Kreisverbände oder konspirative Gruppen haben und gründen.
Jens: In Potsdam ist das anders, da können wir beobachten, das die Uniformierung als (neonazistische) Skinheads zunimmt, es werden von Woche zu Woche mehr. Die Bedrohung ist real. In so einem Neubauviertel bei uns, da terrorisieren die Nachts schon ganze Straßenzüge und es wurden Unterschriften für die REPs gesammelt.
Stefan: In Berlin-Marzahn besteht unseres Wissens ein Kreisverband der REPs mit hunderten Mitgliedern und in Berlin-Lichtenberg ein weiterer, das sind auch zwei Bezirke in denen Gewalt von rechts verstärkt auf der Straße abläuft.
Jens: Die reale Gefahr besteht darin: In der jetzigen Situation, wo es in allen Fugen kracht und knistert und keiner mehr wirklich weiß, wo es lang geht, wo Probleme sich häufen, der Ruf nach einem starken Mann laut wird und die "Radikalen"1 solche reaktionären Parteien unterstützen würden. In dieser Situation wird der jetzt entstehende rechtsfreie Raum von ihnen dazu benutzt Organisationsstrukturen aufzubauen und die später auch zum Zuschlagen zu benutzen.
AIB: Glaubt ihr, das der Ruf nach "Verfassungsschutz" richtig ist ? Oder ist das, wie Teile der Opposition behaupten, nur ein Mittel damit die alten Stasi-Leute nicht arbeitslos werden?
Jens: Beides. Einerseits ist „Verfassungsschutz“ nötig, doch meiner Meinung nicht so, wie die Leute jetzt brüllen. „Verfassungsschutz“ als Schutz vor Neonazis ist Quatsch. Die bilden sich ein, das wir jetzt irgendein Ministerium bekommen und die bekämpfen uns den Rechtsextremismus und dann ist alles gut und schön. Das ist wieder nur Verdrängung von Problemen.
Stefan: Gefährlich ist, das zur Zeit in der Bevölkerung ein Hass erzeugt wird gegen die ganze linke Szene, indem selbst von Leuten der SED die „Anarchie“ runtergemacht wird und auf die gleiche Stufe wie der Neofaschismus gestellt wird.
Jens: Nicht nur die Anarchisten, sondern die, die links von der SED stehen, die sie als „Linksradikale“, „Linksextremisten“ usw. bezeichnen.
AIB: Ist das in der letzten Zeit so oder war das früher so?
Stefan: Früher waren wir „staatsfeindlich“ und jetzt sind wir „linksradikal“, „anarchistisch“ oder sonst etwas. Bei uns im Volksmund bedeutet „Anarchie“ das totale, das unorganisierte Chaos, alles geht drunter und drüber, jeder klaut und so.
AIB: Was sind das für Leute, die jetzt die SED-lerInnen oder deren Familienangehörige überfallen?
Jens: Das sind stinknormale Leute. Das sind solche Leute, denen man erzählt hat, und damit arbeiten die Rechten, daß das, was in der DDR gelaufen ist, „Sozialismus“ gewesen wäre. Das nutzen die Rechten gegenwärtig für sich aus, das sie gegen alles, was mit diesem "Sozialismus" zu tun hatte, kämpfen wollen. Sie greifen bestimmte Tendenzen aus dem Volk, die an sich positiv sind, auf, modeln sie um, vermischen sie und benutzen sie für ihre Propaganda und ihre Politik. Und damit haben sie wahrscheinlich auch Erfolg. Wenn die offizielle Politik weiter so läuft, wie jetzt im Moment.
AIB: Was an der offiziellen Politik unterstützt die Rechten?
Jens: Einerseits die ständigen Meldungen, das Neonazis da zugeschlagen haben und da wieder zugeschlagen haben. Das schafft eine Angstatmosphäre. Dieser Eindruck der entsteht: Sie sind überall, anstatt vernünftige Kommentare zu bringen und Ursachenforschung zu betreiben, die Sache auseinanderzunehmen. Da wird jetzt so eine Propaganda betrieben, damit sich irgendwelche Idioten einen Verfassungsschutz aufbauen können, um ihre Macht zu sichern. Da wird ein propagandistisches Spiel von allen Seiten betrieben.
Stefan: Das Gefährliche, was ich an der jetzigen Situation sehe, ist, das die im Volk vorhandene Unzufriedenheit zum Einen der Ausländerhass, zum Anderen gegen das bis zum 7. Oktober bestehende System, von den „Republikanern“ mit ihren auf die DDR abgewandelten Slogans, in ihre Bahnen gelenkt wird. Wir haben z.B. gerade einen Brief aus Jena gekriegt mit einem REP-Flugblatt. Erstmal stand da drin, wie toll das Flugblatt doch ist, und dann nehmt euch endlich zurück mit eurer autonomen Antifa usw. und helft lieber ein geeintes Deutschland und Europa aufzubauen nach den Idealen der französischen Revolution von 1789.
Jens: Die schnappen wirklich alles auf, die sind nicht mehr so blöd sich auf Hitler oder auf traditionelle neonazistische Werte zu berufen, die modeln das alles um und berufen sich auf Dinge, die bürgerlich sind. Das Schlimme ist, das viele Leute in die rechte Ecke gedrängt werden, in die sie gar nicht gehören. Viele, die Wiedervereinigung fordern, sind keine überzeugten Nationalisten oder gar Neonazis. In der offiziellen Propaganda werden sie zu diesen gemacht.
AIB: Wieso ? Ist der Ruf nach Wiedervereinigung nicht nationalistisch?
Jens: Das ist doch nur ein Vorwand, diese Nation. Es geht den Leuten darum die dicke DM2 zu kriegen und an dem Konsum beteiligt zu werden. Was hat er denn als Ostbürger von seiner beschissenen Reisefreiheit ? Nichts. Als erstes sind es keine bewussten Nationalisten, so mit "Deutschland, Deutschland über alles". Aber das schlägt dann um und geht total in diese nationalistische Richtung. Eigentlich ist das purer Egoismus und Konsumdenken.
Und dann kommen die richtigen Leute, nutzen diese Stimmung aus und machen ihre Politik, und das ist das Gefährliche. Durch billige Lösung, die diese Typen anbieten, die im Moment einfach und schnell sind. Aber auf wessen Kosten soll das gehen? Natürlich wieder auf Kosten irgendwelcher Minderheiten. Die denken alle nicht daran, das Deutschland nach einer Wiedervereinigung wieder dieser Großmachtfaktor wird, das ist denen scheißegal. Es geht um die dicke DM, Reisen und Einkaufen. Dieser Nationalismus wird einerseits von bestimmten Kräften geschürt und andere Leute, die keine Nationalisten sind, werden in diese Ecke reingeschoben und da natürlich bereitwillig mit offenen Armen empfangen. Im Augenblick ist eine reale Einschätzung der Lage von kaum einer Seite wirklich da.
Stefan: Es gibt bei uns auch noch die organisierten Gruppen von Nationalrevolutionären, die behaupten, daß das, was von 1933-1945 abgelaufen war, genauso wenig Nationalsozialismus war, wie das bei uns Sozialismus war. Falsch daran sei gewesen, das der Nationalsozialismus den Kapitalismus unterstützt hat und das sich einige Leute im Rahmen dieser "Volksgemeinschaft" persönlich bereichert haben und das es deswegen scheitern musste.
Jens: Das sind solche Typen, die behaupten, wenn der Röhm3 damals nicht umgebracht worden wäre, dann wäre es eine linke proletarische Revolution geworden. Im Augenblick sind das noch Sekten und Splittergruppen.
Stefan: Da haben wir die Information, das die in der DDR an die tausend Leute umfassen sollen. Massenbewegung werden die nie werden. Das Problem ist, das ihre Ideologie von einer Massenbewegung aufgegriffen werden kann.
Jens: Das ist eben das Problem. Wenn die die richtigen Parolen entwickeln, am richtigen Ort einsteigen, können die Einfluss gewinnen.