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Antifa: Vom Osten lernen... ?

Einleitung

Seit der Jubiläumsausgabe zum 10jährigen Bestehen des AIB im September 1997, führten wir für jede Ausgabe verschiedene Interviews mit ost-deutschen Antifas. Vornehmlich ging es uns darum, einen verstärkten Blick nicht nur auf die erstarkte rechte Jugendkultur im Osten zu werfen, sondern vor allem die Entwicklung verschiedener ostdeutscher Antifagruppen zu beleuchten. Wir mußten feststellen, daß es sicherlich nicht nur für uns viele weiße Flecken im Bereich antifaschistischer Arbeit gibt, daß eben nicht nur in den größeren Städten Gruppen existieren, sondern daß sich in den letzten Jahren in diesem Punkt in Städten, wo wir es vielleicht nicht erwartet hatten, viel entwickelt hat. Die Antifas die wir zu den Interviews baten, konnten unterschiedlicher kaum sein. Angefangen von seit vielen Jahren kontinuierlich arbeitenden Gruppen in Groß- aber auch Kleinstädten, über noch relativ junge, aber trotzdem alles andere als unerfahrene Zusammenhänge, bis hin zu Schülerinnen-Initiativen oder der jungen Gemeinde. So unterschiedlich unsere jeweiligen InterviewpartnerInnen auch waren, immer wieder zeigten sich viele interessante Überschneidungen, die nach unserer Überzeugung einige Verallgemeinerungen zulassen.

Foto: Christian Ditsch

Die politische Situation in Ost-Deutschland Anfang der 1990er Jahre, das plötzliche massive Auftreten von Neonazis, die im damals bestehenden nahezu »rechtsfreien« Raum, vor allem durch brutale rassistische und antisemitische Übergriffe, aber auch durch Angriffe auf linke Jugendliche von sich reden machten, zwang viele, die sich damit nicht abfinden konnten dazu, sich vor allem um den eigenen Schutz Gedanken zu machen. Übereinstimmend wurde uns von vielen Antifas berichtet, daß eine organisierte politische Arbeit damals für die meisten eine untergeordnete bzw. gar keine Rolle spielte. Es waren vor allem die immer wiederkehrenden militanten Auseinandersetzungen mit Neonazis, die im Vordergrund standen und an denen sich die meisten politisierten. Die ersten Zusammenhänge oder Gruppen bildeten sich deshalb unter der Prämisse, den Selbstschutz besser organisieren zu können.

Die Antifas, die sich in dieser Zeit organisierten, verband vornehmlich die Zugehörigkeit zur Subkultur der Punks. Einige Gruppen entstanden aber auch komplett aus schon bestehenden Cliquen und Freundeskreisen. Erst im Laufe der Jahre entwickelten sich diese meist extrem männerdominierten Zusammenhänge weiter und widmeten sich auch anderen Politikfeldern. Viele nutzten die bestehenden rechtlichen Freiräume: In sehr vielen Städten wurden Häuser besetzt und dort, wo eine größere linke Szene entstand, bildete sich auch allmählich die dazugehörige Infrastruktur von Treffpunkten, Kneipen, Konzerträumen und Infoläden. Gerade die Existenz von gemeinsamen Treffpunkten von Antifas war und ist von großer Bedeutung für die politische Arbeit in den einzelnen Städten. Dort, wo Treffpunkte und Zentren fehlten, hatten es die meisten Gruppen wesentlich schwerer. Für die Neonazis stellten linke Treffpunkte immer ein begehrtes Angriffsziel dar. Bei allen negativen Auswirkungen schweißten diese Angriffe die betroffenen Antifas oftmals noch fester zusammen. Vielerorts, jedoch hauptsächlich in den größeren Städten, gelang es aus der Defensivposition herauszukommen und durch entschlossenes Auftreten die Nazis zumeist aus den Innenstädten in die Plattenbaubezirke zurückzudrängen. In den kleineren Städten hatten Antifas immer damit zu kämpfen, den Nazis zahlenmäßig weit unterlegen zu sein.

Aber gerade dort, wo die Kontinuität der antifaschistischen Arbeit besonders wichtig ist, finden immer wieder starke personelle Wechsel statt. Sehr viele der AntifaaktivistInnen ziehen nach einigen Jahren der politischen Arbeit in die größeren Städte. Persönliche, aber auch politische Gründe sind dafür der Auslöser. Das Fehlen der personellen Kontinuität erschwert die politische Arbeit oft ungemein. Das ist sicherlich auch ein Grund dafür, daß die Bündnisarbeit mit bürgerlichen Kräften für viele unserer InterviewpartnerInnen ein fester Bestandteil ihrer politischen Arbeit darstellt. Bei allen Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, war es doch immerhin möglich, zumindest zeitweise Menschen außerhalb der autonomen Antifa zu antifaschistischer Arbeit zu mobilisieren. Doch das nahezu völlige Fehlen einer liberalen Öffentlichkeit wie sie in West-Deutschland zumindest in Grundzügen existiert, stellte und stellt viele ostdeutsche Antifas vor große Probleme. Wenn es kaum mehr gelingt, durch das Öffentlichmachen und Anprangern neo-faschistischer Aktivitäten bei großen Teilen der Bevölkerung zumindest Betroffenheit auszulösen und stattdessen Antifas als Unruhestifter und als Standortproblem angesehen werden, ist ein Umdenken unumgänglich. Unser Eindruck war, daß gerade viele ostdeutsche Antifagruppen damit besser umgehen können, als vergleichbare Gruppen in West-Deutschland.

Die Entwicklung einer rechten Jugendkultur, die zu einem dominierenden Faktor, sogar zum Mainstream wird, hat in West-Deutschland schon lange begonnen. Viel zu lange haben wir das aber als ein speziell ostdeutsches Problem betrachtet. Doch die Realität hat uns eingeholt. An diesem Punkt haben Antifagruppen im Osten einen eindeutigen Erfahrungsvorsprung. Sie sind mit dieser Situation seit Jahren konfrontiert, sie haben gelernt, damit umzugehen und für sich Gegenstrategien entwickelt. Das Allheilmittel haben sie auch nicht gerunden, aber durch die Interviews haben wir gelernt, daß es vielen Gruppen im Westen durchaus helfen würde, die im Osten gemachten Erfahrungen anzunehmen und davon zu profitieren. Doch viel zu oft mußten wir hören, daß sich Antifas vor allem in kleineren Städten von »denen aus dem Westen« nicht verstanden und nicht akzeptiert fühlen.