Brandursache Rassismus
Aspekte rassistischer Mobilisierung
Rassistische Demonstrationen, Blockaden von Flüchtlingsunterkünften, Brandanschläge und Angriffe auf Flüchtlingshelfer/innen. Im zweiten Halbjahr ist die rechte Gewalt eskaliert. Nach welchen Mustern vollzieht sich rassistische Mobilisierung?
Nach jedem Wochenende gleichen sich die Bilder: Eine brennende Flüchtlingsunterkunft hier, Angriffe auf Asylsuchende dort. Von einem rapiden Anstieg der Zahl der rechten Angriffe sprechen selbst Sicherheitsbehörden, die nicht gerade für Alarmismus in Sachen rassistischer Gewalt bekannt sind. Dass bislang kaum ein Täter gefasst, geschweige denn vor Gericht gestellt wurde, begründen Polizei und Justiz damit, dass diese offenkundig nicht im einschlägig bekannten rechten Milieu zu finden seien. Vielmehr handle es sich um Ersttäter, die bislang in keinem strafrechtlichen Kontext auftraten.
Der neue Tätertypus ist also der sprichwörtliche Biedermann, der zum Brandstifter wird. Haupttätergruppe der Brandanschläge, so hieß es in einem BKA Papier im Herbst 2015 seien Menschen aus der Nachbarschaft künftiger Flüchtlingsunterkünfte. Der breite gesellschaftliche Diskurs jener, die vor einer „Flüchtlingsflut“ warnen, trägt Bestätigungs- und Ermutigungscharakter für jene, die ihre rassistischen Ressentiments erstmals in die Tat umsetzen. Was für das Täterprofil nächtlicher Brandanschläge gelten mag, muss für Formen und Ansätze rassistischer Massengewalt wie in Heidenau nicht zutreffen.
Deren Akteure sind im Milieu rechter Hooligans und Neonazis zu suchen. Diese weisen nicht nur eine Affinität zur Ausübung von Gewalt auf, sondern verfügen über reale Erfahrungen gewaltförmiger Auseinandersetzungen mit politischen Gegner_innen und der Polizei, unter anderem aus dem Kontext Fußball, welche sie in die Inszenierung gewalttätiger Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte einzubringen wissen. Die Ausübung rassistischer Gruppengewalt wird mithin nicht von neuen Gewaltmilieus getragen, sondern von jenen, die als „Generation Hoyerswerda“ bereits in den 1990er Jahren bei der Ausübung rassistischer Gewalt aktiv waren oder von der Erzählung zehren, wie es damals mancherorts gelang mittels Gewalt die Vertreibung von Flüchtlingen durchzusetzen. Diese Gruppe agiert aus einem Umfeld, in welchem die Debatte um Flüchtlinge zur zentralen Projektionsfolie ihres Rassismus, ihrer Repräsentationsdefizite, ihrer Ohnmachtsgefühle und Abstiegsängste geworden ist. Die Ethnisierung sozialer Widersprüche, also das Muster eines Ausspielens der Kosten der Unterbringung von Flüchtlingen etwa gegen jene für Jugendarbeit und soziale Infrastruktur ist in vollem Gange.
Alsbald werden Flüchtlinge mit den Empfänger_innen von Hartz IV-Leistungen um den Zugang zu bezahlbarem Wohnraum oder die Versorgung durch die Tafeln konkurrieren. Die dadurch in Gang gesetzten Rückwirkungseffekte für die Mobilisierung von Rassismus sind absehbar. Die seit Jahren durch die Sozialwissenschaft gemessene Polarisierung der Gesellschaft und die gestiegene Zustimmungsbereitschaft zu rechten und autoritären Krisenlösungskonzepten spiegeln sich nunmehr in der Mobilisierung gegen Flüchtlinge auf der Straße.
Der explosive Anstieg der rechts- und rassistisch motivierten Gewalttaten ist jedoch nur ein Faktor im Gesamtbild rassistischer Mobilisierung. Montag für Montag geht der Blick der Medien nach Dresden, wo seit mehr als einem Jahr PEGIDA aufmarschiert. Demgegenüber fährt die Politik einen Zickzack-Kurs. Dialogangebote an die Pegidisten wechseln mit moralischer Abwertung der Teilnehmenden. Eine Strategie zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit den von PEGIDA artikulierten Gemisch aus Ressentiments und rechten Krislösungsmodellen gibt es nicht.
Der diagnostizierte Prozess der Radikalisierung
Über die mediale Omnipräsenz PEGIDAs gerät aus dem Blick, dass rassistische Mobilisierungen keine sächsische Spezialität sind. Die von der AfD initiierten Demonstrationen „Gegen Asylchaos und Politikversagen“ in ostdeutschen Städten wie Erfurt oder Magdeburg stellen nur die wahrnehmbare Spitze einer Vielzahl lokaler Mobilisierungen dar, deren Zahl und Eskalationsverlauf nur schwer zu überschauen ist. So entstehen lokal, entlang des Debattenverlaufs um die Unterbringung von Flüchtlingen. Es sind rassistische Mobilisierungen, deren Auslöser und Ausmaß von vielfältigen Faktoren abhängt, die hier nur skizziert werden können.
Faktor Politik
Wo politisch verantwortliche Bürgermeister und Landräte ihren Widerwillen oder ihre Unfähigkeit signalisieren, den Zuzug von Flüchtlingen als Herausforderung anzunehmen und sich stattdessen auf das übliche bürokratische Procedere oder institutionell-rassistische Verfahrensweisen zurückziehen, bieten sich Anknüpfungspunkte für rassistische Mobilisierungen, die argumentativ auf einen von der Politik gestellten Referenzrahmen verweisen können.
Faktor rechte Hegemoniefähigkeit
Insbesondere für Sachsen fällt auf, dass rassistische Mobilisierungen dort über eine hohe Reichweite verfügen, wo die Normalisierung rechter Politikangebote derart weit fortgeschritten ist, dass deren Infragestellung keinen Erfolg verspricht. Die in Sachsen und andernorts anzutreffende rechte und rassistische Hegemonie isoliert antirassistische Personen und Politiken. Sie geraten unter sozialen Rechtfertigungsdruck und sind Angriffen bis hin zu offener Gewalt ausgesetzt. Hier deutet sich eine Erweiterung rechter Feindbilder an. Denn neben den Flüchtlingen selbst, alternativen Jugendlichen und seit langem aktiven Antifas/Antiras geraten zunehmend Politiker_innen die sich für Flüchtlinge engagieren ins Feindraster der Neonazis. Die Folge sind Angriffe sowohl auf ehrenamtlich engagierte Menschen in der Flüchtlingsarbeit, als auch auf flüchtlingspolitisch profilierte Politiker_innen. Zudem eignen sich rechte Gruppen Aktions-und Legitimationsformen an, von denen die Zivilgesellschaft glaubte, ein Monopol darauf zu haben. Zahlreich sind jene offen neonazistischen Gruppen die unter dem Pseudonym einer Bürgerinitiative Stimmung gegen Flüchtlinge machen, Mahnwachen und sogar, wie in Chemnitz-Einsiedel Blockaden organisieren.
Wiederkehrend gibt es Berichte über Neonazis die versuchten im Umfeld der Errichtung von Asylunterkünften Bürgerwehren zu initiieren, die sicher nicht nur ein symbolisches Sanktionsregime gegenüber Flüchtlingen aufbauen wollen. Aus alledem wird klar, dass das Berührungstabu zwischen rassistisch motivierten, anlassbezogen handelnden „Wutbürgern“ und organisierten Neonazis überall dort gefallen ist, wo es um Flüchtlinge geht.
Faktor Web 2.0 Mobilisierungen
Heftig umstritten ist die Frage, welchen Einfluss Social-Media-Netzwerke auf die Reichweite rassistischer Mobilisierung haben. Zwei Deutungen sind denkbar. Einerseits fungieren Facebookgruppen wie „Nein zum Heim in ...“ als Plattform für unspezifische Hassbotschaften, die keine real aktivierenden Folgen haben, sondern als Ventil für Rassismus dienen. Dass „Likes“ nicht gleichbedeutend mit realer Mobilisierbarkeit von Rassismus sind, zeigte sich 2011, als auf die zahlreich entstandenen neuen lokalen rassistischen Foren in Folge der rassistischen Proteste von Schneeberg kein mobilisierender Dominoeffekt eintrat.
Andererseits bewirken Social-Media-Netzwerke eine Verstärkung rassistischer Diskurse, die sich zu realen Mobilisierungen und Gewalttaten verfestigen können. Eine wichtige Rolle spielen hierbei die im Internet zahlreich im Umlauf befindlichen Gerüchte, die besagen, die Unterbringung von Asylsuchenden ließe die Kriminalität ansteigen. Antimuslimischer Rassismus verdichtet sich in Gerüchten, dass Asylsuchende ungestraft Einkaufsmärkte ausräumen, Frauen vergewaltigen und Zootiere schächten. Für sich genommen mögen solche Gerüchte leicht durchschaubar wirken, doch in Social-Media-Netzwerken werden diese rasch zu Fakten plausibilisiert. Dies gelingt durch Beglaubigungsformen, die behaupten, ein Gerücht sei gar keines, sondern ein etwa durch einen Freund bei der Polizei verbürgter Fakt. Die Glaubwürdigkeitskrise von Medien und Politik verstärkt die Glaubhaftmachung, dass Behörden angewiesen seien, negative Berichte über das Verhalten von Flüchtlingen zurückzuhalten. Welche enorme Wirkung diese zu Fakten plausibilisierten Gerüchte haben, ist daran zu erkennen, dass sich Supermärkte, Ordnungsämter und Polizei zu Richtigstellungen gezwungen sehen.
Die extreme Rechte und die Flüchtlingsdebatte
Dass die organisierte extreme Rechte vom Charakter der gegenwärtigen Flüchtlingsdebatte profitiert, ist evident. Mit keinem ihrer Themen kann die extreme Rechte so weitreichend mobilisierend in die Gesellschaft intervenieren. Dies war zu Beginn der 1990er Jahre schon einmal so, als Neonazis im Zuge der Asyldebatte und der Wiedervereinigung einen regelrechten Bewegungsboom erfuhren. Doch damals gelang es weder dem neonazistischen Flügel der extremen Rechten, das zwischen 1990 und 1993 entstandene rassistische Potential organisatorisch zu binden, noch konnte sich eine rechtspopulistische Wahlpartei wie Die Republikaner nachhaltig etablieren. Mit der Änderung des Asylrechts 1993 verlor die extreme Rechte jenes reichweitenstarke Mobilisierungsthema, welches sie nun erneut bedient.
Heutige neonazistische Gruppierungen wie Die Rechte und Der III. Weg suchen an die Kampagnenformate der 1990er Jahre durch zahlreiche regionale Demonstrationen anzuschließen, um den Boden für rassistische Dynamiken vor Ort zu bereiten. Diese Crowd-Actions militanter Neonazis stehen zu unrecht im Schatten rechter Mobilisierungen im Umfeld von Bürgerversammlungen, denn sie geben rassistischen Mobilisierungen eine radikalisierte Plattform. Bislang ist es neonazistischen Gruppen nicht gelungen, nach Heidenau einen Kampagnenort bundesweit zu fokussieren. Doch die Verläufe wie in Jüterbog und Tröglitz haben durchaus das Potential zu einem rassistischen Hotspot.
Anders als in den 90ern steht heute mit der AfD eine erfolgreiche rechte Partei bereit, die in den skizzierten Milieus vorhandene rassistische Stimmung in Wahlergebnisse umzusetzen vermag. Die AfD spielt derzeit geschickt mit der Mobilisierbarkeit von Rassismus auf der Straße, den sie inhaltlich zu radikalisieren sucht. Sie agiert als völkisch-naationalistischer Rammbock gegen die Reste des Asylrechts und alle Phänomene, die dem „linksgrünversifften“ Milieu zugeschrieben werden. Für einen Mann wie Björn Höcke ist die Mobilisierung rassistischer Einstellungen auf der Straße nur eine Etappe auf dem avisierten Weg in eine andere, in eine rechte Republik.