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Die Ülkücü-Bewegung am Beispiel Bayern

Alia Sembol Mitarbeiterin der Fachinformationsstelle gegen Rechtsextremismus in München (firm)
Einleitung

Wenn es um Erdogan und die türkische Politik geht, mischt sich die deutsche Gesellschaft ein. Andere Veranstaltungen und Demonstrationen, beispielsweise der türkischen Ultranationalisten, sind dagegen offenbar weniger interessant.

Die Titelseite der Sabah Avrupa prangert nach der Armenienresolution im Bundestag die Entscheidungsträger_innen an.

Wem und wohin gehören die Türken in Deutschland denn nun? Es ist ein Gezerre und Gehetze um die ungeliebten Dagebliebenen. Wenn die NPD die Parolen „Deutsch­land den Deutschen“ und fast interkulturell angehaucht, „Türkiye Türklerindir“ („Türkei den Türken“) auf einem Wahlplakat präsentiert, fällt das nur den Expert_innen auf. Die Mehrheitsgesellschaft nimmt kaum Notiz davon. Die türkischen Medien dagegen registrieren solche Ereignisse sehr genau. Schockiert sind sie jedoch kaum. Schließlich ist das nicht neu. Neu ist nur, dass die NPD türkisch gelernt hat.

Identität, Zugehörigkeit oder Anerkennung sind Schnittstellen, an denen sich die türkische Community nicht gesehen oder beteiligt sah und sieht. Bei diesen Themen haben türkische Ultranationalisten seit der sogenannten Gastarbeiter_innen-Einwanderung ihre Chance politischen Wirkens gesehen und ergriffen. Auch das ist also nicht neu. Gehen deren Vereinsgründungen doch auf die 1970er Jahre zurück. Die jungen Männer, die „Graue Wölfe“-Gangs von damals, sind heute älter, aktive Vereinsmitglieder, Familienväter. Sie sind Identifikationsfiguren und aktive Social-Media-User. Sie kämpften für ihre Ülkücü-Sache — die Sache der Idealisten — ganz so wie es MHP-Chef Devlet Bahçeli bei seinem letzten Besuch in Deutschland formulierte. Er lobte sie explizit für ihre Arbeit, ihre Charakterstärke und dafür, dass sie für Deutschland Wachstum erschaffen und Mehrwert erbracht hätten. Sie seien Türken geblieben und hätten ihre Identität nicht aufgegeben. Sie würden dennoch rassistisch behandelt und ausgegrenzt. Sämtliche Morde der NSU-TerroristInnen und deren türkische Opfer weiß der Führer einzeln zu benennen. Die Türken seien dem deutschen Staat anvertraut worden, dieser müsse nun auf die Gleichstellung der Europatürken hinwirken. Er sei stolz auf sie.

Mutterpartei und ideologischer Hintergrund

Die türkischen Ultranationalisten der „Grauen Wölfe“ ("Bozkurtçular") in Deutschland sind stramm hierarchisch organisiert. Ihre Mutterpartei "Milliyetci Halk Partisi"  (MHP), die "Partei der Nationalistischen Bewegung", wurde 1969 unter der Führung von Alparslan Türkeş in der türkischen Stadt Adana gegründet. Die Partei ging aus der pantürkischen „Republikanische Nationale Bauernpartei“ — "Cumhuriyetçi Köylü Millet Partisi" (CPMP) hervor und vereinigte in ihren Reihen „Turanisten“, „Panturkisten“ und „Profaschisten“. Das territorial bestimmte Weltbild eines überlegenen Türkentums — seit der ersten Stunde der Türkischen Republik 1923 — ist der Geschichte der nationalistischen Bewegung MHP wesentlich.

Viele Gründungsmitglieder hatten ihre Ausbildung in Europa — auch in Deutschland — genossen und sahen eine ideologische Nähe zum Nationa­lismus nach dem Vorbild Hitler-Deutschlands. Auch Alparslan Türkeş, der "Başbuğ" bzw. „Führer“ der MHP, war von Hitlers „Mein Kampf", den Strukturen der SS und dem Aufbau der Jugendorganisationen in Deutschland beeindruckt. Er versuchte Teile der Strukturen und Inhalte der nationalsozialistischen Ideologie umzusetzen. Das hatte Tradition: Bereits in den 1930er Jahren versuchte die von Ultranationalisten initiierte Turkisierungsbewegung die noch junge Republik Türkei unter Druck zu setzen. Ihr Ziel war eine enge Kooperation mit dem nationalsozialistischen Deutschland. Bis in die kleinsten Gliederungen der Organisationsstruktur der nationalistischen Bewegung werden Tage wie der 3. Mai 1944, der für den Versuch der Machtübernahme steht, gefeiert. Solche Feierlichkeiten sind identitätsstiftend und vermitteln ein generationsübergreifendes Gefühl der Eingeschworenheit.

Kultur der Landsmannschaft und der Hauch von Turan

Turan ist ein Ort der Mythen und das imaginäre Land aller Turkvölker. Ostturkestan ist nicht nur eine Bezeichnung für Uigurien, sondern ein Teilgebiet der Großmacht­phantasie von Turan. Die Uiguren werden zu den Turkvölkern gezählt und von den bayerischen Ülkücüs unterstützt. Als die Uiguren in München 2009 auf die Straße gingen um auf die Unterdrückung ihres Volkes in China aufmerksam zu machen, waren noch Politiker_innen der Stadt mitgelaufen. Ob sie bei der Demonstration am 3. Juli 2015 wegen der damaligen Angriffe auf chinesische Touristen am Rande der Demonstration oder wegen der „Grauen-Wölfe“-Beteiligung fernblieben, ist unbekannt.

Bei dieser vom "World Uyghur Congress" (WUC) angemeldeten Demonstration kamen unerwartete Gäste zusammen: Neben der Uigurischen Community fanden sich auch die Führungskader der „Grauen Wölfe“ München, Ülkücüs Augsburg und Ulm zusammen. Als Redner traten Erol Yazıcıoğlu sowie Abdurrahman Dilipak, Kolumnist der islamistischen und extrem rechten Zeitung "Yeni Akit" und Unterstützer der Mavi-Marmara-Gazaflottille auf. Auf der Kundgebung am Sendlinger Tor wurde die Unterdrückung der Uiguren angeprangert, über die Übergriffe gegen „chinesisch aussehende“ Menschen in der Türkei aber geschwiegen.

Auch gegen die Armenien-Resolution im Juni diesen Jahres, ein Thema das über die UltranationalistInnen hinaus auf Widerstand stößt, wurde demonstriert. Der Vorsitzende der "Almanya Türk Federasyon" (ATF), Şentürk Doğruyol, bezog eben­falls eindeutig Stellung und drohte mit Stimmentzug für Abgeordnete mit „türkischem Migrationshintergrund“ wie z.B. Cem Özdemir. Zur Normalität gehört es auch gegen HDP und PKK zu sein. Dies zieht noch weitere Kreise, als die üblichen Verdächtigen an.

Motorradclubs wie die Turkos, Turan e.V. oder ähnliche MCs schießen aus dem Boden, täglich ploppen auf militaristisch-völkischen Internetseiten, etwa der Atatürken oder der Freien Türkischen Armee neue Einträge über die Größe und Kraft des türkischen Volkes auf.

MHP und Ülkücü-Vereine in Bayern

In der Hierarchie der türkischen Nationalis­ten steht die MHP an der Spitze, dann kommt für Deutschland die oft als ATDÜDF abgekürzte "Föderation der Türkischen Demokratischen Idealistenvereine", auch bekannt als "Almanya Türk Federasyon" (ATF).

In Bayern gliedert sich die Organisation in zwei Regionen. "Nürnberg Türk Ocağı" dient als Koordinationszentrale für Bayern 1 (BV1), "Türk Eğitim Ocağı München" als Koordinationszentrale Bayern 2 (BV2). Die zahlreichen Vereine in Bayern sind über diese beiden Zentralen unter dem Dach des ATF organisiert. So kann die Basisarbeit direkter und der Austausch mit den Führungskadern effektiver gestaltet werden. In München und Nürnberg werden die jeweiligen Regionsleitungen für BV1 und 2 gewählt und bestimmt. Zwischen der ATF und der Regionalstruktur ist die sogenannte "Genel İdare Kurulu" (GIK) geschaltet, die als Leitungsorganisation koordinative und übergeordnete Aufgaben übernimmt und mit der ATF direkt verbunden ist.

Dass die Ülkücü-Vereine i.d.R. als eingetragene Vereine nach dem Vereinsgesetz organisiert sind und eine entsprechende Struktur haben ist selbstredend. Man kann von einem hierarchischen Aufbau sprechen, der Inhalte, Strategien und Struktur über die Ebenen Türkei, Europa, Deutschland, Bayern 1 + 2 sowie Vereine koordiniert und kontrolliert. Zu den Vereinen gehören Jugendgruppen, wobei sich in letzter Zeit die Bildung von Gruppen junger Frauen und Mädchen (Asena, die Wölfin) abzeichnet, die immer mehr Bedeutung bekommen werden. Bereits jetzt sind junge Frauen und Mädchen dieser Gruppen auf den Veranstaltungen z.B. als Rednerinnen und zahlreich als Demonstrantinnen vertreten. Sie werden sich ihre Bereiche in der Ideologie der Ülkücü als Europa-Türkinnen erarbeiten.

Die Arbeit der hierarchischen, führer-orientierten, chauvinistischen und turanistischen Vereine geht seit den 1970er Jahren ihren Weg – auf der Straße und in den Vereinsräumen, in Großsälen und Ausländerbeiräten. Die „Europa-Türken“ setzen sich für Geschichte, Kultur, Bildung, Sport sowie die Erhaltung der Sprache und eines von Türkeş geprägten völkischen „Idealismus“ also „Ülkü­cülük“ ein. Sie definieren wer dazu gehört und wer nicht.

Mit dem Songtext „Ich sterbe für dich meine Türkei“ aus den Lautsprechern oder „jeder Türke wird als Soldat geboren“ auf den Lippen, rüstet ein Teil dieser Gesellschaft verbal auf. Militaristische Slogans haben auf Demonstrationen Hochkonjunktur. 2015 war für die Ülkücü-Struktur ein Wahlkampfsjahr. Auf der GIK-Versammlung der ATF gab der "Avrupa Türk Konfederasyon" (ATK)-Vorsitzende Cemal Çetin Strategie und Richtung vor.

Kultur oder Wahlkampf

In Nürnberg traten auf Großveranstaltungen der beiden letzten Jahre Stars der „Grauen Wölfe“ wie Ahmet Şafak oder Mustafa Yıldızdogan auf. Gelabelt durch Logos der ATF und ATK führte der Verein "Nürnberg Türk Ocagi" die Open-Air-Veranstaltungen durch. Die beiden Sänger sind über die Grenzen der Türkei hinaus bekannt und ziehen dadurch auch Menschen an die nicht in den Ülkücü-Vereinen organisiert sind. Über solche Veranstaltungen wird die Ideologie anschlussfähig. Die Künstler gehören, wie Tanıl Bora und Kemal Can treffend formulieren, zur „Pop-Kultur“ der „Grauen Wölfe“ sowie ihrer Mutterpartei und generieren Mitglieder. Die Popularität innerhalb der deutsch-türkischen Community ist kurzfristig für Wahlen und langfristig für die Ülkücü-Bewegung unabdingbar. Wenn Ahmet Şafak der MHP im Rahmen der Parlamentswahlen 2015 ein Wahlkampflied mit dem Titel „Mührü Üç Hilal'e Vur 2015 MHP Seçim Şarkısı“ („Setze dein Stempel auf die Drei Sicheln“) widmet, ist das ein politischer Akt aus der Musikkultur, genauso wie das Fest in Nürnberg.

Alle Gliederungen und Führungskader der Vereine in Bayern warben für Ülkücü-Stimmen. Auf dem Kongress der ATF in Oberhausen, am 26.04.15 hielt der Parteivorsitzende Devlet Bahçeli eine knapp einstündige Wahlkampf- und Ideologierede für seine Europatürken. Kurz darauf wurden Parlamentsabgeordnete der MHP aus der Türkei, wie z.B. Seyfettin Yılmaz in den Vereinen in München, Nürnberg oder Augsburg empfangen und zeigten Volksnähe. Auch waren der Vorsitzende der ATF, Şentürk Doğruyol, der Chef der "Avrupa Türk Konfederasyon" Cemal Çetin, sowie ihre Stellvertreter auf Wahlkampftour in Deutschland. Die Vereine selbst haben die hohen Gäste empfangen, eigene Stände und Veranstaltungen organisiert, Rosen und "MHP Avrupa" (Europa) Flyer verteilt. Mit Wahlkampffahrzeugen auf denen der MHP Vorsitzende abgebildet war, fuhren „Graue Wölfe“ durch die Straßen von München oder Nürnberg und zeigten das Zeichen des Grauen Wolfes. In Bayern brachte die Wahlkampagne im Juni 6418 Stimmen für die MHP zusammen. Bei den Neuwahlen für das türkische Parlament im November waren es in Nürnberg und München etwa 500 weniger.

Wie sehr sich die Verantwortlichen aus den Vereinen der Bewegung verbunden fühlen, ihren Machtradius als Europatürken sowie ihre Beteiligung in Bayern ausbauen, scheint der Integrationsbeauftragte Bayerns Martin Neumeyer (CSU) nicht zu erkennen. Sonst wäre er der Einladung des Vereins "Türkisches Kulturzentrum München" (MTKM) im Juni 2016 ferngeblieben. Hätte er sich genauer informieren lassen, müsste ihm bewusst gewesen sein, dass in München Ausländerbeiratswahlen bevorstehen. Er hat den Verein unterschätzt als er mit seiner „Lies-das-Grundgesetz“-Kampagne zur Veranstaltung kam und eine Integrationsrede hielt. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Vereinsvorsitzende des MTKM sehr genau weiß was im Grundgesetz steht, aber eben auch wie Politik gemacht wird.

Deutsche Rechte, die Ülkücüs und Jobbik

Aktivisten der Neonazi-Partei „Die Rechte“ demonstrierten im April 2016 in Nürnberg mit den „Grauen Wölfen“ gegen die PKK. Obwohl nicht davon auszugehen ist, dass enge und dauerhafte Bündnisse zwischen türkischen und deutschen Rechten entstehen, müssen wir das Phänomen deutsch-türkischer Identität im Auge behalten. Das gilt vor allem für Einzelpersonen die trotz „Migrationshintergrund“ bei Pegida und „Die Rechte“ mitmischen und wahlweise auf türkischen Demonstrationen mitlaufen. Schließlich gibt es, laut Social-Media-Postings, ja sogar zwischen den Ülkücü und dem Vorsitzenden der rechten Jobbik aus Ungarn Gábor Vona Verwandtschaftsbeziehungen, die auf den sogenannten gemeinsamen Großvater Attila, dem Hunnenkönig, zurückzuführen ist.


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Fachinformationsstelle gegen Rechtsextremismus
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