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Das Papst-Attentat – Mehr Fragen als Antworten

Andreas Förster
Einleitung

Am 13. Mai 1981 erhebt sich der 23jährige Ali Agca schon im Morgengrauen aus seinem Bett in der römischen Pension Isa. Er fällt auf die Knie und beginnt zu beten. Danach rasiert er sich sorgfältig am gesamten Körper. Rein will er an diesem Tag ins Paradies gehen. Als Agca gegen neun Uhr in die Stadt aufbricht, bemerkt er, dass der Name seiner Pension in arabischer Schrift auch »Jesus« bedeuten könnte. »Ich lächele«, erinnert er sich 1994 in seiner Autobiografie »La mia Verita« (»Meine Wahrheit«) an diesen Moment. »Und es scheint mir wie vorherbestimmt, dass ich von der Pension Jesus aufbreche, um das Oberhaupt der katholischen Kirche zu ermorden.«

Gut acht Stunden später, um 17.17 Uhr, schießt Agca auf dem Petersplatz in Rom mindestens zweimal auf den Papst. Eine Kugel trifft den Pontifex in den Bauch, als er von seinem »campagnola« aus, einem weißen Toyota Jeep, die Gläubigen segnet. Eine zweite Kugel verletzt eine amerikanische Touristin lebensgefährlich. Dann stürzt sich die Menge auf Agca, der von herbeieilenden Sicherheitsbeamten nur mühsam vor dem Lynchtod bewahrt werden kann.

Fast ein Vierteljahrhundert nach dem Mordanschlag vom Petersplatz, kam Ali Mehmet Agca im vergangenen Januar wieder auf freien Fuß. Allerdings nur für eine Woche – nach heftigen Protesten der Öffentlichkeit wies der oberste Gerichtshof des Landes an, das einstige Mitglied der türkischen faschistischen Organisation »Graue Wölfe« wieder in Haft zu nehmen. Agca muss nun noch eine Gefängnisstrafe wegen zweier Raubüberfälle und dem vor fast drei Jahrzehnten verübten Mord an einem linken türkischen Journalisten verbüßen, die zunächst von einem Gericht in Istanbul verkürzt worden war.

Wegen der in der Türkei begangenen Taten saß Agca, der jetzt 47 Jahre alt ist, bereits seit dem Jahr 2000 in einem Istanbuler Gefängnis. Bis zum Sommer 2000 war Agca wegen des Papst-Attentates in einem italienischen Gefängnis inhaftiert gewesen. Nach der Begnadigung durch den damaligen Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi lieferte ihn Italien an die Türkei aus.

Hintergründe mysteriös

Auch wenn Agca für das Papst-Attentat gebüßt hat, sind die tatsächlichen Hintergründe des Anschlags vom 13. Mai 1981 in all den vergangenen Jahren mysteriös und unaufgeklärt geblieben. Und daran hat vor allem Agca maßgeblichen Anteil. Zu viele falsche Fährten wusste er in der Vergangenheit zu legen, als dass er noch als glaubwürdig einzuschätzen ist. So stellte er sich zunächst als Einzeltäter dar; dann beschuldigte der Türke den bulgarischen Geheimdienst, Auftraggeber des Attentats gewesen zu sein, und beförderte damit eine – später allerdings von der Justiz widerlegte – Desinformationskampagne des amerikanischen Geheimdienstes CIA. Schließlich präsentierte sich Agca abwechselnd als religiöser Weltenretter und wiedergeborener Jesus. Zwischendurch beschuldigte er einen Paten der türkischen Mafia, der »wichtigste Mann in der Organisation des Attentats« gewesen zu sein. Zuletzt behauptete Agca, dass es sich bei dem Anschlag um eine »covert operation«, um eine Geheimdienstoperation, gehandelt habe.

Wenn überhaupt, dann dürfte wohl die letzte Version der Wahrheit am nächsten kommen. Bewegte sich Agca doch über Jahre hinweg in der Szene von Nachrichtendienstlern und Terroristen und erfreute sich wie seine Mitstreiter einer aufmerksamen Begleitung gleich mehrerer westlicher Geheimdienste bis hin zum deutschen Bundesnachrichtendienst, dem BND. Für die in Rom lebende frühere Spiegel-Korrespondentin Valeska von Roques, die vor fünf Jahren das auf italienischen Ermittlungsunterlagen und Interviews mit Agca basierende Buch »Verschwörung gegen den Papst« veröffentlichte, steht dann auch fest: »Ali Agca war nur eine Marionette.« Ali Mehmet Agca wird 1958 geboren, in einem Slum am Rande der westanatolischen Provinzhauptstadt Malatya. Sein Vater, ein Minenarbeiter, trinkt und schlägt seine Frau. Irgendwann im Jahre 1970 kommt er nicht mehr nach Hause, ob er tot ist oder einfach abgehauen, ist unklar.

Ali ist das älteste von drei Kindern und muss nun mit seinen zwölf Jahren die Familie ernähren. Er verdingt sich als Tagelöhner, verkauft am Bahnhof Wasser an Reisende und schleppt Zementsäcke auf Baustellen. Schon in dieser Zeit verkehrt er in rechtsradikalen Kreisen. Er dichtet Lobeshymnen auf Adolf Hitler und schmiert Nazislogans an die Schulmauer. Ein Foto zeigt den Vierzehnjährigen, wie er mit Waffen und Freunden von den Grauen Wölfen posiert, der bewaffneten Miliz der faschistischen Nationalen Aktionspartei NAP.

Aber Agca ist nicht dumm, mit seinem Fleiß und Talent ist er einer der besten Schüler seines Jahrgangs. Nach dem erfolgreichen Schulabschluss gewinnt er ein Universitätsstipendium und beginnt ein Studium in Istanbul. Auch hier schließt er sich sofort einer rechtsradikalen Studentenvereinigung an. An seiner Seite findet sich ein Jugendfreund aus Malatya, der wie Agca ein fanatischer Grauer Wolf ist – Oral Celik, der ihn wenige Jahre später beim Papst-Attentat auf den Petersplatz in Rom begleiten wird.

Das erste Attentat

Während des Studiums begehen Agca und Celik erste Raubüberfälle. Am 1. Februar 1979 verüben sie ihren ersten Mordanschlag. Agca, Celik und ein unbekannt gebliebener Dritter lauern an diesem Abend dem Chefredakteur der liberalen Tageszeitung »Milliyet«, Abdi Ipekci, auf und töten ihn vor seiner Wohnung im Istanbuler Stadtzentrum mit mehreren Kopfschüssen.

Die Polizei tappt bei der Tätersuche zunächst im Dunkeln. Erst vier Monate nach dem Mord wird Agca verhaftet, nachdem ein Gesinnungsgenosse ihn verraten hat. Doch schon Ende November 1979 befreien Anhänger der Faschistenpartei Agca in einer unblutigen Aktion aus dem Militärgefängnis Kartal Maltepe.

Ali Agca taucht unter und nimmt erst einmal Rache an seinem Denunzianten: Tagelang wird der Mann gefoltert, bevor Agca ihn eigenhändig erschießt. Am Abend nach seiner Befreiung aus dem Militärgefängnis, dem 28. November 1979, erreicht ein Brief Agcas die Zeitung »Milliyet«. Darin droht der Terrorist mit der Ermordung des Papstes Johannes Paul II., der am darauffolgenden Tag zu einem zweitägigen Besuch in der Türkei eintreffen wird. Er werde den Papst ermorden, der als »Oberbefehlshaber der Kreuzzüge« von den »westlichen Imperialisten« geschickt worden sei, um zu verhindern, »dass die Türkei gemeinsam mit ihren islamischen Schwesternationen eine politisch-militärische Macht im Vorderen Orient werden könnte«, schreibt Agca in dem Brief an »Milliyet«.

Training im Libanon

Erst nach dem Papst-Attentat von 1981 wird bekannt, wo sich Agca zwischen dem Mord an dem »Milliyet«-Chefredakteur und seiner Festnahme im Juni 1979 aufgehalten hatte: in einem Terroristentrainingslager im Libanon. Das Camp südlich von Beirut wird in dieser Zeit von Frank E. Terpil geleitet, einem Waffenhändler mit besten Verbindungen zum US-Geheimdienst CIA. Der amerikanische Enthüllungsjournalist Seymour Hersh beschrieb die Gruppe um Terpil später als ein »Old-Boys-Netzwerk von ehemaligen CIA-Verantwortlichen und Militärbefehlshabern, die Mörder im Ausland trainieren«, und Verbindungen zu gegenwärtigen Führungsmitgliedern der CIA unterhielten. Agca kommt nicht zufällig in das Terroristencamp bei Beirut. Im Frühjahr 1979, als er in den Libanon reist, gehört Agca in seiner Heimat bereits einer von mehreren Todesschwadronen an, die Teil einer staatlich finanzierten Kontra-Guerrilla sind.

Die türkischen Kontras ermordeten Linke und Kurden, sie inszenierten Massaker, um die beiden Gruppen aufeinander zu hetzen. Die rechten Todesschwadronen pflegen zudem eine enge Zusammenarbeit mit der türkischen Mafia, die die Killer finanziell unterstützt. Nicht nur im eigenen Interesse – viele der Mafiosi gehörten damals dem nach Westen ausgerichteten Geheimdienst MIT an oder genossen dessen Protektion.

Eine Untersuchungskommission des türkischen Parlaments bestätigt 1997 die Existenz der zivilen Geheimarmee. Sie war spätestens in den siebziger Jahren nach dem Vorbild der in Italien unter der Bezeichnung »Gladio« bekannt gewordenen Organisation entstanden, die während des Kalten Krieges in mehreren Nato-Staaten – auch in der Bundesrepublik – von Geheimdiensten aufgebaut wurden. Die meist im rechtsradikalen Milieu rekrutierten »Gladio«-Kämpfer sollten mit Partisanenmethoden kommunistische Umtriebe im eigenen Land bekämpfen.

Die türkischen Abgeordneten ermitteln, dass sich die Kontras in ihrem Land aus geheimen Sondereinsatzkommandos der Polizei und Einheiten einer »Abteilung für besondere Kriegsführung« rekrutierten, die im Gebäude der US-Militärmission in Istanbul untergebracht war. Und sie erfahren, dass die Mordkommandos nicht nur eng mit dem türkischen Geheimdienst MIT zusammenarbeiteten, sondern auch mit der CIA und dem deutschen Bundesnachrichtendienst kooperierten.

BND-Kontakte

Der BND – so berichtete es der Chef des türkischen polizeilichen Nachrichtendienstes der Untersuchungskommission – habe sich besonders der Killertruppe um Abdullah Catli angenommen, der auch Agca und sein Jugendfreund Celik angehörten. Catli, der im Herbst 1980 ein Schulungslager der deutschen Antiterroreinheit GSG-9 besucht haben soll und anschließend gemeinsam mit Agca und Celik eine Wohnung in der Wiener Iheringgasse 33a bezog, war nicht nur ein brutaler Killer, der für die türkische Regierung Mordanschläge in Frankreich auf armenische Befreiungskämpfer verübte. In den siebziger und achtziger Jahren beherrschte er auch den türkischen Heroinhandel. Beschützt von westlichen Geheimdiensten konnte Catli dennoch unbehelligt in die Bundesrepublik und in andere europäische Staaten einreisen.

Und wenn es ihn doch einmal erwischte – wie 1981 in der Schweiz – dann konnte er sich auf mächtige Freunde verlassen. Damals reiste extra ein CIA-Team aus Ankara an, das sich erfolgreich bei den eidgenössischen Behörden für eine schnelle Freilassung Catlis einsetzte. Auch in Florida, wo Catli Anfang der achtziger Jahre von der Einwanderungsbehörde festgesetzt wurde,  kam er schon nach wenigen Tagen wieder auf freien Fuß – zusammen mit seiner Begleitung, dem damals von Interpol meistgesuchten italienischen Rechtsterroristen Stefano Delle Chiaie.

In Deutschland blieb Catli ebenfalls unbehelligt. In den achtziger und neunziger Jahren reiste er unter einem in der Bundesrepublik sogar öffentlich bekannten  Pseudonym ungehindert ein und aus. Für den Chef des polizeilichen Nachrichtendienstes der Türkei keine Überraschung: Die Bande um Abdullah Catli habe eng mit dem deutschen Bundesnachrichtendienst zusammengearbeitet, berichtete der Offizier 1997 dem Untersuchungsausschuss des türkischen Parlaments. Die brisante Aussage, die in der türkischen Presse nachzulesen war und sicher auch von der deutschen Botschaft in Ankara zur Kenntnis genommen wurde, blieb von bundesrepublikanischer Seite unwidersprochen.

Vier Täter - eine Verurteilung

Neben Catli erfreute sich aber auch Ali Agca, der nach seiner Flucht 1979 aus der Türkei zeitweise in Deutschland untergetaucht war, eines besonderen Wohlwollens der hiesigen Sicherheitsbehörden. Dabei war Agca den Geheimdiensten und der Polizei als »schwarzer« Terrorist und Mitglied der »Grauen Wölfe« bekannt. Immerhin ermittelten die Behörden in zwei in Deutschland verübten Mordanschlägen auf Exil-Türken auch gegen Agca.

Die kommunistische »Förderation der türkischen Arbeiter in der Bundesrepublik« wandte sich im November 1980 sogar mit einem Protestbrief an den damaligen Innenminister Gerhart Baum (FDP). Darin drückten die Türken ihr Unverständnis darüber aus, »dass ein politischer Mörder, der sich nach vielen Hinweisen in der Bundesrepublik befindet, trotz der Anzeigen durch türkische Landsleute nicht verhaftet« werde. Agca und seine Kumpane von den »Grauen Wölfen« aber brauchten keine Angst vor deutschen Behörden zu haben. Der Bundesnachrichtendienst unterhielt damals enge »Arbeitsbeziehungen« zu der in der Bundesrepublik unter dem Tarnnamen »Idealistenvereine« operierenden rechtsterroristischen Gruppe. Viele »Graue Wölfe« hatten Zuflucht in Deutschland gesucht, nachdem ihre Organisation kurz nach dem Militärputsch im September 1980 von der türkischen Junta verboten worden war. Die türkischen Behörden präsentierten damals in einem Prozess sogar Briefwechsel zwischen Funktionären der »Wölfe« und BND-Mitarbeitern. 

Agca, Catli, dazu die ebenfalls vom BND und anderen westlichen Geheimdiensten geschützten Oral Celik und Bekir Celenk – diese vier türkischen Rechtsterroristen spielen letztlich die zentrale Rolle in der Verschwörung, die zu dem Papst-Attentat vom 13. Mai 1981 führte. Darauf weisen die jahrelangen Ermittlungen der italienischen Justiz hin. Aber nur Ali Agca ist verurteilt worden, die Beweise gegen seine Freunde reichten nicht aus. Ungeklärt ist bis heute auch die Rolle, die Geheimdienste und die mit dem Opus Dei konkurrierenden Fraktionen innerhalb des Vatikans bei dem Attentat spielten. Für deren Mitwirkung am Komplott gibt es nur Indizien.

Er habe, so sagt Agca heute, inzwischen seinen Frieden gefunden. Es sei ihm wichtig gewesen, dass ihm der Papst verziehen und 1983 in seiner Gefängniszelle besucht habe.  Die Wahrheit über das Attentat von 1981 wird er später einmal enthüllen, kündigt er noch an.                          

Andreas Förster ist Politikredakteur der Berliner Zeitung und wurde von 2001 bis 2005 vom Bundesnachrichtendienst (BND) überwacht. Die Überwachung erfolgte offenbar aufgrund geheimdienstkritischer Recherchen. Er schrieb unter anderem einen Artikel über Journalisten-Bespitzelung durch den BND, welcher die Ermittlungen auslöste, die zur aktuellen BND-Affäre führten.