Versagen, verharmlosen, verschleiern
Andreas FörsterEs war schon dunkel, als der Beamte der Bundespolizei nach Dienstschluss noch einmal an seine Arbeitsstelle zurückkehrte. Am 9. Dezember vergangenen Jahres fuhr der Mann in seinem Büro in der Dienststelle in Swisttal bei Bonn seinen PC hoch und löschte einen brisanten Datensatz. Es ging um Handydaten aus dem derzeit wichtigsten Strafverfahren Deutschlands – den Ermittlungen gegen die mutmaßliche rechte Terrorzelle »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU).
Der Beamte arbeitet im Bundespolizei-Referat 55 und ist dort auf die technische Auswertung von Mobiltelefonen spezialisiert. Durch seine Hände ging auch ein Handy des am 24. November 2011 festgenommenen mutmaßlichen NSU-Helfers André Eminger. Das BKA hatte das Mobiltelefon dem Forensik-Referat in Swisttal zur Auswertung übergeben. Nachdem der Computerexperte eine DVD mit den ermittelten Daten aus Emingers Handy, darunter angerufene Telefonnummern und gespeicherte SMS, an das BKA übersandt hatte, kam von dort am 9. Dezember vergangenen Jahres per E-Mail die Weisung, die Handydaten im Computer des Referats zu löschen. Der Beamte gehorchte widerspruchslos, dabei war weder seine Referatsleitung informiert worden, noch gab es einen schriftlichen Löschungsbefehl aus der Leitungsebene des Bundeskriminalamtes. Und auch die Bundesanwaltschaft, eigentlich Herrin des Ermittlungsverfahrens, wusste von nichts.
BKA-Chef Jörg Ziercke sprach später von einem ganz normalen Vorgang, man habe nur verhindern wollen, dass zuviele Daten in zu vielen Behörden vorhanden seien. Aber normal war dieses Vorgehen eben nicht, weshalb auch das Bundesinnenministerium eine Stellungnahme vom BKA erbat. Denn eine Löschung von Daten in einem Strafverfahren ist ein rechtswidriger Vorgang, der einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Dienstpflicht darstellt. Muss die Bundespolizei doch sämtliche Ermittlungsergebnisse aufbewahren, mindestens bis zum rechtsgültigen Abschluss eines möglichen Gerichtsverfahrens. Schließlich könnten die Forensik-Experten aus dem Referat 55 als wichtige Zeugen in einem Prozess über die von ihnen technisch wieder hergestellten Daten Auskunft geben müssen.
Es ist dies nicht der einzige, jüngst ans Licht gekommene Vorgang, der neue Fragen nach der Rolle der Sicherheitsbehörden im NSU-Fall stellt. Es wurde auch bekannt, dass sich der sächsische Verfassungsschutz im vergangenen November bei der Nachfrage nach eben jenem mutmaßlichen NSU-Helfer André Eminger zunächst völlig ahnungslos zeigte; erst nach dessen Festnahme zwei Wochen später rückte man dann doch die über Jahre hinweg gesammelten Erkenntnisse über den Mann an die Ermittler heraus, auch diesmal nicht vollständig. Und auch das Bundesamt für Verfassungsschutz spielte falsch: Als das BKA nach Informationen über den inzwischen inhaftierten möglichen NSU-Unterstützer Matthias Dienelt fragte, teilte die Kölner Behörde am 20. November 2011 schriftlich mit, man wisse nichts über den Mann. Tatsächlich aber ist Dienelt seit Jahren im GDS-Speicher erfasst, dem nachrichtendienstlichen Informationssystem der Verfassungsschutzbehörden.
All dies nährt das Misstrauen in den Aufklärungswillen von Geheimdiensten und Ermittlungsbehörden. Offenbar hat die eine oder andere Behörde ein Interesse daran, eigene Fehler und Versäumnisse zu vertuschen, weil man vielleicht doch deutlich dichter an der Zwickauer Zelle dran war, als man es heute zugeben will.
Tatsächlich hat es im unmittelbaren Umfeld der 1998 abgetauchten Jenaer Neonazis Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gleich eine Handvoll staatlicher Spitzel gegeben. Die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern hatten mindestens vier V-Leute und Informanten in der Neonazi-Vereinigung »Thüringer Heimatschutz« (THS), der auch die späteren mutmaßlichen Rechtsterroristen angehörten.
Bekannt war bereits, dass mit Tino Brandt der Anführer des THS zwischen 1994 und 2001 mit dem Thüringer Verfassungsschutz (LfV) zusammengearbeitet hatte. Brandt hielt das Amt über die Aktivitäten der Unterstützer des flüchtigen Trios auf dem Laufenden und leitete auch Geld aus dem LfV an die drei Neonazis weiter. Mit den Summen wollten die Verfassungsschützer angeblich die Gesuchten aus ihrem Versteck locken. Der obskure Plan, wenn er denn überhaupt in dieser Form existiert hatte, schlug jedoch fehl.
Offenbar aber war Brandt alias V-Mann »Otto« nicht der einzige Spitzel des Erfurter Landesamtes im THS. Dass das LfV dort noch eine weitere nachrichtendienstliche Quelle führte, legt ein Verfassungsschutzbericht nahe. Darin heißt es, ein Kontaktmann des untergetauchten Trios habe am 26. April 2000 »die Vertrauensperson des LfV Thüringen (gebeten), einen Kontakt zu einer der Familien der Untergetauchten herzustellen«. Dazu sollte ein Mobiltelefon an ein Elternteil übergeben werden. Tino Brandt alias »Otto« bestreitet vehement, jener V-Mann gewesen zu sein, der seinerzeit Kontakt mit den Eltern aufnehmen sollte. Ein solcher Vorgang sei ihm nicht bekannt, er sei auch nie in dieser Sache angesprochen worden, weil er die Eltern gar nicht gekannt habe, beteuert er.
Neben dem LfV Thüringen spielt auch das sächsische VS-Amt eine bislang recht undurchsichtige Rolle im Fall der NSU. Schließlich hielten sich die NSU-Aktivisten, unterstützt von einschlägig bekannten und zeitweise observierten sächsischen Neonazis, mehr als elf Jahre im Freistaat versteckt und organisierten von dort aus ihre Mordtaten. Das LfV in Dresden will von alldem nichts bemerkt haben, obwohl das Amt im Umfeld des Trios jahrelang hartnäckig recherchierte und dort offenbar auch eigene nachrichtendienstliche Quellen führte.
Doch auch mindestens zwei Bundesbehörden hatten eigene Quellen im Thüringer Heimatschutz. So liegen dem Erfurter Innenministerium Informationen vor, wonach das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) einen eigenen V-Mann im THS geführt haben soll. Entsprechende Erkenntnisse hatte das LfV dem Thüringer Innenminister Jörg Geibert (CDU) übermittelt. Über die Identität dieses V-Manns und die Dauer seiner Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst ist noch nichts bekannt.
Offengelegt wurde durch einen Ermittlungsbericht des BfV vom 12. Dezember vergangenen Jahres hingegen, dass auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) eine »Vertrauensperson« im THS geführt hatte. Der MAD hat das inzwischen auch bestätigt. Angeblich habe man den Einfluss extrem rechter Personen auf die Bundeswehr damit im Blick behalten wollen.
In dem Verfassungsschutz-Bericht wird auf einen Hinweis zum angeblichen Tod der drei flüchtigen Neonazis im Dezember 1999 eingegangen. Am Rande einer Schulabschlussfeier in Bad Blankenburg hatte demnach ein LKA-Beamter fälschlicherweise behauptet, Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt seien auf Kreta tot aufgefunden worden. Ohrenzeuge dieser Äußerung wurde dem Bericht zufolge eine nachrichtendienstliche Quelle des MAD, die offenbar direkten Zugang zur Führungsspitze des THS hatte. Denn im BfV-Bericht heißt es dazu: »Am folgenden Tag sei die Vertrauensperson des MAD von dem THS-Führungsaktivisten B. hierzu befragt worden.«
Bereits im vergangenen Dezember war bekannt geworden, dass eine V-Person des MAD kurz nach dem Abtauchen des Neonazi-Trios 1998 dessen neuen Aufenthaltsort an eine Außenstelle des Dienstes in Leipzig gemeldet hatte. Die Information sei seinerzeit jedoch nicht an den Verfassungsschutz weitergeleitet worden.
LfV, BfV, MAD – in diesem Reigen der Geheimdienste rund um die rechte Terrorgruppe NSU fehlt eigentlich nur noch der Bundesnachrichtendienst (BND). Der ist laut Gesetz nur für die Auslandsaufklärung zuständig. Und doch gibt es einen Hinweis darauf, dass auch der BND im Fall der Zwickauer Terrorzelle mitgemischt haben könnte. So hatte ein Beamter der Polizeidirektion Gotha gegenüber Vertrauten erzählt, dass ihn nach dem Auffinden der Leichen von Mundlos und Böhnhardt im ausgebrannten Wohnmobil am 4. November letzten Jahres zwei Männer aufgesucht hätten. Sie stellten sich als Mitarbeiter von BND und MAD vor und ließen sich über die Vorgänge in Eisenach und dem nahegelegenen Dorf Stregda informieren. Der MAD verweigerte auf Anfrage eine Auskunft dazu, der BND brauchte drei Tage, um die Aussage des Polizeibeamten zu dementieren. Der Beamte darf sich inzwischen nicht mehr äußern – er ist in die Sonderkommission »Trio« des BKA übernommen worden.
Andreas Förster ist freier Journalist in Berlin und arbeitet für die Berliner Zeitung und die Frankfurter Rundschau. Er ist Autor mehrerer Bücher über Geheimdienste.