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Feindbild Merkel

Einleitung

 Zentrale Klammer einer völkischen Protestbewegung

­­­Viermal war 2016 unter dem Motto „Merkel muss weg“ zur „Großdemonstration“ am Berliner Hauptbahnhof mobilisiert worden. Mit den Demonstrationen versuchten die Organisatoren von „Wir für Berlin und wir für Deutschland“ um den „Pro Deutschland“-Funktionär Enrico Stubbe, auch in Berlin eine kontinuierliche und spektrenübergreifende extrem rechte Protestveranstaltung zu etablieren.

Der Widerstandsdiskurs unter dem Slogan „Merkel muss weg“ kann als eine zentrale Klammer dieser völkischen Protestbewegung begriffen werden. Rechts: „Pro Deutschland“-Funktionär und Organisator der Aufmärsche, Enrico Stubbe.

Wer am Nachmittag des 12. März 2016 den öffentlichen Nahverkehr zum Berliner Hauptbahnhof nahm, konnte schnell ahnen, dass die dort beginnende Veranstaltung eine größere Nummer werden könnte. Gegen 15 Uhr erreichte eine S-Bahn den Bahnsteig, aus der eine größere Gruppe von schwarz-gekleideten Männern stieg, die mit „Merkel muss weg!“ lauthals die Parole des Tages skandierte und damit die Aufmerksamkeit der vielen Reisenden auf sich zog, die keine Ahnung hatten, was vor sich ging.

Mit der Resonanz auf die erste „Merkel muss weg“-Demonstration hatte so kaum jemand gerechnet: Behörden, Zivilgesellschaft und antifaschistische Gruppen waren sichtlich überrascht von der für Berliner Verhältnisse hohen Beteiligung: Zwischen 2.000 (Zählung apabiz) und 3.000 (Zählung Polizei) TeilnehmerInnen aus ganz Deutschland, die meisten aus den ostdeuschen Bundesländern, waren gekommen. Erst wenige Monate zuvor und inmitten der Phase erneut ansteigender TeilnehmerInnenzahlen bei PEGIDA in Dresden hatte Stubbe unter dem gleichen Label bereits zu einer Kundgebung am selben Ort mobilisiert, zu der sich aber nur rund 200 Teilnehmende eingefunden hatten.

Auch die im Vorfeld der ersten „Großdemonstration“ geäußerten Distanzierungen seitens Pegida und der AfD, die angesichts des bevorstehenden Berliner Wahlkampfes wohl keine Risiken eingehen wollte, deuteten nicht unbedingt auf einen großen Mobilisierungserfolg hin. Während Frauke Petry Anfang des Jahres 2015 noch die Nähe zu Lutz Bachmann und dem PEGIDA-Orgateam gesucht hatte, verfolgte sie als Bundesvorsitzende eine Strategie der Distanz zu den rassistischen Mobilisierungen. Der Bundesvorstand untersagte im Frühjahr per Beschluss die Teilnahme von AfD-FunktionärInnen als RednerInnen auf entsprechenden Veranstaltungen. Allerdings hielt dieser  Beschluss nur wenige Monate und wurde im Sommer durch das Parteischiedsgericht auf Initiative der „Patriotischen Plattform“ wieder gekippt. Und so sprach auf der vierten „Merkel muss weg“-Demonstration am 5. November 2016 mit Roland Ulbrich schließlich auch ein Vertreter der AfD.

Alle mit dabei

Das Spektrum der Teilnehmenden kann prototypisch für die vergleichsweise heterogene Zusammensetzung der asylfeindlichen Mobilisierungen der vergangenen zwei Jahre gesehen werden. Etliche Männer und Frauen mittleren Alters waren gekommen, doch auch schon auf der ersten Demonstration prägten insbesondere sportlich gekleidete Männer in den 30ern und 40ern, nicht wenige mit szenetypischen Modemarken wie „Thor Steinar“ oder „Yakuza“, das Bild. Neben etlichen selbsternannten „Bürgerbewegungen“ waren Akteure der „Identitären Bewegung“, einzelne Vertreter der AfD und hier insbesondere der „Patriotischen Plattform“, „Reichsbürger“ und AnhängerInnen der rechten Friedensbewegung zugegen, aber auch langjährig bekannte Neonazis aus altbekannten Organisationen wie der „Kameradschaft Northeim“ um Torsten Heise, Hamburger Neonazi-Zusammenhänge um den ehemaligen „Blood & Honour“-Aktivisten Torben Klebe oder ParteiaktivistInnen von „Die Rechte“, NPD oder „Der III. Weg".

Diese Zusammensetzung veränderte sich auch bei den nachfolgenden drei Demonstrationenin 2016 kaum, auch wenn mit jedem mal die TeilnehmerInnenzahl sank, von 2.000-3.000 im März über 1.500 im Mai und 1.200 am 30. Juli bis zuletzt rund 600 am 5. November. Zudem wurde die Beteiligung von organisierten Strukturen immer offensichtlicher wurde. So sprach auf den Demonstrationen im Mai und Juli auch der Vorsitzende des Sächsischen Landesverbandes von „Die Rechte“, Alexander Kurth. Darüber hinaus kamen die RednerInnen vielfach aus den um PEGIDA neu entstandenen Netzwerken, darunter Eric Graziani Grünwald, Katrin Oertel oder der Schweizer Ignaz Bearth, um nur einige zu nennen. Mit Manfred Rouhs beteiligte sich außerdem ein langjähriger Politaktivist an der Organisation und Finanzierung der Veranstaltung: Der Vorsitzende von „Pro Deutschland“, der auf allen Demonstrationen sprach, hatte die Parteimitglieder zum Spenden aufgerufen, da für die Organisation allein 4.000 Euro an Kosten durch „Pro Deutschland“ zu tragen wären. Eine Überparteilichkeit der Veranstaltung, die zumindest nach außen hin gewahrt werden sollte, wurde dadurch obsolet. Dies war auch einer der Gründe, warum aus dem gleichen Spektrum heraus im November zeitgleich zur vierten Demonstration eine Gruppe unter dem Label „Hand in Hand“ erneut zu einer Demonstration in die „City West“ mobilisierte, und sich den Vorwurf der Spaltung gefallen lassen musste.

Rechter Widerstandsdiskurs

Schon auf der ersten Demonstration wurde deutlich, dass die Beteiligung von offensichtlichen Neonazi-Zusammenhängen der gemeinsamen Sache keinen Abbruch tat: Die „Kameradschaft Northeim“ führte mit ihrem Transparent und dem Slogan „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“ einen eigenen Block an. Der Widerstandsdiskurs kann als eine zentrale Klammer dieser völkischen Protestbewegung begriffen werden und wurde auch in den Reden und Sprechchören immer wieder deutlich. Als idealtypisch für den aktuellen völkischen Duktus, der sich aufgrund einer apokalyptischen Prophezeiung zum Widerstand nicht nur legitimiert, sondern gar verpflichtet sieht, können die Reden von Eric Graziani Grünwald herangezogen werden. Zu seinem Repertoire gehört die wutschnaubende Aufzählung der üblichen rechten Feindbilder wie den „linken Propagandisten der deutschen Wochenschau von heute“, den „Volksverrätern“ und der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die „ihr Volk in den Genozid treibt“ sowie den „Rothschilds“, die gemäß der geradezu prototypischen antisemitischen Weltsicht „in der Führungsebene sitzen und Europa in ein Chaos der Verwüstung und der Bürgerkriege stürzen.“ Gegen diesen prophezeiten Untergang sei er bereit zu kämpfen und „Opfer zu bringen“, bis hin zum Tod: „Selbst mein Leben wäre mir nicht zu schade, es herzugeben, für die Freiheit unserer Kinder und vor allem für ein freies und souveränes Deutschland.“

Der Fachautor Felix Korsch hat den völkischen Widerstandsdiskurs in einem sehr gewinnbringenden Aufsatz als Vigilantismus beschrieben1 . Diese Form der Selbstermächtigung, die sich zur Aufrechterhaltung staatlicher Ordnung legitimiert sieht, findet sich auf verschiedenen Ebenen wieder. So etwa, wenn der Staatsrechtler der „EinProzent“-Initiative, Karl Albrecht Schachtschneider, eine Verfassungsbeschwerde einreicht, da er die Einreiseerlaubnis der in Ungarn festsitzenden Menschen im September 2015 nach Deutschland als Verfassungsbruch einstuft, wenn Akteure wie Jürgen Elsässer zum Sturz des „Merkel-Regimes“ aufrufen oder bei der Berliner PEGIDA-Kopie BÄRGIDA ein „Nürnberg 2.0“ für die „Deutschlandverräter“ eingefordert wird.

Mit dem Vigilantismus-Begriff kann zudem teilweise erklärt werden, warum der Kern dieser völkischen Bewegung völlig immun für realpolitische Entwicklungen ist: Die Zahl der Asylsuchenenden ist in diesem Jahr deutlich gesunken, gleichzeitig wurde das Asylrecht verschärft. Wer sich allerdings dazu berufen sieht, für eine völkisch begründete Gesellschaft ohne Muslime und Geflüchtete zu kämpfen, kann gar nicht anders, als diese Forderung weiterhin auf die Straße zu tragen. Demnach lässt sich bei diesen zunehmend selbstreferenziellen Mobilisierungen feststellen, dass sie derzeit kaum noch neue AnhängerInnen binden können. Dabei spielt sicherlich auch der parlamentarische Erfolg der AfD eine nicht ganz unbedeutende Rolle — die Aufmerksamkeit, die sich insbesondere von den weniger Radikalisierten zunächst auf der Straße manifestiert hat, verlagert sich so zunehmend in die Parlamente. Die AfD kann als parlamentarischer Flügel dieser völkischen Bewegung begriffen werden.

Die Selbstlegitimierung, die sich in nächtlichen Angriffen auf Asylsuchenende und ihre Unterkünfte gewalttätig artikuliert, bleibt jedoch weiterhin Begleiterscheinung dieses gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks. Neben dem vielerorts insbesondere für Migrant_innen unerträglichen Klima und den nach wie vor hohen Angriffszahlen hat es seit Anfang 2015 nach Behördenzählungmindestens 18 versuchte Tötungsdelikte im Bereich „Politsch Motivierte Kriminaliät Rechts“ gegeben (davon 12 in 2016).

(Ausführliche Berichte zu den einzelnen „Merkel muss weg“-Demonstrationen können auf dem apabiz-Blog unter „blog.schattenbericht.de“ nachgelesen werden.)

  • 1Vgl. Felix Korsch: Wehrhafter Rassismus. Materialien zu Vigilantismus und zum Widerstandsdiskurs der sozialen Bewegung von rechts, in: Friedrich Burschel (Hrsg.): Durchmarsch von rechts. Völkischer Aufbruch: Rassismus, Rechtspopulismus, Rechter Terror, Berlin 2016, S.15–55.