Under our Umbrella – Rettungsschirm für Oli!
"Solidaritätsgruppe für Oli" (Gastbeitrag)Repression ist vor allem nach dem G20-Gipfel in Hamburg ein präsentes Thema in der radikalen Linken. Aber auch der im folgenden Artikel beschriebene Fall ist Teil einer Repressionswelle, die sich neben den exemplarischen Urteilen nach dem G20-Gipfel auch in Gesetzesverschärfungen wie der des Paragraphen 113 StGB äußert.
Am 7. November letzten Jahres nahm Oli an einer Kundgebung teil, um gegen die montäglich in Dresden stattfindende PEGIDA-Demonstration zu protestieren. Am Rande des Neumarkts kam es zur Auseinandersetzung mit einer Dresdner BFE-Einheit. Oli hatte wetterbedingt einen Regenschirm dabei. Als es in den ersten Reihen zu Rangeleien mit der Polizeieinheit kam, versuchte sich Oli reflexartig mit dem Schirm zu schützen. Ob dabei im Gewusel tatsächlich jemand getroffen wurde, lässt sich abschließend nicht beurteilen. Feststeht allerdings, dass von einer vorsätzlichen Handlung, wie von Polizei und Staatsanwaltschaft konstruiert, keine Rede sein kann, und dass mit der Speiche eines aufgespannten Regenschirms als „Tatwaffe“ keine ernsthaften Verletzungen herbeizuführen sind. Die Dresdner Polizei stürmte daraufhin die Versammlung, um Oli festzunehmen. Bei der folgenden Polizeimaßnahme zog sich Oli Wunden an Auge, Nase und Oberschenkel zu. Laut eigener Aussage ist er gegen ein Einsatzfahrzeug geschubst worden.
Schon bei Prozessbeginn zeichnete sich ab, dass Oli kein faires Verfahren bekommen würde. So wurde im Vorfeld, obwohl bei ähnlichen Fällen üblich und oft strafmildernd, ein Täter-Opfer-Ausgleich abgelehnt. Ebenso wies die Anklageschrift grobe Unstimmigkeiten auf, was Menschen, die damals vor Ort waren, im Prozess bestätigen konnten. Sie beobachteten, dass ein Sturz des Angeklagten, anders als vom Beamten I. ausgesagt, erst nach Einleiten der Maßnahme erfolgt sein konnte, da Oli unversehrt in die Maßnahme ging. Verschiedene Aussagen von PolizeibeamtInnen konnten so von Zeug*innen widerlegt werden. Zudem widersprachen sich PolizistInnen mehrfach selbst, was jedoch nicht dazu führte, dass sie aus Sicht des Richters als unglaubwürdig eingestuft wurden. Ganz im Gegenteil: Ein Entlastungszeuge, der die Situation als Mitdemonstrierender erlebt hatte, wurde vom Richter als unglaubwürdig abgelehnt, weil er zwar die Bewegung des Schirms als „Schutzreflex“ wahrgenommen, jedoch nicht bemerkt hatte, wie zuvor Demonstrierende Polizeibeamten angeblich in die Hacken getreten haben sollen.
Der vorsitzende Richter am Dresdner Amtsgericht betitelte Demonstrant*innen wiederholt als Störer*innen und ließ somit schnell durchblicken, dass er nicht sonderlich viel Wert auf die Wahrnehmung von Grundrechten wie der Versammlungsfreiheit legt. So endete der Prozess mit einem Strafmaß von acht Monaten ohne Bewährung. Dieses Strafmaß ging sogar über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus, die die Strafe zur Bewährung aussetzen wollte. Außer Acht ließ der Richter dabei eine günstige Sozialprognose, die Tatsachen, dass Oli nicht einschlägig vorbestraft war und dass es sich um eine Schutzhandlung gehandelt hatte sowie die Widersprüche in den Aussagen der PolizistInnen. Also praktisch alles, was Oli irgendwie hätte entlasten können.
Ein neuer Fall „sächsischer Verhältnisse“
Mit der Verurteilung von Oli zeigen sich die „sächsischen Verhältnisse“ einmal mehr in ihrer ganzen widerwärtigen Pracht. Wo vermeintlich „politisch neutrale“ Straftaten oder solche aus dem rechten Spektrum mit Einstellungen oder Geldstrafen enden, werden linke Aktivist*innen bis an die Grenze der Rechtsbeugung schikaniert und kriminalisiert. Parallelen zu den Prozessen um den Jugendpfarrer Lothar König und insbesondere um den inzwischen rechtskräftig von allen Anklagepunkten freigesprochenen Tim H. drängen sich geradezu auf. Der nicht vorbestrafte Familienvater war nach den Protesten gegen den Aufmarsch von Neonazis im Februar des Jahres 2011 in Dresden wegen angeblichem „schweren Landfriedensbruch“ zu 22 Monaten Haft verurteilt worden – ebenfalls ohne Bewährung. Schon während des ersten Prozesses wurde deutlich, dass die von den Ermittlungsbehörden angeführten Beweise selektiv zur Belastung des Angeklagten ausgewählt und alle entlastenden Beweise unter den Tisch gekehrt wurden. Erst die Folgeinstanzen kassierten dieses Skandalurteil, was den Verfolgungseifer der Staatsanwaltschaft nicht bremsen konnte – zuletzt versuchte man sogar erfolglos, das Mitführen eines Megafons als „Beweis“ für die „unfriedlichen Absichten“ von Tim H. zu konstruieren. Aber wo fand der Schauprozess gegen Tim in erster Instanz statt? Vor dem Amtsgericht Dresden. Dasselbe Amtsgericht Dresden übrigens, das am 7. September 2017 die Körperverletzungsprozesse gegen drei Neonazis gegen Geldauflage einstellte, nachdem es selbst den Prozess über vier Jahre verschleppt hatte.
Auch dem Amtsgericht Dresden dürfte schon aufgefallen sein, dass seine Urteile in den nächsten Instanzen reihenweise kassiert werden. An den überharten Urteilen gegen Menschen, die es dem linken Spektrum zuordnet, hat dies bisher nichts geändert. Man muss schlussfolgern, dass das Ziel der Urteile nicht die tatsächliche Strafzumessung ist, sondern vielmehr die psychische und finanzielle Zermürbung der Angeklagten und deren Umfelds, die unter jahrelangen Verfahrensdauern und hohen Gerichts- und Anwaltskosten leiden müssen. Eingeschüchtert werden sollen alle, die ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auch nutzen, um gegen Neonazis auf die Straße zu gehen.
Der Blick aufs große Ganze – Einordnung des „Fall Oli“ in die zunehmende Repressionsverschärfung und die G20-Proteste
Der Prozess selbst fand eine Woche nach dem G20-Gipfel in Hamburg und der daraus resultierenden Hysterie aufgrund einer angeblich neuen Dimension der Gewalt gegen Polizisten statt. Dass dies der denkbar ungünstigste Zeitpunkt ist, um wegen eines angeblichen Angriffs auf einen Befehlsempfänger vor Gericht zu stehen, liegt nahe. Und so stellte auch Richter Fiedler in seiner Urteilsbegründung klar heraus, dass „In Zeiten, in denen es vermehrt zu Angriffen auf Sicherheits- und Rettungskräfte kommt“1
, das Urteil nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Dass die Proteste gegen den G20-Gipfel instrumentalisiert werden sollen, um linkes und linksradikales Engagement zu kriminalisieren und die Repressionsschrauben immer weiter anzuziehen, lässt sich an vielen Ereignissen der letzten Zeit erkennen.
Ein gutes Beispiel hierfür ist der inflationäre Einsatz von schwerbewaffneten Sondereinsatzkommandos gegen politische Aktivist*innen. Der Einsatz von SEK auf dem Schulterblatt in der Hamburger Schanze war ein Tabubruch, der vor dem Hintergrund der dadurch herbeifantasierten Lebensgefahr für Polizisten von weiten Teilen der sogenannten „bürgerlichen Mitte“ kritiklos hingenommen wurde. Und wie so häufig führte dieser Tabubruch dazu, dass das Tabu nun keines mehr ist. So wurden seit dem G20-Gipfel SEK-Einheiten bei der Räumung eines besetzten Gebäudes in Berlin (Alte Teppichfabrik) sowie bei einer antirassistischen Demonstration im sächsischen Wurzen eingesetzt.
Zu vermuten ist, dass weitere Gesetzesverschärfungen nur eine Frage der Zeit sind. Eine Verschärfung, welche schon im Vorfeld des Gipfels durchgesetzt wurde, ist die Anhebung des Strafmaßes für den Paragraphen 113 StGB. Trotz der Tatsache, dass selbst polizeinahe Institutionen wie das Zentrum für Kriminologie und Polizeiforschung die Verschärfung „aus wissenschaftlicher Sicht für nicht gerechtfertigt“2
halten, wurde die Mindeststrafe für Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte auf drei Monate angehoben. Obwohl die Verschärfung erst nach dem Vorfall mit Oli stattfand, spielte diese Gesetzesverschärfung laut Aussage des Richters trotzdem eine nicht unwesentliche Rolle für die Höhe des Urteils – eine Tatsache, die im eklatanten Widerspruch zum grundlegenden Rückwirkungsgebot steht.
In Anbetracht der Tatsache, dass der Prozess in die nächste Instanz gehen wird, werden Spenden gesammelt:
Empfänger: Bund der Antifaschisten e.V.
IBAN: DE33850950047431721010
BIC: GENODEF1MEI
Volksbank-Raiffeisenbank Meißen
Kennwort/Verwendungszweck: Soli mit Oli