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Hartes Urteil gegen Mitglieder der „Gruppe Freital“

Kristin Pietrzyk und Alexander Hoffmann
Einleitung

Nach genau einem Jahr Verhandlung sprach der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden am 7. März 2018 das Urteil gegen die sog. „Gruppe Freital“, die im Jahr 2015 unter anderem durch verschiedene Sprengstoffanschläge Geflüchtete und ihre Unterstützer*innen in Freital terrorisiert hatte. Das Urteil war mit Spannung erwartet worden, war doch nicht ganz klar, ob sich der Senat tatsächlich gegen die in wesentlichen Teilen der sächsischen Justiz vorherrschende Stimmung der Verharmlosung hinsichtlich der angeklagten Taten dazu durchringen würde, die Freitaler Gruppe als Vereinigung im Sinne des § 129a StGB und zumindest den Anschlag, bei dem Geflüchtete unmittelbar lebensgefährlich gefährdet wurden, als versuchten Mord zu qualifizieren.

Bild: Screenshot. Das hier dargestellte Symbol, welches nach § 86 StGB verboten ist, wird zu dokumentarischen und aufklärerischen Zwecken benutzt. Es dient nicht der Verharmlosung oder der Propaganda, sondern wird im Sinne des § 86a StGB Abs. 3 verwend

Einige Mitglieder und Anhänger der "Gruppe Freital"posierten mit einer Hakenkreuz-Fahne.

Bis zuletzt hatten die Verteidiger und Teile der lokalen Presse und Öffentlichkeit die Angriffe als „dumme Jungenstreiche“, „Böllerwürfe“ und die Motivation der Täter als „asylkritisch“ zu verharmlosen versucht. Die Richter waren während des Verfahrens mehrfach hart angegriffen worden, sie würden die Vorwürfe aufbauschen um „ein Exempel zu statuieren“. Einer der Verteidiger, ein aktives Mitglied von ProChemnitz, stellte in seinem Schlussvortrag dem Gericht sogar in Aussicht, dass es sich „dereinst“ selbst wegen Freiheitsberaubung verantworten werden müsse, wie es auch DDR-­Richtern ergangen sei.

Unbeeindruckt von diesen Androhungen verurteilte das Gericht die acht Angeklagten jedoch zu Strafen zwischen 10 Jahren Haft und 4 Jahren Jugendstrafe, wobei die niedrigste Strafe für ein erwachsenes Mitglied 5 Jahre beträgt. Einzig der nach Jugendrecht zu verurteilende Justin S. wurde aus der Untersuchungshaft entlassen und kann darauf hoffen, den Rest der Strafe zur Bewährung ausgesetzt zu bekommen.

Das Urteil

Die als Rädelsführer der terroristischen Vereinigung angeklagten Timo Schulz und Patrick Festing wurden zu 10 Jahren bzw. 9 Jahren und 6 Monaten, Philipp Wendlin zu 8 Jahren und 6 Monaten, Maria Kleinert zu 5 Jahren und 6 Monaten, Mike Seidel zu 5 Jahren und 6 Monaten, Sebastian Weiß zu 5 Jahren und Rico Knobloch, der auch der "Freien Kameradschaft Dresden" zuzurechnen ist, zu 5 Jahren Haft verurteilt.

Die Verurteilung lautete auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und versuchter gefährlicher Körperverletzung für die Verwendung der in der Tschechischen Republik gekauften nicht zulassungsfähigen Sprengsätze und Versuchten Mord für den Anschlag auf die Geflüchtetenwohnung in der Wilsdruffer Straße, bei der vier Flüchtlinge nur mit großem Glück lebensgefährlichen Verletzungen entgingen. Über die Angriffe im einzelnen wurde bereits im AIB Nr. 113 (Die rechtsterroristische „Gruppe Freital“) berichtet. Insofern bestätigte das Urteil die Anklage des Generalbundesanwalts fast vollständig.

Das Gericht stellte fest, dass die Motivation für die Taten und gleichzeitig der Konsens, der die inhaltliche Grundlage der Gruppe darstellte, ein aggressiver Fremdenhass und Rassismus war. Einige der Gruppenmitglieder, darunter der aus Hamburg stammende Timo Schulz, konnten eindeutig als Neonazis mit festgefügtem Weltbild eingeordnet werden. Der Angeklagte Wendlin fiel beispielsweise durch eine eindeutig nationalsozialistisch und stark antisemitisch geprägte Ideologie auf, ein positiver Bezug auf den Nationalsozialismus gehörte zum Umgangston innerhalb der Gruppe. Bei einigen Gruppenmitgliedern konnte allerdings nur ein „als diffus rechts darzustellendes Weltbild“ durch das Gericht festgestellt werden, wie es in der mündlichen Urteilsbegründung ausgeführt wurde.

Die aggressive Fremdenfeindlichkeit gepaart mit einem biologistischen Rassismus war jedenfalls als Bindeglied der Gruppe ausreichend und lieferte eine tragfähige Grundlage für ein gemeinsames Ziel und dessen Umsetzung: die Vertreibung von Geflüchteten, die Vertreibung von Menschen, die für ein friedliches Zusammenleben mit Geflüchteten und Nichtdeutschen eintreten, die Schaffung einer gesellschaftlichen Situation, in der der eh schon auf ein Minimum begrenzte Schutz­anspruch Geflüchteter in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr durchzusetzen wäre.

Nach der über 70 Hauptverhandlungstage andauernden Beweisaufnahme war sich das Gericht sicher, dass sich die Angeklagten der tödlichen Wirkung der von ihnen verwendeten Sprengsätze bewusst waren und sie genau deswegen einsetzen. Damit sah das Gericht auch eine Variante des § 129a StGB, die Bildung einer terroristischen Vereinigung als gegeben. Darüber hinaus bejahte das Gericht jedoch eine weitere Variante des §129a: Nach Ansicht des Gerichts haben die Angeklagten durch ihre Straftaten das verfassungsgemäße Zusammenleben bekämpfen und Teile der Bevölkerung in erheblicher Weise einschüchtern wollen.

Auch wenn die Anwendung des § 129 a StGB immer kritisch gesehen werden muss, da es sich um eine Norm handelt, die die Strafbarkeit weit in den eigentlich straflosen Vorbereitungszeitraum verlagert und den Ermittlungsbehörden enorme Befugnisse gibt, so ist diese Entscheidung eine erhebliche Zäsur in der sächsischen Judikatur. Das höchste erstinstanzliche Gericht Sachsens führte die vom „Ersatz-König“ Biedenkopf  heraufbeschworene Mär von der sächsischen Immunität gegen Rechtsextremismus zu einem deutlichen Ende und erkannte gleichzeitig an, dass eine multikuturelle Gesellschaft sowie der Schutz von Geflüchteten und deren Unterstützer_innen eine wesentliche Säule des gesellschaftlichen Zusammenlebens bedeutet. Damit setzte das OLG Dresden eine Messlatte für künftiges Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft in Sachsen: Wenn eine Vereinigung, die mit Gewalttaten das friedliche Zusammenleben von Deutschen, Einwanderern und Geflüchteten angreift, als terroristisch zu klassifizieren ist, müsste scharf gegen zahlreiche Gruppen und Kameradschaften vorgegangen werden.

Im Umkehrschluss machte das Gericht damit aber auch deutlich, dass die sächsischen Behörden vor Eingreifen der Bundesanwaltschaft genau diese Bewertung nicht vorgenommen und das Lebensrecht Geflüchteter und die gesellschaftliche Bedeutung von Angriffen auf dasselbe geringgeschätzt haben. Gleichzeitig trägt das Urteil dazu bei, eine Fehlerkultur in der sächsischen Justiz dahingehend entwickeln zu können, dass zukünftige Ermittlungen anders auszurichten sind. Ob sich dies durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.

Das schriftliche Urteil wird in den kommenden Monaten zu erwarten sein. Folgeprozesse, insbesondere wegen Unterstützung der „Gruppe Freital“, sind nicht ausgeschlossen. Die politische und gesellschaftliche Einordnung des Prozesses, des Urteils, des Verhaltens verschiedener Prozessbeteiligter sowie Ergebnisse und Konsequenzen bedürfen einer eingehenderen Betrachtung. Hierzu beabsichtigen die Autor_innen in den kommenden Ausgaben an diesen zusammenfassenden Artikel anzuschließen.