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Die rechtsterroristische „Gruppe Freital“

Einleitung

Anfang November 2015 erließ der Bundesgerichtshof Haftbefehl gegen die sächsischen Neonazis Timo Schulz, Patrick Festing und Philipp Wendlin, die als Mitglieder der terroristischen Gruppierung „Gruppe Freital“ Sprengstoffanschläge durchgeführt haben sollen. Weitere Sprengstoffanschläge waren laut den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft in Planung.

Timo Schulz, ein „Rädelsführer“ der „Gruppe Freital“, bei einem Neonazi-Aufmarsch am 1. Mai 2012 in Neumünster.

Bombenleger aus der Nachbarschaft

Die „Gruppe Freital“1 entstand im Sommer 2015 im Zuge der rassistischen Mobilisierung gegen Flüchtlinge in Sachsen. Als Rädelsführer der Gruppe gerieten Timo Schulz und Patrick Festing in den Fokus der Ermittler. Diese rechneten der „Gruppe Freital“ außerdem Sebastian Weiß, Justin Schiefner, Mike Seidel, Rico Knobloch und Maria Kleinert zu, die als Beschuldigte in dem Verfahren wegen „Gründung einer terroristischen Vereinigung“ geführt werden und im April 2015 in Untersuchungshaft genommen wurden.

Die Struktur der Gruppierung kann als ein rechter Freundeskreis von der lokalen Tankstelle beschrieben werden, der sich per Kommunikation in eigenen Chatgruppen des Messenger-Dienstes „Kakao Talk“ gegenseitig zu rassistischen und neonazistischen Angriffen motivierte. Über mehrere Chatgruppen waren die Mitglieder miteinander vernetzt. In der Gruppe „Schwarzer Chat“ wurden von 16 Neonazis die militanten Aktionen geplant: „Kein gequatsche nur Pläne. Teilnehmer sind da ausschließlich die Terroristen.“ In die „ausschließlich die Terroristen“-Chat-Gruppe soll laut Erkentnissen der Ermittler auch der NPD-Funktionär Dirk Abraham aufgenommen worden sein.

Die Selbstverortung der „Gruppe Freital“ im „Schwarzen Chat“ war hierbei explizit politisch („Wir sind Nazis bis zum bitteren Ende!“) und militant („Wichtig ist, dass der Naziterror weitergeht“). Die „Gruppe Freital“ bemühte sich Ende September 2015 eigene Räumlichkeiten für ein „Terrorzellenhauptquartier“ anzumieten. Vor allem Seidel und Schulz sollen den Terroristen-Anspruch durchaus ernst gemeint haben. Seit November 2015 interessierten sie sich für den Bau von Rohrbomben. Bei Schulz fanden Ermittler neben der Anleitung zum Rohrbombenbau auch einige der hierfür benötigten wesentlichen Bestandteile.  

...im Netzwerk militanter Cliquen

Die „Gruppe Freital“ war offensichtlich mit anderen aktionsorientierten Neonazi-Cliquen vernetzt, mit denen sie auch gemeinsame Aktionen durchführte. Knobloch und Benjamin Z. aus Dresden zählten zu einer Gruppe Neonazis die nach einem Überfall auf den Stadtteil Connewitz in Leipzig von der Polizei festgesetzt wurde (Vgl. AIB Nr. 110). Als im Dresdner Stadtteil Stetzsch Ende Juli 2015 eine Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Hotel „Lindenhof“ von rund 50 Neonazis mit Steinen und Pyrotechnik angegriffen wurde, waren auch Neonazis aus anderen Regionen angereist. Neben den Neonazis aus Dresden um Robert S. und Dominik P. waren Neonazis aus Leipzig, Halle und Freital beteiligt.

Der Dresdner Dominik P. soll auch Ende August 2015 u.a. zusammen mit Schulz eine Flüchtlingsunterkunft in Dresden mit Steinen und Pyrotechnik angegriffen haben. Als Fahrerin sei Janette P. aus Dresden beteiligt gewesen. Dieser Angriff scheint von der Gruppe „Freie Kameradschaft Dresden“ (FKD) initiiert worden zu sein. Einige Stunden vor der Tat erreichte eine recht eindeutige Chat-Nachricht mit Absender „F-K-D“2 die Freitaler Neonazis. Mit den Worten „Da die Herren in Blau grad anderswo alle Hände voll zu tun haben“ wurde ein Treffpunkt bekannt gegeben. „Werden von da aus eine nahe gelegene Örtlichkeit aufsuchen!Da es dann kalt und dunkel ist werden Licht und Hitze benötigt... Alle Handy werden 30min vorher ausgeschaltet und sim entfernt! Weiter verteilen!3 Mit „Herren in Blau“ dürfte die Polizei gemeint gewesen sein. Brisant ist dieser Hinweis vor dem Hintergrund, dass laut Aussagen eines Mitglieds der „Gruppe Freital“ ein Beamter der sächsischen Bereitschaftspolizei Informationen der Polizei an die Neonazis weitergegeben haben soll.

Die pogromartigen Ausschreitungen in Heidenau im Sommer 2015 wurden laut Aussagen aus der Neonazi-Szene u.a. von Neonazis der „Freien Kameradschaft Dresden“, von Akteuren der früheren „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS) aus der Region Pirna, dem „Heimatschutz Meißen“ und den Neonazis aus Freital getragen. Im Dezember 2016 folgten aufgrund der zahlreich bekannt gewordenen Straftaten schließlich auch Razzien und Verhaftungen gegen die „Freie Kameradschaft Dresden“ wegen der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“.

Anschläge gegen Geflüchtete und Linke

Die Anzahl der Angriffe, die aus dem Kreis der „Gruppe Freital“ (z.T. mit Unterstützung der „Freien Kameradschaft Dresden“) heraus begangen worden sein sollen, ist unübersichtlich. In einem leerstehender „REAL“-Markt in Freital wurde z.B. Ende Oktober 2015 und Anfang November 2015 Feuer gelegt, da die Neonazis glaubten, hier könnten Geflüchtete einziehen. Auch die Sprengung eines Briefkastens einer Flüchtlingsunterstützerin Mitte August 2015 und der Einbruch in das Parteibüro von "Die Linke" Anfang Oktober 2015 in Freital soll von Akteuren der Gruppe durchgeführt worden sein. Verschiedene TäterInnen-Konstellationen an verschiedenen Orten führten auch zu diversen parallel geführten Ermittlungen durch mehrere Sicherheitsbehörden.

Der erste massive Angriff erfolgte im Juli 2015 durch einen pyrotechnischen Sprengstoffanschlag4 auf das Auto eines lokalen Politikers von Die Linke in Freital. Für diese Tat werden von der Bundesanwaltschaft die Freitaler Neonazis Festing und Sebastian S. verantwortlich gemacht, die von Kleinert, Schulz und Ferenc A. unterstützt wurden.

Nach einer antirassistischen Spontandemonstration Mitte Juni 2015 in Freital wurde ein Auto von Antirassist_innen auf der Heimfahrt von Freital nach Dresden von den Neonazis Schulz, Tom R. und Torsten L. verfolgt. Bei einem Halt an einer Tankstelle blockierte Schulz als Autofahrer das Auto der Antirassist_innen und Tom R. schlug mit einem Baseballschläger die Autoscheiben ein. Ein Insasse wurde hierdurch verletzt.

In der Nacht zum 20. September 2015 soll Festing einen pyrotechnischen Sprengsatz der in Deutschland verbotenen Sorte „Super Cobra 12“ an einem Fenster einer bewohnten Flüchtlingsunterkunft in Freital befestigt und gezündet haben. Die Explosion zerstörte das Fenster und verteilte deren Glassplitter bis zu 20 Meter weit. Nur durch Zufall wurde keiner der acht anwesenden Bewohner_innen getroffen. Da Schiefner und Seidel nur zwei Stunden später mitten in der Nacht am Tatort erschienen, geriet die Freitaler Neonazi-Clique spätestens zu diesem Zeitpunkt unter Tatverdacht. Auch das Handy des „Rädelsführers“ Schulz war zum Tatzeitpunkt in der Funkzelle des Tatortes eingeloggt.

Eine Nacht später griffen laut Bundesanwaltschaft Wendlin und Sebastian S. das Parteibüro von "Die Linke" in Freital mit einem pyrotechnischen Sprengkörper der Sorte „Super Cobra 6“ an. Sie sollen dabei von Festing und Seidel unterstützt worden sein. Von den ersten Ermittlungen und Zeugenvernehmungen gegen einige Mitglieder der „Gruppe Freital“ im Anschluss an diese Aktionen ließen sich die Neonazis offenbar nicht weiter aufhalten.

In der Nacht zum 19. Oktober 2015 sollen u.a. die Freitaler Neonazis Seidel, Festing, Schiefner, Schulz und Knobloch an einem Angriff auf das linke Wohnprojekt „Mangelwirtschaft“ in Dresden/Übigau beteiligt gewesen sein. Aus Dresden sollen u.a. die Neonazis Robert S., Benjamin Z., Dominik P., Torsten L. und Janette P. mitgewirkt haben, die Ermittler der „Freien Kameradschaft Dresden“ zurechnen. Das linke Wohnprojekt hatte sich im Zuge der rassistischen Mobilisierung gegen eine Flüchtlingsunterkunft in Dresden/Übigau solida­risch mit den Geflüchteten vor Ort positioniert. Die rund 30 Neonazis waren direkt von den rassistischen Protesten gegen die Flüchtlingsunterkunft zur „Mangelwirtschaft“ gezogen. Als Organisatoren und Anführer des Angriffs gelten den Ermittlern Festing und Schulz. Sie sollen die Gruppen aufgeteilt und pyrotechnische Sprengsätze in Form von illegalen Böllern und Latex-Handschuhe zum Vermeiden von Spuren unter den Angreifern verteilt haben. Eine Gruppe um Knobloch soll zur Ablenkung das Haus von vorne mit Steinen und illegalen „La Bomba“-Böllern angegriffen haben während die restlichen Neonazis um Schulz, Festing, Seidel und Schiefner das Haus von hinten mit Steinen, Buttersäure und „Super Cobra“-Böllern angriff. Von einem geplanten Angriff mit einem Baseballschläger auf die Scheiben der „Mangelwirtschaft“ sah man aus Angst vor einem Gegenangriff ab, da die Bewohner_innen schnell reagierten und das Gelände mit Baustrahlern ausleuchteten.

In der Nacht des 1. November 2015 wurde eine weitere Flüchtlingsunterkunft in Freital mit pyrotechnischen Sprengsätzen der Sorte „Super Cobra 12“ angegriffen, die mit Klebeband an drei Scheiben der Unterkunft befestigt wurden. Die Fenster wurden hierdurch gesprengt und einer der vier Bewohner durch Glassplitter im Gesicht und am Auge verletzt. Die anderen Bewohner hatten es gerade noch geschafft vor der Explosion aus dem Raum zu fliehen. Nach Aussagen einiger Gruppenmitglieder sollen an diesem Angriff die Neonazis Festing, Schiefner und Wendlin beteiligt gewesen sein, während Schulz, Knobloch, Weiß, Kleinert und Mirjam K. in der Nähe blieben — vermutlich um den Fluchtweg abzusichern.

Terror in Planung?

Im Zuge der Ermittlungen wurde bekannt, das Festing Anfang Oktober 2015 das Technische Rathaus in Dresden ausspähte, das zu der Zeit als Flüchtlingsunterkunft diente. In der Umgebung warteten dabei Wendlin, Schulz, Kleinert, Schiefner, Weiß und Knobloch auf ihn. Auch das große  Festzelt des Dresdner Oktoberfestes wurde ausgekundschaftet. Dieses sollte später als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden. Besonders pikant: Hieran soll laut Aussagen eines der Beschuldigten neben Schulz, Seidel und Festing auch der Freitaler NPD-Stadtrat Dirk Abraham mitgewirkt haben.

Homegrown Neonazi-Terror

Bereits im AIB Nr. 110 berichteten wir, dass in vielen Fällen die Verantwortlichen für Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte aus der regionalen Neonazi-Szene kommen. Eine Organisierung oder Mitgliedschaft in Neonazi-Gruppen kann, aber muss nicht vorlie­gen, um Flüchtlingsunterkünfte anzugreifen. Im Fall der „Gruppe Freital“ stammten einige der Akteure bzw. ihr UnterstützerInnen-Umfeld aus verschiedenen neonazistischen Zusammenhängen.

Der lokale NPD-Politiker Dirk Abraham soll laut Aussage eines Beschuldigten Mitglied der geheimen Messenger-Gruppe gewesen sein und die Neonazis mit Informationen aus dem Freitaler Stadtrat versorgt haben. Schulz war in Hamburg zeitweilig in den Kreisen der „Weisse Wölfe Terrorcrew“ (WWT) und der „AG Nordheide“ aktiv, bevor er nach Sachsen zog.5 Die WWT wurde im Februar 2015 vom Bundesministerium des Inneren verboten. Bei Wendlin fanden die Ermittler ein T-Shirt der rechten Hooligan-Gruppe „Gemeinsam Stark“. Er betrieb die Neonazi-Facebook-Seite „Widerstand Freital“. Seidel und Wendlin nahmen im September 2015 an einer Versammlung von „Die Rechte“ in Neuensalz-Zobes teil.

Festing war bereits im April 2004 Tatverdächtiger in einem Verfahren wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ – er wurde dem rechten Hooligan-Zusammenschluss „Faust des Ostens“ aus Dresden zugerechnet. Schulz und Festing traten ab März 2015 als „Bürgerwehr FTL/360“ auf, die durch „Patrouillien“ in der Buslinie 360 in Freital (FTL) für „Sicherheit und Ordnung“ sorgen wollte. Die beiden Neonazis Wendlin und Schulz waren als Mitarbeiter bei der „Regionalverkehr Dresden GmbH“ angestellt. Die Gruppe war vor allem bei Facebook präsent und hatte eigene Pullover und T-Shirts produziert. Als verantwortliche Facebook-Administratoren wurden neben Schulz, Festing und Wendlin auch der NPD-Funktionär Dirk Abraham ermittelt. Als weitere Gruppenmitglieder galten Schiefner, Weiß, Seidel, Kleinert, Sebastian S. und Mirjam K.  

Sächsische Justiz

Als ein Abgeordneter von Die Linke im Juli 2015 eine Kleine Anfrage6 zum „Thema: Bürgerwehr Freital“ stellte, erhielt er von Innenminister Markus Ulbig u.a. den Hinweis: „Eine ‚Bürgerwehr FTL / 360‘ ist kein Beobachtungsobjekt des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen. Dem LfV Sachsen liegen keine Erkenntnisse über tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen einer ‚Bürgerwehr FTL / 360‘ vor.“

Es verwundert nicht, dass "Der Spiegel" später berichtete, dass dem „Einschreiten des Bundes aber offenbar ein längeres Gezerre mit den sächsischen Landesbehörden um Zuständigkeiten vorausgegangen“ sei. Dresden habe nicht aktiv das Verfahren als Terrorverfahren gewertet und weitergegeben. Möglicherweise sollte ein dubioser Informant der Staatsanwaltschaft Dresden geschützt werden. Dieser war Mitglied in der Messenger-Chat-Gruppe, in der die Neonazis ihre militanten Aktionen besprachen. Obwohl er bei seiner freiwilligen Vernehmung (vermutlich von einem anwesendem Polizeibeamten) mit einer „Dienstmarke“ ausgewiesen wurde, konnte er ohne bekannte Konsequenzen von seiner Teilnahme am Angriff auf das „Zeckenhaus“ berichten. Auch über andere Angriffe der „Gruppe Freital“ wusste er Bescheid. Der sächsische Verfassungsschutz räumte mittlerweile seinen Kontakt zu dem Informanten ein.

Die von Sicherheitsbehörden oft genannte Behauptung, das ein Einsatz von Informanten zur Verhinderung von Neonazi-Angriffen im Vorfeld der Taten unvermeidbar sei, erscheint auch im Falle der "Gruppe Freital" fraglich.

  • 1Hierbei handelt es sich um einen Arbeitsnamen der Ermittlungsbehörden. Die Gruppe trat mehrfach mit Fahnen mit dem Aufdruck „Freital“ auf.
  • 2Mit „F-K-D“ dürfte die „Freie Kameradschaft Dresden“ gemeint sein.
  • 3Mit „Licht und Hitze“ dürfte Pyrotechnik gemeint sein.
  • 4Als Sprengkörper wurden illegale Böller der Sorten „Super Cobra 12“ und „Super Cobra 6“ verwendet, die in der deutschen Neonazi-Szene zunehmend verbreitet sind. Sie können relativ günstig und problemlos in Osteuropa gekauft werden und haben eine sehr hohe Druckwirkung. Teilweise werden sie manipuliert, um eine noch gefährlichere Wirkung zu erzielen.
  • 5Vgl. Broschüre: „Den Weissen Wölfen Terror machen!“
  • 6Drs.-Nr: 6/1818