Hartes Urteil gegen Mitglieder der „Gruppe Freital“ - Teil 2
Kristin Pietrzyk und Alexander HoffmannMehr als sechs Monate nach dem harten Urteil gegen Mitglieder der sog. „Gruppe Freital“ durch den Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden am 7. März 2018 scheint wieder Ruhe eingekehrt zu sein, im Freistaat Sachsen. Das schriftliche Urteil liegt noch nicht vor, ein konsequentes Vorgehen gegen weitere Mitglieder und Unterstützer*innen der Gruppe ist noch nicht zwingend. Obwohl sich aus dem Urteil und den Ermittlungsakten eindeutig ergibt, dass ein für eine Anklageerhebung ausreichender Tatverdacht gegen mehrere Personen besteht, verweigert die Generalstaatsanwaltschaft Dresden mit vorgeschobenen Argumenten die Akteneinsicht an Betroffene des als versuchten Mord bewerteten Sprengstoffanschlages auf die Geflüchtetenwohnung in der Wilsdruffer Straße. Und: erneut kommt es Ende Mai/Anfang Juni 2018 zu schweren Angriffen gegen Geflüchtetenunterkünfte in Dresden. Es lohnt sich also eine politische und gesellschaftliche Einordnung des Prozesses sowie des Urteils vorzunehmen, um zu überprüfen, was in der Zukunft zu erwarten ist. (Dies ist eine ungekürzte Version des Artikels in der aktuellen Ausgabe des AIB).
Am 06. März 2015 wurde die erste sogenannte „Frigida“-Demonstration in Freital durchgeführt. Ausgestattet mit den Erfahrungen der PEGIDA-Aktivitäten, gut vorbereitet und offensichtlich koordiniert von organisierten Neonazis, wurde bereits diese erste Demonstration eskaliert. Einige Teilnehmer versuchten die geplante Route zu verlassen. Sie attackierten die Polizei mit Pyrotechnik, um zu der frisch bezogenen Flüchtlingsunterkunft im Leonardo-Hotel zu gelangen. Nur mit Mühe konnte die Polizei die gewaltbereiten Rassisten aufhalten.
Von diesem Tag an entwickelte sich eine Dynamik, die erst durch die zweite Verhaftungswelle gegen Mitglieder der „Gruppe Freital“ im Frühjahr 2016 gekappt wurde. Wöchentlich, teilweise mehrfach in der Woche, wurden Demonstrationen und andere öffentliche Aktionen durchgeführt, die zum selben Zeitpunkt entstandene „Bürgerwehr Freital 360“ schüchtert Nichtdeutsche und Andersdenkende im öffentlichen Nahverkehr ein, es kommt zu Anschlägen, darunter denjenigen, die den Mitgliedern der „Gruppe Freital“ im Prozess vorgeworfen wurden.
Insgesamt kann festgestellt werden: ohne die militanten Neonazis, die Mitglieder der Gruppe Freital, die "Freie Kameradschaft Dresden"(FKD), organisierte rechte Fussballfans, die NPD-Mitglieder etc., hätten sich die Demonstrationen in Freital, nie in der Form entwickeln können, wie wir es erleben mussten. Von Anfang an boten diese organisierten Nazis flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen den Schutz, die Aggressivität nach außen, lieferten die Dynamik, die nötig war, um sich als attraktiver Kulminationspunkt für die völkisch-rassistische Bewegung zu etablieren.
Auch die regionale und überregionale Neonaziszene hatte Kontakte zu den radikalsten Aktivistinnen der Freitaler Szene. Mitglieder/Unterstützer der "Gruppe Freital" sind in der NPD aktiv, kommen aus der militanten Hooligangruppe „Faust des Ostens“, sind gleichzeitig Mitglieder in der FKD oder kennen die militante Naziszene von bundesweiten Demonstrationen. Es entsteht eine Zusammenarbeit, die sich für alle Beteiligten auszahlt: bei dem gemeinsam mit der FKD durchgeführten Angriff auf das Wohnprojekt Mangelwirtschaft, bei der Planung von Anschlägen auf Geflüchtetenunterkünfte in Dresden, die gemeinsame Durchführung der tagelangen rassistischen Krawalle in Heidenau, aber auch bei dem überregional organisierten Angriff im Januar 2016 auf den Leipziger Stadtteil Connewitz.
Die Freitaler Neonazi-Gruppe wird einerseits völlig unproblematisch in das Netzwerk der militanten Naziszene aufgenommen, obwohl ihre Mitglieder politisch nicht viel mehr als ein absoluter Haß auf und ein enormer Vernichtungswille gegen Geflüchtete und ihre Unterstützer*innen verbindet. Andererseits durchläuft die Freitaler Neonazi-Gruppe eine dynamische Radikalisierung im Schnelldurchlauf: durch die fast täglichen Treffen, gemeinsamen Aktionen und Anschläge, durch stundenlange Kommunikation in ihrem Chat schaukelt sich die gesamte Gruppe in Windeseile so auf, dass alle Hemmungen vor der Begehung schwerster Straftaten auch gegen das Leben von Menschen schwinden. Erfüllt von einem Gefühl, jetzt um jeden Preis die Regierung dazu zwingen zu müssen, die Geflüchtetem, die im Frühjahr und Sommer 2015 so zahlreich Deutschland erreichten, aus Deutschland, zumindest aber aus Freital und Sachsen zu vertreiben und die Grenzen dicht zu machen, frustriert davon, dass ihre Demonstrationen nicht zum sofortigen Erfolg führen, sind sie überzeugt, dass nur massivste Gewalt ihre Ziele durchsetzen kann.
Parallel dazu reagiert die sächsische Bevölkerung und Landesregierung nicht groß anders. Massive Ablehnung gegenüber Geflüchteten, harte Opposition gegen Merkels Flüchtlingspolitik. Die Landesregierung versucht, die Länderverteilung von Flüchtlingen zu beeinflussen, einzelne Gemeinden, darunter Freital, versuchen bis heute, ihre Aufnahmeverpflichtungen zu beseitigen.
Insgesamt konnten sich die militanten Neonazis, die die flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen in Freital und andernorts radikalisierten und eskalierten sehr wohl als Vollstrecker des Willens eines erheblichen Teils der Bevölkerung fühlen.
Manch ein Politiker mag in dieser Situation die Hoffnung gehabt haben, dass die Zunahme von Anschlägen und Angriffen auf Geflüchtete dazu führen könnte, dass Sachsen weniger Flüchtlinge zugewiesen werden würde.
Die sächsische Justiz jedenfalls reagierte genau in diesem Sinne: obwohl die Ermittlungsgruppe beim Landeskriminalamt (LKA) die Gefährlichkeit dieser Radikalisierung erkannte und auch die Anschläge klar als Taten einer organisierten Gruppe einordnete, wurde von Seiten der Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft Dresden eine Ermittlung wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung abgewehrt, ja untersagt. Stattdessen wurden die Taten in ihrer Gefährlichkeit extrem heruntergespielt und nur einzelne Personen angeklagt. Der als Rädelsführer angeklagte Timo Schulz lag gar nicht so falsch, wenn er in einem vor Gericht verlesenen Kassiber sinngemäß schrieb, alles würde glimpflich abgehen, wenn das Verfahren nur in den Händen der Staatsanwaltschaft Dresden bleiben würde.
Tatsächlich klagte die Staatsanwaltschaft Dresden die Anschläge zur Hauptverhandlung vor dem Jugendschöffengericht des Amtsgericht Dresden an. Dort waren zwei Verhandlungstage geplant. Eine Abgabe an das Landgericht Dresden wurde von diesem abgelehnt. Der Antrag der Nebenkläger aus der Wilsdruffer Straße auf Prozesskostenhilfe wurde abgelehnt, nicht nur, weil die Todesgefahr des Anschlags durch die Staatsanwaltschaft Dresden nicht gesehen wurde, sondern auch, weil der damals zuständige Ermittlungsrichter der Meinung war, die Geflüchteten die in der Wilsdruffer Straße geschädigt wurden – der deutschen Sprache nur rudimentär mächtig – könnten ihre Interessen selbst wahrnehmen. Der Fall sei nicht kompliziert und die Angeklagten außerdem geständig, was die Sache auch erheblich abkürzen würde.
Der Umgang von Staatsanwaltschaft und Gericht entsprach dem, was allgemein als „sächsische Zustände“ bekannt ist: die opportunistische Position, nach der Straftaten, die in ihrer Motivation dem eigenen oder auch nur dem allgemein verbreiteten Rassismus entsprechen, nicht als schwere Straftaten zu bewerten sind, weil eine solche Bewertung die Bevölkerung verärgern könnte. Dies dürfte auch der Grund sein, warum die Generalstaatsanwaltschaft Dresden sich mit Händen und Füssen gegen die von den polizeilichen Ermittlern geforderte Ausweitung der Ermittlungen auf ein Organisationsdelikt wehrte. Im Gegensatz zu den zahlreichen Ermittlungsverfahren, die die Generalstaatsanwaltschaft gegen Hooligans oder Linke, z.B. wegen den Antifademonstrationen zum 13. Februar geführt hat, gab es kein Interesse daran, öffentlich gegen „Asylkritiker“ Stimmung zu machen. Der rassistische Konsens in Sachsen sollte nicht durch öffentlichkeitswirksame Strafverfahren in Frage gestellt und in den Blick der Öffentlichkeit gerückt werden.
Allerdings hatte die Leitung der Generalstaatsanwaltschaft auch in diesem Fall zu einem Trick gegriffen, der ihr jede Kritik vom Leib halten sollte: mit den Ermittlungen wurde eine unbedeutende Staatsanwältin betraut, die zwar nichts selbst entscheiden durfte, aber im Zweifel alle Verantwortung zugeschoben bekam. Die Behördenleitung hielt sich damit aus der Schusslinie.
In dieser Situation griff der Generalbundesanwalt (GBA) ein, zog das Verfahren an sich und klagte zum Oberlandesgericht Dresden (OLG) an. Hierdurch entstand ein Schnitt, der die umfangreiche Aufarbeitung der Taten im Prozess und die Verurteilung möglich machte: das Verfahren war mit dem Eingreifen des GBA nämlich der normalen sächsischen Strafjustiz entzogen. Die Richter beim OLG sind in ihrem Alltag als höchste Richter sehr viel unabhängiger und selbständiger, als ihrer Kolleg*innen an den Amts- und Landgerichten. Zum ersten mal wurden nun die hier vorliegenden Tathandlungen objektiv betrachtet.
Das Eingreifen des GBA lässt sich im Nachhinein leicht erklären: nach dem Skandal um die mögliche Verantwortung staatlicher Stellen für die Nichtverhinderung der NSU-Verbrechen ist beim GBA ein Bewusstsein entstanden, jedenfalls bei drohenden Sprengstoffanschlägen auch gegen den Willen der örtlichen Staatsanwaltschaften einzuschreiten. Sollte der GBA Kenntnis von solchen Anschlägen haben und bewusst nicht einschreiten, würde dies erneut und nachhaltige Kritik an der Behörde ermöglichen. In dem Moment in dem klar wurde, dass die Freitaler Gruppe ihr Aktionslevel auf die Tötung von Menschen ausgeweitet hatte und auch noch mit Anleitungen zum Bau von Rohrbomben experimentierte, griff der GBA ohne Rücksicht auf die Dresdner Kollegen ein.
Das OLG Dresden zeigte sich erfreulicher Weise während des gesamten Verfahrens und bis zum Urteil von den übliche sächsischen Argumentationsweisen unbeeindruckt. Leider war es nicht möglich, in dem Prozess das gesamte Ausmaß der Zusammenarbeit der „Gruppe Freital“ mit anderen Kameradschaften zu untersuchen. Immerhin war das Gericht bereit, die Ideologie der Angeklagten, ihre Verstrickung mit dem lokalen NPD-Abgeordneten Dirk Abraham, der voraussichtlich ebenfalls als Mitglied oder Unterstützer angeklagt werden muss, sowie der FKD aufzuklären.
Nach dem Urteil im März ist unklar, ob sich die „Kultur“ strafrechtlicher Ermittlungen gegen rassistisch und nationalsozialistisch motivierte Anschläge in Dresden ändern wird. Die Verfahren gegen Mitglieder der FKD beim Landgericht und Amtsgericht Dresden haben zu durchaus spürbaren Verurteilungen geführt. Hier war es die Anklage gegen die „Gruppe Freital“ wegen versuchten Mordes und der Bildung einer terroristischen Vereinigung, die ja den auch zahlreichen FKD-Mitgliedern vorgeworfenen Angriff auf das Wohnprojekt Mangelwirtschaft umfasste, die dazu führte, dass die Staatsanwaltschaft die Vorwürfe nicht herunterspielen konnte.
Die nun ergangenen Urteile werden im positiven Fall, ebenso wie das Urteil des OLG Dresden, nun als Matrix für künftige Strafverfahren dienen. Das zähe Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft Dresden in dem Ermittlungsverfahren gegen weitere Mitglieder und Unterstützer der „Gruppe Freital“ zeigt allerdings mehr als deutlich, dass dort kein Paradigmenwechsel stattgefunden hat. Hier wird weiterhin öffentliche Beobachtung und Skandalisierung notwendig sein, um einen adäquaten Umgang mit rassistisch und nationalsozialistisch motivierten Straftaten zu erzwingen.