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Gewalttätige Neonazistrukturen in den USA

Spencer Sunshine
Einleitung

In Folge eines Neonazi-Aufmarschs in Charlottesville1 – bei dem eine Antifaschistin getötet wurde — musste die „Alt Right“–Bewegung Rückschläge einstecken. Grund zur Sorge geben nunmehr kleinere, gewalttätigere Gruppen, insbesondere die sogenannte „Atomwaffen Division“ (AWD) und lokal agierende Zusammenhänge wie das „Rise Above Movement“ (RAM) in Südkalifornien.

  • 1Vgl. AIB Nr. 116 (2017)

Anhänger des „Rise Above Movement“ in Ostritz im April 2018. Darunter Ben Daley (links) und Robert Rundo (Mitte). Foto: Recherche Nord

„Atomwaffen Division“

Die AWD ist eine mehrheitlich US-amerikanische Gruppe, deren Mitglieder für fünf Morde verantwortlich sind. Sie entwickelte sich aus dem Online-Forum „Iron March“ heraus, aus dem auch andere Neonazigruppen wie „National Action“ oder „Vanguard America“ (VA) hervorgegangen sind. 2017 lebte der Gründer Brandon Russel zusammen mit drei weiteren Mitgliedern in einem Appartment in Tampa (Florida). Einer von ihnen, Devon Arthurs, war zu diesem Zeitpunkt zum Islam konvertiert. Als Arthurs von zwei Mitbewohnern deswegen verspottet wurde, ermordete er sie. Ob ein Prozess gegen ihn stattfinden wird, ist offen, da er für nicht zurechnungsfähig erklärt wurde. Russel war zum Zeitpunkt der Morde nicht anwesend, wurde aber wegen Besitzes von Material, das zum Bombenbau verwendet werden kann, festgenommen und verurteilt.

Weitere Morde wurden im Dezember 2017 in Reston (Virginia) von Nicholas Gia­m­pa begangen, dessen Twitter-Account im Zusammenhang mit Accounts der AWD stand. Die Mordopfer, Buckley und Scott Kuhn-Fricker, hatten zuvor ihre Tochter dazu veranlasst, sich von ihrem Freund Giampa zu trennen und wurden deshalb von diesem ermordet.

Im Januar 2018 brachte Samuel Lincoln Woodward, ebenfalls ein AWD-Mitglied, Blaze Bernstein (19) in einem Park in Orange County (Kalifornien) um. Der Grund hierfür war Bernsteins Homosexualität. Woodward selbst soll an einem „hate camp“ der AWD teilgenommen haben, bei dem es u.a. ein Waffentraining gab. Nach den Morden in Florida und den darauffolgenden Verhaftungen wurde John Cameron Denton — Spitzname „Rape“ — aus Texas, neuer Anführer der AWD.1

„Siege“

Aktuell beschäftigt sich die Gruppe mit den Schriften des Neonazis James Mason, die unter dem Titel „Siege“ (engl.: Belagerung) veröffentlicht wurden.2 Die Texte wurden zwischen 1980 und 1986 geschrieben und 1992 von dem rechts-esoterischen Musiker Michael Moynihan (u.a. „Blood Axis“) veröffentlicht. Inhaltlich geht es u.a. um eine Reflektion der Organisierung der „American Nazi Party“ sowie deren Vorgängerorganisation „National Socialist White People’s Party“ in den 1960er und 1970er Jahren sowie ihre Schwerpunktsetzung auf Demonstrationen.

Mason beschreibt die US-amerikanische Gesellschaft als durchgehend korrupt und schlussfolgert, dass alle Aktionen, die nicht darauf abzielen, diese Gesellschaft zu zerstören, nutzlos seien. Daher seien nur gewalttätige Untergrundaktionen zielführend. Jegliche gewalttätige Aktion gegen „das System“ — auch von Gruppen mit anderer ideologischer Ausrichtung — sind zu befürworten. So wird in „Siege“ der „Hippie-Kommunen-­Führer“ Charles Manson verehrt, weil dieser eine Reihe von Morden in den 1960er Jahren anordnete und auch auf die islamis­tischen Anschläge vom 11. September 2001 mit fast 3.000 Toten, bezieht er sich später positiv.

Als Mason noch Mitglied der „National Socialist White People’s Party“ war, arbeitete er auch mit William Pierce, dem Autor der „Turner Diaries“ zusammen. In diesem Roman wird eine rechte Terrorstrategie propagiert, auf die sich verschiedenste Neonazizusammenhänge positiv beziehen. Auch der 1995 erfolgte neonazistische Bombenanschlag von Timothy McVeigh in Oklahoma City mit 168 Toten wurde durch die „Turner Diaries“ inspiriert. Mehrere AWD-Mitglieder haben öffentlich ihre Bewunderung für den 2001 hingerichteten Attentäter McVeigh, den deutschen NSU, aber auch dem rechtsterroristischen norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik sowie dem rassistischen Mörder Dylann Roof — der neun Menschen in einer „Black Church“3 in South Carolina tötete — zum Ausdruck gebracht.

Wachsende Gewaltbereitschaft

Bevor der Neonazi James Fields 2017 in eine antifaschistische Demonstration in Charlottesville fuhr, nahm er mit der „Vanguard America“ (VA) an dem „Alt Right“-Marsch teil. Bei diesem Angriff wurde die Demonstrantin Heather Heyer getötet und mindestens 19 weitere Menschen verletzt. Da die AWD öffentliche Demonstrationen oder andere Versuche, legale Bewegungen aufzubauen, ablehnt, sieht sie selbst Gruppen wie VA als reformistisch an und steht damit offensichtlich nicht alleine da. Die AWD scheint nach der Gewalt in Charlottesville gewachsen zu sein, während VA zersplittert ist.

Vor kurzem hatte die Recherchegruppe „ProPublica“ Zugriff auf interne Chats der AWD, in denen zu lesen war, dass es in den USA und Kanada 23 Mitgliedsgruppen geben soll. Mehrere Mitglieder wurden dort identifiziert, einer von ihnen dient bei den US-Marines. Laut „ProPublica“ haben in den letzten zwei Jahren Mitglieder der Gruppe an Schießtrainings teilgenommen und darüber diskutiert, die öffentliche Wasserversorgung lahmzulegen sowie Teile des Stromnetzes zu sprengen.

Das „Southern Poverty Law Center“ berichtet, dass die AWD ihre Mitglieder dazu drängt, entmenschlichende, brutale Gewalttaten zu begehen. Hier ist auf eine weitere Eigenart der Gruppe hinzuweisen: die Beteiligung von AWD-Mitgliedern — wie etwa deren Anführer „Rape“ — in satanistischen Gruppen wie der „Order of Nine Angles“ (ONA) und dem ihr nahestehenden „Tempel of Blood“. Laut dem Wissenschaftler Nicholas Goodrick-Clarke ermutigt ONA seine Mitglieder nicht nur dazu, Morde zu begehen4 , sondern verlangt von ihnen auch, sich zeitweise einer „extremistischen“ Gruppe — egal ob islamistisch oder rechts — anzuschließen. Da die Präsenz von Satanisten unter Neonazis in den USA umstritten ist, haben einige die AWD verlassen, um einer ausdrücklich christlichen Version der gleichen Politik zu folgen.

"Rise Above Movement"

Eine gut organisierte und mehr in der Öffentlichkeit agierende Gruppe ist das aus der „D.I.Y Division“ hervorgegangene „Rise Above Movement“ (RAM), welches nahe Los Angeles in Orange County — einer Gegend, in der es viele rechte Aktivitäten gibt — tätig ist.5 In ihrer Struktur ähnelt sie eher einer traditionellen Neonazi-­Gruppe, was auch durch Überschneidungen zu den „Hammerskins“ deutlich wird. Auch wenn die Gruppe verkündet, nur „nationalistisch“ zu sein, vertritt sie ideologisch klassische neonazistische Ansichten. Ihre mediale Selbstinszenierung erscheint modern und orientiert sich dabei durchaus auch an neurechten Bewegungen.

Damit knüpfen sie auch an einen Fitnesstrend innerhalb der extremen Rechten an. Dazu passt der Umstand, dass die Gruppe Fitness-Clubs betreibt, aber auch Waffentrainings durchführt. Das RAM fiel u.a. durch Angriffe auf Antifaschist_innen und Journalist_innen auf, vor allem im Frühjahr 2017 in Huntington Beach, Berkeley und Charlottesville. Obwohl es zahlreiche Videoaufnahmen gibt und die Angreifer identifiziert wurden, weigert sich die Polizei, diese zu verhaften.

Dafür scheint die Gruppe in der Zwischenzeit, vermehrt Kontakte nach Europa zu suchen. Im April 2018 nahmen RAM-Mitglieder an einem Kampfsportturnier auf dem Neonazi-Festival „Schild und Schwert“ in Ostritz teil. Dort haben sie ihre Bekleidungsmarke „Right Brand Clothing“ beworben und vereinbart, die russische Neonazi-Marke „White Rex“ in den USA zu verbreiten. Die RAM-Mitglieder vernetzten sich zudem mit dem "Полк Азов" („Asow-Regiment“) aus der Ukraine und der „Casa Pound“ (Italien).
Im Zuge des Zusammenbruchs von bekannten Neonazigruppen wie der „Traditionalist Workers Party“ und dem umfangreichen Webspaceverlust von „Alt-Right“-Gruppen im Internet können nun kleinere und gewaltaffine Zusammenhänge deren Platz einnehmen.

  • 1Anmerkung der Redaktion: Kürzlich präsentierte sich nun auch ein deutscher Neonazi als Anhänger der „Atomwaffen-Division“ mit einem Video im Internet, in dem unter anderem Bilder eines Aufmarsches der verbotenen Brandenburger Neonazigruppe „Spreelichter“ verwendet wurden. In dem Video heißt es martialisch: „Wir bereiten uns auf den langen, letzten Kampf in Trümmern vor, der bald kommen wird. Die Messer werden schon gewetzt!
  • 2James Nolan Mason ist ein US-amerikanischer Neonazi, der bis Mitte der 1980er Jahre einen Newsletter mit dem Titel „Siege“ publizierte. Dieser wurde als „Siege: The Collected Writings von James Mason“ veröffentlicht. Er trat für den „führerlosen Widerstand“ ein und forderte autonome Aktionen von Einzelpersonen statt einer autoritären hierarchischen Organisation.
  • 3Der Begriff Black Church bezieht sich auf protestantische Kirchen, deren Kirchengemeinde vornehmlich aus POC besteht.
  • 4Vgl. "Black Sun: Aryan Cults, Esoteric Nazism and the Politics of Identity"
  • 5Vgl. AIB Nr. 111 (2016): "Blue by Day, White by Night"