Frankreich: Rechte „Geheimarmee“ aufgeflogen
Bernard Schmid (Paris)In Frankreich schlossen sich Polizisten, Gendarmen, Berufssoldaten und weitere Personen zu einer rechtsterroristischen Gruppierung zusammen.
„Alles begann in Frankreich“: Unter diesen Titel stellte die französische Boulevardzeitung „Le Parisien-Aujourd’hui en France“ einen Beitrag vom 16. März 2019, in welchem sie den Werdegang des Massenmörders von Christchurch behandelte. Am Vortag hatte der australische Staatsbürger Brenton Tarrant dort, im Nachbarstaat Neuseeland, fünfzig Menschen in zwei Moscheen ermordet. Kurz zuvor hatte er ein 73-Seitiges „Manifest“, inspiriert von jenem des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik – er tötete am 22. Juli 2011 insgesamt 77 Menschen -, im Internet veröffentlicht. Diesem Text zufolge fand der Rassist Brenton Tarrant, der sich als Anhänger einer „weißen Vorherrschaft“ versteht, seine ideologische Inspiration während einer Frankreichreise im Jahr 2017. Denn dort habe er, auf dem Parkplatz eines Supermarkts in Ostfrankreich, bezüglich der Einwanderung verstanden: „Die Invasoren sind überall.“
Tarrant fügt dem hinzu, im Hinblick auf die Wahlniederlage von Marine Le Pen im zweiten Durchgang der französischen Präsidentschaftswahl am 7. Mai 2017: „Der mögliche Sieg einer Beinahe-Nationalistin war für mich das Anzeichen dafür, dass eine politische Lösung noch immer möglich war.“ Nachdem Marine Le Pen jedoch (mit 33,9 Prozent der abgegebenen Stimmen) gegen den Kandidaten Emmanuel Macron scheiterte, sei ihm klar geworden, dass dieser Weg verbaut sei, weshalb er beschlossen habe, dass der Griff zur Waffe erforderlich sei.
Ziemlich ähnliche Überlegungen stellten in den vergangenen beiden Jahren offenkundig auch französische Gesinnungskameraden des Mörders aus dem Südpazifik an. Ende Juni 2018 hoben die französischen Behörden eine mutmaßliche rechtsterroristische Gruppierung unter dem Kürzel AFO aus. Dies steht für die Bezeichnung, welche die Struktur sich selbst gegeben hatte, also „Action des forces opérationnelles“, ungefähr: „Aktion der einsatzbereiten / einsatzfähigen Kräfte“.
Der polizeiliche Zugriff erfolgte im westfranzösischen Bezirk Charente-Maritime – dem Verwaltungsbezirk von La Rochelle -, im ebenfalls westfranzösischen Bezirk Vienne, im Großraum Paris sowie auf Korsika. Zehn Personen, darunter neun Männer, u.a. Berufssoldaten, Polizisten und Gendarmen wurden dabei im Laufe des Wochenendes 23./24. Juni 2018 festgenommen. Die Beschuldigten sind zwischen 32 und 69 Jahre alt und waren zum Teil seit mehreren Monaten überwacht worden, hieß es von behördlicher Seite.
32 Feuerwaffen und mehrere tausend Schuss Munition wurden bei ihnen aufgefunden, aber auch eine Substanz, die in die Herstellung des Sprengstoffs TATP einfließt. Letzterer, den etwa auch die jihadistischen Attentäter vom 13. November 2015 in Frankreich benutzten, ist relativ leicht zu fabrizieren, jedoch gefährlich im Umgang, weil er instabil ist und deswegen leicht detoniert. Insofern sind gewisse Spezialkenntnisse im Umgang mit Chemikalien zu seiner Erzeugung erforderlich.
Die Aktionsplanung des Zusammenschlusses, dessen Mitglieder unter anderem auch Erste Hilfe- sowie Survival-Trainings durchliefen, war laut Auffassung der Sicherheitsbehörden noch nicht vollständig festgelegt worden. Offensichtlich gab es einen Streit über die Vorgehensweise unter den Mitgliedern. Ein Teil von ihnen wollte, im Namen des „Kriegs gegen die Islamisierung“ in Frankreich und Europa, den die rechte Zelle ausrief, als halal eingestufte – also muslimischen Speisevorschriften genügende – Nahrungsmittel vergiften, um einen möglichst großen Effekt zu erzielen. Dieses „Halal-Projekt“, wie es laut jüngsten Medienberichten intern bezeichnet wurde, war jedoch innerorganisatorisch umstritten. Andere Angehörige der sich formierenden rechten Untergrundorganisation plädierten eher für gezieltere Angriffe auf Personen. Einige wollten dabei Imame mit angeblicher oder tatsächlicher salafistischer Tendenz attackieren, andere Strafgefangene mit islamistischem Hintergrund. Wieder Andere plädierten den Sicherheitsbehörden zufolge dafür, Kopftuch tragende Frauen auf der Straße oder im öffentlichen Raum zu attackieren.
Als Vorbild diente unter anderem die OAS oder „Bewegung der Geheimarmee“ (Organisation de l’armée secrète), die ab 1961 in der Schlussphase der Entkolonisierung Algeriens bombte und mordete und in der europäischen Siedlerbevölkerung Nordafrikas sowie unter französischen Berufsmilitärs eine relevante Basis aufwies.
Als Kopf der Gruppierung wurde ein gewisser Guy Sibra identifiziert. Es handelt sich bei ihm um einen 65-jährigen pensionierten Polizisten, der seine Laufbahn als Uniformträger 2004 in Marseille beendete, wo er bereits als aktiver extrem Rechter eingestuft worden war. Derzeit lebt er im westfranzösischen Tonnay-Charente. Dort wirkte er bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im April, Mai und Juni 2017 als Beisitzer in einem Wahlbüro. Das heißt, er wachte im Namen erst einer Präsidentschaftskandidatin und dann einer Partei über den Ablauf der Abstimmung. Ernannt worden war er für diese Aufgabe, um die Bewerberin Marine Le Pen sowie ihre Partei, den extrem rechten „Front National“ (inzwischen „Rassemblement National“, RN) zu vertreten.
Die Aktivisten der AFO waren zuvor bei einer legal agierenden extrem rechten Gruppierung unter dem Namen „Volontaires pour la France“ (VPF, ungefähr: „Freiwillige für Frankreich“) aktiv. Deren denkender Kopf ist ein gewisser Yvan Blot, den man in der Vergangenheit als extrem rechten Multifunktionär kannte, bevor er sich weitgehend auf eine Position als Schriftsteller zurückzog. Blot baute in den 1970er Jahren den rechtsintellektuellen „Club de l’Horloge“ mit auf, machte sich dann zusammen mit dessen Kadern auf einen „Marsch durch die Institutionen“ in den Parteien der bürgerlichen Rechten und schlug parallel dazu eine gehobene Beamtenlaufbahn ein. In den 1980er Jahren war er ein Führungsmitglied der neogaullistischen Partei RPR – eines der Vorläufer der heutigen konservativen Rechtspartei „Les Républicains“ (LR) -, bevor er 1989 zum FN überlief. Die Spaltung zwischen den Anhängern Jean-Marie Le Pens und Bruno Mégrets sorgte für seinen Rückzug aus der Parteipolitik. Zum Ende des vorigen Jahrzehnts bemühte er sich um Aufnahme bei der konservativen UMP, Nachfolgerin des RPR und Vorläuferin der heutigen Partei LR, zog sich jedoch später von ihr zurück. Er arbeitete zugleich als hoher Beamter im Innenministerium. Heute ist er im Rentenalter und berät den „internationalen Diskussionsclub Waldai“, der der russischen Regierung ausgesprochen nahe steht.
Allerdings waren die diskursiven Bemühungen eines Yvan Blot, zu dessen Hobbythemen das zivilisatorische Erbe des antiken Griechenland – und generell die nicht-christlichen, heidnischen „Wurzeln Europas“ – sowie das vehemente Plädoyer für eine „allen menschlichen Gesellschaften notwendige Ungleichheit“ zählen, den Aktivisten der Dissidentenfraktion auf die Dauer zu ermüdend.
Ein Dreivierteljahr vor dieser Gruppierung war ein anderer Kreis aufgeflogen, der möglicherweise rechtsterroristische Aktionen vorbereitete. Im Juni 2017 wurde dessen mutmaßlicher Kopf festgenommen, ein junger Mann namens Alexander Logan Nisin. Der damals 21-Jährige hatte sich zuvor zunächst am Wahlkampf des „Front National“ zu Anfang jenes Jahres engagiert und war im März 2017 damit beauftragt worden, eine Jugendgruppe der Partei in Vitrolles – einer Vorstadt von Marseille – aufzubauen. Allerdings glaubte auch er nicht hinreichend an den demokratischen Weg und tauschte sich mit Gesinnungskumpanen darüber aus, dass man „Dealer, Migranten und Islamisten“ töten wolle. Zehn weitere Personen wurden im Oktober 2017 verhaftet, neun junge Männer im Alter zwischen 17 und 25 sowie Nisins Mutter. Die Mutter wurde relativ schnell wieder freigelassen.
Die Gefahr ist real, dass auch in Frankreich vom Scheitern des „demokratischen Weges“ zur Macht enttäuschte Nationalisten und Rassisten ähnliche Schlussfolgerungen ziehen wie ihr australischer Kamerad im Geiste.