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Mord an einem Antifaschisten in Paris

Bernard Schmid
Einleitung

Der 18jährige Antifaschist Clément Méric wurde am Nachmittag des 6. Juni 2013 im Pariser Krankenhaus La Pitié-Salpétrière für klinisch tot erklärt. Er war knapp 24 Stunden zuvor in der Nähe des Saint Lazare-Bahnhofs von neonazis­tischen Skinheads angegriffen und schwer verletzt worden, noch am Abend wurde der Hirntod festgestellt. Am darauffolgenden Tag ergab eine Autopsie, dass er nicht – wie zunächst vermutet – am Sturz mit dem Hinterkopf gegen einen Pfosten gestorben war, sondern direkt an den Folgen der erlittenen Schläge. Die Schläge ins Gesicht hatten das Nasenbein getroffen und dabei eine Gehirnerschütterung sowie Hirnbluten ausgelöst.

Foto: strassenstriche.net

Das Opfer, der 18jährige Clément Méric, war vor kurzem aus Brest in die französische Hauptstadt gezogen und studierte an der politikwissen­schaftlichen Hochschule Science-Po. Nachdem er zuvor bei der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft CNT organisiert gewesen war, wurde er an der Hochschule in der linken Studierendengewerkschaft SUD-Etudiants aktiv. Er war ferner Mitglied der linksradikalen Action antifasciste Paris-banlieue.

Den tödlichen Schlägen ging ein Streit in einem Bekleidungsgeschäft voraus, bei dem vier junge Antifas eine Gruppe Neonazis zur Rede stellten. Laut Aussagen von Verkäufern und Aufsichtspersonal äußerten sich die jungen Antifas abfällig über die anwesenden Neonazis. Diese riefen daraufhin telefonisch Verstärkung herbei, die auch alsbald eintraf.

Zu den Herbeigerufenen zählte auch der spätere Haupttäter, der 20jährige Ange­stellte im Security-Gewerbe Esteban Morillo. Er wurde in Spanien geboren, wuchs in der Pro­vinz Picardie auf und machte schon dort als Neonazi auf sich aufmerksam. Vor zwei Jahren kam Morillo nach Paris und bewegt sich seither im Dunst­kreis von Serge Ayoub – Inhaber des rechten Veranstaltungsorts Le Local im Pariser Süden und in den 1980er Jahren Neonazi-Skin-Anführer sowie Kopf einer Minipartei unter dem Namen Troisième Voie (Dritter Weg).

Serge Ayoub

In jungen Jahren begann der spätere Neonazi Serge Ayoub in Frankreich bei den Sozial­demokraten aktiv zu werden. Er wandte sich jedoch angewidert ab, nachdem diese 1981 die Regierung stellten und - seiner Wahrnehmung nach – im Namen der »Realpolitik« sowie systemimmanenter Zwänge »die Arbeiter verriet«. Er bemühte sich um einen möglichst »proleta­rischen« Diskurs und zog damit Jungmänner an, die er rund um sich zu organisieren begann. Seinen Spitznamen »Batskin« erhielt er aufgrund seiner Vorliebe für den Einsatz von Baseballschlägern (französisch batte de baseball). Aufmerksamkeit erregte er vor allem in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre. Nach einem rassistischen Mord, begangenen von seiner früheren »rechten Hand« Régis Kerhuel im Juni 1990, hielt Ayoub sich mehrere Jahre lang von der Szene fern. Er war als Regisseur von Pornofilmen, Casinobetreiber und im Import-Export-Geschäft aktiv (in Frankreich, El Salvador, Ländern der früheren UdSSR und Japan), war Hells Angels-Führer und wurde wegen Drogenhandels zu einer Haftstrafe von acht Monaten verurteilt.

Im Jahr 2007 eröffnete Ayoub »Le Local«, zusammen mit dem antisemitischen Schriftsteller Alain Soral. Später verstieß er jedoch Soral und betrieb den Veranstaltungsort allein weiter. Zugleich reaktivierte er zwischen 2008 und 2010 die Gruppierungen »Troisième Voie« und »Jeunesses Nationa­listes Révolutionnaires« (JNR), über die er die alleinige Kontrolle übernahm.

Und der Front National?

Der »Front National« distanzierte sich nach dem Mord umgehend. Die Partei betonte mehrfach durch die Chefin Marine Le Pen sowie den beiden Vizechefs Louis Aliot und Florian Phlippot, mit Gruppen wie jener der Schläger vom 5. Juni »nichts zu tun« zu haben.

Inzwischen hat diese Selbstdarstellung allerdings Risse bekommen. Französische Medien erinnern etwa u.a. daran, dass Marine Le Pen im August 2010 mit Serge Ayoub speiste. Schon im Jahr 2008 hatte die damals noch subalterne FN-Politikerin in den Räumen des Local von Ayoub an einer Unterstützungsveranstaltung für die extrem rechte Internetseite »F de Souche« teilgenommen.

Im April 2012 hatte Ayoub ferner zur Stimmabgabe für Marine Le Pen bei der Präsidentschaftswahl aufge­rufen, nachdem er 2011 festgestellt hatte, Le Pen habe dankenswerterweise »einen sozialen Diskurs, der dem unseren ähnelt« übernommen. Und im Juni desselben Jahres wurden »Batskin« und seine Schlägertruppen auf Marktplätzen in Hénin-Beaumont gesichtet. In jener nordostfranzösi­schen früheren Bergarbeiterstadt kandidierte Marine Le Pen 2012 zum wie­derholten Mal. Sie verfehlte dabei mit 49,89 Prozent, jedoch knapp einen Sitz im Parlament. Da auch der Linkspolitiker und vormalige Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon sich denselben Wahlkreis ausgesucht hatte – wo er jedoch abgeschlagen auf dem dritten Platz landete –, war der Wah­lkampf dieses Mal zeitweilig stark angespannt. Ayoub und seine Anhänger wurden offensichtlich zur Verstärkung herangezogen.

Verbot in Aussicht

»Troisième Voie« verfügt über rund 500 mehr oder minder organisierte Anhänger und einen »schlagenden Arm« von geschätzt 30 Mitgliedern unter dem Namen »Jeunesses Nationa­listes Révolutionnaires« (JNR). Es handelt sich um eine Gruppe, die u.a. die Ordnerdienste für die Kleinstpartei übernimmt. Beide Gruppierungen existierten bereits in den 1980er Jahren  und waren im Zeitraum 2008 bis 2010 durch Ayoub wiederbelebt worden.

Der Haupttäter sowie einige andere Teilnehmer der Auseinandersetzung vom 5. Juni, werden von Behörden und Medien als Mitglieder der JNR eingestuft – nur ist dies insofern schwer nachzuweisen, als die JNR über keinerlei formelle Struktur verfügen, wie Serge Ayoub schadenfroh in mehreren Zei­tungen erklärte.

Unterdessen hat Innenminister Manuel Valls – ebenso wie Premierminister Jean-Marc Ayrault – ange­kündigt, die Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die JNR und eventuell andere Neonazigruppen zu prüfen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die offizielle Verbotsverfügung, wie am 11. Juni bekannt wurde, bei der Kabinettssitzung am 26. Juni  beschlossen.

Antifaschistische Mobilisierungen

Infolge des Todes von Clément Méric fanden in kürzester Zeit massive Protestdemonstrationen statt. Wenige Stunden nach dem Tod fanden Demonstrationen in sechzig französi­schen Städten mit insgesamt circa 15.000 Teilnehmenden statt. Auch in anderen europäischen Ländern kam es zu Solidaritätsaktionen.

Am Sonntag, dem 23. Juni (nach Redaktionsschluss dieses Artikels) wird in ganz Frankreich ein antifa­schistischer Aktionstag mit Demon­­strationen stattfinden.

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